Frieden

20. Friedensratschlag

100 Jahre Weltkriege – Kalter Krieg – «Krieg gegen den Terror» Umbrüche und Kontinuität

Der 20. bundesweite und internationale Friedensratschlag 7. und 8. Dezember 2013

Bühne, Podium, Redner am Pult. Dahinter großes Transparent: »Uni Kassel,  20. Friedensratschlag 2013«.

Auftakt bildete ein Kulturabend im Café Oase mit Texten und Liedern von Brecht, Tucholsky, Karl Kraus und anderen zum Einstimmen. Am nächsten Tag bei der Eröffnung durch Dr. Peter Strutynski, AG Friedensforschung der Uni Kassel, drängten sich trotz Sturm «Xaver» 350 FriedensaktivistInnen aus Deutschland, Oesterreich und der Schweiz in der Aula der Universität Kassel.

Danach folgten zwei Tage dicht gedrängt mit Plenumsvorträgen, zeitgleichen Foren und Workshops. Die Themen spannten sich von Afghanistan nach Abzug der NATO, Iran und das Atomprogramm, deutsche Rüstungsexporte, Rüstungskonversion, Luftstützpunkt Kalkar, Palästina-Konflikt, das Flüchtlingsdrama vor Lampedusa, Wettlauf um die letzten Ressourcen, Krieg in Syrien, Privatisierung des Krieges, Mali, die Militarisierung der Universitäten bis zum Einsatz von Drohnen.

Leider fielen auch einige Foren aus, da wichtige Referenten erkankt waren, wie Prof. Dr. Norman Paech, Dr. Eberhard Crome (Rosa-Luxemburg-Stiftung), Regina Hagen (Redakteurin von «Wissenschaft & Frieden») und Rainer Rupp, Journalist und Geheimdienstexperte.

Besonders hervorzuheben aus den ganzen Foren sind zwei Beiträge: den Plenumsvortrag von Dr. Detlef Bald, München, und das Forum «Brauchen wir mehr oder weniger EU-Europa?» mit Sabine Lösing MdEP und Leo Mayer isw München.

«Die Ideen von 1914» – zu den Hintergründen und Besonderheiten des deutschen Militarismus

Dr. Bald setzte sich mit der unheiligen Allianz von Militär, Kaiser und Kirche 1914 auseinander, dem I. Weltkrieg von 1914-1918, dem eine unglaubliche Hochstilisierung preußischer Tugenden «im Krieg wird der Mann erst zum Manne», der absoluten deutschen Überlegenheit à la «am deutschen Wesen wird die Welt genesen» und für «Gott, Kaiser und Vaterland» voran ging. Die deutschen Kriegsherren träumten von einer Weltmacht, die sich in Europa weit nach Westen und Osten und in Afrika über die bisherigen Kolonien ausdehnen sollte. Es herrschte eine unglaubliche Kriegsbegeisterung und viele junge Männer zogen freiwillig und mit Freuden in einen Krieg, in dem sie dreckig und blutig im Schützengraben neben französischen und englischen Soldaten verreckten. Am 1. August hatte das Deutsche Reich Russland den Krieg erklärt. Erhalten ist die Aussage des britischen Aussenministers Edward Grey, den angesichts der weltpolitischen Lage düstere Vorahnungen befielen: «In ganz Europa gehen die Lichter aus, wir werden es nicht mehr erleben, dass sie wieder angezündet werden». Der Grund für Greys Prophezeiung: Der Erste Weltkrieg, die «Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts» hatte begonnen. 600.000 Tote in fünf Monaten und am Ende waren es insgesamt über 20 Million. Die Lebensmittel wurden rationiert und die Schulen zu Lazaretten umgewandelt. Statt Aufstieg kam der Fall und ruinierte Sieger wie Besiegte. Das war das Ende des alten Europa, alle Ländergrenzen wurden danach neu gezogen und die USA entwickelten sich zur Großmacht. Was Dr. Bald nicht erwähnte, dass es außer Bertha von Suttner noch andere kritische Stimmen gegen den Krieg gab: Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, und es gab Parlamentsabgeordnete, die sich an die Beschlüsse der II. Internationalen hielten und den Kriegskrediten nicht zustimmten, wie Liebknecht im Reichstag und die Bolschewiken in der Duma. Die Linken spalteten sich von der Sozialdemokratie ab und gründeten in vielen Ländern kommunistische Parteien.

