Politik

Die finanzielle Lage der Städte und Gemeinden und ihre Perspektive

Klaus Stein referierte zu diesem Thema in Solingen und Neuß, wir dokumentieren:

Geld ist genug da, es landet nur immer wieder auf dem größten Haufen.

Demonstrierende mit Fahnen und Transparent: »Umfairteilen! Reichtum besteuern«.

Die The­se, es sei kein Geld da, die Kas­sen der Städ­te und Ge­mein­den sei­en ein­fach leer, ist falsch. Das soll im fol­gen­den be­legt wer­den. Wir ha­ben es viel­mehr auch bei den kom­mu­na­len Haus­hal­ten mit Me­cha­nis­men zu tun, die ei­ne wei­te­re Um­ver­tei­lung von Arm zu Reich or­ga­ni­sie­ren. Ge­nau­er for­mu­liert: um ei­nen staat­lich or­ga­ni­sier­ten im­pe­ria­lis­ti­schen Macht­me­cha­nis­mus, der zu­guns­ten der Mo­no­po­le und des Fi­nanz­ka­pi­tals für die An­eig­nung frem­der Ar­beit, frem­den Ei­gen­tums und frem­den Ka­pi­tals sorgt. Die Klar­heit über die­se Zu­sam­men­hän­ge soll­te bei der Ent­wick­lung an­ge­mes­se­ner po­li­ti­scher For­de­run­gen hel­fen.

Helmut Dedy vom Deutschen Städtetag (der maßgebende kommunale Spitzenverband auf Bundesebene, es gibt außerdem den Deutschen Landkreistag und den Deutschen Städte- und Gemeindebund) schreibt am 10. Oktober 2014 anlässlich der Veröffentlichung des Gemeindefinanzberichtes 2014: »Die kommunalen Kernhaushalte weisen Schulden in Höhe von rund 130 Milliarden Euro aus. Rund 50 Milliarden Euro davon sind Liquiditätskredite, die sehr ungleich verteilt sind. In einzelnen Regionen Deutschlands ist das Ausmaß der Verschuldung und der Haushaltsdefizite so gravierend, dass das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung gefährdet ist. Besondere Hilfen für strukturschwache Städte und eine Lösung des kommunalen Altschuldenproblems sind dringende Anliegen. Es versteht sich, dass Lösungen angesichts der sehr unterschiedlichen Betroffenheit nur in Zusammenarbeit von Bund, betroffenen Ländern und betroffenen Kommunen möglich sein werden.«

Nur um die Größenordnungen zu veranschaulichen: Die deutschen Städte und Gemeinden verbraten jährlich 190 Mrd Euro, der Bundeshaushalt beträgt 300 Mrd Euro, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ungefähr 2500 Mrd, also 2,5 Billionen Euro.

Helmut Dedy fordert angesichts der allgemeinen kommunalen Finanzmisere im Namen der Städte und Gemeinden eine Neuordnung der föderalen Finanzstrukturen, also des Verhältnisses von Haushalten des Bundes, der Länder und der Gemeinden. Die sei schon deswegen fällig, weil die bisherige Form des Länderfinanzausgleichs bis zum Jahr 2019 befristet sei. Auch der Solidarpakt II laufe zum selben Zeitpunkt aus, genau wie das Entflechtungsgesetz. Und schließlich griffen ab 2020 die Schuldenbremsen in Bund und Ländern in vollem Umfang.

Im einzelnen:

  • Der Länderfinanzausgleich ist das Regelwerk zur Verteilung der finanziellen Mittel zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern. Er gründet sich aktuell auf das Maßstäbegesetz und das Finanzausgleichsgesetz 2005. Beide treten mit Ablauf des 31. Dezember 2019 außer Kraft. Das geltende Verteilungssystem läuft also zu diesem Termin aus.
  • Der Solidarpakt soll die »teilungsbedingten Sonderlasten der ostdeutschen Bundesländer« ausgleichen. Hier fließen sogenannte Bundesergänzungszuweisungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs. Nicht zu verwechseln mit dem Solidaritätszuschlag, der von allen steuerzahlenden Bundesbürgern zu entrichten ist und nicht an den Aufbau Ost zweckgebunden ist. Nach dem Solidarpakt I, der bis 2004 galt, wurde der Solidarpakt II vereinbart. Dessen Gesamtvolumen beträgt 156,5 Milliarden Euro. Er läuft ebenfalls 2019 aus.
  • Durch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) gewährt der Bund den Ländern Finanzhilfen für Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden. Im Rahmen der Föderalismusreform wurden die Regelungen des GVFG modifiziert. Nach dem Entflechtungsgesetz stehen den Ländern ab dem 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2019 jährlich Beträge aus dem Haushalt des Bundes zu, die nach bestimmten Prozentsätzen den Ländern überwiesen werden. Sie kompensieren den Ausfall von Gemeinschaftsaufgaben wie »Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich Hochschulkliniken« und »Bildungsplanung«. Zudem wurden Finanzhilfen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden und zur sozialen Wohnraumförderung abgeschafft. Die Finanzierungsanteile des Bundes für diese Aufgabe fielen zwar weg, sollen aber durch das Entflechtungsgesetz ausgeglichen werden. Seit 2014 unterliegen sie übrigens nur noch einer allgemein investiven statt allein verkehrlichen Zweckbindung. Solchen Zweckbindungen merkt man an, wie sich bestimmte Lobbygruppen, insbesondere Baukonzerne, durchsetzen.
  • Und schließlich weist das Grundgesetz seit 2009 mit den Artikeln 109 und 115 zwei neue Textstellen auf, in denen die sogenannten Schuldenbremsen formuliert sind. Es handelt sich dabei um Vorgaben, die die Aufnahme von Krediten regeln sollen. Wirksam sind sie seit dem 1. Januar 2011. »Bund und Länder erfüllen gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Artikels 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin und tragen in diesem Rahmen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung« (Artikel 109,2). »Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.« (109,3) Derselbe Absatz regelt aber auch gleich schon mal die Ausnahmen. Hier sei eine Tilgungsregelung vorzusehen »mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten.« Für den Fall von Sanktionsmaßnahmen der EU wird vorsorglich bestimmt, wer die Knöllchen zahlt, nämlich Bund und Länder im Verhältnis 65 zu 35 (Art. 109,5). Weitere Übergangsregelungen, die vor allem die Länder bis zum Jahre 2020 betreffen, sind in Artikel 143 gefasst. Der Fiskalpakt ist in Brüssel am 2. März 2012 vereinbart und als Gesetz am 29. Juni 2012 von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden. Seit September 2012 ist er nach der zögerlichen Absegnung durch das Bundesverfassungsgericht in Kraft. Er verpflichtet die Vertragsparteien zu einem ausgeglichenen Haushalt. Bei einem Schuldenstand von über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts müssen Schulden, die diesen Wert übersteigen, pro Jahr um ein Zwanzigstel verringert werden. Es wird ein Korrekturmechanismus vorgesehen, der bei Säumnissen automatisch ausgelöst wird. Mitgliedstaaten, die sich in einem Defizitverfahren befinden, müssen ein verbindliches Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramm vorlegen, das die einzelnen Maßnahmen beschreibt, mit denen Defizit und Schuldenstand gesenkt werden sollen. Der Rat der EU und die Europäische Kommission genehmigen das Programm und überwachen seine Umsetzung. Und die Gewährleistung derartiger Kürzungsprogramme ist Voraussetzung dafür, dass Gelder aus dem ESM fließen. ESM-Mittel erhalten ausschließlich Länder, die den Fiskalvertrag bis März 2013 ratifiziert und die Schuldenbremse ein Jahr nach Inkrafttreten des Fiskalvertrags in ihr jeweiliges Rechtssystem verankert haben.

