Politik

Kampf gegen Berufsverbot im Kampf für Demokratie

Konferenz in Köln: Neue Ansätze und neues Engagement

Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Konferenztisch.

 

Köln, 20.10.2012 | Vor dem Hintergrund der nahezu täglichen Skandale des Inland­ge­heim­dienstes (so genann­ter »Verfas­sungs­schutz«) arbeitete die Kölner Konferenz der Initiative »40 Jahre Radi­ka­len­er­lass« heraus: Die Berufs­ver­bote und die Schnüf­fel­praxis des Dienstes haben nichts an Aktua­lität verloren. Die Kon­fe­renz­teil­neh­mer waren sich aber einig, dass die Zusam­men­hänge wieder offen­siver vermit­telt werden müssen, damit »das nicht solche alten Geschich­ten bleiben«, wie Klaus Lipps (Baden-Baden) von der Ini­tia­tive betonte.

 

Zur historischen Einschät­zung des Inland­ge­heim­diens­tes und seiner Füh­rung wurde an die Einbin­dung alter Nazis in den Dienst erin­nert. Hubert Schrüb­bers war 1955 der erste Präsi­dent dieses Geheim­diens­tes. Der Jurist war Mitglied des SA-Sturms Münster und unter den Nazis Staats­an­walt und schließ­lich Ober­staats­an­walt beim Ober­lan­des­ge­richt (OLG) Hamm. Er klagte ras­sisch und poli­tisch Verfolg­te an. Die Jüdin Anna Neu­beck starb im KZ Ausch­witz. Seine Kar­rie­re setzte er nach dem Krieg fort: Bundes­an­walt am Bun­des­ge­richts­hof, Gene­ral­staats­anwalt am OLG Düs­sel­dorf. Am 1. August 1955 wurde der Alt­nazi dann Präsi­dent des »Bundes­amtes für Verfassungsschutz«.

 

Auf der Seite der Recht­spre­chung gab es zum Beispiel Willi Geiger, 27 (!) Jahre lang Richter am Bundes­verfas­sungs­ge­richt. Im Faschis­mus war Geiger Jurist beim Sonder­ge­richt Bam­berg. Er wirkte an meh­re­ren Todes­urteilen mit.

 

Übereinstimmend wurde in der Konferenz festge­stellt, dass der Inland­ge­heim­dienst, der unter der irre­füh­ren­den Bezeich­nung »Verfas­sungs­schutz« firmiere, sich über Jahre verber­gen und mit einem demo­kra­ti­schen Mäntel­chen tarnen konnte. Nach der geheim­dienst­li­chen Vorbe­rei­tung des KPD-Verbo­tes gerie­ten seine Machen­schaf­ten im großen Stil bei der Bespit­ze­lung von Mil­lio­nen Bun­des­bür­gern und bei der Vor­be­rei­tung der Berufs­ver­bote ins Schein­wer­fer­licht. Die Gerichte grif­fen nahe­zu ohne Aus­nahme auf die Spit­zel­er­geb­nisse des Geheim­diens­tes zurück, ohne die Spitzel jemals als Zeugen zu benen­nen. Die Obser­vie­rung der Friedens­bewe­gung sowie die feh­lende Beobach­tung und gleich­zei­tige Bezah­lung von Neo­nazis bilden das vorläu­fige Ende der Skan­dal-Chro­nik. Die Schluss­fol­ge­rung auch dieser Kon­fe­renz war ein­deu­tig: Dieser Ge­heim­dienst ge­hört aufgelöst.

 

Übereinstimmung gab es bei den Teil­neh­mern aus fast allen Bundes­ländern der alten BRD darin, dass das Thema »Berufs­verbot« nicht mehr iso­liert poli­tisch in seiner histo­ri­schen Dimen­sion betrach­tet werden dürfe. Erinnert wurde an den aktu­el­len und mehr­fach modi­fi­zier­ten Einstel­lungs­fra­ge­bo­gen in Bayern, bei dem Kan­di­daten für den öffent­li­chen Dienst ange­ben sollen, wo sie sich orga­ni­sieren. – Eine Steil­vorla­ge für den Geheim­dienst, die mit Angst und Duck­mäu­ser­tum ver­bun­den ist.

