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Wer gehört zur Wallonie?

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Wer gehört zur Wallonie?
CETA mit großem «Aber»

Referat von Wolfgang Reinicke-Abel auf der Kreisvorstandssitzung der DKP Köln
am 8. November 2016

Das Bundesverfassungsgericht hat am 13. Oktober über die Eilanträge von Campact, foodwatch, Mehr Demokratie, Linken und weiteren Klägern gegen die vorläufige Anwendung des geplanten Handelsabkommens CETA zwischen der EU und Kanada entschieden. Die Kläger sehen in dem Urteil einen Teilerfolg. Auch das Bündnis «NRW gegen CETA & TTIP» sieht sich in seiner Kritik an den Freihandelsabkommen bestätigt.

Mit ihrem Urteil haben die Richter mehrere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, die sich gegen eine Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union zur Unterzeichnung, zum Abschluss und zur vorläufigen Anwendung des Freihandels-abkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada richteten. Was zunächst enttäuschend klingt, ist in der Sache ein wichtiger Erfolg. Denn die Bundesregierung muss einige Maßgaben befolgen, damit die Rechte der Beschwerdeführer sowie die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages gewahrt bleiben.

Zudem muss die Regierung völkerrechtsverbindlich klarstellen, dass CETA einseitig durch einen Mitgliedstaat gekündigt werden kann. Und: Allein, dass die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren intensiv behandelt wird, ist ein Riesenerfolg, der zeigt, dass die Argumente gegen CETA nicht einfach von der Hand zu weisen sind. Das bestätigt auch die sehr ausführliche Verhandlung, in der die Richter besonders kritisch zu den Punkten «Kündbarkeit der vorläufigen Anwendung» und «CETA-Ausschüsse» nachgehakt hatten.

Nun müssen wir weiter Druck machen, damit CETA nicht ratifiziert wird. Dazu dient die Volksinitiative in Nordrhein-Westfalen. Wir fordern, dass die Sonderklagerechte aus CETA komplett gestrichen und das Vorsorgeprinzip, der Klimaschutz sowie die öffentliche Daseinsvorsorge effektiv geschützt werden. Mit der Volksinitiative tragen wir diese Forderung in den Wahlkampf vor der Landtagswahl im Mai nächsten Jahres. Wir wollen erreichen, dass das Land CETA im Bundesrat die Zustimmung verweigert. Damit der Landtag sich mit dieser Forderung befasst, müssen sich mindestens 66.322 wahlberechtigte NRW-Bürger in die Unterschriftenlisten eintragen. Um dies zu schaffen, unterstützt die DKP die Volksinitiative in NRW als wichtigen Beitrag zur Landtagswahl im Mai 2017.

Wallonen blockieren Handelsabkommen mit Kanada

Es war fast wie bei Asterix. Nur dass es kein gallisches Dorf ist, das den Römern Widerstand geleistet hat, sondern die Wallonie, die den EU-Beschluss zum Handelsabkommen CETA blockieren wollte.

Eigentlich wollten die zuständigen EU-Minister am Dienstag, dem 18. Oktober in Luxemburg grünes Licht für CETA geben. Die Zustimmung des Europaparlaments und die feierliche Unterzeichnung beim EU-Kanada-Gipfel am 27. Oktober wären dann nur noch Formalien. Die Teile von CETA, die unter EU-Hoheit fallen, könnten vorläufig in Kraft treten, bis alle Parlamente der EU-Staaten das Abkommen endgültig ratifiziert haben.

Doch obwohl die Minister fünf statt wie geplant eine Stunde lang debattierten, mussten sie die Entscheidung vertagen. Sie sollte nun auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag (20.-21. Oktober) in Brüssel fallen. Das, stellte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström klar, sei die letzte Chance, um eine Absage des EU-Kanada-Gipfels noch zu verhindern: «Unsere kanadischen Freunde müssen wissen, ob sie ihre Flugtickets buchen können.»

Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass die Wallonie so hartnäckig sein würde. Doch alle Versuche, die Regionalverwaltung umzustimmen, waren bis zu diesem Zeitpunkt gescheitert. Auch die Regionalparlamente der Hauptstadt Brüssel und das Parlament der deutschsprachigen Gemeinschaft in Eupen sprachen sich mehrheitlich gegen CETA aus.

Am Freitag, den 14. 10. 2016 empfing Frankreichs Präsident François Hollande den wallonischen Ministerpräsidenten Paul Magnette im Elysée. Am Montagabend (17.10. 2016) trafen sich die EU-Botschafter in Brüssel, um das Problem erneut anzugehen. Und zwischendurch versuchten auch die Kanadier selbst, auf die Wallonen einzuwirken.

Auch innerhalb Belgiens stieg der Druck auf die CETA-Gegner. Im wallonischen Parlament mussten sich die Sozialisten von den Liberalen anhören, ihre Region zum «Kuba Europas» zu machen und ganz Europa in Geiselhaft zu nehmen. Die größte flämische Partei, die separatistische N-VA, beschuldigte die «Sowjetrepublik Wallonie», die wirtschaftlichen Interessen Flanderns zu gefährden.

Michel: »Die Lage ist sehr ernst»

Doch Magnette blieb bis zum Vorabend des EU-Kanada-Gipfels unnachgiebig. Er setzte das Votum des wallonischen Parlaments, obwohl für ihn nicht bindend, um – und verweigerte der belgischen Zentralregierung die Vollmacht zur Unterzeichnung von CETA. Der belgische Regierungschef Charles Michel hatte ausgeschlossen, das Abkommen unter diesen Umständen abzusegnen. Die Lage sei «sehr ernst», sagte Michel im belgischen Parlament.

Damit sind die Wallonen und die zwei anderen Ministerpräsidenten Rudi Verwoort (Brüssel) und Oliver Paasch (Eupen) die letzten großen Hürden gewesen. Dass sie ein Abkommen wie CETA überhaupt stoppen können, liegt vor allem an der Struktur Belgiens. Zwischen Flamen im Norden, Wallonen im Süden und der deutschsprachigen Gemeinschaft im Osten gibt es sprachliche, wirtschaftliche und kulturelle Unterschiede. Und anders als in Deutschland sind die Regionalregierungen nicht der Föderalregierung untergeordnet. Für CETA heißt das: Spielen die Wallonen, Brüsseler und Eupener partout nicht mit, kann Belgien nicht zustimmen. Da die EU den Vertrag aber nur einstimmig beschließen kann, hätten die Drei das gesamte Abkommen torpedieren können.