In der Tat verspricht die Regierungskoalition im Koalitionsvertrag, spätestens Ende 2019 die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu zu ordnen. Zitat: »Die Länder werden ab diesem Zeitpunkt keine strukturellen Defizite mehr haben. In dieser Legislaturperiode müssen dafür die Weichen gestellt werden. Dazu finden zwischen Bund und Ländern Gespräche statt. Die Koalition wird parallel eine Kommission einrichten, in der Bund und Länder vertreten sind. Dazu werden Vertreter der Kommunen einbezogen. Die Kommission wird sich mit Fragen der föderalen Finanzbeziehungen befassen und dazu Vorschläge erarbeiten. Die Kommission soll bis Mitte der Legislaturperiode Ergebnisse zu den nachfolgenden Themenbereichen vorlegen:

  • Europäischer Fiskalvertrag
  • Schaffung von Voraussetzungen für die Konsolidierung und die dauerhafte Einhaltung der neuen Schuldenregel in den Länderhaushalten
  • Einnahmen- und Aufgabenverteilung und Eigenverantwortung der föderalen Ebenen
  • Reform des Länderfinanzausgleichs
  • Altschulden, Finanzierungsmodalitäten und Zinslasten
  • Zukunft des Solidaritätszuschlags.«

Auf die Zusage, dass die Kommunen in dieser Kommission mitreden dürfen, bauen sich die Herren Dr. Steffen Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, und Helmut Dedy, sein Ständiger Stellvertreter, einige Luftschlösser ins Vorwort des Gemeindefinanzberichtes 2014, bzw. seiner Kurzfassung, genannt »Schlaglichter aus dem Gemeindefinanzbericht 2014«. Sie weisen darauf hin, dass die Sozialausgaben doppelt so stark wie die kommunalen Investitionen steigen. Im laufenden Jahr erwarten sie bundesweit 47 Milliarden Euro Sozialausgaben und bis 2017 einen Anstieg auf mehr als 54 Milliarden Euro. Sie pochen auf das Versprechen der Koalition, die Kommunen um 5 Milliarden Euro pro Jahr zu entlasten. Diese Entlastung müsse noch in dieser Legislaturperiode in den kommunalen Haushalten wirksam werden. Es ginge dabei nicht nur darum, den (wörtlich) »Aufwuchs der Sozialleistungen zu stoppen«, sondern es den Kommunen zu ermöglichen, wieder deutlich stärker zu investieren.

Demonstrierende mit Plakat: »Dä ›Rubel‹ rollt noh bovve – umfairteilen«.Auch Finanzminister Schäuble bedauerte anlässlich der Einbringung des Bundeshaushaltes am 9. September, dass es in der Vergangenheit »eine Verschiebung von Ausgaben zulasten von Investitionen und zugunsten von eher gegenwartsorientierten Sozialausgaben gegeben« habe. Typisch für die bürgerliche Kommunalpolitik ist die Gegenüberstellung von Sozialleistungen und Investitionen. Den meisten Kommunalpolitikern gelten die Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV), die Sozialhilfe und andere sogenannte Transferleistungen im Grunde als Verschwendung von Geld, das besser für Straßen und Baumaßnahmen angelegt würde, damit einige Handwerker, aber vor allem Baukonzerne daran verdienen. Aber just diejenigen, die Transferleistungen beziehen, geben dieses Geld sofort aus, kaufen Lebensmittel, Kleidung und andere Konsumgüter und bringen das Geld auf andere Weise steuer- und beschäftigungswirksam wieder unter die Leute.

