diePille
BAYERs Mann für Grüne
Der neue Konzern-Lobbyist Matthias Berninger
Um BAYERs Image war es schon vor dem MONSANTO-Deal nicht zum Besten bestellt. Die Übernahme des US-Konzerns, dem der Makel «schlimmstes Unternehmen der Welt» anhängt, ruinierte den Ruf noch zusätzlich. Da mussten Image-Korrekturen her. Und wer könnte diese besser vornehmen als ein Mann mit einer Vergangenheit als Grünen-Politiker, dachte sich der Leverkusener Multi und verpflichtete Matthias Berninger.
MONSANTO bereitet BAYER nicht bloß wegen der vielen Klagen in Sachen «Glyphosat» Sorgen. Das schlechte Image, das dem US-Konzern anhaftet, tut ein Übriges. Mit dem Ruf des Leverkusener Multis war es zwar auch nie zum Besten bestellt, aber was jetzt noch erschwerend hinzukam, war selbst einigen Anleger*innen zu viel. «BAYER hat unterschätzt, dass viele Investoren mittlerweile auch darauf achten, ihr Geld nachhaltig anzulegen», sagt der Fonds-Manager Ingo Speich vom Vermögensverwalter UNION INVESTMENT. Und seine Kollegin Janne Werning sekundiert: «Reputation ist eine reale Wirtschaftsgröße.» Das merkte der Global Player konkret, als er im September 2018 aus dem «DOW JONES Nachhaltigkeitsindex» flog und seine Aktie danach aus vielen Depots verschwand.
Der Tatort-Reiniger
Es gab also Greenwashing-Bedarf. Und wer könnte so einen Job besser erledigen als ein ehemaliger Grünen-Politiker, dachte sich das Unternehmen und engagierte Matthias Berninger, obwohl dieser nicht mehr so ganz farbecht war. Nach seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter, parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium unter Renate Künast und wirtschaftspolitischer Sprecher hat er nämlich bereits beim Schokoriegel-Fabrikanten MARS Lobby-Dienste für Konzerne verrichtet. Beim Agro-Riesen leitet Berninger nun den Bereich «Public Affairs, Science & Sustainability», den die Aktiengesellschaft extra für ihn geschaffen hat. Zu der Personalie hieß es beim Leverkusener Multi nur knapp: «Der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort.»
Daneben engagierte das Unternehmen mit Ertharin Cousin, die ehemalige Direktorin des Welternährungsprogrammes der Vereinten Nationen, als Aufsichtsrätin. Bluewashing pur. «Mit ihrer außergewöhnlichen Erfahrung im Ernährungsbereich sowie in der US-Regierung und bei den Vereinten Nationen rundet sie das Kompetenz-Profil des Aufsichtsrats in idealer Weise ab», so der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning.
«Die Botschaft: BAYER wird ökologisch und sozial», meinte Zeit online zum PR-Coup des Konzerns mit Matthias Berninger und Ertharin Cousin. Die Wirtschaftswoche wartete in ihrem Berninger-Porträt gleich mit einer Arbeitsplatz-Beschreibung auf: «Der Tatort-Reiniger von BAYER». Die gesamte Branche hat es indessen laut Handelsblatt als «geschickte(n) Schachzug der BAYER-Führung gewertet, einen aus den Reihen der Öko-Bewegung als neuen Chef-Lobbyisten zu verpflichten». Und Berninger selber ließ es sich nicht nehmen klarzustellen, er sei nicht trotz seiner grünen Überzeugung zum Agro-Riesen gegangen, sondern gerade deshalb. Und auch nicht trotz, «sondern wegen der Übernahme von MONSANTO». «Ich tat es, weil es meine feste Überzeugung ist, dass das Unternehmen wie kaum ein anderes in der Welt dazu beitragen kann, die globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen», meinte er trotzig in einem Spiegel-Interview.
Bei seinem ersten größeren Arbeitseinsatz im Mai 2019 musste der Mann sich aber erst einmal profaneren Dingen widmen. Da waren nämlich tatsächlich sofort seine Qualitäten als «Tatort-Reiniger» gefragt, bescherten die sogenannten MONSANTO-Listen BAYER doch einen PR-Gau, der für Negativ-Schlagzeilen satt sorgte. Tausende Personen hatte MONSANTO von 2014 bis 2018 nach Recherchen französischer Medien durch die Firma FLEISHMANHILLARD ausspionieren lassen. Bis ins Private hinein schnüffelte das Unternehmen. So standen unter anderem auch «Freizeit und andere Interessen (Golf, Tennis, Jagd, etc.)» im Zentrum der Aufmerksamkeit. Mit all diesem Wissen legte der Nachrichtendienstleister dann Dossiers an und teilte die Politiker*innen, Journalist*innen, Ministeriumsmitarbeiter*innen und Akti-vi-st*-innen dabei in Kategorien wie «Verbündete», «mögliche Verbündete», «zu erziehen» oder «im Auge behalten» ein, um seinem Auftraggeber eine zielgenaue Pflege der politische Landschaft zu ermöglichen.
