Politik

Krieg gegen Flüchtlinge?

Brauchen wir eine Alternative zu Euro und EU?

 

Der freie Journalist Gabriele del Grande mit seiner Dolmetscherin.

Die Fra­ge ist ein­deu­tig mit »Ja« zu be­ant­wor­ten, aber wir brau­chen al­le an­ti-eu­ro­päi­schen Kräf­te da­zu. Die Bun­des­re­gie­rung – auch die gros­se Ko­ali­ti­on, falls sie denn kommt – wird al­les da­für tun, den Eu­ro zu er­hal­ten. Denn brö­selt der Eu­ro, brö­ckelt die Eu­ro­päi­sche Uni­on und oh­ne EU ha­ben die deut­schen Kon­zer­ne im Welt­mass­stab we­nig Ge­wicht. Die Aus­deh­nung nach Os­ten hat Eu­ro­pa zwei Krie­ge ge­bracht, heu­te braucht man da­zu kei­ne ei­ge­ne Ar­mee mehr.

 

Am 30. No­vem­ber 2013 fand im ZAKK Düs­sel­dorf ei­ne in­ter­es­san­te Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung statt. Ga­brie­le del Gran­de, frei­er Jour­na­list aus Ita­li­en (30), be­rich­te­te aus sei­nen Er­fah­run­gen mit dem Flücht­lings­tra­gö­di­en an den Küs­ten des Mit­tel­mee­res. Er be­trach­tet es als sei­ne Auf­ga­be den To­ten aus dem Mit­tel­meer, die oft nur ei­ne Rand­no­tiz in un­se­rern Zei­tun­gen sind, ein per­sön­li­ches Ge­sicht zu ge­ben.

 

Aus dem Klapp­text sei­nes in deutsch erschienenen Buches:

Tau­sen­de und Aber­tau­sen­de von To­ten, ei­ne un­be­stimm­te An­zahl von Ver­miss­ten, über die man nie mehr et­was er­fah­ren wird.« So cha­rak­te­ri­siert Ful­vio Vas­sal­lo Pa­leo­lo­go, Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät von Pa­ler­mo, die »Ne­ben­wir­kun­gen« ei­nes von Eu­ro­pa ein­sei­tig ge­gen Mi­gran­ten er­klär­ten Krie­ges, der die ir­re­gu­lä­re Mi­gra­ti­on stop­pen und die Ein­rei­se­mög­lich­kei­ten – auch für Asyl­su­chen­de – be­en­den soll. Die na­men­lo­sen Op­fer die­ser eu­ro­päi­schen Ab­schot­tungs­po­li­tik sind meist al­len­falls noch ei­ne Rand­no­tiz in un­se­ren Zei­tun­gen wert. Der ita­lie­ni­sche Jour­na­list Ga­brie­le del Gran­de ist der Spur die­ser »Na­men­lo­sen« ge­folgt. In ein­drucks­vol­len Re­por­ta­gen geht er ih­rer Ge­schich­te und ih­ren Ge­schich­ten nach.

 

Wie ak­tu­ell und bren­nend das Pro­blem ist, zeigt sich in der Ta­ges­pres­se. Am 05.12.2013 er­scheint ein Ar­ti­kel in der Rhei­ni­schen Post »EU plant stär­ke­re Kon­trol­len an Au­ßen­gren­zen«: Als Re­ak­ti­on auf die Flücht­lings­tra­gö­die mit 360 To­ten vor Lam­pe­du­sa will die EU ih­re Kon­trol­len im Mit­tel­meer »ver­bes­sern«. Die EU-Grenz­schutz­agen­tur Fron­tex mit Sitz in War­schau (Film bei Ar­te) soll ih­re Prä­senz durch ei­ne bes­se­re Ko­or­di­na­ti­on ver­stär­ken – Kos­ten­punkt: 14 Mil­lio­nen Eu­ro.

 

Wer sind die­se Men­schen, die ver­su­chen un­ter Ein­satz ih­res Le­bens nach Eu­ro­pa zu kom­men?