Im Text der »Schlaglichter« wird darauf hingewiesen, dass die Überschüsse der Gemeindefinanzen, anders als prognostiziert, sinken und zwar auf durchschnittlich 1,5 Mrd Euro. »Ursache für die enttäuschten Erwartungen des vorigen Jahres und die abgesenkten Überschussprognosen für die kommenden Jahre sind – wieder einmal – die Ausgaben für soziale Leistungen. Diese sind 2013 weit stärker gestiegen als allgemein erwartet. Eine Dämpfung des Ausgabenanstiegs ist nicht in Sicht. Auch scheint der Nachholbedarf für Investitionen weit größer zu sein als bislang unterstellt.« Der Deutsche Städtetag warnt. Schon geringe Abweichungen der Prognose könnten dazu führen, dass die kommunalen Haushalte insgesamt defizitär würden. Der Beirat des Stabilitätsrats empfiehlt deswegen, wörtlich, »nennenswerte Überschüsse anzustreben«. Schon eine Erhöhung der durchschnittlichen Schuldzinsen der Kommunen um einen Prozentpunkt oder aber ein zusätzlicher jährlicher Anstieg der Ausgaben für soziale Leistungen um einen halben Prozentpunkt würde die Kommunen im Prognosezeitraum ins Defizit drücken. Auch die absehbare Erhöhung des Grundfreibetrages bei der Einkommensteuer gehöre zu diesen Risiken. Im Klartext: Wird die Zahl der Empfänger von Sozialleistungen wachsen, sind diese Leistungen zu kürzen. Der Grundfreibetrag darf nach Meinung des Städtetages nicht erhöht werden.

Die Entwicklung der Kassenkredite (für den Privatmann heißt sowas Dispo) habe sich etwas beruhigt, so der Städtetag, es sei kein steiler Anstieg mehr festzustellen, sie stagnierten gegenwärtig bei 50 Mrd Euro. Das sei verschiedenen Konsolidierungsprogrammen zu verdanken. Ohne sie wäre ein weiterer Anstieg nicht zu vermeiden gewesen. Die Kassenkredite seien indes besonders zinserhöhungsanfällig, stellten somit eine fiskalpolitische Zeitbombe dar. »Steigende Zinsniveaus können in kürzester Frist kommunale Sanierungspläne Makulatur werden lassen.«

Die Sorge bezüglich des Zinsniveaus ist nicht ganz unbegründet, scheint es, wenn man die Zeitungen liest. Erst am 30. Oktober hat die FAZ unter der Überschrift »Die Fed öffnet ein neues geldpolitisches Kapitel« berichtet, dass der Offenmarktausschuss der amerikanischen Notenbank Federal Reserve am Tag vorher beschlossen habe, die Käufe von Staatsanleihen und von mit Hypotheken besicherten Wertpapieren einzustellen. Mit dem Ende der Anleihekäufe rücke die Zinspolitik stärker in den Vordergrund. Zwar wolle die FED angesichts eines zuversichtlichen Konjunkturausblicks an ihrer Zusage festhalten, den faktischen Nullzins für eine beträchtliche Zeit beizubehalten, aber eine Zinserhöhung könne kommen. Wegen der Marktturbulenzen in den vergangenen Wochen habe sich der Termin der Zinserhöhung etwas nach hinten verschoben. Eine erste Erhöhung des Zielwerts von derzeit 0 bis 0,25 Prozent zur oder kurz nach der Jahresmitte 2015 gelte aber vielen Volkswirten als wahrscheinlich. In dem Fall dürften wir sicher sein, liebe Genossinnen und Genossen, dass auch die EZB sogleich bezüglich des Zinsniveaus entsprechende Maßnahmen vorsehen würde. Aber noch ist es nicht so weit. Voraussetzung wäre ein Anspringen der Konjunktur. Das ist nicht in Sicht. Gegenwärtig ist das Geld so billig, weil niemand in reale Produktion investieren will. Das viele Geld, das die Zentralbanken zur Verfügung stellen, schimmelt ungenutzt vor sich hin. Wertvoll und zinsbringend wird es erst, sogar inflationär womöglich, wenn die Menschen wieder konsumieren, was produziert wird. Zuvor muss indes die Krise ihren Zweck erfüllen und Kapital entwerten.

Liebe Genossinnen und Genossen, der Städtetag berichtet in den »Schlaglichtern«, die Gemeinden würden sich auseinanderentwickeln. »Die Frage, ob die Disparitäten zunehmen, stellt sich nicht mehr. Eine zunehmende Verschärfung ist unstrittiger Befund. Als Ursachen der zunehmenden Disparitäten sind die Wirkungsweise der Abwärtsspirale, der stetigen Selbstverstärkung zurückwerfender Effekte in einer Kommune und auch die Verstärkung dieser Teufelskreise durch den Wandel von Investitions- zu Sozialhaushalten identifiziert.«

Der Deutsche Städtetag pocht auf Mitsprache bei der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Gemeinden. Die Befürchtung, dass sich Bund und Länder zu Lasten der Kommunen einigen könnten, ist begründet. »Das Risiko, dass in den Arbeitsgruppen zwischen Bund und Ländern Kompromisse zulasten Dritter, den Kommunen, verabredet werden, liegt auf der Hand.« In der Tat hatte der Städtetag schon in den »Schlaglichtern zum Gemeindefinanzbericht 2012« den Kürzungszwang durch den Fiskalpakt beschrieben: »Durch die innerstaatliche Umsetzung des [Fiskal-]Paktes dürften sich bis zum Jahr 2020 keine grundlegenden Veränderungen für die Kommunen ergeben. Wie bisher ist keine länderindividuelle Zurechnung der kommunalen Defizite geplant. Den einzelnen Ländern wird also weiterhin nicht die Verpflichtung auferlegt, dafür Sorge zu tragen, dass die Summe ihres jeweiligen Defizits und der Defizite der Kommunen im jeweiligen Land zusammen einen bestimmten Schwellenwert unterschreitet. Defizitgrenzen gelten, wenn überhaupt, nur für das einzelne Land ohne Berücksichtigung der Kommunen. Wie schon bei der Diskussion um die Schuldenbremse deutlich wird, entsteht auf diesem Weg ein Anreiz für Länder, ihre Defizite auf die kommunale Ebene zu verlagern und damit den Konsolidierungszwang auf die Kommunen abzuwälzen.«