Berninger distanzierte sich zunächst von den Praktiken. Es gebe eine Reihe von Beispielen, «wo, um in der Fußball-Sprache zu sprechen, man nicht den Ball gespielt hat, sondern eher auf den Mann gegangen ist oder auf die Frau», so der Reputationsmanager. Aber nur um dann gleich zu verharmlosen: «Aggressive Lobby-Arbeit ist bei US-Firmen weit verbreitet.» Der Leverkusener Multi kennt so etwas nach seinem Dafürhalten hingegen nicht (mehr): «BAYER steht (…) seit vielen Jahren für einen anderen Weg.» Und überhaupt: Es gebe keine Hinweise auf ein illegales Verhalten, es könne sich auch um einen «Sturm im Wasserglas» handeln. Immerhin versprach Matthias Berninger «maximale Transparenz». Aber weder er selbst noch der Konzern sorgten für diese. Lieber als über das Gestern wollte der Chef-Lobbyist über das Morgen reden: «Man kann jetzt krampfhaft an der Vergangenheit festhalten oder sich den großen Herausforderungen der Zukunft zuwenden. Wir halten Letzteres für deutlich wichtiger.» Also delegierte das Unternehmen das, was es für eine Aufarbeitung der Affäre hielt, an einen externen Dienstleister. Er beauftragte die Anwaltskanzlei SIDLEY AUSTIN mit einem Untersuchungsbericht und hielt ein paar Monate später den bestellten Persilschein in den Händen. «Keine Hinweise auf illegales Verhalten», vermeldete der Leverkusener Multi postwendend. Damit war dann für ihn das Kapitel beendet.
Das Gesellenstück
Sein Gesellenstück durfte Matthias Berninger erst Mitte Juni 2019 vorlegen. Da veröffentlichte BAYER in großen bundesdeutschen und US-amerikanischen Tageszeitungen eine ganzseitige Anzeige. Sie trug die Überschrift: «Wir haben zugehört. Und verstanden.» Der Konzern verfolgte damit ein einziges Ziel: die Bedenken zu zerstreuen, mit denen er sich wegen der MONSANTO-Übernahme konfrontiert sah. «Darum beginnen wir mit dem heutigen Tag, höhere Maßstäbe für unser Handeln zu setzen: für Transparenz, Nachhaltigkeit und unseren Umgang mit allen Interessensgruppen», verlautbarte der Global Player in der Annonce. Er versprach, beim Verkauf seiner Pestizide in Entwicklungsländern mehr Vorsicht walten zu lassen und die Ackergifte dort nur noch anzubieten, «wenn diese auch den Sicherheitsstandards einer Mehrheit der führenden Zulassungsbehörden entsprechen». Zudem kündigte das Unternehmen an, die Umweltbilanz seiner Agro-Chemikalien verbessern zu wollen und bis 2019 fünf Milliarden Euro in die Suche nach Alternativen zu seinem umstrittenen Produkt Glyphosat zu investieren. Aber vorerst sollte alles beim Alten bleiben: «Glyphosat wird (…) weiterhin eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft und in unserer Produkt-Palette spielen».
Zu den Risiken und Nebenwirkungen zählt der Konzern sowieso bloß «Unkraut-Resistenzen». Alles andere schreibt er «unbeabsichtigten Fehlanwendungen» zu. Mit der angekündigten Kraftanstrengung bei der Suche nach einem Glyphosat-Ersatz ist es auch nicht allzu weit her. Bei den in Aussicht gestellten fünf Milliarden handelt es sich nicht um Extra-Geld, die Summe ist, wie ein Unternehmenssprecher gegenüber der Nachrichten-Agentur Bloomberg einräumte, vielmehr Teil des existierenden Etats für Forschung & Entwicklung. Und die Vergiftungsraten in den Ländern des Südens dürften sich auch durch den Schritt hin zu einer einheitlicheren Vermarktungspraxis nicht merklich reduzieren, denn mit den doppelten Standards möchte der Leverkusener Multi nicht grundsätzlich Schluss machen. Dafür hätte er versichern müssen, in diesen Ländern künftig nur noch Pestizide mit einer EU-Genehmigung zu vertreiben, was er wohlweislich nicht tat.