Bereits am 18. Oktober beklagt der Ministerpräsident der Wallonie «unverhüllte Drohungen» von Konzernen. Auch immer mehr wallonische Parlamentsabgeordnete berichten hinter vorgehaltener Hand von Kontaktaufnahmen durch Lobbyverbände, die mit dem Ausbleiben dringend nötiger Investitionen drohen. Der größte europäische Arbeitgeberverband BusinessEurope hatte schon vor der Veto-Abstimmung in einem Brief an die wallonischen Parteivorsitzenden verlangt, sie sollen von ihren «kurzsichtigen politischen» Erwägungen ablassen und «sich ihrer Verantwortung stellen.» Die Lobbyorganisation Canada European Roundtable for Business schreibt mit unverhüllter Offenheit gleich an Magnette selbst. Wallonische Parlamentsabgeordnete berichten außerdem von Aussagen der EU-Kommission, in denen Konsequenzen für den Fall eines weiteren Widerstands angedeutet werden. Darin soll es vor allem um Subventionsstreichungen gehen, etwa von Geldern aus dem European Globalisation Adjustment Fund für die mehr als 2.000 in der Region weggefallenen Stellen, nachdem der US-Baumaschinenhersteller Caterpillar seine Fabrik bei Charleroi im September geschlossen hatte. In Charleroi bekleidet der Ministerpräsident das Amt des Bürgermeisters der Stadt. Auch soll eine Kürzung von Zuschüssen aus dem EU-Fonds für regionale Entwicklung im Raum gestanden haben.[1]

Malmström warnt vor Absage des EU-Kanada-Gipfels

Ein leichter Ausweg war nicht in Sicht. Die realistischste Option schien ein Zusatzvertrag zu sein. Die EU-Kommission formulierte daraufhin eine sogenannte Auslegungserklärung, die Teile von CETA – etwa den umstrittenen Investitionsschutz – interpretiert. Das sollte die Bedenken einzelner Länder zerstreuen, ohne die Verhandlungen über das gesamte CETA-Abkommen wieder aufzuschnüren.

Der wallonische Regierungschef Magnette signalisierte Sympathie für diesen Weg. Auch die CETA-Gegner im wallonischen Parlament betonten, sie seien grundsätzlich für eine Vertiefung des Handels mit Kanada. Die Kritik an CETA  ist für Magnette auch ein Instrument, um sich in der Heimat gegen die aufstrebende linke PTB[2] zu profilieren. Diese hatte den am 27. Oktober erzielten Kompromiss gemeinsam mit 4 Abgeordneten der ökologischen Partei (Ecolo) abgelehnt.  Allerdings betonte Magnette, dass die Auslegungserklärung das gleiche juristische Gewicht haben müsse wie CETA selbst. Ob eine rechts-sichere Lösung auf diesem Weg möglich ist, haben Juristen in den vergangenen Tagen bereits bezweifelt.[3]

Auch das deutsche Verfassungsgericht erleichterte eine Lösung. Karlsruhe hatte der Bundes-regierung Mitte Oktober drei Bedingungen für die Unterzeichnung gestellt.[4] Unter anderem soll Deutschland aus der vorläufigen Anwendung von CETA aussteigen dürfen, falls das Verfassungs-gericht oder der Bundestag den Vertrag später ablehnen sollte. Das, sagte Gabriel nach dem Treffen, sei nun festgeschrieben worden – und gelte selbstverständlich für alle Staaten.

Die Geduld Kanadas neigte sich derweil dem Ende zu. Europa müsse jetzt entscheiden, «wozu die EU gut ist», sagte der kanadische Premierminister Justin Trudeau. Falls Europa «unfähig ist, ein fortschrittliches Handelsabkommen mit einem Land wie Kanada zu unterzeichnen, mit wem will Europa denn dann in den nächsten Jahren Handel treiben?»

SPÖ macht Weg frei, Wallonie wollte blockieren

Einen Tag nach der Abweisung der Klage des deutschen Bundesverfassungsgerichts gegen die Zustimmung des deutschen Regierungsvertreters zur Unterzeichnung und vorläufigen Anwendung von CETA hat am 14.10. auch das Präsidium der österreichischen Regierungspartei SPÖ dafür gestimmt[5], dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada keine Steine in den Weg zu legen. Vor dem laut ORF «keineswegs einstimmigen» Beschluss wurde unter anderem deshalb länger diskutiert, weil die Teilnehmer einer SPÖ-Mitgliederbefragung das Abkommen im September mit 88 Prozent Mehrheit ablehnten. In der deutschen Sozialdemokratie sind es im Übrigen weit mehr als 60 Prozent der Mitglieder.

Dass sie CETA trotzdem zustimmt, rechtfertigt die sozialdemokratische Partei mit Zusatz-erklärungen zur Auslegung des Abkommens, die unter anderem das deutsche Verfassungs-gericht gefordert hat und die schädliche Auslegungen und Auswirkungen verhindern sollen. Nicht nur in dieser Hinsicht ähnelt die Erklärung der SPÖ-Führung dem Urteil aus Karlsruhe – auch die dort aufgeführten Entscheidungsgrundlagen wie beispielsweise eine mögliche Schädigung der internationalen Glaubwürdigkeit und der Wirtschaft gleichen sich.

In den Zusatzerklärungen soll dem Willen des deutschen Bundesverfassungsgerichts und der SPÖ nachstehen, dass der «gemischte Ausschuss» das Abkommen nur dann ändern oder erweitern darf, wenn er dafür die Rückendeckung demokratisch legitimierter Gremien bekommt. Dem Willen der SPÖ nach soll die EU vor der vorläufigen Anwendung des Abkommens außerdem festhalten, dass die Schadensersatzklagemöglichkeiten nicht für US-Konzerne mit einer «Briefkastenniederlassung» in Kanada gelten und dass Privatisierungen rückgängig gemacht werden dürfen.

Kanada hat eine Zusatzerklärung angeboten, die lediglich auf das Vorsorgeprinzip eingeht und bestätigt, dass Produkte auch dann verboten werden dürfen, wenn eine Gefahr für Gesundheit oder Umwelt noch nicht unwiderlegbar bewiesen ist. Wie die deutschen Vorschläge aussehen, die Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig vorlegen will, ist noch nicht bekannt. Die Äußerung seines Chefs Sigmar Gabriel, dass die Forderungen des Verfassungsgerichts seiner Meinung nach ohnehin schon teilweise erfüllt sind, deutet jedoch darauf hin, dass es sich nicht um allzu umfassende Festlegungen handeln könnte.