Angela Merkel war am 24. April 2013 zu Gast beim Städtetag in Frankfurt. Sie bestätigte diese Einschätzung, wählte dabei folgende subtile Formulierung: »Es geht im Kern darum, ob wir es eines Tages schaffen, nur von dem, was wir einnehmen, zu leben. Das ist im Übrigen für Sie sehr viel verpflichtender als für andere staatliche Ebenen.«

Der Parteitag der DKP sagte es so: »Die Kommunen werden in Deutschland die Hauptlast des Fiskalpakts zu tragen haben.« (Antworten der DKP auf die Krise).

Auch in diesem Jahr warnen die »Schlaglichter« des Städtetags vor einem weiteren Schuldenexport in die kommunalen Haushalte. Kurz: Der Fiskalpakt rettet Banken, vermehrt die Vermögen der Reichen und organisiert im Gegenzug Kürzungsprogramme bei allen öffentlichen Haushalten, Austerität und wachsende Armut. Bund und Länder reichen den Druck auf die kommunalen Haushalte weiter. Den letzten beißen die Hunde.

2147,028 Mrd Euro betragen die Schulden aller öffentlichen Haushalte Deutschlands nach den Maastrichtkriterien im Jahr 2013. Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind daran mit 135,118 Mrd. Euro (Kernhaushalte 125,904 Mrd Euro) beteiligt. NRW (Land mitsamt Gemeinden) hat 239,834 Mrd Euro Schulden 2013, je Einwohner 13 669 Euro. Allein das Land 189,671 Mrd Euro, je Einwohner 10 810 Euro. Alle NRW-Gemeinden zusammen 50,163 Mrd Euro, je Einwohner 2 859 Euro.

Aber zudem stellt das Statistische Bundesamt in seiner Veröffentlichung vom August 2014 unter dem Titel »Integrierte Schulden der Gemeinden und Gemeindeverbände« für NRW fest: »Seit Jahren ist bei den Gemeinden und Gemeindeverbänden in Nordrhein-Westfalen eine Auslagerung der öffentlichen Aufgaben zu registrieren. Somit werden in den Kernhaushalten der kommunalen Verwaltung nur noch ein Teil der Finanzen (Auszahlungen bzw. Ausgaben, Einzahlungen bzw. Einnahmen, Kreditaufnahmen und Tilgungen) sowie weitere Finanztransaktionen über ein demokratisch gewähltes und legitimiertes lokales Gremium beschlossen und kontrolliert. Die Auslagerung öffentlicher Aufgaben verhindert zunehmend einen finanziellen Vergleich zwischen den Einheiten der kommunalen Ebene, was insbesondere bei den Vermögenswerten oder bei der Verschuldung einer Gemeinde offensichtlich wird. Bei einzelnen Kommunen stellt zudem der hohe Anteil der Kassenkredite noch ein besonderes Problem dar. Die Darstellung der Schulden auf der kommunalen Ebene in der hier verwendeten Abgrenzung zeigt eine sehr heterogene und keinesfalls richtungsweisende Erklärung der finanziellen Belastung der kreisfreien Städte beziehungsweise kreisangehörigen Gemeinden. Die hier nur in grober Übersicht dargestellten Ergebnisse lassen deshalb auch nur ansatzweise vermuten, wie das Geflecht der finanziellen Beziehungen der Kommunen und ihrer Verbände mit öffentlichen und privaten Unternehmen und deren Verschuldung aussehen könnte.«

Offenkundig sieht sich das Statistische Bundesamt nicht in der Lage, hinreichend genaue Auskunft über die Verschuldung von Städten und Gemeinden zu geben. Die Lage wird aber nicht nur durch die genannten Auslagerungen aus den Kernhaushalten unübersichtlich.

An jedem Tag müssen bei einem historisch niedrigen Niveau etwa 170 Mio Euro allein an Zinsen aufgebracht werden. Meiner Rechnung nach sind das 62 Milliarden Euro im Jahr – bei einem Gesamtetat aller öffentlichen Haushalte von 1.164 Mrd Euro im Jahre 2011.

Das ist selbstverständlich ein Geschäft für die kreditgebenden Banken, das nur funktioniert, wenn die Kredite brav bedient werden. Die öffentlichen Haushalte sollen ein Maximum an Krediten beanspruchen. Das ist politisch gewollt. Aber sie sollen das Übermaß vermeiden, das die Rückzahlung gefährden würde.

Diese Fixierung auf Kreditfinanzierung spiegelt sich in einer absurden Formulierung eines Beschlusses des Deutschen Städtetags vom 14. November 2012: Unter der Überschrift »Zukunft der Kommunalfinanzierung« heißt es da: »Der Hauptausschuss des Deutschen Städtetages stellt fest, dass deutsche Kommunen solvente Schuldner mit höchster Bonität sind. Er geht davon aus, dass der Kommunalkredit auch in Zukunft als Hauptinstrument zur Finanzierung kommunaler Aufgaben zur Verfügung steht.«

Dabei stehen den Städten und Gemeinden die Schulden Oberkante Unterlippe. Das aber soll so bleiben.

