Politik

Europa-Besuch des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jingping

Xi Jinping sitzt in einem Sessel.

Xis Europa-­Besuch und kleinkarierte ­Reaktionen

Der sechstägige Europa-Besuch des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jingping vom 21. – 26. März in Italien, Monaco und Frankreich hat im deutschen Establishment offenbar nicht viel Freude ausgelöst. In den politischen und medialen Äußerungen zu dem Ereignis herrschten eher kritische Anmerkungen vor. Statt positiven Bewertungen wurden die Alarmtrommeln zum Dröhnen gebracht, vor einer zunehmenden «Abhängigkeit» Europas von China, vor dem dadurch weiter voranschreitenden Ausbau der Position Chinas in der Weltwirtschaft und Weltpolitik, vor einer angeblichen Absicht Chinas, «Europa» zu spalten. Letzteres bezog sich wohl insbesondere darauf, dass mit Italien und Frankreich zwar zwei führende EU‑Staaten in das chinesische Besuchsprogramm aufgenommen waren, aber Deutschland als «Führungsmacht» der EU nicht in Xis Programm stand.

Dabei hatte die große Delegation führender chinesischer Wirtschaftsmanager, die Xi als Begleitung mitgenommen hatte, etwas im Gepäck, was europäische Unternehmen sonst kaum mehr finden können, nämlich gleich mehrere milliardenschwere Großaufträge, wie es sie in anderen Weltteilen einschließlich den USA für das deutschen und europäische Kapital kaum mehr zu haben sind.

Die aus der bürgerlich-liberalen Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtsextremen «Lega» gebildete italienische Koalitionsregierung verweigert zwar aus Seenot geretteten arabischen und afrikanischen Flüchtlingen immer wieder die Aufnahme in Italien, aber bei Beziehungen mit «Chinesen» haben sie offenbar keine Probleme. Am 26. März unterzeichnete der italienische Ministerpräsident Guiseppe Conte in der luxuriösen Villa Madama hoch über den Dächern von Rom, mit Chinas Staatspräsident Xi eine gemeinsame Absichtserklärung über die Zusammenarbeit der von China projektierten neuen «Seidenstraße» (Belt and Road Initiative), deren maritimer Zweig von China über Indien und Afrika durch den Suezkanal ins Mittelmeer führen soll. Wirtschaftsminister Luigi Di Maio meinte, er sei stolz darauf, dass Italien das erste Land der G7-Staaten ist, dass sich dem Seidenstraßenprojekt anschließt. «Italien ist endlich mal Erster». Dies sei eine große Chance für italienische Unternehmen.

Parallel dazu wurden 29 konkrete Wirtschaftsvereinbarungen zwischen italienischen und chinesischen Wirtschaftsmanagern unterzeichnet, die italienischen Unternehmen Aufträge in Höhe von mehreren Milliarden Euro bringen. Darunter der Bau einer Stahlfabrik in China, die Lieferung von Gasturbinen und ganzen Gasleitungsnetzen, aber auch die Lieferung von landwirtschaftlichen Produkten wie Orangen und Schweinefleisch. Umgekehrt werden chinesische Firmen große Summen in den italienischen Häfen Triest, Genua und Palermo investieren, um sie auf den anwachsenden Güterverkehr im Rahmen der «maritimen Seidenstraße» einzurichten. Bisher stand dafür nur ein einziger Hafen im Mittelmeer zur Verfügung, nämlich den griechischen Hafen Piräus bei Athen, bei dem die Firma China Ocean Shipping Company (COSCO) vor rund zehn Jahren als Anteilseigner eingestiegen ist. Danach verdoppelte sich dank der chinesischen Investitionen in die Hafenanlagen der Containerumschlag im Hafen Piräus innerhalb weniger Jahre, die Mitarbeiterzahl wuchs auf 1000 Beschäftigte.

Besondere Aufregung in deutschen und EU-Führungskreisen hat aber verursacht, dass die italienische Regierung mit ihrem hohen Schuldenberg und von der EU deswegen immer wieder zu «Haushaltsdisziplin» und «Sparmaßnahmen» gedrängt, im Alleingang und ohne vorherige Genehmigung der EU einzuholen, angeblich auch die Absicht hat, in China Kredite aufzunehmen und eine Anleihe in der chinesischen Währung Renminbi aufzulegen, sogenannte Panda-Bonds.