 

Die widersprüchliche Bewertung der »Erkennt­nis­se« des Geheim­diens­tes durch die Gerichte machte deut­lich, dass er nicht immer in vollem Um­fang Herr der Lage ist. So wurde die Gesin­nungs­pro­gnose zur Verfas­sungs­kon­for­mi­tät eines Bewer­bers davon abhän­gig gemacht, ob er sich als Beamter oder An­gestell­ter bewarb. In Bremen (Rot/Grün) wurde mit dem Koa­li­tions­ver­trag vom 10.11.2011 beschlos­sen, dass das bishe­rige Vorge­hen einge­stellt werden muss und sogar eine ideelle Entschä­di­gung ange­dacht ist. Umge­kehrt wurde fest­gestellt, dass in Baden-Würt­tem­berg der Grüne-Minister­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann Bürger durch den Geheim­dienst bis ins hohe Alter bespit­zeln lässt, obwohl er 1975 selber von der Praxis der Berufs­ver­bote betrof­fen war. Kretsch­mann hatte als Student an der Uni Hohen­heim zum Stu­den­ten­kon­vent kan­di­diert – nach seinen eigenen Anga­ben 1972 für die Sympa­thi­san­ten­gruppe Hohen­heim der Kom­mu­nis­ti­schen Stu­den­ten­grup­pen/Mar­xis­ten-Leni­nis­ten (KSG/ML) und 1973 auf einer Platt­form des Sozia­lis­tischen Zentrums (SZ), der Kom­mu­nis­ti­schen Hoch­schulgruppe (KHG).

 

Parlamentarische Bewegung gab es aktuell nicht nur in Bremen. Im Bundestag gab es eine Initiative der Linkspartei. Die Grünen haben eine Anfrage angekündigt. In Niedersachsen kommt ein Antrag in der übernächsten Woche (7.-11.November) ins Landesparlament. Sogar der Stadtrat und ein Bezirksrat haben sich in Hannover mit großer Mehrheit gegen die Berufsverbote ausgesprochen. In NRW hat es Vorgespräche zwischen dem Innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion und der GEW-NRW gegeben. MdB Katja Dörner (Bündnis 90/Grüne) kündigte einen Brief an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) an.

 

Rechtsanwalt Alfred Bongard, Köln, zeigte auf, dass die augenblickliche Situation nicht »alternativlos« sei. Wenn verschiedene Politiker sich aus der Verant­wortung zögen mit dem Hinweis, sie könnten nicht in die Recht­sprechung der Gerichte eingrei­fen, dann sei dies eine Aus­flucht. Durch neue Gesetze könne alte Recht­spre­chung aufge­hoben werden. Auf diese Weise wurden Todes­urteile aus der NS-Zeit für ungültig erklärt – wenn auch erst nach mehr als 50 Jahren. Homo­sexu­elle wurden reha­bili­tiert. Urteile gegen Deser­teure der Nazi-Wehr­macht wurden aufge­hoben – wenn auch erst im Jahr 2002. Genau­so könne der recht­liche Rahmen zu den Berufs­ver­boten verän­dert werden – einschließ­lich Reha­bili­tie­rung und Entschä­di­gung für die Opfer.

 

Die Teilnehmer sammelten rund 50 Themen, mit denen sie regional und über­re­gio­nal arbeitend aktiv werden wollen. Nicht nur der Bundes­prä­si­dent wird in abseh­barer Zeit Post bekom­men… Die nächste Konferenz wird es Ende Mai 2013 in Hannover geben. Dann steht die Bun­des­tags­wahl bevor.

 

Text und Foto: Uwe Koopmann