Kultur
Peter Handke und der Düsseldorfer Heine-Preis
Am 6. Dezember ist Peter Handke 75 Jahre alt geworden.
Ich will bei dieser Gelegenheit an seine Haltung zum Jugoslawienkrieg erinnern und an die widerliche Kampagne, die ihm den Heine-Preis der Stadt Düsseldorf verleidete.
Es ist üblich, den Jugoslawienkrieg, der auch gerne als Kosovo-Krieg verniedlicht wird, auf den Zeitraum der NATO-Bombardierung vom 24. März bis zum 6. Juni 1999 zu verkürzen. Die militärischen Auseinandersetzungen, mit denen der Zerfall des Landes eingeleitet wurde, gehen aber auf das Jahr 1991 zurück. Am 25. Juni erklärten sich Slowenien und Kroatien von Jugoslawien unabhängig. Slowenische Militärverbände töteten «grundlos und kaltblütig», wie es Slobodan Milosevic am 31. August 2004 in Den Haag kennzeichnete, junge Rekruten der Jugoslawischen Volksarmee, die die Grenzen zu Österreich und Italien sicherten, und besetzten die Grenzposten. In Kroatien ist die Unabhängigkeit damit verbunden, dass die Serben zunächst aus der kroatischen Verfassung, sodann zu Hunderttausenden aus dem Land selbst geworfen werden. Die deutsche Regierung mit Außenminister Genscher betreibt die Anerkennung dieser Sezessionen, zunächst trotz der Warnungen der US-Regierung. Selbstverständlich beteiligen sich auch die Medien an der folgenden Kriegshetze. Am 8. Juli 1991 macht der SPIEGEL mit einem Titel auf: «Völkergefängnis Jugoslawien: Terror der Serben».
Am 10. Juli 1991 verabschiedet das Europäische Parlament eine Resolution, in der nicht die Rebellen, nicht die Separatisten verurteilt werden, sondern die ordentlichen Streitkräfte der Jugoslawischen Volksarmee.
Im November und Dezember 1995 macht Peter Handke eine Reise durch das Land. Im Januar 1996 erscheint in zwei aufeinanderfolgenden Wochenendbeilagen der Süddeutschen Zeitung ein Essay «Gerechtigkeit für Serbien», untergetitelt «Eine Winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina».
Schon diese Veröffentlichung löst heftige Diskussionen aus. Sein Verlag Suhrkamp schreibt: «Von großen französischen und deutschen Zeitungen (federführend: Gustav Seibt in der FAZ und Peter Schneider im Spiegel) wird der Autor zu einem ideologisch verbrämten Serben-Freund gestempelt.
Handke begibt sich auf eine Lesereise in zahlreiche deutsche Städte. In Wien antwortet Handke einem Journalisten mit den Worten: Schieben Sie sich Ihre Betroffenheit in den Arsch!»
Indessen zeigt er selbst sich betroffen und titelt auch so: «Unter Tränen fragend. Nachträgliche Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg, März und April 1999.» Dieser Text erscheint im Jahr 2000 und richtet sich gegen die Lügen von Politik und Medien. Aber Handke bezweifelt auch angesichts der Umstände in dem geschundenen Land die Tauglichkeit unserer Sprache, diese Umstände zu beschreiben. In Kragujevac berühren Handke die kaum fotografierbaren, wiederholten Zerstörungen, mehr noch: die Zertrümmerungen einfacher Werkzeuge, Werkbänke, Hammer, Zange, Zollstock, Schrauben und Nägel. Hier im Zastava-Werk, der einst größten Fabrik Jugoslawiens, wurden zuvor Autos hergestellt. Auch das Heizkraftwerk (toplana), das 200 000 Menschen versorgte, ist zerstört. «Selber schuld, diese zersplitterte Toplana war als ‹Schutzschild› benutzt, ja schon gebaut worden für die böse Autoproduktion der bösen Jugo-Kommunisten! Und selber schuld auch jene ‹124 schwerverletzten Arbeiter›, von den Westbomben kollateral erwischt – auch die ‹missbraucht als Schutzschilder›.» (S. 116 ff.).