Auch in Frankreich mündete der Besuch von Staatspräsident Xi in die Unterzeichnung einer Erklärung zum Seidenstraßenprojekt, wenn auch im Ton etwas kühler als der Text in Italien. Hinzu kam auch hier ein ziemlich ungewöhnlicher chinesischer Großauftrag, nämlich die Lieferung von 300 Flugzeugen des Airbus-Konzerns im Wert von fast 32 Milliarden Euro, einer der größten Aufträge, die es in der Geschichte der Zivilluftfahrt bisher gegeben hat. Das chinesische Staatsunternehmen CASC (China Aviation Suplies Holding Company) bestellte 290 Airbus A 320 (für Mittelstrecken) und 10 A 350 (für Langstrecken). Die Flugzeuge sollen sowohl in Frankreich als auch in China montiert werden. Der Auftrag kam vor dem Hintergrund der aktuellen Schwierigkeiten des US-amerikanischen Flugzeugkonzerns und Airbus-Hauptkonkurrenten Boeing zustande, der einerseits durch den von USA-Präsident Trump geführten Zoll- und Handelskrieg gegen China, andererseits durch zwei Abstürze von Boeing 737 MAX-Mittelstreckenflugzeugen in Indonesien und Äthiopien und die dadurch sichtbar gewordenen technischen Mängel ins Hintertreffen geriet.

Weitere 14 Abkommen über Milliarden-Aufträge für französische Unternehmen kamen dazu. So der Bau von Windkraftanlagen im chinesischen Meer für etwa 1 Mrd. € durch den französischen Elektrizitätskonzern EDF, die Modernisierung der Anlagen der chinesischen Power Construction Co. durch die französische Schneider Electric, ein Rahmenabkommen für den Bau von 10 Großcontainerschiffen im Wert von 1,2 Mrd. € zwischen der französischen Reederei CMA-CGM in Marseille und China Shipbuliding Co. Auch hier gehören Abmachungen über die Lieferung von Agrarprodukten wie Rindfleisch und Geflügel für den chinesischen Markt dazu. Über ein Abkommen für den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstoffe nach dem Modell der französischen Anlage in La Hague durch den französischen Orano-Konzern (früher Areva) wird verhandelt, aber wurde noch keine Übereinstimmung erreicht. Insgesamt belief sich das Volumen der französischen Exporte nach China bereits 2018 auf über 55 Milliarden € (Deutschland 76 Mrd.), es dürfte mit den jetzt neu vereinbarten Projekten in den nächsten Jahren also den deutschen China-Export überflügeln, wenn dieser 2019 nicht gleichfalls erheblich vergrößert wird.

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hielt es zum Abschluss des Staatsbesuchs allerdings für angebracht, den chinesischen Staatsgast noch mit einem eilig zusammengezimmerten Surrogat einer «gemeinsamen Front der EU» zu konfrontieren. Abweichend von üblichen diplomatischen Gepflogenheiten lud er zu seinem Abschlussgespräch mit Xi auch die deutsche Bundeskanzlerin Merkel und EU‑Kommissionspräsident Juncker ein. Offenbar wollte er sich selbst damit erneut als der große Vorkämpfer für die EU in Erinnerung bringen und zugleich bei Frau Merkel einmal mehr lieb Kind machen, zugleich aber auch demonstrieren, dass der angebliche chinesische Versuch, die EU zu «spalten», auf Ablehnung stößt. Präsident Xi nahm es gelassen, traf sich mit Merkel auch zu einem Einzelgespräch und betonte, dass Deutschland und die EU für China bei dem Bemühen, den globalen Welthandel und eine multilaterale Weltordnung zu fördern, eine wichtige Rolle spiele, was nicht zuletzt auch als Seitenhieb gegen die «America-first»-Politik von USA-Präsident Trump zu verstehen war.

Wie aus französischen Regierungskreisen zu erfahren war, strebt Macron allerdings zugleich an, innerhalb der EU Regelungen durchzusetzen, die verhindern sollen, dass EU‑Staaten in «Alleingängen» Abkommen mit China vereinbaren. Vereinbarungen von EU-Ländern mit China sollen generell unter den Vorbehalt einer vorherigen Zustimmung durch die EU gestellt werden. Ob das in der EU durchsetzbar ist, ist allerdings noch ganz ungeklärt.