Der zweite Aufschlag
Der zweite Aufschlag Berningers erfolgte am 10. Dezember 2019. An diesem Tag stellte der Global Player seine große Nachhaltigkeitsstrategie vor. «BAYER wird seine Nachhaltigkeitsziele mit dem gleichen Nachdruck verfolgen und darüber berichten wie seine Finanzziele», verlautete aus der Konzern-Zentrale. So gelobte der Multi, bis zum Jahr 2030 ein klima-neutrales Unternehmen zu werden. Zu diesem Behufe gedenkt die Aktiengesellschaft, bei der Stromversorgung komplett auf Erneuerbare Energien umzusteigen und Ressourcen effizienter zu nutzen. Die verbleibenden Emissionen trachtet er zu kompensieren und zwar so, «dass CO2 im Boden gespeichert und Biodiversität gefördert wird». Zudem will der Leverkusener Multi bis 2030 100 Millionen Kleinbauern und -bäuerinnen «in Ländern mit geringen und mittleren Einkommen» unterstützen und dortselbst auch für 100 Millionen Menschen die Gesundheitsversorgung verbessern und 100 Millionen Frauen den «Zugang zu einer verantwortungsvollen Familienplanung ermöglichen».
Wie eine runde Sache hört sich das indes nur wegen der glatten Zahlen an. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Paket um einen Flickenteppich aus vagen Ankündigungen, als Entwicklungshilfe getarnten Absatz-Strategien, Business as usual und teilweise hoch problematischen Elementen. Zudem erweist sich der Konzern als vergesslich: Die noch im Frühjahr unter dem «Wir haben zugehört. Und verstanden.»-Signum vorgestellten Maßnahmen, beispielsweise zum Umgang mit Pestiziden, fehlen in dem Sammelsurium.
In puncto «Klimawandel» belässt es das Unternehmen bei Absichtserklärungen. Bei den Erneuerbaren etwa müsste der Leverkusener Multi binnen zehn Jahren von Null auf 100 kommen, ist bei ihm momentan doch nur ein «niedriger einstelliger Prozentsatz» des Stroms made by Wind & Co. Auch die Rede vom «kompensieren» macht skeptisch, denn da kommt Glyphosat ins Spiel. Der Global Player versucht das Mittel ungeachtet seines übergroßen CO2-Fußabdrucks bei der Herstellung als Klimaretter zu verkaufen, weil es den Landwirt*innen angeblich das Kohlendioxid freisetzende Pflügen erspare. Allerdings streiten die Agrar-Forscher*innen noch darüber, ob eine solche landwirtschaftliche Praxis wirklich das im Boden gebundene Kohlendioxid wieder entfesselt, und BAYERs Gewährsmann in dieser Frage, Professor P. Michael Schmitz, musste gerade seinen wissenschaftlichen Offenbarungseid leisten. Schmitz hat sich die Arbeit an solchen Sätzen wie «Mit einer angepassten Glyphosat-Strategie in der Fruchtfolge können ohne Ertragsreduzierung die Maschinen- und Arbeitskosten sowie der CO2-Ausstoß gesenkt werden», nämlich von MONSANTO bezahlen lassen (siehe SWB 1/20). Dessen ungeachtet lancierte der Konzern im Juli 2020 die «Carbon Initiative», in deren Rahmen er zunächst 1.200 Landwirt*innen aus Brasilien und den USA nach dem Motto «Von Pflugscharen zum CO2-Sparen» dafür belohnen will, auf das Pflügen zu verzichten, was de facto auf eine Glyphosat-Prämie hinausläuft.
Und Menschen in «unterversorgten Regionen» mit ASPIRIN, IBEROGAST und anderen nicht rezeptpflichtigen Arzneien zu fluten, wie der Pharma-Riese es vorhat, folgt nur dem Business-Plan, sich «low-income markets» zu erschließen. Gleiches gilt für die – überdies alles andere als neue – Praxis des Unternehmens, mit freundlicher Unterstützung der «Bill & Melinda Gates Foundation» und anderen Institutionen Familienplanung in den Ländern des Südens zu betreiben und dort Verhütungsmittel unter die Frauen zu bringen. BAYER hält es da mit dem ehemaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson: «Fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als hundert für das Wirtschaftswachstum investierte Dollar.»