Sowas darf man der hysterischen Medienwalze nicht bieten. Die Kampagne kulminierte anlässlich der Entscheidung der Jury für Handke als Träger des Düsseldorfer Heinepreises.
Den vergibt die Stadt Düsseldorf seit 1972. Der Preis wird durch den Rat der Stadt aufgrund der Entscheidung des Preisgerichtes «an Persönlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, für die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten». Erstmals war im Jahr 2006 das Preisgeld auf 50.000 € verdoppelt worden.
Tatsächlich hatte er nach den Entscheidungen in vergangenen Jahren ein gewisses Renommee. 2002 war Elfriede Jelinek geehrt worden, 2004 Robert Gernhardt.
Am 20. Mai 2006 entschied sich die Jury, der unter anderem Sigrid Löffler und Jean-Pierre Lefèbvre angehörten, für Peter Handke.
Die Entscheidung wird unverzüglich wegen Handkes Haltung zu Jugoslawien kritisiert. Die WELT schreibt, Handkes Wahrheit heiße, der Westen stachele in den jugoslawischen Teilrepubliken einen modernistisch dröhnenden Nationalismus an, welcher den Vielvölkerstaat zerfallen und Serbien als Restfläche unbrauchbaren Eigensinns übrig lasse.
Sowas wollen Kosovo-Krieger nicht hören, solche Wahrheit ist ihnen unerträglich.
Am 27. Mai meldet sich Hubert Spiegel in der FAZ: «Will die Jury allen Ernstes behaupten, Handkes Auftritt am Grab des Massenmörders Milosevic habe der Völkerverständigung gedient? Verbreitet die Schamlosigkeit, mit der Handke die serbischen Verbrechen beschönigt und die ethnischen Säuberungen geleugnet hat, die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit allen Menschen?»
Das politische Personal stand ohnehin stramm. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU): «Die Landesregierung ist der Meinung, dass für den Heine-Preis nicht preiswürdig ist, wer den Holocaust relativiert». Fritz Kuhn, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, kolportiert ein Kapitalverbrechen: Peter Handke habe Slobodan Milosevic verteidigt. «Es ist empörend, dass sich in Deutschland Künstler und Intellektuelle für diese schäbige Preisverleihung hergeben».
Eilfertig fassten die Fraktionen von FDP, Grüne und SPD im Düsseldorfer Stadtrat am Montag, den 29. Mai, empörte Beschlüsse. Es schwollen die Kämme. Zudem hatten wir den Sommer der Fußballweltmeisterschaft. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, finanziert von der Metall- und Elektroindustrie, begleitete seinerzeit den nationalen Überschwang mit der Public-Relation-Kampagne «Du bist Deutschland». Der Grünen-Fraktionschef Günter Karen-Jungen tönte im Düsseldorfer Stadtrat: «Wenn es um die Freiheit des Geistes geht, muss man auch die Geisteshaltung bewerten – genau darum geht beim Heine-Preis.» Die Grünen würden auf der nächsten Stadtratssitzung gegen Handke stimmen. Auch die SPD. Fraktionsgeschäftsführerin Annette Steller: «Ich kann nicht verstehen, dass die Jury sich politisch so unsensibel verhalten hat. Die Nähe zur Milosevic-Beerdigung ist so groß. Der Rat sollte die Notbremse ziehen.» Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) äußerte: «Wer Mord, Vertreibung, Massenfolter und Vergewaltigung relativiert, ist für die Auszeichnung nicht denkbar». Allein die CDU hatte noch nicht entschieden, weil ihr Vormann OB Erwin sich für Handke ausgesprochen hatte. Aber offenkundig war die Mehrheit fest entschlossen, die Vergabe des Preisgelds zu verhindern und das Votum der Jury für Handke zu ignorieren.
