Frieden

Lynchmord Obamas an Osama

Codename »Geronimo«

Geronimo, Portrait von Edward Curtis, 1905

Staatsterrorismus versus Privat­terrorismus – Terroristen unter sich

 

Dass es im Mutter­land des raub­­tier­­haf­ten Neo­­li­be­ra­­lis­mus um Arbeit­­neh­mer­­rech­te nicht gerade zum Besten steht, war seit langem all­ge­­mein bekannt.

 

Gleich­wohl muss die ungemein rüde, um nicht zu sagen: bestia­lische Art und Weise frappieren, in der sich die Admi­nistra­tion des Frie­dens­nobel­preis­trägers Barack Hussein Obama pikanter­weise genau am 1. Mai – dem Tag der Arbeit! – desje­nigen ehe­mali­gen Mitar­beiters ihres Geheim­dienstes CIA ent­ledigt hat, der ab­trünnig geworden zum meist gesuchten Terro­risten dieses Pla­neten mutiert war. Die Rede ist selbst­verständ­lich von jenem Osama Bin Laden und seiner Truppe, die von den USA selbst in die Welt gesetzt worden waren, wie Hillary Rodham Clinton höchst­selbst zu­ge­ge­ben hat.

 

 

Wortwörtlich gab die amtierende US-Außen­ministerin in einem Interview, das sie am 7. November letzten Jahres im australischen Melbourne Seit‘ an Seit‘ mit Kriegs­minister Robert Gates in der Sendung »ABC‘s Nightline« bestritten hatte, zu Protokoll: »Part of what we are fighting against right now, the United States created. We created the Mujahidin force against the Soviet Union. We trained them, we equipped them, we funded them, including somebody name Usama bin Ladin.« (»Ein Teil dessen, wogegen wir momentan kämpfen, haben die USA selbst kreiert. Wir erschufen die Mudjahedin-Streitmacht gegen die Sowjet­union. Wir bildeten sie aus, wir rüsteten sie aus und wir finanzierten sie, einschließlich eines gewissen Usama bin Ladin«).

 

Dieser Aspekt eines hausgemachten Terrorismus wird in den Berichten und Kommentaren über jene »Operation Neptune‘s Spear«, die eine unter dem Rubrum »United States Naval Special Warfare Development Group« speziell zur militärischen Terrorismus­bekämpfung eingesetzte US-Sonder­einheit im pakistanischen Abottabad ausgeführt hatte, geflissentlich unterschlagen. Ein besonders schlagendes Beispiel solcher Desinformation lieferte die Wochenzeitung Der Freitag mit einem aus dem englischen Guardian übernommenen Artikel, in dem sich gleich zwei haltlose Behauptungen finden, nämlich erstens, dass es sich um eine »Legende« handele, wenn gesagt würde, dass »Al Qaida aus Männern bestünde, welche von der CIA in den achtziger Jahren für den Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan ausgebildet wurden und sich dann gegen ihre Lehrmeister gewandt hätten«, und zweitens: »Osama bin Laden wurde nicht von der CIA erschaffen, wie später oft behauptet«. Ob die Autoren Jason Burke und Lawrence Joffe die US-Außenministerin damit tatsächlich der Lüge zeihen wollen?

 

Ungemein treffend und zugleich entlarvend war der Umstand, dass dem Ziel, das es zu liqui­dieren galt, der Codename »Geronimo«, eines berühmt-berüchtigten Indianer­häuptlings, der zäh und gerissen über lange Jahre hinweg mit seinen Apachen­kriegern einen Guerilla­krieg gegen die US-Kavallerie geführt hatte, zugeteilt worden war. Unwillkürlich offenbart sich in dieser Namenswahl die bis zum heutigen Tage in der weißen US-Gesellschaft latent fort wirkende Perzeption der indigenen Urbevölkerung. Denn gemäß heutzutage gültiger Terminologie waren jene blutrünstigen Indianer, welche geradezu fanatisch an ihrer traditionellen Lebensweise festhalten wollten und sich den ihnen vom weißen Mann darge­­brachten Segnungen der Freiheit, Demokratie, Menschen­rechte und Marktwirt­schaft gewalttätig zu widersetzen wagten, selbst­verständlich ebenso Terroristen, wie derzeitig die »Sandnigger«, »Lumpenköpfe« und »Djihadisten« in der islamischen Welt.

 

»Geronimo EKIA!« (Enemy Killed In Action – Feind im Kampf getötet), so lautete die Meldung an den Oberbefehlshaber, nachdem das Sonder­kommando der Navy SEALs seinen Lynchmord am Staatsfeind Nummer eins verübt hatte. Sagte ich Lynchmord? Zum Thema Lynchjustiz findet sich im Brockhaus folgender Eintrag: »gesetzwidriges Töten oder Misshandeln eines (vermeintlichen oder tatsächlichen) Täters ohne gerichtliches Verfahren, meist durch eine erregte Menge; ursprünglich ein Zeichen für fehlende Durchsetzungskraft staatlicher Straf­rechtspflege«.