Dabei erweist sich besonders der Einsatz des Präparates JADELLE, das Matthias Berninger in der Telefon-Konferenz mit den Investor*innen zur Nachhaltigkeitsstrategie als Beispiel nannte, als hoch problematisch. Das Medizinprodukt, das in den Oberarm implantiert wird und dort über einen Zeitraum von fünf Jahren Hormone abgibt, hat nämlich starke Nebenwirkungen. Noch dazu kommt es nach Angaben der Initiative «Population Council» bei der Entfernung des Kontrazeptivums aus dem Körper in 7,5 Prozent der Fälle zu Komplikationen. Damit nicht genug, zeugt die Verwendung des Mittels von Paternalismus, Kolonialismus und Rassismus, ist es doch «provider controlled», also von den Nutzerinnen nicht selbstbestimmt ein- und absetzbar und von einem Konzern des globalen Nordens entwickelt, der es in den «weißen» Ländern aber als nicht vermarktbar erachtet.
Die annoncierte Unterstützung von Kleinbauern und -bäuerinnen erscheint ebenfalls mehr als fragwürdig, denn BAYER stellt dabei nur auf Landwirt*innen ab, die «markt-orientiert arbeiten». Der Konzern fasst unter diese Kategorie Farmer*innen mit einem «geringen und mitterem Einkommen» und einer bewirtschafteteten Fläche von bis zu 10 Hektar. Diese machen jedoch nur zehn bis 25 Prozent der kleinbäuerlichen Erzeuger*innen aus. Und mit was will der Agro-Riese diese Gruppe beglücken? Mit «quality inputs and good agricultural practices», also mit Glyphosat & Co. «Lassen Sie die Kleinbauern in Ruhe, sie sind keine Opfer», forderte der Hauptgeschäftsführer der kirchlichen Entwicklungshilfe-Organisation Misereor, Pirmin Spiegel, denn auch Matthias Berninger in einem von der Wochenzeitschrift Die Zeit arrangierten Streitgespräch auf. Sarah Schneider, Spiegels Kollegin beim größten katholischen Hilfswerk stellte derweil die medien-wirksam präsentierte neue Nachhaltigkeitsstrategie des Agrar-Multis grundlegend infrage: «BAYER versucht, sich als Vorreiter in Sachen ‹Klimaschutz› zu präsentieren. Doch wenn man etwas Entscheidendes fürs Klima tun will, brauchen wir weltweit den Wechsel zu einer ökologisch orientierten Landwirtschaft.»
Der Welternährungsmythos
Jenseits solcher längerfristig geplanter PR-Offensiven schwadroniert Matthias Berninger am liebsten über das Thema «Welternährung». Er spinnt damit den Faden weiter, den der Leverkusener Multi aufnahm, um dem profanen MONSANTO-Erwerb höhere Weihen zu verschaffen. «Gemeinsam können wir noch mehr dazu beitragen, dass im Jahr 2025 zehn Milliarden Menschen satt werden», verkündete Konzern-Chef Werner Baumann damals. Eine solche Mission kauften ihm aber noch nicht einmal die konservativen Zeitungen ab. Als eine «stets etwas salbungsvoll klingende Kapitalmarkt-Story für den Mega-Deal» bezeichnete etwa die FAZ solche Bekenntnisse. Das hindert Berninger jedoch nicht daran, die Mär wieder und wieder zu erzählen. Bekannten gegenüber stellte er das Nahrungsmittel-Problem sogar als Grund dafür da, zu BAYER zu wechseln. «Wie die Welt innerhalb ihrer planetarischen Grenzen im Jahr 2025 fast zehn Milliarden Menschen ernähren kann, ist eine Frage, die mir Sorgen bereitet», hieß es in der E-Mail: «In meiner neuen Rolle hoffe ich, einen bescheidenen Beitrag leisten zu können, diese Herausforderung anzugehen.» In der Diskussion mit Pirmin Spiegel von MISEREROR durfte das Mantra deshalb nicht fehlen: «Wir müssen alles daransetzen, Lösungen zu finden, wie wir die wachsende Weltbevölkerung künftig ernähren und zugleich die planetaren Grenzen besser respektieren können – und zwar auf nachhaltige Art und Weise. Das schließt modernen Pflanzenschutz und innovatives Saatgut ausdrücklich mit ein.» Sein Vorgesetzter Baumann wird in dieser Hinsicht noch deutlicher. «Es wäre illusorisch zu glauben, wir könnten ohne Pflanzenschutzmittel die bald acht Milliarden Menschen auf der Erde ernähren, die Biodiversität schützen und zugleich keine weiteren Flächen für die Landwirtschaft erschließen», hält er fest. Und dann kommt natürlich auch gleich Glyphosat ins Spiel. «Wenn Unkraut nicht effektiv bekämpft wird, verlieren wir 30 bis 40 Prozent der Ernte. Ein Verzicht auf Glyphosat hätte nach wissenschaftlichen Berechnungen Ernte-Verluste im zweistelligen Millionen-Tonnen-Bereich zur Folge. Das können wir uns angesichts der steigenden Weltbevölkerung nicht leisten», sagte Berninger in einem Spiegel-Interview. Als «systemrelevant» bezeichnet er das Total-Herbizid deshalb. Nicht zuletzt um bei steigender Nachfrage nach Nahrungsmitteln den Flächenfraß zu vermeiden, ist dem Tatortreiniger zufolge eine intensive Landwirtschaft mit Glyphosat & Co. vonnöten.