Im Licht der konkreten Ergebnisse des jüngsten Europa-Besuchs von Staatspräsident Xi sehen allerdings die Vorbehalte und Kritiken, die nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland gegen die Ausweitung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit China geäußert werden, ziemlich kleinkariert und von ideologischen Vorurteilen vorgeprägt aus. Die Großaufträge, die während Xis Besuch mit Italien, Frankreich und in bescheidenerem Maß auch mit Monaco abgeschlossen wurden, sind doch eigentlich ein enormes Konjunkturförderungsprogramm für die schwächelnde europäische Wirtschaft, das Arbeitsplätze schafft und sichern hilft. Und dies zu einem Zeitpunkt, da immer wieder zu hören und zu lesen ist, dass eine demnächst neue wirtschaftliche Rezession oder sogar eine Wirtschaftskrise wie 2007-2009 zu befürchten sei.

Auch der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) hielt es für angebracht, in einem Interview mit Springers «Welt am Sonntag» die Kritik der Beteiligung an dem chinesischen «Seidenstraßen»-Projekt in den Vordergrund zu stellen. Wer glaube, mit den Chinesen clevere Geschäfte machen zu können, werde «sich wundern und irgendwann in Abhängigkeiten aufwachen», ließ er wissen. Denn China als Wirtschaftsmacht agiere «global beinhart». Ebenso stellte Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) bei einem Auftritt bei «tagesthemen» die Warnung in den Vordergrund, «Europa» dürfte bei Geschäften mit China «keinen Ausverkauf bei wichtigen Zukunftstechnologien zulassen».

Offenbar machen Maas und Altmaier sich damit zum Sprachrohr diffuser Bedrohungsängste durch die chinesische Konkurrenz, die in manchen Führungszirkeln des deutschen Großkapitals empfunden und auch in der Bevölkerung geschürt wird.

Der «Bundesverband der Deutschen Industrie» (BDI) hat in einem «Grundsatzpapier» schon zu Jahresanfang 2019 erklärt, dass China nicht nur wichtiger Partner für deutsche Unternehmen sei, sondern sich zugleich zu einem Systemrivalen entwickelt habe. Nüchtern stellt der BDI fest, dass sich Erwartungen, das chinesische Wirtschaftssystem werde sich im Lauf der Zeit immer mehr westlichen «marktliberalen Modellen» angleichen, in absehbarer Zeit nicht erfüllen werden. Stattdessen entwickle China «sein eigenes politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Modell», eine «Mischform» von «staatswirtschaftlichen und marktwirtschaftlichen Elementen» mit «stark lenkendem staatlichem Einfluss». Damit trete es «in einen systemischen Wettbewerb zur liberalen Marktwirtschaft». Die Antwort darauf könne nur «ein starkes, reformiertes Europa» sein, das «mit einer Stimme spricht».

Maas, Altmaier und ihre gleichtönenden politischen und medialen Nachbeter haben mit ihren Warnungen vor dem Seidenstraßenprojekt und anderen Wirtschaftsprojekten mit China offenbar nur den Standpunkt des BDI zu ihrem eigenen gemacht. Das entspricht den bornierten Klasseninteressen einer verschwindend kleinen Schicht von superreichen Kapitalbesitzern, die nur noch in den Kategorien des kapitalistischen Konkurrenzkampfs «alle gegen alle» denken können. Dass wirtschaftlicher Austausch auch in Form der wirtschaftlichen Zusammenarbeit von gleichberechtigen Partnern und zum gegenseitigen Wohl und Nutzen, faire internationale Arbeitsteilung mit echter beiderseitiger «win-win-Situation» möglich ist, liegt offenbar außerhalb ihrer Vorstellungswelt. Für die große Mehrheit der in Deutschland und den anderen EU-Staaten lebenden und arbeitenden Menschen jedenfalls stellen der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Europa keine Gefahr dar – ganz im Gegenteil, eine verstärkte gegenseitig nützliche Zusammenarbeit dient der Förderung und Belebung des Wirtschaftslebens und der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Und es schadet auch nicht, wenn damit die einseitige Orientierung auf die Weltmacht USA, auf die Ausbau der Produktion von Rüstungsgütern im Rahmen der NATO und EU etwas zurückgedrängt werden könnte.

Georg Polikeit
Foto: Michel Temer, flickr
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