Kultur

Das Klassenziel wurde nicht erreicht

Verfallenes Schulgebäude.

Zum Koalitionsentwurf von Union und SPD

 

DKP: In der Schule wird weiter selektiert

 

Die neue Bun­des­re­gie­rung von CDU und SPD lässt nicht er­ken­nen, dass ihr ge­mein­sa­mes Bil­dungs­pro­gramm ein so­zi­al ge­stal­te­ter Zu­kunfts­ent­wurf von gu­ten Dich­tern und kon­se­quen­ten Den­kern ist: Über­le­gun­gen zu ei­ner kom­pen­sa­to­ri­sche Bil­dungs­po­li­tik, die dar­auf aus­ge­rich­tet ist, dass nie­mand zu­rück­ge­las­sen wird und al­le op­ti­mal ge­för­dert wer­den, wur­de mit dem Rot­stift be­sei­tigt. Für die Ge­werk­schaft Er­zie­hung und Wis­sen­schaft (GEW) fällt die Bi­lanz »er­nüch­ternd« aus. Pa­trik Kö­be­le, Vor­sit­zen­der der DKP: »Ei­ne schlech­te So­zi­al­po­li­tik paart sich hier mit ei­ner schlech­ten Bil­dungs­po­li­tik. Das Er­geb­nis: CDU und SPD las­sen die Uh­ren rück­wärts lau­fen!«

 

Die Po­si­tio­nen der CDU fin­den sich im Ko­ali­ti­ons­ver­trag viel­fach be­stä­tigt. Und die Ver­spre­chun­gen der SPD ha­ben sich für die Wäh­ler, die dar­an ge­glaubt ha­ben, wie­der ein­mal als Il­lu­si­on er­wie­sen. Da­mit hat sich die an­geb­li­che Kern­kom­pe­tenz der SPD, die So­zi­al­po­li­tik auch im Bil­dungs­be­reich, als »Un­ge­nü­gend!« ge­zeigt. Die­se No­te wird dann ge­ge­ben, wenn die Leis­tun­gen den An­for­de­run­gen nicht ent­spre­chen und das Ba­sis­wis­sen so ge­ring ist, dass die Män­gel in ab­seh­ba­rer Zeit nicht be­sei­tigt wer­den kön­nen. Das be­deu­tet: Sit­zen­blei­ben über ei­ne Le­gis­la­tur­pe­ri­ode von fünf Jah­ren.

 

Aus der Män­gel­lis­te der GEW: Kein Ganz­tags­schul­pro­gramm, kein Aus­bau der Schul­so­zi­al­ar­beit, kei­ne BaföG-Re­form. Geld fehlt da­für – und ist gleich­zei­tig vor­han­den: zwei Mil­li­ar­den Eu­ro jähr­lich für das Be­treu­ungs­geld. Die CDU hat sich voll durch­ge­setzt. Und die SPD macht ent­ge­gen al­len ih­ren Be­teue­run­gen vor dem Wahl­tag flugs mit.

 

Ein be­son­ders kras­ses Bei­spiel: Das Ko­ope­ra­ti­ons­ver­bot zwi­schen Bund und Län­dern in Bil­dungs­an­ge­le­gen­hei­ten wird ent­ge­gen al­len For­de­run­gen auf Druck der CSU ze­men­tiert. Frank-Wal­ter Stein­mei­er nann­te das Ver­bot vor der Wahl »Blöd­sinn«. Der Blöd­sinn wird mit sei­ner Zu­stim­mung nun fort­ge­setzt. Nie­der­sach­sens SPD-Mi­nis­ter­prä­si­dent Ste­phan Weil be­wer­te­te das Ver­bot vor dem Wahl­tag als »vor­sint­flut­lich«. Auch er kommt zu ei­nem Pa­ra­dig­men­wech­sel und stimmt zu, dass die Flut wei­ter steigt. Die »Zeit« er­in­ner­te dar­an, dass Ber­lin die Schu­len in Ka­bul för­dern darf, nicht aber in Köln.

 

Die Dif­fe­renz zwi­schen Wunsch und Wirk­lich­keit ist ge­wal­tig. GEW-Vor­sit­zen­de Mar­lis Te­pe warn­te, »Bil­dung hat für die SPD im­mer viel be­deu­tet. Sie wird des­halb auch für die Mit­glie­der in ih­rer Ent­schei­dung er­heb­lich sein. Das soll­ten die Ver­hand­lungs­part­ner nicht ver­ges­sen.« Kö­be­le: »Das ha­ben die be­tei­lig­ten SPD-Mit­glie­der in den Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen längst ver­ges­sen.« Nach den Ver­hand­lun­gen gab es ei­ne ers­te Pro­be­ab­stim­mung in der Bun­des­tags­frak­ti­on, bei der zwei Ab­ge­ord­ne­te sich ent­hiel­ten und kein ein­zi­ger ge­gen die­ses »Klas­sen­buch« stimm­te. Die ein­deu­ti­ge Hal­tung der SPD-Ab­ge­ord­ne­ten er­in­nert in ih­rer zah­len­mä­ßi­gen Di­men­si­on an die Be­wil­li­gung der Kriegs­kre­di­te am 4. Au­gust 1914, als al­le SPD-Reich­tags­ab­ge­ord­ne­ten zu­stimm­ten – bis auf ei­nen: Karl Lieb­knecht. Ei­nen Karl Lieb­knecht hat die­se Frak­ti­on nicht.