Glyphosat als nachhaltiges Mittel gegen den Welthunger – diese Greenwashing-Geschichte hat BAYERs Mann fürs Grüne rund um das Pestizid gesponnen. Sie darf in keinem Interview fehlen, das er gibt. Aber auch die anderen Agro-Riesen fabulieren gerne in dem Stil. Die Initiative OXFAM hat diese Storys jüngst einem Fakten-Check unterworfen. Das Ergebnis fällt eindeutig aus: unterirdisch, durchgefallen, «Sechs» – setzen! So hält die Organisation die Zahlen, mit denen BAYER & Co. die Notwendigkeit einer Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion (und damit auch des Einsatzes von Ackergiften) begründen, für nicht belastbar. In jene fließt nämlich nicht nur der mutmaßliche Bedarf an Lebensmitteln, sondern auch derjenige an Futtermitteln und Agrar-Rohstoffen zum industriellen Gebrauch ein. Den Zusammenhang zwischen der Menge an vorhandenen Nahrungsgütern und dem Hunger zweifelt OXFAM ebenfalls an. «Er suggeriert, dass eine höhere Produktion weniger Hunger bedeutet. Menschen hungern jedoch, weil sie extrem arm sind und sich keine Lebensmittel leisten können», konstatiert die NGO. Darum spricht sie von einem «Welternährungsmythos», den die Unternehmen aus einem bestimmten Interesse heraus kreiert haben: «Jenen, die den Welternährungsmythos bemühen, geht es in erster Linie um die Profite von Agrar-Konzernen und weniger um bessere Bedingungen für Hungerleidende.
Verrat oder Konsequenz?
Matthias Berninger war sich bewusst, wie schwer sich die Grünen mit seinem neuen Job tun würden. Einige hat er sicherheitshalber sogar rechtzeitig vorgewarnt. Und zu manchen seiner Parteifreund*innen sei das Verhältnis jetzt auch «weniger herzlich», räumt der studierte Lehrer ein. «Es gibt einige, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, gegen die Agrar-Konzerne zu kämpfen. Die verstehen meine Entscheidung sicher nicht. Es gibt aber eine Menge Leute, die an den Prinzipien der Aufklärung interessiert sind und verstehen, was ich hier mache», schildert er die Reaktionen. Berninger selbst sieht sich als eine Art Entspannungspolitiker. «Beide Seiten können sich den alten Grabenkrieg nicht mehr leisten», meint er und rüstet in einem Spiegel-Interview weiter ab: «Ich glaube, es ist ein Fehler, in alten Feindbildern zu denken, in Groß und Klein und Bio und Nicht-Bio.» Bei seiner ehemaligen Chefin Renate Künast trifft seine Job-Wahl auf nicht viel Verständnis. «Matthias Berninger hat sich vor zwölf Jahren aus der Politik zurückgezogen, sagte sie laut Tagesspiegel: «Dass ich mich heute wundere, ist unerheblich.» Kollege Harald Ebner sieht die Personalie vor allem als partei-schädigend an, da der Leverkuser Multi Berninger gerade als Grünen eingekauft hat. [D]ass BAYER diese private Eigenschaft ihres neuen Mitarbeiters herausstellt und für Image-Werbung missbraucht», geht Ebner sehr gegen den Strich.ist Matthias Berninger kein Einzelfall. Immer wieder wechseln Grüne die Seiten. Die ehemalige grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer übernahm bei der PR-Agentur PLEON den Bereich «Gesundheit», die einstige Grünen-Vorsitzende Gunda Röstel heuerte bei GELSENWASSER an, die Bundestagsabgeordnete Marianne Tritz ging zum «Deutschen-Zigarettenverband» und die einstige wirtschaftspolitische Sprecherin Kerstin Andreae zum «Bundesverband der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft». Der Staatssekretär Volker Ratzmann lobbyiert indes seit Mai 2020 für die DEUTSCHE POST. Und Joschka Fischer dient sich gleich der ganzen Industrie an. Seine Unternehmensberatung JOSCHKA FISCHER & COMPANY arbeitete unter anderem schon für RWE, BMW und SIEMENS und versichert sich dabei auch der Mithilfe weiterer Partei-Freund*innen wie Dietmar Huber, Markus Kamrad und Michael Scharfschwerdt.