Offene Fragen zu den besonders strittigen Investitionsschutz-Schiedsgerichten wollen die österreichischen Sozialdemokraten erst nach dem Beginn der vorläufigen Anwendung klären, von der dieser Punkt ausgenommen wurde. Das soll geschehen, bevor der Nationalrat das Abkommen ratifiziert. Hier sind ÖVP und Neos klar für das Abkommen, während die FPÖ und das Team Stronach klar und die Grünen eher dagegen sind. Ebenfalls dagegen sind die Gewerkschaften – und zwar nicht nur diejenigen, die der SPÖ nahestehen, sondern auch die eher ÖVP-orientierte Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD).

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hatte am Mittwoch, den 19.10. einmal mehr die Zustimmung zu CETA verteidigt und zugleich weiteren ähnlichen Abkommen eine Absage erteilt. «Ein zweites Mal machen wir das so sicher nicht mit»[6], erklärte Kern am Mittwoch im EU-Hauptausschuss des Nationalrats. Der Druck auf Österreich sei groß gewesen, so der Kanzler, der von einer «ganzen Maschinerie des Drucks, formellen und informellen», sprach. In einer Institution, wo 28 Länder einen Konsens finden müssen, sei es schwierig, «als Einziger, der am Ende überbleibt, zu sagen wir nehmen unsere europäische Verantwortung nicht war», erklärte Kern, denn das habe Konsequenzen. So zum Beispiel beim Thema Stahldumping, wo Österreich derzeit auf Bündnispartner angewiesen sei. Eine Ablehnung von CETA nach sechsjährigen Verhandlungs-prozess hätte die Glaubwürdigkeit der EU-Kommission und des europäischen Projekts beschädigt.

Mit TTIP und CETA die Macht der Konzerne stärken

Mit den Freihandelsabkommen TTIP und CETA sollen zwischen- und überstaatliche Institutionen wie die regulatorische Kooperation oder Investor-Staat-Schiedsgerichte geschaffen werden, die Transnationalen Konzernen einen völkerrechtlichen Status von Staaten gegeben und den Global Players quasi gesetzgeberische Funktionen übertragen hätten. In TTIP und CETA werden den Transnationalen Konzernen einseitig Rechte, aber keine Verpflichtungen zugeordnet. Sie können zwar klagen, aber nicht verklagt werden. Auch das internationale Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen TiSA zwischen der EU, den USA und 21 weiteren Staaten stellt einen Versuch dar, die Macht privater Konzerne voranzutreiben und zu verankern.

Dieser Angriff auf unser demokratisches System und auf demokratisch erkämpfte Umwelt-, Arbeits-, Verbraucher- und Gesundheitsschutzrechte hat den politischen Nerv eines großen Teils der Bevölkerung in der Bundesrepublik sowie eines weiten Spektrums demokratischer, sozialer, entwicklungspolitischer und ökologischer Organisationen getroffen. Es wurde ein breiter gesellschaftlicher Protest zur Verhinderung von TTIP und CETA organisiert. 320.000 Menschen gingen allein in der Bundesrepublik Deutschland am 17.09.2016 auf die Straße. Waren im Herbst 2014 noch 70% der deutschen Bevölkerung TTIP-Befürworter, so zeigten Umfragen im Frühjahr 2016, dass ein grundlegender Wandel der öffentlichen Meinung stattgefunden hatte. 70% der Bürger erklärten sich jetzt als TTIP-Gegner. Der innerste Kern der Verhandlungen wurde immer mehr Menschen bewusst. Sie erkannten, dass Investoreninteressen dem Allgemeinwohl entgegenstehen. Das Ziel der Konzerne wird deutlich in einem Interview von Pascal Kerneis, dem Direktor des European Services Forum, einem einflussreichen Unternehmensverband, der 80% der in der EU angesiedelten Dienstleistungsexporteure und –-investoren vertritt und dem u.a. auch die Deutsche Bank, Microsoft und Siemens angehören. Er sagte: «Die Industrie wird sich jedem Abkommen widersetzen, in dem der Investitionsschutz gegenüber öffentlichen Interessen, einschließlich der Arbeits- und Menschenrechte das Nachsehen hat.»[7]

Die Wallonie allein zu Haus?

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) stand auf der Kippe. Die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland brach am Freitag, den 21.10.2016 die Gespräche mit der Wallonie über CETA ab. Die EU sei derzeit nicht in der Lage, mit Kanada ein Handelsabkommen abzuschließen, sagte Freeland.

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hieß es, die Wallonie, in der nur 0,7 Prozent der Bürger der EU-Mitgliedsländer lebten, blockiere für alle 510,06 Millionen Einwohner das Freihandels-abkommen CETA. Geht man aber nicht nur in Belgien, sondern auch in anderen europäischen Ländern auf die Ebenen unterhalb der Nationalparlamente, dann stellt sich die Situation anders dar: Hier haben sich inzwischen 2.107 Regionen und Kommunen gegen CETA und dessen großen Bruder TTIP ausgesprochen und weitere 200 in den USA und Kanada – darunter Metropolen wie New York, Montreal, Toronto, Amsterdam, Edinburgh, Oxford, Cambridge, Barcelona, Mailand, Grenoble und Wien. Als 2.000. Stadt hat sich Karnobat in Bulgarien der wachsenden Bewegung gegen CETA/TTIP angeschlossen sowie Maribor aus Slowenien ebenso.  Allein in Deutschland sind es bereits mehr als 375 Kommunen mit entsprechenden freihandels-krittischen Resolutionen. Der Landkreis Roth hatte bereits im Juni 2014 eine sehr fundierte Resolution gegen CETA, TTIP und TiSA verabschiedet. Laut Umfragen der EU und des deutschen EMNID-Instituts im letzten Jahr stellen sich in vielen europäisches Ländern Bevölkerungsmehrheiten – auch in Deutschland – gegen CETA, TTIP und TiSA.

«Mehr als 75 Millionen Menschen leben heute in TIPP- und CETA-freien Zonen. Ob in Amsterdam, Köln, Edinburgh, Grenoble, Barcelona, Mailand, Wien oder Thessaloniki – immer mehr Bürgermeister und Kommunalpolitiker wehren sich gegen die Abkommen, die ihren demokratischen Handlungsspielraum unmittelbar einschränken würden», sagt Arno Behlau, der Attac Deutschland im Europäischen Netzwerk TIPP- und CETA-freier Zonen vertritt. «Für die Regierungen ist es an der Zeit dies anzuerkennen: Sie müssen CETA ablehnen und die EU-Kommission drängen, die TTIP-Verhandlungen abzubrechen.»