 

Aber die SPD hat ei­ne Han­ne­lo­re Kraft, stell­ver­tre­ten­de Par­tei­vor­sit­zen­de, Mi­nis­ter­prä­si­den­tin im mit­glie­der­stärks­ten Bun­des­land NRW, ve­he­men­te Kri­ti­ke­rin ei­ner gro­ßen Ko­ali­ti­on vor der Wahl und en­ga­gier­te Ver­tei­di­ge­rin ei­ner sol­chen Ko­ali­ti­on nach der Wahl. Sie schrieb in ih­rer ei­ge­nen Re­gie­rungs­er­klä­rung für NRW am 12. Sep­tem­ber 2012, dass »gu­te Bil­dung … der Spal­tung der Ge­sell­schaft ent­ge­gen­wirkt.« Im Ko­ali­ti­ons­ver­trag für die neue Bun­des­re­gie­rung wird die »Stär­kung der Chan­cen­ge­rech­tig­keit durch Bil­dung« im Vor­wort ge­for­dert. Aber die Spal­tung wird ze­men­tiert, da so­zi­al­po­li­ti­sche Kom­po­nen­ten nicht in die Bil­dungs­po­li­tik ein­ge­baut wur­den. In­klu­si­on (die ge­mein­sa­me Un­ter­rich­tung von be­hin­der­ten und nicht­be­hin­der­ten Kin­dern), die flä­chen­de­cken­de Ein­füh­rung von Ganz­tags­schu­len und die hin­rei­chen­de fi­nan­zi­el­le Si­che­rung der Hoch­schu­len und Stu­den­ten wur­den nicht an­ge­gan­gen. Kein Satz zur BAföG-Ver­bes­se­rung. Der Bil­dungs- und Teil­ha­be­pakt, mit dem be­nach­tei­lig­te Schü­ler ge­zielt ge­för­dert wer­den sol­len, wur­de ge­stri­chen.

 

Mi­cha­el Ger­ber, DKP-Rats­herr in Bot­trop und Vor­sit­zen­der des Schul­aus­schus­ses: »Wir ha­ben von der neu­en Bun­des­re­gie­rung kei­nen vor­wärts­wei­sen­den Ent­wurf in der Schul­po­li­tik er­war­tet. Aber dass die SPD selbst auf ih­re so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Bil­dungs­po­li­tik in so gro­ßem Um­fang ver­zich­tet, ist für die Kin­der aus der Ar­bei­ter­klas­se ei­ne Ka­ta­stro­phe. Die ver­fehl­te Schul­po­li­tik von CDU und SPD in Ber­lin wird in Bot­trop zu ei­ner zu­sätz­li­chen Her­aus­for­de­rung für die So­zi­al­be­ra­tung un­se­rer DKP-Frak­ti­on.«

 

Die GEW-Vor­sit­zen­de Mar­lis Te­pe sieht ei­nen deut­li­chen Be­darf für »Nach­bes­se­run­gen« im Ko­ali­ti­ons­ver­trag: »Das The­ma Bil­dungs­fi­nan­zie­rung bleibt ei­ne Bau­stel­le. Die Men­schen wer­den vier Jah­re bil­dungs­po­li­ti­schen Still­stand ei­ner Gro­ßen Ko­ali­ti­on nicht nach­se­hen.« Die SPD-Mi­nis­ter­prä­si­den­tin von Rhein­land-Pfalz, Ma­lu Drey­er, bei »An­ne Will« ge­ne­rell zur Ko­ali­ti­ons­ver­ein­ba­rung: So­zi­al­de­mo­kra­ten sind ver­trags­treu. Pa­trik Kö­be­le: »Ver­trä­gen, die in kei­ner Wei­se halt­bar sind, soll­te man gar nicht erst zu­stim­men. Jetzt sind die SPD-Mit­glie­der in der Ver­ant­wor­tung – auch für die Kon­se­quen­zen.«

 

Uwe Koopmann
Foto: Bettina Ohnesorge


Der 185-seitige Vertrag zum Nachlesen (pdf)