Aber auch die Partei als Ganzes sucht seit einiger Zeit verstärkt die Nähe zur Industrie. So rief sie im Jahr 2018 den Wirtschaftsbeirat ins Leben. «Wir Grüne im Bundestag streben eine sowohl ökonomisch als auch ökologisch erfolgreiche Wirtschaft an (…) Uns ist es wichtig, den Weg dorthin verlässlich, gerecht und krisenfest zu gestalten – und dabei alle mitzunehmen. Das geht nur, wenn die Wirtschaft diesen Weg mitgeht», erklärt die Fraktion dazu. Folgerichtig hält der Wirtschaftsbeiratsleiter Danyal Bayaz fest: «Wir sind nicht industrie-feindlich». Grenzen des Wachstums existieren für ihn dann auch nicht: «Wir sollten uns aber fragen, was wachsen soll und was nicht.» Dafür, dass dabei nicht allzu viel auf dem Müllhaufen der Industrie-Geschichte landet, sorgen in dem Gremium unter anderem der BASF-Vorstandsvorsitzende Martin Brudermüller, sein Kollege Hagen Pfundner vom Pharma-Unternehmen ROCHE und der ehemalige BOSCH-Geschäftsführer Rolf Bulander. Sichtlich angetan zeigt sich dieser von den als «offen und konstruktiv» empfundenen Diskussionen mit den Grünen: «Mein Eindruck ist, dass die Positionen der Wirtschaft aufgenommen und bearbeitet werden. Ob sich das dann letztlich in einer wirtschaftsfreundlichen Politik niederschlägt, muss sich aber noch zeigen.» Da bleibt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nur noch, den Wirtschaftsbeirat über den grünen Klee zu loben: «Er dürfte einen wesentlichen Anteil daran haben, dass die Vorbehalte der Wirtschaft gegenüber den Grünen und umgekehrt zuletzt deutlich kleiner geworden sind».
Der Wirtschaftskongress, zu dem Bündnis 90/Die Grünen Anfang März 2020 geladen hatten, stand dementsprechend unter der Losung «Gemeinsam den Wohlstand von morgen sichern». Auf den Foren und Podiumsdiskussionen tummelten sich unter anderem Joe Kaeser von SIEMENS sowie Vertreter*innen der SALZGITTER AG und des «Verbandes der Chemischen Industrie». Der BUND warnte aus gegebenem Anlass vor «einem Schulterschluss mit der Industrie» bei der Aufgabe, die Produktionssphäre klima-freundlicher zu gestalten: «Auch wenn einzelne Unternehmen vorbildlich voranschreiten, haben sich große Industrie-Unternehmen und die Interessensvertretung der deutschen Industrie bisher als größte Blockierer dieses Umbaus hervorgetan.»
Ein Wesensmerkmal des wirtschaftsfreundlichen Kurses ist das Bekenntnis zur Marktwirtschaft, wenn sie denn sozial und ökologisch ist. Märkte können, wie es in dem Beschluss des Bielefelder Parteitags vom 17. November 2019 mit Verweis auf die Finanzkrise von 2007 heißt, «nicht nur verheerende Krisen entzünden», sondern auch, «wenn die Anreize richtig gesetzt sind, eine grüne Revolution entfachen, die unsere Vorstellungskraft auf die Probe stellen wird». Berninger sieht diese schon ante portas, für die nötigen Anreize haben ihm zufolge ausgerechnet BLACKROCK & Co. gesorgt. «Unser größter Investor BLACKROCK fordert etwa eine Klimaschutz-Strategie, genauso wie viele der anderen großen Anleger. Die unsichtbare Hand des Marktes wird grün, glauben Sie mir», versichert er in dem Zeit-Interview.