Anti-G7 Demonstration in Genua 2001.

«Brauchen wir mehr oder weniger EU-Europa»

Ein sehr gut besuchtes Forum war: «Brauchen wir mehr oder weniger EU-Europa?» mit Leo Mayer isw München und Sabine Lösing MdEP unter der Moderation von Willy van Ooyen Frankfurt. Sabine Lösing, Mitglied der Fraktion GUE/NGL (Vereinigte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke) und Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung im Europäischen Parlament, informierte über die Absichten der EU sich als eigenständige Militärmacht zu etablieren. 60.000 Soldaten sind bereits jederzeit einsetzbar – der gescheiterte Verfassungsentwurf zeigte deutlich wo die größte Lobby in Brüssel sitzt. Am 19./20. Dezember wird sich in Brüssel ein EU-Gipfel vor allem mit der «Sicherheitspolitik» beschäftigen, weil, wie sich die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton beklagt, die europäischen Länder immer weniger für die Rüstung ausgeben würden – oder ist es vielleicht die Sorge, dass die wachsende Jugendarbeitslosigkeit zu sozialen Unruhen führen könnte? Beim Ausbau des Militär-Industrie-Komplexes und mehr Machtpolitik bei gleichzeitigem Abbau demokratischer Kontrolle ist die Frage nach mehr EU (die sich nur noch als neoliberalistischer Militärblock versteht) eindeutig mit NEIN zu beantworten.

Leo Mayer ging die Frage aus Sicht der außerparlamentarischen Opposition in der EU an, die sich seit 20 Jahren entwickelt hat in den Sozialforen, in der Anti-EU-Gipfel- und Antiglobalisierungsbewegungen wie z.B. Attac, in zahllosen national und europäisch vernetzten Ein-Punkte-Bewegungen und einzelne Gewerkschaftsorganisationen wie FIOM, Ver.di und der EGB. Sie wehren sich gegen EU-Beschlüsse und entwickeln Alternativen. Im Europäischen Parlament hat sich aus verschiedenen Parteien eine Fraktion gebildet: GUE/NGL (Vereinigte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke) mit z.Zt. 35 Abgeordneten. 23 dieser Abgeordneten gehören auch der Partei «Europäische Linke» EL an, die sich heute bereits aus 40 grünen, linken, sozialistischen und kommunistischen Parteien Europas zusammensetzt. Vorsitzender der EL ist Pierre Laurent von der FKP und am kommenden Parteitag im Dezember wird ein neues Programm verabschiedet. Die DKP gehört seit ihrem vom Parteivorstand beschlossenen Antrag auf Mitgliedschaft mit Beobachterstatus der EL an und war bis zum 20. Parteitag durch Leo Mayer und Bettina Jürgensen im Vorstand vertreten. Nationale Regierungen werden durch den «Fiskalpakt» und andere EU-Vereinbarungen geknebelt, könnten also nur durch einen Austritt aus der EU etwas an ihrer Lage verändern. Die Frage die sich stellt: Wäre der Austritt eines einzelnen Staates aus der EU eine linke Lösung oder ein reaktionärer Akt? Anders gefragt: Wäre ein einzelner Staat in der Lage und Willens seine wirtschaftlichen und sozialen Probleme allein und im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung zu lösen? Sozialistische Länder wie in der Vergangenheit, die eine alternative Entwicklung ermöglicht hätten, gibt es nicht mehr. Die Gefahr einer reaktionären Einzelstaaten-Lösung mit reaktionären «Sonderwegen» ist real. Die Rechtspopulisten sind in einzelnen Staaten schon sehr stark geworden und schmieden im Hinblick auf die EU-Wahlen Bündnisse.

Text und Foto: Irène Lang


Friedensratschlag und Genua 2001– Fotogalerien von Irène Lang