Die Hast, mit der die EU-Oberen das Abkommen in trockene Tücher bringen wollten, ist enthüllend für die Angst, die in ihren Kreisen herrscht, dass da noch andere auf die Idee kommen könnten, Nein zu sagen. Da müssen so schnell wie möglich vollendete Tatsachen geschaffen werden. Die Verhandlungen der belgischen Regierung, die in engster Abstimmung mit der EU-Kommission agierte, mit den Regierungen der belgischen Regionen Wallonie und Brüssel endeten mit einem «Zusatzabkommen», das als «Interpretations-Erklärung» dem Vertrag angehängt werden soll. Darin sind einige Abschwächungen und Präzisierungen zum ursprünglichen Vertragstext festgehalten worden, ohne diesen selbst zu ändern. Deren juristischer Wert und Bindungskraft ist auch für Kanada umstritten. Allerdings hat die wallonische Regionalregierung einige Vorbehalte hinsichtlich einer juristischen Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof geltend gemacht und sich auch die Möglichkeit einer Überprüfung der Auswirkungen des Vertrags in der Wallonie und eines eventuellen Wiederausstiegs bei negativen Erfahrungen bestätigen lassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass CETA sowieso zunächst nur «vorläufig» in Kraft treten soll, weil in allen EU-Staaten erst noch eine Prozedur der Ratifizierung durch die nationalen Parlamente erfolgen muss, was möglicherweise bis zu zwei Jahren in Anspruch nehmen kann, bevor er endgültig in Kraft treten kann. Es bleibt also ein Spielraum für weitere Auseinandersetzungen und die Entwicklung des Widerstands gegen das Abkommen.

Die am Donnerstag, den 27. Oktober in Belgien erzielte Einigung ist kein Durchbruch, sondern eine Blockade mit Ansage. Die belgischen Regionen haben ihre Bedenken keineswegs aufgegeben. Die Wallonen und Brüsseler haben völlig Recht, dass CETA mit Schiedsgerichten nicht zustimmungsfähig ist. Der CETA-Stopp ist nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Im nationalen Ratifizierungsverfahren kündigen sie ein Veto an, wenn es bei den Schiedsgerichten bleibt. Davor wollen sie noch eine juristische Prüfung der Schiedsgerichte durch den europäischen Gerichtshof erreichen. Auch in Österreich und im deutschen Bundesrat gibt es derzeit keine Mehrheit für CETA. Was leider in den Medien kaum zur Sprache kommt: Die kanadische Regierung wäre bereit, dem Wunsch der Wallonie zu entsprechen und die Schiedstribunale (ICS) aus CETA zu entfernen. Denn Kanada hat selbst bereits negative Erfahrungen damit gemacht. Allerdings besteht die EU-Kommission weiter auf der Paralleljustiz, weil den USA versprochen wurde, dass ihre Konzerne über kanadische Zweigniederlassungen auch ohne TTIP Staaten verklagen können, wenn Gesetze ihre Profite schmälern.

Darüber hinaus wurde der Wallonie offen mit dem Entzug von Geldern aus dem Notfallfonds für die Beschäftigten von Caterpillar gedroht, die auf die Straße gesetzt werden. Nach dem absurden Entscheidungsverfahren auf EU-Ebene kündigen Konservative und Liberale jetzt an, mit juristischen Änderungen die EU-Handelspolitik durchsetzbarer zu machen. Weitere Eingriffe in gesellschaftliche Standards, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind nicht hinnehmbar.

Auch wenn CETA am Sonntag, den 30. Oktober unterschrieben wurde, bedeutet das noch lange nicht, dass es schon von den EU-Staaten ratifiziert ist. Das wird zum Glück noch mehrere Jahre dauern und so kann CETA zurzeit nicht voll angewendet werden. Die vorvergangene Woche war voll mit Turbulenzen um CETA. Die Wallonen haben doch sehr viel erreicht, obwohl ein unheimlicher Druck auf sie ausgeübt wurde.

  1. Belgien wird vor dem Europäischen Gerichtshof überprüfen lassen, ob die geplanten Schiedsgerichte legal sind.
  2. Wenn die Sonderklagerechte für Konzerne in der jetzigen Form weiter in CETA enthalten sein sollten, werden die belgischen Parlamente CETA innerhalb der nächsten Jahre nicht ratifizieren, sondern erneut ihr Veto einlegen.

Man kann jetzt gar nicht sagen, wann und wie weit CETA überhaupt wirksam werden wird. Wir dürfen unseren Widerstand auf jeden Fall nicht aufgeben.

Unabhängig davon, wie der EuGH zum Investorenschutz in CETA entscheidet, muss der Handelsvertrag noch durch 37 weitere Parlamente, bevor er in Kraft treten kann. Und ganz anders, als in den letzten Tagen immer wieder behauptet wurde, steht die Wallonie keineswegs allein mit ihrer Kritik da. Überall in Europa regt sich der Widerstand gegen CETA, weil die Menschen merken, dass es ein schlechtes Abkommen ist.

 

In Deutschland wird das Bundesverfassungsgericht im Hauptverfahren prüfen, ob das Abkommen mit dem Grundgesetz vereinbar ist und in mehreren Bundesländern wurden bereits Volksbegehren oder -initiativen gegen CETA auf den Weg gebracht. Die Chancen stehen weiter gut, dass CETA am Widerstand des breiten antimonopolistischen Bündnis scheitert.

Nach der belgischen Einigung über CETA sagte der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele: «Vor sieben Jahren haben die EU-Oberen ihre Geheimverhandlungen über CETA begonnen. Für die undemokratische Aushandlung, wie dieses Abkommen im Sinne der Banken und Konzerne gestaltet werden sollte, hatten die EU-Oberen viel Zeit.

Nachdem die Details öffentlich geworden waren, begann der Protest gegen CETA wie gegen TTIP und TiSA. Für demokratische Entscheidungen, für die Abstimmung in Parlamenten, hatte die EU keine Zeit eingeplant. Schon die kurze Verzögerung, die das wallonische 'Nein' bedeutet hat, bewertet die Mainstream-Presse als Skandal. Für Demokratie haben die EU-Oberen keine Zeit.

Der Verhandlungsmarathon in Belgien hat kosmetische Verbesserungen gebracht. Was bleibt ist: Die Massenproteste und die Ablehnung eines Parlamentes hindern die EU-Kommission und die Regierungen der Großmächte in der EU noch nicht daran, ihre Politik durchzudrücken. Für uns als DKP heißt das: Wir werden daran mitarbeiten, den Widerstand gegen die asozialen Freihandelsabkommen zu verstärken, weiter zu organisieren und in die Betriebe zu tragen.»