In ihrem Ende Juni 2020 vorgestellten Grundsatz-Programm vertrauen die Grünen solchen Kräften eingedenk des Marktversagens, das sich im Angesicht von Corona offenbart hat, allerdings nur bedingt. «Es gilt das Primat der Politik, auch gegenüber Wirtschaft und Kapital», heißt es stattdessen. Und jene müsse «mehr tun, als nur einen Rahmen zu setzen», so die Partei, unregulierte Märkte seien «zukunftsblind, krisenanfällig und instabil».
Auf solche und andere Programm-Punkte reagierten die neuen Freunde aus den Konzernen etwas ungehalten. Hatten sich die Grünen nach Ansicht der FAZ in letzter Zeit «immer biegsamer in der Wirtschafts- und Sozialpolitik» gezeigt, so machte die Zeitung jetzt eine gewisse Erstarrung aus. «Sie schleifen hier ein wenig an den Eigentumsrechten, feilen dort am Wettbewerb, huldigen Protektion. Das ist die falsche Richtung für ein Land, das nach der Pandemie um seinen Wohlstand ringen muss», konstatierte das Blatt. Auch dem «Bundesverband der deutschen Industrie» missfiel in seiner Analyse der grünen Vorstellungen, die sich auf 20 Seiten erstreckte, so einiges. «Undifferenziert wird in Ziffer 67 gefordert, es müsse ‹die Verschmutzung der Erde mit Plastik, Müll, Chemikalien und Pestiziden ein Ende haben›. Der erhebliche Nutzen von Kunststoffen und chemischen Stoffen wird negiert. Eine solche Stigmatisierung ist aus BDI-Sicht abzulehnen», so der Lobby-Club. Die Steuererhöhungspläne erzürnen ihn ebenfalls: «Unverständlich bleibt die unternehmensfeindliche Steuerpolitik als wesentlicher Bestandteil der grünen Programmatik.» Und schließlich warfen die Maßstäbe, nach welchen die Partei ökonomisches Handeln ausgerichtet wissen wollte, Fragen auf. Wer etwa meinte, an einem Satz wie «Wirtschaftliche Aktivität muss sich an langfristigen Zielen und gesamtgesellschaftlichem Wohlstand ausrichten» gebe es nicht viel zu deuteln, der kennt den BDI schlecht. Er versah die Sentenz mit der Anmerkung «Diskussionsbedarf», und den meldete der Bundesverband noch bei vielen weiteren Passagen an. «Unklar ist, ob die Partei in Zukunft tatsächlich den Weg einer wirtschaftsfreundlicheren Politik einschlägt», merkte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang deshalb an.
Der Verband fand jedoch auch lobende Worte, etwa für das klare «Ja» zum Industriestandort Deutschland und zur Herstellung auch solcher Produkte in Europa, die wie Stahl, Glas, Papier und Chemikalien im Fertigungsprozess viel Energie verschlingen. Und die Gentechnik nicht mehr allein unter dem Gesichtspunkt der Risiken, sondern auch dem der Chancen beurteilen zu wollen, fand gleichfalls die Zustimmung des BDI.
Ebenso positiv fielen die Bewertungen zur Europa- und Sicherheitspolitik der Grünen aus. Das Bekenntnis zur Gewalt als Instrument der Konfliktlösung – natürlich immer nur als «äußerstes Mittel» – fand ebenso die Zustimmung der Klassensprecher*innen von BAYER & Co. wie das zur NATO und zum Prinzip der Schutzverantwortung, das militärische Eingriffe «out of area» völkerrechtlich erst ermöglicht. Die Abkehr vom Pazifismus vollzog die Partei aber schon lange vorher, nämlich mit der Zustimmung zum Kosovo-Krieg im Jahr 1999. Und auch die Verabschiedung von anderen ehemaligen grünen Grundpositionen geschah nicht erst 2020.
Die Grünen & die CBG
Parallel zu dieser Entwicklung entfremdeten sich die Grünen immer mehr von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN. «In den 80er Jahren hat die Bundestagsfraktion der Grünen geschlossen das sogenannte Umwelt-Zentrum des Konzerns im Stammwerk Leverkusen besetzt und zusammen mit BAYER-Kritiker*innen aus aller Welt Seite an Seite ‹Für sofortigen Ausstieg aus der Chlorchemie› und eine ‹Sanfte Chemie‘ gekämpft», erinnert sich CBG-Urgestein Axel Köhler-Schnura: «Heute sichern ehemalige Top-Leute der Grünen wie Matthias Berninger das Image des Konzerns. Das ist Greenwashing im wahrsten Sinn des Wortes!»