Allerdings hat der Landtag von NRW angesichts drohender Zahlungsunfähigkeit einer großen Zahl von Städten und Gemeinden in NRW am 9. Dezember 2011 das »Gesetz zur Unterstützung der kommunalen Haushaltskonsolidierung im Rahmen des Stärkungspakts Stadtfinanzen«, kurz: das Stärkungspaktgesetz, beschlossen. Damit werde den Kommunen aus der Finanzmisere herausgeholfen, behauptet die Landesregierung.

Zuvor war im Mai 2011 in der Gemeindeordnung NRW mittels Änderung des § 76 die Frist zum Haushaltsausgleich von drei auf zehn Jahre gestreckt worden. Allein das hatte schon die Folge, dass von den 175 Kommunen in der Haushaltssicherung 146 das Nothaushaltsrecht verlassen konnten.

Der Stärkungspakt verspricht im Zeitraum 2011 bis 2020 sogenannte Konsolidierungshilfen. Innenminister Ralf Jäger: »Das Land greift überschuldeten Städten und Gemeinden mit Finanzspritzen unter die Arme. Sie sollen handlungsfähig bleiben und ihre Haushalte konsolidieren können. Hierfür sollen bis zum Jahr 2020 insgesamt 5,85 Milliarden Euro aufgebracht werden. Im Gegenzug müssen die Städte und Gemeinden einen klaren Sparkurs einschlagen und ihre überschuldeten Haushalte sanieren.«

Demonstrant mit Plakat, eine Karikatur: »Deutsche Teilung«, Reicher hebt den Esstisch so, dass alle Speisen zu ihm rollen, der Arme kann vielleicht gerade noch seinen Teller festhalten.Also rigorose Sparauflagen. »Der sogenannte Stärkungspakt müsste Kürzungspakt heißen.« (DKP Essen). Ein Beispiel. Die DKP Bottrop hat erfolgreich ein Bürgerbegehren initiiert, nachdem der Rat der Stadt im Rahmen des »Stärkungspakts Stadtfinanzen« die Streichung aller städtischen Gelder für die Personal- und Betriebskosten des Stenkhoffbades ausgesprochen hatte. 15 000 Unterschriften wurden für die Erhaltung gesammelt, noch einmal 10 000 unter dem Bürgerbegehren, das schließlich erfolgreich war. Zu vermuten ist indes, dass jetzt an einer anderen Stelle gekürzt wird.

Das Stärkungspaktgesetz unterscheidet zwischen der pflichtigen Teilnahme (§ 3) und der freiwilligen Teilnahme (§ 4). Nach letzterer stellt das Land ab dem Jahr 2012 Mittel als Konsolidierungshilfe für Gemeinden zur Verfügung, »deren Haushaltsdaten des Jahres 2010 den Eintritt der Überschuldung in den Jahren 2014 bis 2016 erwarten lassen.« Solingen gehört zu den 27 Städten, die freiwillig teilnehmen, Nideggen zu den 34 Teilnahmepflichtigen. Insgesamt sind es in 61 Städte und Gemeinden, die unter das Stärkungspaktgesetz fallen. Der Rat des Eifelstädtchens Nideggen sah sich im vergangenen Jahr aber nicht in der Lage, einen Haushaltssanierungsplan vorzulegen. Es wohnen im Ort 10 000 Menschen. Ihre Gemeinde hat 25 Millionen Euro Schulden. Nideggen erhält aus dem Stärkungspakt 750 000 Euro pro Jahr vom Land, war aber säumig bei den Kürzungsmaßnahmen. Der Stadtrat konnte keinen genehmigungsfähigen Etat vorlegen. Folge: Innenminister Jäger schickte einen Sparkommissar. Das ging dann so:

70 Bürger, davon nicht wenige Ratsmitglieder, stehen am 22. Mai 2013 im Rathaus herum und harren der Dinge. Der Sparkommissar erscheint. Ralph Ballast ist sein Name. Er ist jetzt identisch mit dem Stadtrat. Er sagt: »Der Beauftragte ist anwesend. Die Sitzung ist also beschlussfähig« und beschließt: Der Gewerbesteuer-Hebesatz steigt von 420 auf 450 Prozent, die Grundsteuer A von 300 auf 500 Prozent und die Grundsteuer B von 450 auf 600 Prozent. Sein Sanierungskonzept sieht weitere mittelfristige Planungen vor. Demnach steigt der Grundstücks-Steuersatz bis 2021 auf satte 990 Prozent. »Als Beauftragter stimme ich dem Beschlussvorschlag zu«, sagt Ballast. Einer der Zuhörer bezweifelt, dass er sich sein Haus noch wird leisten können.

Der Stärkungspakt ist also vor allem das Mittel, durch das Gemeinden veranlasst und in die Lage versetzt werden, ihre Schulden zu bedienen. Zu diesem Zweck sind die Fristen gestreckt worden. Die Methode gleicht nicht zufällig der des Fiskalpakts.

Liebe Genossinnen und Genossen, im Juli 2014 hatten die 18 Euro-Länder Schulden von 9.055.513.000 Euro, das sind 93,9% des BIP. Drei Monate vorher waren es noch 92,6%, 150 Milliarden Euro weniger.