Allein die beiden Mitglieder der Linken Liste in Düsseldorfer Stadtrat, Frank Laubenburg (Linkspartei) und Gundel Kahl (DKP) kündigten ihr Votum für Peter Handke an. Sie erklärten unter anderem: «…Spätestens in den letzten Tagen hat Peter Handke sich also verdient gemacht. Um Heinrich Heine und um den nach ihm benannten Preis. Denn Handke hat auf die von ihm gestellten Fragen nach der Wahrheit die Antworten derer erhalten, die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien angezettelt haben und das so gern verdrängen würden.»
Die Affäre erinnert an den Umgang der Düsseldorfer mit Heine selbst. Durch die Stiftung des Heinepreises 1972 bemühten sich die Stadtväter einen Skandal vergessen zu machen. Jude war Heine, als vaterlandslos galt er, dem bürgerlichen Düsseldorf schon immer eine Zumutung, nicht erst in der Nazizeit. Die Weigerung der Universität, sich nach Heinrich Heine zu benennen, knüpfte an die schlimmen Traditionen an. Einiges an Weltläufigkeitstünche und Toleranzschminke wurde seither aufgelegt. Aber nach der Preisverweigerung liegt die hassverzerrte Spießerfratze wieder bloß.
Die DKP Düsseldorf erklärte im Juni 2006:
«Bezüglich der Verleihung des Heine-Preises an Peter Handke sind wir glücklich, auch mal Oberbürgermeister Erwin zustimmen zu können: ‹Der Rat war klug beraten, eine unabhängige Jury mit externen Experten einzusetzen und den städtischen Vertretern nicht die Mehrheit zu geben. Die Kritik an einem Jury-Entscheid muss man aushalten – oder man setzt eine politische Jury ein.›
Wir sind der Auffassung, dass dem Votum der Jury zu folgen ist. Und wir freuen uns darauf, Peter Handke am 13. Dezember begrüßen zu dürfen. Als Gründe für ihre Entscheidung hatte die Jury am 20. Mai genannt: ‹Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er rücksichtslos gegen die veröffentlichte Meinung und deren Rituale.› Auch dieser Begründung ist zuzustimmen und sie schließt die Erkenntnis ein, dass den einen oder anderen dieser poetische Blick schmerzen mag.
In diesem Zusammenhang sollte nicht vergessen werden, dass eine breite Mehrheit des Bundestages, namentlich bei den regierenden Sozialdemokraten und Grünen, seinerzeit den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien zu legitimieren suchte und zu diesem Zweck zu offenen Lügen griff.
Es muss auch daran erinnert werden, dass die Anklagen des Haager Gerichtshofes gegen Milosevic angesichts der vorgebrachten Beweise und Zeugenaussagen zerfielen. Die Rehabilitierung Milosevic’ und die offenkundige Niederlage des Gerichts sowie der hinter diesem Tribunal stehenden US-Außenpolitik wurden nur durch den Tod des Angeklagten verhindert.»
Handkes Verzicht auf den Preis, den er am 2. Juni in einem Brief an OB Erwin mitteilte, löste Erleichterung bei den Düsseldorfer Lokalpolitikern aus. Nach dem demonstrativen Austritt von Sigrid Löffler und Jean-Pierre Lefèbvre aus der Jury verwahrten sie sich ungerührt gegen den Vorwurf einer Hetzkampagne gegen Handke (z.B. Günter Karen-Jungen von den Grünen) und bescheinigten Sigrid Löffler «unerträgliche intellektuelle Arroganz» (so Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP). Allein der Rektor der Heinrich-Heine-Uni, Alfons Labisch, bemerkte, dass die gescheiterte Preisverleihung dem Ruf der Stadt geschadet habe. Unterdessen hatte eine Initiative von sich reden gemacht: «Der Berliner Heinrich-Heine-Preis». Rolf Becker, Dietrich Kittner, Arno Klönne, Monika und Otto Köhler, Käthe Reichel, Eckart Spoo, Ingrid und Gerhard Zwerenz riefen zu Unterschrift und Finanzierung auf. Tatsächlich kamen binnen weniger Wochen 50 000 Euro zusammen. Handke hat sie wenig später einem serbischen Dorf im Kosovo übergeben.
Klaus Stein, 19. Dezember 2017
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