 

Das beschreibt den in Rede stehenden Vorgang ziemlich präzise. Zwar hatte der im Weißen Haus residierende Texaner George W. Bush unmittelbar nach 9/11 in der althergebrachten Tradition US-amerikanischer Kopfgeldjäger getönt, dass er Bin Laden »tot oder lebendig« haben wolle, doch hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in seiner Resolution 1373 vom 28. September 2001 anderes beschlossen, nämlich, dass »alle Staaten sicherstellen werden, dass alle Personen, die an der Finanzierung, Planung, Vorbereitung oder Begehung terroristischer Handlungen oder an deren Unterstützung mitwirken, vor Gericht gestellt werden,…« Von einer Lizenz zum »Abknallen von Mördern« wie der Chefredakteur des Westdeutschen Rundfunks, Jörg Schönenborn, in seinem bemerkenswerten Tagesthemen-Kommentar vom 2. Mai so treffend anmerkte, konnte demnach keine Rede sein. Den vormaligen Jura-Professor Obama vermochte dies nicht im Geringsten zu kratzen, hatte er doch schon im Wahlkampf 2008 geschworen: »Wir werden Bin Laden töten«.

 

Und so geschah’s denn auch – gemeinsam mit einigen Getreuen sowie seinem Sohn wurde der unbewaffnete Chefterrorist ohne viel Federlesens von einem Kommando uniformierter Mörder im staatlichen Auftrag exekutiert. Der so genannte Justizminister der USA, Eric Holder, legitimiert diese Vorgehensweise damit, dass es »rechtmäßig sei, einen feindlichen Kommandeur im Feld ins Visier zu nehmen«. Zum Zwecke der Rechtfertigung einer extralegalen Hinrichtung wird dem Al Qaida-Chef post mortem flugs das zugebilligt, was ihm und seinen Gefolgsleuten bis dato verwehrt worden war, nämlich der Status eines rechtmäßigen Kombattanten in einem bewaffneten Konflikt. Da darf man ausgesprochen gespannt sein, ob die Insassen der in Guantanamo, Bagram und anderswo unterhaltenen KZs fürderhin gemäß Kriegsvölkerrecht als Kriegsgefangene behandelt werden.

 

Davon abgesehen ließe sich einwenden, dass OBLs Henker ihn ja lediglich gemäß eben jener Maxime behandelt hätten, die er selbst zuvor seinen Terrorakten zugrunde gelegt hatte, nämlich dass es erlaubt sei, zu politischen Zwecken gesetzwidrig Menschen, gleich ob schuldig oder unschuldig, zu töten, und demzufolge mit seiner Liquidierung in der Tat, wie US-Präsident Obama sich ausdrückte, »der Gerechtigkeit Genüge getan« worden wäre. Wer so argumentiert, muss sich dann allerdings auch bewusst sein, dass er lediglich den Teufel des Privat­terrorismus eines Osama mit dem Beelzebub des Staats­terrorismus à la Obama austreibt – mag ein Buchstabe noch eine marginale Differenz der beiden markieren, so ist doch ihr moralisches Niveau allemal dasselbe, nämlich schlicht bodenlos. Dasselbe trifft, nur am Rande bemerkt, auf eine Bundeskanzlerin zu, die sich in nach gerade widerwärtiger Niedertracht kundzutun bemüßigt fühlte, sie »freue sich, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten«.

 

Freilich lässt sich selbst solch erbarmungswürdige Armut an Geist und Moral noch unterbieten, wie der einschlägig bekannte Henryk M. Broder mit seiner Schmutztirade beweist, die er am 8. Mai in der Welt am Sonntag abgesondert hat. »Ihr feigen Deutschen!« krakeelt dieser unbeschreiblich dumme Mensch und insinuiert, jene seien »keine Pazifisten, sondern nur faul, feige und passiv-aggressiv. Vom ständigen Gefühl der eigenen Unterlegenheit geplagt, gönnen sie anderen keine Demonstration der Überlegenheit«. Ganz im Gegensatz zu Broders pseudo-intellektueller Sudelei zeugt es von der tatsächlichen Lernfähigkeit einer Nation, wenn sie angesichts der verheerenden Erfahrungen, die sie im Zuge ihrer eigenen von Größenwahn geprägten Versuche, anderen Völkern Dominanz zu beweisen, in der jüngeren Vergangenheit gesammelt hat, den Über­legen­heits­demons­tratio­nen einer Supermacht, die sich vornehmlich in habituellem Völkerrechtsbruch einhergehend mit massenhaftem Morden manifestieren, rein gar nichts abzugewinnen vermag.

 

Es sei, so schrieb der große Karl Kraus dereinst in seiner »Fackel«, die »schmutzige Zumutung der Macht an den Geist: Lüge für Wahrheit, Unrecht für Recht und Tollwut für Vernunft zu halten«. Eine Macht stellt Henryk M. Broder nun wahrlich nicht dar, aber eine Zumutung allemal.

 

Jürgen Rose
Quelle: Neue Rheinische Zeitung
Bild: Wikipedia

 

 


Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a. D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung »Darmstädter Signal«.

Neulich erschienen:

Jürgen Rose: Ernstfall Angriffskrieg. Frieden Schaffen mit aller Gewalt?

Hannover 2009, Verlag Ossietzky, ISBN 978-3-9808137-2-3

Mit einem Geleitwort von Werner Ruf und einem Nachwort von Detlef Bald