Das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, CETA, ist nun zwei Tage später als vorgesehen am Sonntag, den 30. Oktober 2016 unterzeichnet worden. Mehr als zwei Jahre haben wir uns gegen dieses Abkommen gewehrt, genauso wie gegen TTIP, das Abkommen mit den USA. Ein Misserfolg also? Sind wir gescheitert?

Der noch lange nicht beendete Kampf gegen dies Freihandelsverträge CETA, TTIP und TiSA ist schlichtweg überwältigend. Der anfängliche Wind entwickelte sich zu einem regelrechten Sturm, gipfelte in Demonstrationen, an denen Hunderttausende Menschen teilnahmen und führte schließlich dazu, dass sich im Rahmen der größten Bürgerklage in der Geschichte der Bundesrepublik sogar das Bundesverfassungsgericht kritisch mit dem Vertrag befasste – und noch weiter befassen wird.[8]

Angesichts dieser Erfolge ist es verführerisch, ein nicht erreichtes Ziel – den Stopp der Verhandlungen – zu einem Erfolg umzudeuten. Das wollen wir nicht tun. Aber eines ist sicher: unser Protest, unsere Kampagne ist nicht zu Ende, und sie hat die politische Landschaft in Europa nachdrücklich verändert.

Bayerisches Volksbegehren mit 85.146 Unterschriften eingereicht

Keine Auswirkungen auf den EU-Ministerrat hat das mögliche bayerische Volksbegehren gegen CETA, dessen Initiatoren dem Münchner Innenministerium am 14. Oktober 85.146 Unterschriften überreichten – 40.146 mehr als nötig gewesen wären. Ziel des Volksbegehrens ist es, die Vertreter der Bayerischen Staatsregierung dazu zu verpflichten, im deutschen Bundesrat gegen das endgültige Inkrafttreten von CETA zu stimmen. Das Innenministerium hat nun sechs Wochen Zeit, die Zulässigkeit des Volksbegehrens zu prüfen. Entscheidet es sich dagegen, wollen die Initiatoren vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof klagen.

Wie geht es nun weiter?

CETA-Fans sollten sich aber nicht zu früh freuen, denn die belgische Einigung hat es in sich:

  • Belgien bekräftigt, dass alle drei Regionen und die drei Sprachgemeinschaften den Vertrag mitunterzeichnen müssen. Sollte das Kapitel zum Investor-Staat-Schiedsgericht so im Vertrag bleiben wie es momentan ist, werden die Regionen Wallonie, Brüssel und die französische sowie deutsche Sprachgemeinschaft CETA nicht ratifizieren
  • Belgien fordert des Weiteren, dass das Kapitel zum Investitionsschutz nicht vorläufig angewendet werden darf und Belgien die vorläufige Anwendung einseitig kündigen kann.
  • Die regulatorische Kooperation wird von Belgien an Einstimmigkeit im EU-Rat gebunden und an belgische Prozeduren angepasst. Erst nach Ratifizierung des Abkommens, kann der Rat der EU die Entscheidungen in seinem üblichen Verfahren treffen.
  • Belgien stellt einen Antrag an den Europäischen Gerichtshof zur Überprüfung ob ICS mit europäischen Verträgen vereinbar ist.
  • Belgien will außerdem die Landwirtschaft besser schützen und fordert daher eine Klausel im Abkommen, um gegen Marktungleichgewichte bei landwirtschaftlichen Produkten vorzugehen. Kanadische Produkte sollen damit vom europäischen Markt ferngehalten werden können, wenn ein Marktungleichgewicht besteht.
  • Belgien einigte sich auf drei weitere Absätze, die sich für das Vorsorgeprinzip, regionale Ursprungsbezeichnungen und gegen Gentechnik aussprechen.

Die EU-Staaten werden nun über die Forderungen der Belgier beraten. Sollten die Staaten zustimmen, muss die EU-Kommission die Bedingungen mit Kanada in eine rechtssichere Form bringen. Die belgische Region hatte schon im April 2016 eine Resolution mit 27 kritischen Punkten zu CETA verabschiedet und die sich mit den Bedenken der zahlreichen internationalen NGOs, Gewerkschaften, Bauern und Bäuerinnen und BürgerInnen in der EU decken.

Die Wallonie war mit ihren Einwänden also nie wirklich alleine und meldete auch nicht kurzfristig Bedenken an, sondern regierte auf den sehr kurzfristig entstandenen »Beipackzettel» zum CETA-Vertrag, der erst Anfang Oktober an die Mitgliedsstaaten übermittelt wurde. Und der war ihnen eindeutig zu schwach und zu kurz gegriffen. Daher der massive Widerstand in scheinbar letzter Minute. Alle anderen Staaten, inklusive Österreich, haben diese Beruhigungspille leider geschluckt.

Nachdem die Wallonie am Donnerstag (27.10) auch eingelenkt hatte, wurden sprichwörtlich über Nacht alle anderen EU-Staaten auch noch einmal um ihre Zustimmung zu dem nun erweiterten Beipackzettel und den Klarstellungen der Wallonie gebeten. Freitagnacht hieß es dann plötzlich, dass der EU-Kanada-Gipfel nur zwei Tage später, also am Sonntag stattfinden würde.

Und so wurde letzten Sonntag feierlich unterzeichnet. Doch was mit all den Forderungen und Zusatzerklärungen jetzt tatsächlich passiert, wie sie sich auf den CETA-Vertrag auswirken, an dem bis jetzt kein einziger Beistrich geändert wurde, das wurde nicht erklärt.

Der EU-Kanada-Gipfel war eine eher armselige Veranstaltung, nicht mit 28 EU-Regierungschefs wie ursprünglich gedacht, sondern nur mit den Chefs von Kommission und Rat sowie dem kanadischen Premier. Die Wallonie und die Hauptstadtregion Brüssel hatten bis zuletzt hinhaltenden Widerstand geleistet und schlussendlich mit dem Kompromiss einer Zusatzerklärung vermutlich das Beste herausgeholt, was man als «halbes Land gegen 27.5 Länder» herausholen konnte, wie es Ministerpräsident Paul Magnette formulierte.

Wir haben enorm viel erreicht – noch am Jahresende hätte niemand vorherzusagen gewagt, dass TTIP jetzt faktisch auf die lange Bank geschoben wurde und CETA um Haaresbreite schon im EU-Rat gestoppt worden wäre.

