Soziales
Klassenkampf im Jobcenter
Kalter Klassenkampf im Jobcenter zwischen Mathematik und Moral
Bundeskanzlerin Merkel (CDU) lobt sich dezent: Noch nie habe es in Deutschland seit der »Wiedervereinigung« so viele Arbeitsplätze gegeben. Schweigsamer wird sie, wenn es um die arbeitsvertragliche Qualität neuer Jobs geht. Totenstille herrscht schließlich, weil der kalte Klassenkampf im Jobcenter zwischen Mathematik und Moral vollkommen ausgespart wird.
Konkret: Offiziell gibt es rund 2,8 Millionen Arbeitslose. Die Rechnung wird aber erst richtig, wenn berücksichtigt wird, dass 6,1 Millionen Leistungsberechtigte in der Grundsicherung sind. Annelie Buntenbach (DGB) stellte schon vor knapp einem Jahr fest, dass im Zuge von »Zehn Jahre Hartz-Gesetze« jeder Fünfte zu Niedriglöhnen arbeiten muss. In der Nachbarschaft: Ein-Euro-Jobs, Praktika, Scheinselbständigkeit, Befristung, Geringfügigkeit, Teilzeit, …
Die Bundesagentur für Arbeit kennt die Ursachen für die Arbeitslosigkeit: »Ursächlich für die jüngste Entwicklung war die Tatsache, dass der Arbeitsmarkt für Arbeitslose weniger aufnahmefähig geworden ist.« Ein Wetterfrosch hätte gesagt: »Ursache für den Regen ist die extreme Feuchtigkeit.«
Bei der Arbeitsvermittlung spielen zwei Begriffe eine wichtige Rolle, wenn es um die mathematische Verhübschung der Statistiken geht: Die Zumutbarkeit und die moralische Sittenwidrigkeit eines Arbeitsvertrages. Das Arbeitsamt Düsseldorf definiert die Zumutbarkeit: Wer als Arbeitssuchender Leistungen der Grundsicherung bezieht, ist »verpflichtet, jede Arbeit anzunehmen, zu der Sie in der Lage sind.« Zumutbar ist auch, dass ein Lohn unter Tarif bezahlt wird. Der Lohn kann auch mal »unter dem ortsüblichen Entgelt« liegen.
Damit gerät die »Zumutbarkeit« in einen Konflikt mit den »guten Sitten«, denn der Paragraph 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) legt fest: »Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.« Dies trifft zu, wenn »jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche« Vorteile erzielt, »die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.« Dieser »jemand« ist der Ausbeuter, die Ausgebeuteten sind die vom Jobcenter vermittelten Kolleginnen und Kollegen.
Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn gegen »das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden« verstoßen wird. Dazu gehört, dass der Tariflohn oder wie im Bau- und Reinigungsgewerbe der Mindestlohn eingehalten werden. Ist ein Unternehmen nicht an Tarif- und Mindestlöhne gebunden, kann dennoch nicht frei gegen die »guten Sitten« verstoßen und der Lohn im Keller angesiedelt werden: Um mehr als ein Drittel gegenüber dem anderswo geltenden Tariflohn darf nicht gesenkt werden. Siehe: Arbeitsgericht Wuppertal, Az.: 7 Ca 1177/08). Aber zum Beispiel 25 Prozent Lohnminderung sind durchaus legal.
Als »nicht sittenwidrig« entdeckte die Freie Presse einen Stundenlohn von 3,05 Euro für Friseure. Dieses Entgelt entspreche dem Branchentarifvertrag für Brandenburg. Eine weitere legale Absenkung um bis zu einem Drittel dieses Betrages auf 2,02 Euro pro Stunde sind bislang nicht an die Öffentlichkeit gedrungen…
Text und Foto: Uwe Koopmann