Aber selbst damals bei den Protesten gegen die Rhein-Verschmutzung des Konzerns scherten schon einige aus und setzten stattdessen auf Kooperation mit dem Unternehmen. Unter Joschka Fischer verstärkte sich diese Tendenz dann noch einmal. Die Partei verabschiedete sich von der «sanften Chemie» und Forderungen wie dem Ausstieg aus der Chlorchemie. BAYER zeigte sich mit großformatigen Anzeigen in der Mitglieder-Zeitschrift Schrägstrich erkenntlich. Sogar zu Treffen mit den Bossen der Chemie-Multis kam es. Heute setzt die grüne Co-Vorsitzende Annalena Baerbock die Tradition fort. Mitte August 2020 machte sie BAYER-Chef Werner Baumann ihre Aufwartung. Sie bekundete zwar, «dass ich heute hier bin, heißt nicht, dass ich einige Sachen nach wie vor nicht verstehe oder anders machen würde als BAYER», signalisierte aber Bereitschaft zur Zusammenarbeit. So erklärte Baerbock etwa vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, es ginge nun darum, «gemeinsam zu Lösungen zu finden, wie wir im Bereich ‹Gesundheit› besser gewappnet sein können.»
Die Entwicklung Matthias Berningers steht also in einem gewissen Kontext, wenngleich es immer noch genug Grüne gibt, die den Idealen von einst nicht abgeschworen haben. So ganz auf Berninger verlassen will sich indessen auch der Leverkusener Multi nicht. Er verpflichtete neben dem Mann fürs Grüne mit Max Müller auch noch einen Mann für Grobe. «Um die Reputation zu verbessern, kommt jetzt einer der erfahrensten und effektivsten Lobbyisten des Gesundheitswesens: Max Müller», kommentierte DAZ.online die Verpflichtung. Während der ehemalige Grünen-Politiker sich beim Global Player um die «Public Affairs» kümmert, die in Washington so anfallen, antichambriert Müller künftig in Berlin und in Brüssel. Der Konzern warb ihn von der Versand-Apotheke DOCMORRIS ab, der Müller gute Dienste geleistet hatte. So schaffte es der Jurist zwar nicht, das Fremdbesitz-Verbot für Apotheken zu kippen und dem Online-Handel mit Medikamenten die Gewährung von Rabatten zu ermöglichen, aber immerhin gelang es ihm, eine Reihe von Politiker*innen unterschiedlicher Parteien für seine Agenda zu gewinnen. Besonders gut kennt der PR-Profi Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Beide lernten sich bei dem von Müller gemeinsam mit dem Journalisten Martin S. Lambeck ins Leben gerufenen Gesprächskreis «Politik und Wein» kennen und kamen bald miteinander ins Geschäft. Mit der Beratungsagentur POLITAS machten sie ab 2006 Spahns gesundheitspolitische Kontakte zu Geld. «Wir hatten beide Lust, die Gesundheitsbranche ein bisschen aufzumischen», so Max Müller. Spahn verlor daran erst den Spaß, als seine Beteiligung an POLITAS wegen der Vermengung von Politik und Geschäft massiv in die Kritik geriet: «Heute würde ich anders handeln.»
Müller operiert im Stillen. Bis jetzt weiß Google von seinen Aktivitäten für BAYER nichts. Matthias Berninger wäscht seine grüne Wäsche dagegen vorzugsweise in aller Öffentlichkeit, weil es dazu zwangsweise Publikum braucht.
Dass es zu einem Grünen in BAYER-Diensten kommen konnte, hält die Coordination für eine fatale Entwicklung. In einer Erklärung zur Causa «Berninger» hält sie fest: «Konzerne wie BAYER ruinieren Klima, Wasser, Umwelt. Sie gefährden den Frieden und die soziale Harmonie. Sie gefährden Gerechtigkeit und soziale Sicherheit. Alles zu Gunsten der Profite. Die Welt lässt sich nicht mit solchen Rendite-Jägern retten. Die Grünen, die einen Berninger möglich machten, stehen auf der falschen Seite und verraten ihre Gründer*Innen, ihre Programmatik und ihre Unterstützer- und Wähler*innen. Nicht Lobbyismus für BAYER & Co. ist das Gebot der Stunde, sondern ein Ausstieg aus dem Profit-Prinzip. Klima- und Umweltzerstörer wie BAYER müssen unter demokratische Kontrolle gestellt werden.»