Weder schafft es die Bundesregierung noch will sie Schulden abbauen oder auch nur im Rahmen der EU dafür sorgen, dass andere Länder davon runter kommen. Tatsächlich handelt es sich bei diesen riesigen Kreditmengen um nichts anderes als um eine riesige Umverteilungsmaschinerie von Arm zu Reich, bei der es vor allem darum geht, dass die Schulden bedient werden und die Gläubigerbanken und andere Finanzinstitute sich darauf verlassen können. Deswegen heißt es im Koalitionsvertrag ganz ungeschminkt und brutal:

»Die von der letzten Großen Koalition verabschiedete Schuldenregel im Grundgesetz ist strikt einzuhalten. [...] Die gesamtstaatlichen Verpflichtungen aus dem Europäischen Fiskalpakt sind einzuhalten. Die Stabilitätskriterien für Defizit- und Schuldenquote nach dem verschärften europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt sind einzuhalten. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt verlangt eine konsequente Rückführung der gesamtstaatlichen Schuldenstandsquote auf unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Wir wollen die Quote innerhalb von zehn Jahren von 81 Prozent (Ende 2012) auf weniger als 60 Prozent zurückführen. Bis Ende 2017 streben wir eine Absenkung der Quote auf unter 70 Prozent des BIP an.«

Womöglich hat ist die Absicht, die Schuldenquote abzusenken, ernst gemeint. Für den Fall steigender Zinsen könnte man damit der Schuldenfalle entgehen. Aber für den ebenfalls absehbaren Fall, dass diese Absenkung nicht gelingt, wird der staunenden Öffentlichkeit schon im Vorfeld ein anderes, ein günstigeres Bild verkauft. Es beruht aber nicht auf verbesserten Tatsachen, sondern auf einer neuen Berechnungsgrundlage des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Sie gilt seit dem 1. September. Der größte Posten betrifft die Berücksichtigung von Forschungs- und Entwicklungsausgaben. Sie belaufen sich in Deutschland auf 3 Prozent des BIP. Aber es soll auch die Prostitution eingerechnet werden. Hier wird eine »Bruttowertschöpfung« von 7,3 Milliarden Euro geschätzt. Das entspricht knapp einem Drittel Prozent des BIP in Deutschland. Außerdem wird künftig der Drogen- und Zigarettenschmuggel als Wirtschaftsleistung berücksichtigt. Die »Wertschöpfung« des Drogenhandels wird mit 2,738 Billionen Euro berechnet, ein Zehntel-Prozent des BIP. Die Neuerungen vermehren das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) – und vermindern umgekehrt die Schuldenquoten der EU-Länder. Wie verzweifelt muss die Lage sein, wenn die Herrschenden sie mit solchen Mitteln zu verharmlosen suchen!

Tatsächlich war einem Artikel in der FAZ am 22. Oktober zu entnehmen, dass die Schuldenquote der Euroländer nur noch 90,9 Prozent betrage. Immerhin vermied die FAZ den Vergleich mit der drei Monate vorher genannten Quote von 93,9%, bezog sich stattdessen auf das neue Berechnungssystem, ohne dessen Zweck zu nennen. Wie auch immer, gegenwärtig wachsen die Schulden stetig und der Zustand der Überakkumulation dauert an.

Ihr werdet Euch erinnern, dass im Oktober 2008 systemrelevanten Banken die Pleite drohte. Angela Merkel befürchtete, dass die Weltwirtschaft in den Abgrund gerissen werde. Grund war, dass Bankkredite, die einige Jahre den Konsum hatten ankurbeln können, notleidend wurden und Banken krachten.

Merkel trat vor die Presse und versprach, dass die Einlagen der Sparerinnen und Sparer sicher seien. Wörtlich: »Ich möchte gerne unterstreichen, dass wir in der Tat in der gemeinsamen Verantwortung, die wir in der Bundesregierung fühlen, dafür Sorge tragen wollen, dass die Sparerinnen und Sparer in Deutschland nicht befürchten müssen, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren.« Selbstverständlich weniger um die Sparerinnen und Sparer als um die Banken. Die Leute sollten schlicht von einem »Bank Run« abgehalten werden, also davon, ihr Geld massenhaft abzuheben, was jede Bank in den sofortigen Ruin, den Bankrott, treiben würde, weil sie nur einen geringen Prozentsatz der Einlagen mit eigenem Kapital absichern müssen.

Demonstrant mit umgehängtem Transparent: »umfairteilen – Reichtum besteuern«.In der Folge dieses Versprechens wurden Bankenschulden vom Staat übernommen. Nach Beratung mit den wichtigsten und reichsten Bankiers des Landes nickten in aller Eile Bundestag und Bundesrat ein 480-Milliarden-Programm ab. Dieses Programm erhielt den schönen Namen Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Drei Tage später wurde es durch eine Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung ergänzt. Mit dieser Verordnung erblickte die Finanzmarktstabilisierungsanstalt (FMSA) das Licht der Welt. Sie hat den Sonderfonds für Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) zu verwalten. Es sind bis Ende 2010 – solange hatte Soffin diese Aufgabe – insgesamt 192,6 Mrd. Euro fällig geworden, allein 142 Mrd. Euro für die Hypo Real Estate (HRE).

Mit dem 1. Januar 2011 wurden die Aufgaben der FMSA erweitert. Der Soffin bekam ebenfalls weitere Aufgaben und Instrumente. Jetzt können Schrott-Wertpapiere in Bad Banks unter dem Dach der FMSA ausgelagert werden. Die FMSA wird zwar kontrolliert durch ein Gremium von neun Bundestagsabgeordneten. Diese haben jedoch ihre Tätigkeit geheim zu halten.

Mit diesen Maßnahmen, genannt wurden sie »Rettungsschirme für die Banken«, ist dafür gesorgt worden, dass das Bankensystem weitermachen kann. Die Spekulation legte den nächsten Gang ein. In der Folge schwoll die Staatsverschuldung von 60% auf über 80% an. Am 29. Mai 2009 änderte der Bundestag den Artikel 109 GG, in dem die oben erwähnte Schuldenbremse definiert wird. Sie gilt seit Januar 2011 und verpflichtet Bund und Länder, ihre Schulden zu mindern und planmäßig zurück zu zahlen.