Die Fraktionschefs der «Großen Koalition» im Europäische Parlament (EP) sowie Parlaments-präsident Martin Schulz (SPD) setzen alles daran, dass das EP CETA jetzt im Schnellverfahren durchwinkt. Eine ausführliche Beratung in den Ausschüssen, wie man das von einem Parlament erwarten muss und wie es in der Wallonie gemacht wurde[9], ist im EP nicht vorgesehen.

Nach einem (vermutlich zu erwartenden) Ja-Votum des EP beginnt die «vorläufige Anwendung», die aber nicht für die ICS-Paralleljustiz gilt. Alle 28 EU-Mitgliedsstaaten müssen dann nach ihren nationalen Verfahren ratifizieren, das bedeutet: es benötigt die Zustimmung von 37 Parlaments-kammern und einer Volksabstimmung in den Niederlanden. Wenn wir nur ein einziges Mal gewinnen, ist CETA tot – die Pro-CETA-Lobby dagegen muss in allen 37 Parlamentskammern sowie der niederländischen Volksabstimmung gewinnen. Wenn nur ein einziges Land dem EU-Rat mitteilt, dass die nationale Ratifizierung gescheitert ist, dann ist nicht nur die «vorläufige Anwendung» beendet, sondern CETA wird insgesamt hinfällig.

Für uns in der Bundesrepublik Deutschland bedeutet das: neben dem Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht, der seine Zeit brauchen wird, geht es jetzt vor allem um den Bundesrat. Hier können und sollten wir einwirken. In Deutschland müssen im Ratifizierungs-prozess Bundestag und der Bundesrat zustimmen. Zurzeit regieren in 12 der 16 Länder Grüne und/oder Linke mit, sie können die Zustimmung ihrer Länder zu CETA blockieren und damit die deutsche Ratifizierung zum Scheitern bringen. Sie werden das aber nur tun, wenn wir ihnen so viel Druck machen, dass sie nicht mehr anders können. In Bayern läuft zusätzlich ein Volksbegehren, die Staatsregierung per Volksabstimmung auf ein Nein festzulegen.

Im Jahr der Landtagswahl in NRW und der Bundestagswahl müssen wir sicherstellen, dass die Position der Parteien zu TTIP und CETA Wahlkampfthema bleibt. Auch das TiSA-Abkommen kann Wahlkampfthema werden, sollte es tatsächlich zu einem Verhandlungsabschluss im Dezember kommen.

Nun liegt es wieder an uns, aufzuklären und aufzudecken, was hinter den Kulissen gespielt wird. Wir werden in den kommenden Tagen mit fundierten Analysen zu den Zusatzerklärungen eruieren, wie es um CETA bestellt wäre, würde es morgen in Kraft treten. Doch noch ist es nicht so weit.

Als nächstes muss nämlich das EU-Parlament (mit einer einfachen Mehrheit) und das Kanadische Parlament zustimmen. Sie werden zeitgleich abstimmen, voraussichtlich noch im Dezember. Wenn beide Parlamente grünes Licht geben, soll der Großteil des CETA-Vertrags ab Anfang Januar 2017 «vorläufig» angewendet werden. Doch dann kommen die nationalen und die zahlreichen regionalen Parlamente der EU zum Zug. Spätestens hier kann CETA voraussichtlich wieder gestoppt werden.

Wir werden die Zeit gut nutzen und als nächstes die EU-ParlamentarierInnen umfassend informieren. Damit sie wissen, worüber sie tatsächlich abstimmen. Eines hat das Gerangel um den Gipfel jedenfalls gezeigt: wie umstritten CETA tatsächlich ist. Und es gab nahezu keinen Tag, an dem nicht über dieses Abkommen berichtet wurde. CETA kann also längst nicht mehr im Geheimen und an der Öffentlichkeit vorbei durchgewunken werden.                                            

Ironisches Detail am Rande: Kurz nach der Unterzeichnung am Sonntag meinte die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland um von CETA benachteiligte Unternehmen zu besänftigen und etwaigen Umsatzverlusten durch den Vertrag entgegenzuwirken werde man Ausgleichs-zahlungen festlegen.[10]                                                                                                                  

Eines ist sicher: Der wallonische Widerstand hat CETA bereits jetzt verbessert. Es hätte von Anfang an nachhaltiger werden können, wenn alle Parlamente sich mit derselben Beharrlichkeit dafür eingesetzt hätten.

Maude Barlow, National Chairperson der CETA-kritischen Bürgerrechtsbewegung Council of Canadians, drückt es so aus: «Die Wallonen sind einfach den Vertrag durchgegangen und haben auf die Sorgen der Menschen gehört – das ist mehr, als man von den Regierungen Kanadas, Deutschlands und anderen Ländern behaupten kann. Die Resilienz der Wallonen aller Einschüchterungsversuche signalisiert der Welt, dass gewählte Politiker prinzipientreu bleiben können. Der Standpunkt der Wallonie gegenüber CETA hat dem CETA/TTIP- Widerstand neuen Auftrieb verliehen. CETA in seiner gegenwärtigen Form wird niemals ratifiziert werden.»

Der Widerstand gegen Schiedsgerichte, die Investoren nur Rechte und keine Pflichten geben, ist allgegenwärtig. Und nicht zuletzt ist zum öffentlichen Thema geworden, was Industrie und Regierung versucht haben, unter der Decke zu halten: CETA, TTIP sind eine Gefahr für die Demokratie. Auch ist nunmehr offenbar: Wir müssen diskutieren, welche Demokratie wir in Europa wollen, welche Zuständigkeiten die Europäische Union einerseits und die Mitgliedstaaten andererseits in Europa haben wollen.

Die DKP hat zum Anstoß dieser Debatten entscheidend beigetragen. Von Anfang an haben wir die Gefahren für die Demokratie benannt und belegt, haben auf konkrete Schwächen des Vertrages (z.B. die unzureichende Absicherung des Vorsorgeprinzips, der Daseinsvorsorge und der Einschränkungen von Arbeitsrechten und -normen) hingewiesen, haben die falschen Wachstumsversprechen der Handelsverträge enthüllt und waren am Zustandekommen der Verfassungsbeschwerde beteiligt.

Die Unterschriften, die in Brüssel unter den CETA-Vertrag gesetzt wurden, haben uns nicht demotiviert. Im Gegenteil. Die Kampagnen gegen CETA und TTIP haben uns gezeigt, welche Kräfte wir mobilisieren können. Wir machen weiter!