In ei­nem kon­kre­ten Fall wa­ren es 70 jun­ge Eri­trea­er, die vor dem bru­ta­len Mi­li­tär­dienst im ei­ge­nen Land zu flie­hen ver­such­ten und hoff­ten in Eu­ro­pa ei­ne Ar­beit zu fin­den um ih­re Fa­mi­li­en er­näh­ren zu kön­nen, sie trie­ben ta­ge­lang hilf­los auf dem Meer, weil ihr Mo­tor den Geist auf­gab. Zahl­rei­che Schif­fe zo­gen an ih­nen vor­bei oh­ne zu hel­fen. Als der Mal­te­ser Hilfs­dienst aus Ita­li­en ih­nen ei­nen neu­en Mo­tor brach­te, leb­ten von den 70 Men­schen noch 5!

 

Podium, im Hintergrund Transparent: »Brauchen wir eine Alternative zu Euro und EU?«.

In ei­nem wei­te­ren Fall han­delt es sich um ei­ne sy­ri­sche Fa­mi­lie aus dem Mit­tel­stand. Der Va­ter kämpf­te auf Sei­ten der »Re­bel­len« bis er ver­stand, wo­hin die­ser Krieg führt. Er tausch­te sein Ge­wehr ge­gen ein Mi­cro­phon – was le­bens­ge­fähr­li­cher ist als ein Ge­wehr un­ter dem Arm – und mach­te Re­por­ta­gen über den Kon­flikt im Land. Sei­ne Fa­mi­lie brach­te er zur Si­cher­heit in die Tür­kei. Sei­ne Frau ver­sucht seit dem Ein­rei­se­vi­sas für Deutsch­land zu be­kom­men – oh­ne Er­folg. Viel­leicht bleibt ihr nur die Mög­lich­keit mit ih­ren drei Kin­dern in ei­nem über­füll­ten Schiff in den Hän­den von skru­pel­lo­sen Schleu­sern aus Tri­po­lis nach Ita­li­en zu ge­lan­gen.

 

Der Zy­nis­mus un­se­res der­zei­ti­gen noch In­nen­mi­nis­ter Fried­richs ist nicht zu über­bie­ten. In den Ta­gen, als die Flücht­lings­tra­gö­die vor Lam­pe­du­sa die Schlag­zei­len der Pres­se auch in Deutsch­land die Öf­fent­lich­keit für das Pro­blem sen­si­bi­li­sier­te, mein­te er in Be­zug auf ab­ge­lehn­te Asyl­su­chen­de. »Sie wer­den nach Ita­li­en ab­ge­scho­ben, da sie dort zum ers­ten Mal eu­ro­päi­schen Bo­den be­tre­ten haben und die Un­ter­brin­gung in Ita­li­en funk­tio­nie­rt.« So die of­fi­zi­el­le Re­ge­lung der EU, mit der sich die deut­sche Re­gie­rung wun­der­bar aus der Ver­ant­wor­tung ge­stoh­len hat und die gan­ze Last den süd­eu­ro­päi­schen Län­dern über­lässt.

 

Ga­brie­le del Gran­de: »Als ich ge­se­hen ha­be, wie die Lei­chen vor Lam­pe­du­sa ge­bor­gen wur­den, ka­men mir die Kriegs­bil­der aus Sy­ri­en und Ly­bi­en in den Sinn. Das was da statt­fin­det ist Krieg und das Mit­tel­meer wird zum Fried­hof.

 

Wer sich mit dem Pro­blem der Aus­wan­de­rungs­wil­li­gen aus Nord­afri­ka auch li­te­ra­risch aus­ein­an­der­set­zen möch­te, emp­feh­len wir: »Ver­las­sen« Ro­man des Li­te­ra­tur­preis­trä­gers Ta­har Ben Jell­oun (Frank­reich/ Ma­rok­ko).

 

Text und Fotos: Irène Lang


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