Genossinnen und Genossen, die nächste Krisenrunde wurde im Mai 2010, eingeläutet. Sie fing mit Griechenland an, das gegen große soziale Opfer eine Kreditgarantie von 110 Milliarden Euro von den Euro-Staaten und dem IWF zugebilligt bekam. Allerdings stiegen schon kurz nach diesem Notfallplan die Zinsen für die wirtschaftlich schwächeren Länder wieder stark an, so dass neue Maßnahmen erforderlich waren.

Der europäische Rettungsschirm musste auf 750 Mrd Euro erhöht werden. Selbstverständlich rutschte nicht nur die griechische Wirtschaft durch diese Maßnahmen in den Keller. Die Schulden sanken nicht, sie stiegen. Im Griechenland betrugen sie im Jahr 2013 175% des BIP gegenüber 105% im Jahr 2007. Italien 133% (104), Portugal 129% (68), Irland 124% (25), Spanien 94% (36).

Am 21. Juli 2011 wurde der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) vereinbart und im Laufe des Jahres 2012 von den Parlamenten ratifiziert. Mitglieder des ESM sind die EU-Staaten, vertreten im Gouverneursrat, der ein Direktorium ernennt. Alle Handlungen im Namen des ESM sind vor Strafverfolgung geschützt, sie sind geheim, unterliegen keinerlei Kontrolle, die ESM-Funktionäre sind immun, können also juristisch nicht zur Verantwortung gezogen werden. Durch die Zusammenlegung der Mittel des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSF) von 2010 und ESM ergab sich ein Rettungsschirm von insgesamt 700 Milliarden Euro.

Wettbewerbskommissar Almunia stellte im Februar 2012 fest, dass allein von 2008 bis 2010 die 27 EU-Staaten mehr als 1 600 Milliarden Euro bzw. 13 Prozent ihrer gesamten Wirtschaftsleistung für die Rettung von Banken ausgegeben hatten.

Am 6. September 2012 beschloss der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) die Modalitäten von Outright Monetary Transactions (OMT). Der Zweck: mittels OMT stehen unbegrenzt Gelder zur Verfügung, um Staatsanleihen überschuldeter Staaten anzukaufen. Wieder einmal werden Banken vor dem Bankrott bewahrt, Banken, die als »systemrelevant« bezeichnet wurden. So wurde auch dem breiten Publikum bekannt, dass wir es mit einem System zu tun haben, nämlich dem kapitalistischen System, ein Begriff, der in unseren Medien sonst gerne vermieden wird.

Um den Glauben an die Stabilität des Finanzsystems zu festigen, unterzog vor einigen Wochen die Europäische Zentralbank (EZB) die Banken einem Stresstest. Ergebnis: Die europäischen Banken seien krisenfest.

Tatsächlich aber ist es anders. Es schlummern gewaltige Risiken im Testbericht. Rainer Rupp hat sich den angesehen und kommt (am 1. November 2014 in der jW) auf die Summe von 879 Milliarden uneinbringlicher Kredite, das sind etwa 9% des BIP der gesamten Eurozone. Er vermutet auch, dass angesichts der EZB-Kompromisse bei der Bewertung ausstehender Bankschulden die tatsächliche Summe noch höher liege. Der Bankensektor sei faktisch pleite. Aus diesem Grund wolle die EZB die Branche unbedingt mit einer weiteren Billion Euro, also 1000 Milliarden Euro, überfluten, um den Zusammenbruch weiter hinausschieben zu können.

Draghi, Chef der EZB und ehemaliger Goldman-Sachs-Manager, versprach schon Anfang April dieses 1-Billion-Programm, - zumal sich auch die FED, die US-amerikanische Zentralbank, nicht lumpen lassen will. Sie erwog, dieselbe Summe in Dollar aufzulegen.

Und in der Tat hat am vergangenen Donnerstag (6. November) der EZB-Rat dieses 1-Billion-Versprechen erneuert.

Mit der Geldschwemme werden die Zinsen niedrig gehalten. Die amerikanischen und europäischen Zentralbankiers drucken dieses Geld angeblich zu dem Zweck, die Konjunktur wieder ans Laufen zu bringen. Aber das Geld wird gar nicht in die Produktion investiert, weil sich mit der Herstellung von Waren kaum noch etwas verdienen lässt. Im Gegenteil: die Wirtschaftsaussichten trüben sich gegenwärtig ein, eine Rezession droht. Bei Ford-Köln wurde an 11 Tagen im Oktober kurzgearbeitet. Dem Sprinter-Werk von Daimler in Düsseldorf drohen 1800 Entlassungen. Wegen Umsatzschwundes bei Spezialgummis für die Autoindustrie hat Lanxess angekündigt, 1000 Mitarbeiter freizusetzen. Bei Karstadt droht eine Entlassungswelle.

Mitte Oktober meldete die Presse, dass auf Drängen der Bundesländer NRW und Bremen das Bundesarbeitsministerium derzeit eine Verordnung vorbereite, wonach das Kurzarbeitergeld auch im kommenden Jahr von sechs auf zwölf Monate verlängert werde. Und NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider sprach sich gar dafür aus, in Einzelfällen bis zu 18 Monate Kurzarbeitergeld zu zahlen.

Die Hypertrophie des Finanzsektors verhindert den Wiederaufschwung, der einer kapitalistischen Krise üblicherweise folgt. Angesichts der Überakkumulation und der aufgeblähten Massen von Geldkapital, die verzweifelt und vergeblich nach Anlagemöglichkeiten suchen, ist zunächst die Vernichtung von Kapital fällig. Gegenwärtig verschwindet es noch in den Blasen des Finanzmarkts. Die indes werden irgendwann aus geringfügigem und zufälligem Anlass platzen – ein Szenario, für das Bundeskanzlerin Merkel vor sechs Jahren das Wort vom Abgrund wählte.