Vorbehalte in zehn weiteren Mitgliedstaaten

Auch Slowenien, Österreich, Polen, Rumänien, Bulgarien, Portugal, Ungarn, Irland und Griechenland haben übrigens ihre Vorbehalte in Zusatzerklärungen festgehalten. Mehrere Mitgliedstaaten fordern, dass die Macht des geplanten CETA-Steuerungsgremiums (Gemischter Ausschuss) begrenzt werden muss und die Spielräume der nationalen Parlamente bei der Gesetzgebung erhalten bleiben müssen. Sobald sich herausstellt, dass CETA auch nur eine dieser Bedingungen nicht erfüllt, wird das Abkommen endgültig kippen.

Der Trick mit dem Bundesrat

CETA muss im Bundesrat beschlossen werden. Normalerweise geschieht das bei sogenannten Zustimmungsgesetzen mit der Mehrheit aller Stimmen (35 von 69). Enthaltungen gelten also als «Nein». Grüne und Linke, die Teilen von CETA kritisch gegenüberstehen, sind an 12 von 16 Landesregierungen beteiligt und könnten ein «Ja» zu CETA verhindern. Das weiß auch die Bundesregierung. Der nächste Coup der CETA-Verfechter könnte nun sein, zu erklären, dass CETA gar keiner Zustimmung durch den Bundesrat bedürfe – sie könnte ein «Einspruchsgesetz» statt eines «Zustimmungsgesetzes» vorlegen. Der Bundesrat könnte dann nicht mehr selbst beschließen sondern nur noch Einspruch erheben gegen eine Entscheidung des Bundestages.

Das dürfen wir nicht zulassen! Wir setzen mit den Volksinitiativen in NRW, Bayern und Schleswig-Holstein darauf, dass die Bundesländer CETA im Bundesrat stoppen können.

Volksinitiative gegen CETA & TTIP

Die Freihandelsabkommen TTIP und CETA drohen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weiter zu untergraben. Durch beide Verträge könnten Großunternehmen EU-Mitgliedsstaaten auf Schadensersatz verklagen, wenn neue Gesetze ihre Profite schmälern. Lobbyisten bekommen noch mehr Einfluss auf die Gesetzgebung. Dagegen wollen wir uns einsetzen und unterstützen deshalb in NRW die bereits gestartete Volksinitiative!

Das Ziel lautet: das Land Nordrhein-Westfalen soll im Bundesrat gegen die Unterzeichnung der geplanten Abkommen stimmen. Wenn NRW hier gegen eine Unterzeichnung des bereits ausverhandelten CETA-Vertrages stimmt, dann wackelt das Abkommen gewaltig! Und dann wird auch ein Stopp von TTIP wahrscheinlicher.

Damit der Landtag sich mit der Volksinitiative befasst, müssen sich mindestens 66.322 Bürgerinnen und Bürger in die Unterschriftenlisten eintragen. Um dies zu schaffen, unterstützt die DKP die Volksinitiative in NRW als wichtigen Beitrag zur Landtagswahl im Mai 2017.

DIE VOLKSINITIATIVE IN NRW – ZEHN ARGUMENTE GEGEN CETA und TTIP

  1. Sonderrechte für Konzerne

Durch CETA und TTIP erhalten international tätige Konzerne exklusive Sonderrechte. Die Abkommen schaffen ein System von Investitionsgerichten, vor denen Unternehmen gegen die USA, Kanada, die EU und ihre Mitgliedsstaaten klagen können. Diese Spezialgerichte können entscheiden, ob demokratisch beschlossene Maßnahmen, die die Gewinne der Konzerne schmälern, überhaupt legitim waren – und Staaten zu Milliardensummen Schadensersatz verdonnern.

  1. Ein Paradies für die Industrielobby

Mit CETA und TTIP werden Kooperationsforen der Vertragspartner geschaffen. Dort besprechen Expertinnen und Experten aus den Regierungen die zukünftige Politik. Doch wo Regierungen ohne Öffentlichkeit und sogar ohne gewählte Abgeordnete Politik machen, geht Demokratie verloren. Es entsteht ein Paradies für die Industrielobby, die sogar ausdrücklich eingeladen ist, mitzureden.

  1. Gefährdung der öffentlichen Daseinsfürsorge

Die Abkommen erhöhen den Privatisierungsdruck und machen es schwieriger, Privatisierungen rückgängig zu machen. Eine umfassende Ausnahme für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse findet sich in CETA und TTIP nicht. Selbst die Wasserversorgung ist nicht ausgenommen.

  1. Grünes Licht für Gentechnik

Die Vertragsstaaten verpflichten sich mit CETA und TTIP zur Zusammenarbeit bei Zulassungsverfahren für Biotechnologie, Grenzwerten und dem Umgang mit der Freisetzung von nicht-zugelassenen genmanipulierten Organismen. Das Ziel dabei ist ausschließlich die Förderung des Handels und nicht der Schutz von Umwelt und Verbrauchern oder die Eindämmung der Macht weniger Konzerne über den Saatgutmarkt.

  1. Druck auf die bäuerliche Landwirtschaft

Mit CETA und TTIP öffnen die EU, die USA und Kanada ihre Märkte für landwirtschaftliche Produkte wie Fleisch und Milch. Das geschieht ganz still durch zollfreie Quoten und Zollsenkungen. Doch die Auswirkungen auf die Landwirtschaft sind groß, denn der Druck, möglichst billig zu produzieren, steigt. Die bäuerliche Landwirtschaft in NRW wird für den Export auf globale Märkte geopfert.

  1. Umweltschutz wird verhindert

Wenn CETA und TTIP abgeschlossen werden, werden Fortschritte beim Umwelt- und Verbraucherschutz schwieriger. Ein konkretes Beispiel: Nach den Tricksereien von Monsanto bei der Zulassung des Ackergifts Glyphosat fordert die Umweltbewegung: Wer die Zulassung für eine Chemikalie beantragt, muss seine Daten offenlegen. Doch die Abkommen würde eine solche Gesetzesänderung unmöglich machen.

  1. Abkommen bringen Fracking und Teersande

Die Industrie in den USA und Kanada ist besonders stark, wo es besonders dreckig wird: Erdöl aus Teersanden, Fracking oder der Abbau von Buntmetallen mit giftigem Zyanid. Die Ölindustrie macht Druck, um die EU-Richtlinie über die Qualität von Treibstoffen zu verhindern, damit Europa in Zukunft Treibstoffe aus Teersanden importieren kann. Der Preis dafür: Die Zerstörung ganzer Landschaften und des Klimas.

  1. Abbau von Arbeitnehmerrechten

Während große Konzerne Sonderrechte bekommen, wird sich kein Arbeiter und keine Arbeiterin je auf die Abkommen berufen können. Durch die Angleichung von Standards würden aber wichtige Verbote oder Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer gelockert oder gar aufgehoben. Außerdem blieben Verstöße gegen Arbeitnehmerrechte straffrei.