Diskutierende, über ihnen Tranparent: »Schuldenschnitt statt Schuldenbremse! DKP«.Die Alternative zu solcherart spontanen wirtschaftlichen Zusammenbrüchen sind große Kriege oder organisierte Kapitalvernichtung in Gestalt von Schuldenschnitten. Derartige Schuldenschnitte wären geeignet, den drohenden wirtschaftlichen Zusammenbrüchen oder Kriegen vorzubeugen. Es gibt aber keine gesellschaftliche Instanz unter den Bedingungen imperialistischer Konkurrenz, die Schuldenschnitte vereinbaren und mit friedlichen Mitteln durchsetzen könnte. Aus diesem Grund ist unter den gegenwärtigen Machtverhältnissen diese Lösung die am wenigsten wahrscheinliche, solange sie nicht von einer Massenbewegung, am besten mit sozialistischen Vorzeichen, getragen wird.

Das jüngste Beispiel der argentinischen Schuldenkrise zeigt, dass und wie derartige Lösungen verhindert werden. Die argentinische Staatsverschuldung begann mit Übernahme der Macht durch das Militär im März 1976. Im Mai 2003 waren sie auf astronomischer Höhe und völlig unbedienbar geworden. Néstor Kirchner vereinbarte angesichts dessen einen Schuldenschnitt von durchschnittlich 50%. Der größte Teil der Gläubiger nahm im Februar 2005 das Angebot an. Aber nicht alle. Der Hedgefonds NML Capital von Paul Singer erwarb einen Teil der nicht umgeschuldeten Anleihen, beschränkte sich dabei, das versteht sich, auf die Bonds, die auf US-Dollar lauteten und nach US-amerikanischem Recht, mit Gerichtsstand in den USA, ausgegeben worden waren. Bezahlt hat er dafür 48 Mio US-Dollar. Der greise New Yorker Bezirksrichter Thomas Griesa verurteilte Argentinien am 22. November 2012 zu einer Zahlung von 1,33 Milliarden US-Dollar an den Hedgefonds. Ende Juni 2014 verbot er Argentinien, andere Schulden zu bedienen, solange der Hedgefonds nicht ausbezahlt werde. Der oberste Gerichtshof der USA hat das Urteil mittlerweile bestätigt. Griesa wies die zuständige New York Mellon Bank an, das Geld an Argentinien zurück zu überweisen.

Das argentinische BIP erreicht knapp 500 Mrd Dollar im Jahr. Die Staatsverschuldung beträgt etwa die Hälfte dieser Summe. Sollte Argentinien dem Urteil Folge leisten, käme es wieder zur Staatspleite. Im übrigen umfassen die Bonds, die Singer ausbezahlt haben will, nur 15% der nicht umgeschuldeten Anleihen. Im Falle der Befriedigung von Singer würden folglich weitere Zahlungen an andere Umschuldungsverweigerer fällig und zwar in Höhe von 20 Mrd Dollar. Sollten die schon abgefundenen Gläubiger infolge dieser Vorgänge klagen, wären mehr als 120 Mrd Dollar fällig.

Staatspleiten sind schon länger Thema. Der seinerzeitige Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, schlug vor dem Hintergrund der mexikanischen Staatsverschuldung einen Schuldenerlass für Dritt-Welt-Länder vor. Das war vor 25 Jahren. Der Schuldenerlass hätte US-amerikanische Finanzinstitute hart getroffen, die Deutsche Bank indessen weniger. Herrhausen fiel bekanntlich am 30. November 1989 einem Attentat zum Opfer. Hilmar (»Peanuts«-) Kopper vermied es, die schöne Idee seines Vorgängers aufzugreifen.

Der Fall Argentiniens macht deutlich, wie groß die Bedeutung der Forderung nach Schuldenschnitten ist.

Die Finanzwelt scheint vor dem Ende der Niedrigzinspolitik zu zittern. Es wird immer wieder angekündigt, weil höhere Zinsen einige Risiken mindern könnten. Denn der Preis des Geldes ist ein wirtschaftliches Regulativ. Er sorgt gemeinhin dafür, dass es sich bei den produktivsten Projekten einer Volkswirtschaft sammelt. Die Verwerfungen spürt nicht nur die Versicherungswirtschaft, die über die Umverteilung mit dem Argument jammert, dass den Leuten die Ersparnisse genommen werden. In der Tat aber können die Schuldner dieser Welt an hohen Zinsen nicht interessiert sein. Das betrifft nicht nur Länder in Europa wie Spanien, Italien, Griechenland und Portugal.

Hohe Zinsen würden ebenso die hochverschuldeten Städte und Gemeinden treffen. Denen helfen keine Schuldenbremsen auf die Beine, sondern zunächst nur Schuldenschnitte. Die bürgerliche Kommunalpolitik mit ihrer Absurdität des Kommunalkredits bietet keine andere Perspektive als die Schuldenfalle oder ihre knappe Vermeidung. Den verschuldeten Kommunen stehen wenige Gläubiger mit ihrem riesigen und stetig wachsenden Reichtum gegenüber. Den Schuldentälern entsprechen Vermögensberge. Wirtschaftliche Vernunft gebietet ohnehin, sie mittels Steuern einzuebnen.

Aber am Anfang steht der Widerstand gegen die Kürzungen und die finanzielle Ausblutung der Gemeinden. Die Richtung der gegenwärtigen Umverteilung von Arm zu Reich ist umzukehren. Allemal gehört die Frage nach Demokratie und gesellschaftlichem Eigentum auf die Tagesordnung.

Text und Fotos: Klaus Stein
17. November 2014