  1. Unfairer Handel

CETA und TTIP sind Handelsabkommen zwischen Industriestaaten, die die Interessen der ärmeren Länder nicht beachten. Zusammen mit anderen Handelsabkommen entsteht ein Welthandelsregime, das die ausschließt, die schon heute arm sind. Doch wir leben alle in einer Welt: Die Armut und Instabilität in Afrika darf uns in Europa nicht egal sein.

  1. Abkommen nützen der Wirtschaft nichts

Die EU-Kommission, die die Abkommen verhandelt hat, hat es ausrechnen lassen: CETA bringt für ganz Europa pro Jahr eine Wachstumsrate von 0,08 Prozent. Für TTIP wird im besten Fall eine Rate von 0,05 Prozent vorhergesagt. Also fast nichts. Wollen wir dafür unsere Demokratie, Umwelt, Gesundheit und Rechte verkaufen?

Ausgehend von der politischen Erfahrung, dass einzelne Organisationen und Parteien zu schwach sind, die mit den Transatlantischen Freihandelsabkommen CETA (EU-Kanada), TTIP (EU- USA) und TiSA (EU, USA, Kanada und weitere 20 Staaten) verbundenen Angriffe transnationaler Konzerne auf die sozialen, ökologischen und arbeitsrechtlichen Schutzklauseln in den beteiligten Wirtschaftsräumen abzuwehren, gründeten sich europa- und weltweit Bündnisse gegen CETA, TTIP und TISA.

Unsere wichtigsten Ziele sind: 

  • Wir wollen CETA und TTIP verhindern, da sie zwecks Investitionsschutz private Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren und Regelungen zur sogenannten Regulatorischen Kooperation einführen wollen. Diese würden demokratische und rechtsstaatliche Strukturen zugunsten der Profite global handelnder Konzerne weiter aushöhlen;
  • Wir wollen verhindern, dass in geheimen Verhandlungen Arbeits-, Sozial-, Umwelt-, Datenschutz- und Verbraucherschutzstandards gesenkt werden;
  • Wir wollen verhindern, dass mit CETA, TTIP und vor allem TiSA öffentliche Dienstleistungen (z.B. die kommunale Wasserversorgung) und Kulturgüter dereguliert und dem Zugriff transnationaler Konzerne ausgeliefert werden. Privatisierungen großen Stils im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge würden Tür und Tor geöffnet werden. 

Diese Ziele sind für uns nicht voneinander zu trennen, unser Widerstand endet erst mit der kompromisslosen und vollständigen Durchsetzung aller genannten Ziele. Wir leisten auch dann Widerstand,

  • falls in Zukunft transparent und öffentlich verhandelt werden sollte;
  • falls private Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren und/oder Regelungen zur sogenannten Regulatorischen Kooperation fallen gelassen oder abgemildert werden sollten, weil sie (noch) nicht durchsetzbar sind;
  • falls bestimmte Bereiche der «Handelshemmnisse» wie Kulturgüter oder die Liberalisierung der kommunalen Daseinsvorsorge aus den Verhandlungen herausgenommen werden sollten.

Wir lehnen CETA, TTIP und TiSA in Gänze und ohne Ausnahmen ab, oder wie es unsere Kurzformel ausdrückt: «CETA, TTIP und TiSA in die Tonne!»  (…)

Wir sind überzeugt, dass nur mit gezielter Gegeninformation, breit angelegtem öffentlichen Protest und nicht zuletzt der aktiven Mitarbeit vieler Menschen in gemeinsam handelnden Strukturen diese Handelsabkommen gestoppt werden können. Ebenso klar ist auch: Der Widerstand gegen CETA, TTIP und TiSA muss lokal, bundesweit und weltweit organisiert und vernetzt werden.

 


[1] Laut «Le Soir» vom 31.10.2016 – ein Tag nach der Unterzeichnung von CETA in Brüssel – wurden der Wallonie 1,7 Mrd. Euro für Bildungs- und Sporteinrichtungen aus dem Regionalfonds bewilligt.

[2] In den letzten Umfragen im September 2016 wurden der PTB in der Wallonie 14,6 % der Wählerstimmen prognostiziert, das ist ein Zuwachs von 9,1% gegenüber den letzten Regionalwahlen 2014. Sie wäre damit nach der PS und der MR (liberale französischsprachige Reformbewegung: Mouvement Réformateur) drittstärkste Kraft.

[3] Rheinische Post, 17. 10. 2016: «Gutachten: Ceta-Zusatzerklärung bedeutungslos»

[4] Spiegel online, 13.10. 2016: «Karlsruhes knallharte Bedingungen für Ceta»

[5] ORF, 14.10. 2016: «Erwarten weitere Klärungen»

[6] Der Standard vom 19.10.2016

[7] Interner Bericht der Europäischen Kommission über ein Treffen der EU-Investitionspolitik und des Investitionsdialogs EU-USA, organisiert von AmCham EU am 8. Juli 2011. Erhalten durch Zugang zu Dokumenten, die im Rahmen der Offenlegungsverordnung beantragt wurden.  Zitiert in: S2B/CEO/TNI 2013: A transatlantic corporate bill of rights – Investor privileges in EU-US trade deal threaten public interest and democracy, updated version, Oktober 2013, S. 3

 [8] Prof. Dr. Andreas Fisahn und Prof. Dr. Martin Hochhuth haben am 31. Oktober auch einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, um die vorläufige Anwendung von CETA zu verhindern. In der vergangenen Woche hatten die Fraktion der Linken und das NGO-Bündnis Mehr Demokratie, Food Watch und Campact schon einen Eilantrag gestellt. Auch aus Sicht von Prof. Fisahn und Prof. Hochhuth habe die Bundesregierung die vom BVerfG erlassenen Auflagen für eine Zustimmung nicht erfüllt. Die Anwälte argumentieren, dass die drei Auflagen im Abschlussprotokoll der letzten EU-Ratssitzung zwar erwähnt, jedoch nicht ausdrücklich und klar formuliert seien.

[9] Insgesamt 28 Experten lud das wallonische Parlament in die Hauptstadt Namur ein. Fast 70 Stunden öffentliche Debatten fanden zu CETA statt. Von einer derart detaillierten und transparenten Diskussion träumt der deutsche Bundestag nicht einmal. Anfang Mai 2016 publizieren die Wallonen ihre erste Anti-CETA-Resolution.

[10]            Financial Post, Toronto / Kanada vom 31. Oktober 2016