Politik
Massenüberwachung und Grundrechtsabbau
Massenüberwachung und
Grundrechtsabbau
Wir gewöhnen uns nicht daran, obwohl die Grundrechtsverletzungen lange Tradition in der kurzen Geschichte der Bundesrepublik haben. Noch auf den letzten Metern schlägt die Große Koalition zu.
Bis 1968 lautete der einschlägige Artikel 10 des Grundgesetzes: «Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden.»
Am 30. Mai 1968 wurde der Artikel 10 GG im Zuge der Notstandsgesetze mit den Stimmen von SPD und CDU ergänzt. Das hätte damals mehr auffallen können, denn diese Änderung ist kein Notstandsgesetz.
Die neue Fassung ergänzt: «Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, dass sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und dass an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.»
Prompt beschließt der damalige Bundestag am 13. August 1968 das G-10-Gesetz. Es beauftragt die Geheimdienste, zur Abwehr von drohenden Gefahren Briefe und Pakete zu öffnen sowie die Telekommunikation zu überwachen. Diese Abwehr schließt Maßnahmen zur Sicherheit der NATO-Truppen ein. Die Postdienste werden zur Mitarbeit verpflichtet Der Öffentlichkeit wird seinerzeit weisgemacht, dass mit der Änderung des Artikels 10 GG die Vorbehaltsrechte der Alliierten abgelöst seien. Tatsächlich aber gelten die gleichen Rechte über den Zusatzvertrag zum NATO-Truppenstatut seit 1963 völkerrechtlich verbindlich bis heute. Das G-10-Gesetz wurde mit den Alliierten Wort für Wort abgestimmt und wird es immer noch bei jeder fälligen Novellierung. Das letzte Mal 2006. Das jedenfalls schreibt der Historiker Josef Foschepoth in seinem Buch «Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik», Göttingen 2012.
Anlässlich der Überwachungs- und Abhörskandale im Jahr 2013 hatte ich darüber im August 2013 im Bezirksvorstand referiert. Der Artikel findet sich noch auf der Website des Bezirks. Stichwort: Schwerpunkt Demokratiefragen.
Löschzentren
Am vergangenen Mittwoch, den 9. August 2017, meldete der WDR, dass Facebook in Essen ein Löschzentrum eröffne. Es ist deutschlandweit das zweite. In Essen werden 500 Mitarbeiter eingestellt, um Facebook-Inhalte zu prüfen und strafbare und beleidigende Einträge zu entfernen. Das neue Zentrum in Essen wird von der Firma Competence Call Center (CCC) betrieben. Das ist eine Filiale von Arvato und gehört zum Bertelsmann-Konzern. In Berlin wird die Zahl der Mitarbeiter, die für Facebook im Löscheinsatz sind, auf 700 erhöht. Weltweit will Facebook die Zahl von 4.500 auf 7.500 ausbauen. Diese Maßnahmen sind eine Folge des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, das der Bundestag gegen die Stimmen der Linkspartei und bei Enthaltung der Grünen am 30. Juni beschlossen hat.
Es verpflichtet Internetplattformen, strafbare Hassreden schneller zu löschen. In klaren Fällen innerhalb 24 Stunden. In der Begründung des Gesetzes wird mit Hinweis auf die massive Veränderung des gesellschaftlichen Diskurses im Netz und insbesondere in den sozialen Netzwerken die Debattenkultur im Netz als oft aggressiv, verletzend und nicht selten hasserfüllt charakterisiert, was das friedliche Zusammenleben einer freien, offenen und demokratischen Gesellschaft gefährde. «Nach den Erfahrungen im US-Wahlkampf hat überdies auch in der Bundesrepublik Deutschland die Bekämpfung von strafbaren Falschnachrichten (‹Fake News›) in sozialen Netzwerken hohe Priorität gewonnen. Es bedarf daher einer Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, um objektiv strafbare Inhalte wie etwa Volksverhetzung, Beleidigung, Verleumdung oder Störung des öffentlichen Friedens durch Vortäuschen von Straftaten unverzüglich zu entfernen.»
Zwar hätten die Selbstverpflichtungen der Unternehmen zu ersten Verbesserungen geführt. Diese reichten aber noch nicht aus. Noch immer würden zu wenige strafbare Inhalte gelöscht. Mittlerwürde lösche YouTube in 90 Prozent der Fälle strafbare Inhalte. Facebook hingegen lösche nur in 39 Prozent der Fälle, Twitter in 1 Prozent der Fälle.
Das Gesetz sieht nun eine gesetzliche Berichtspflicht für soziale Netzwerke über den Umgang mit Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten vor, ein wirksames Beschwerdemanagement sowie die Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten. Verstöße gegen diese Pflichten können mit Bußgeldern bis zu fünf Millionen Euro gegen das Unternehmen und die Aufsichtspflichtigen geahndet werden.
Hauptargument von Petra Sitte, die für die Linkspartei das Gesetz kritisierte, war, dass juristische Entscheidungen privatisiert würden. Die Grünen monierten, dass eine allgemeine Beschwerdestelle bzw. Clearingstelle für eine Wiedereinstellung rechtswidrig gelöschter Inhalte fehle. Deswegen läge aus ihrer Sicht ein Eingriff in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit vor. Am 28. Juni erhielt Markus Beckedahl, Sprecher der Initiative Netzpolitik, in der Süddeutschen Zeitung Gelegenheit zu einem Kommentar: Das Gesetz verbessere nicht die Rechtsdurchsetzung durch Gerichte, sagte er, sondern es privatisiere die Rechtsauslegung. Das Gesetz fokussiere auf das Löschen durch private Akteure. Es übertrage also denjenigen, die in ihrer Macht eigentlich beschränkt werden sollen, eine zentrale rechtsstaatliche Verantwortung. Nicht einmal ein Widerspruchsrecht für gelöschte Inhalte sei geplant.
Vorratsdatenspeicherung
Es ist eine Weile her, dass Telefonanrufe je nach Dauer und Entfernung unterschiedlich Geld kosteten. Ortsgespräche waren nicht limitiert, sie kosteten zuhause 23 Pfennig, in der Telefonzelle zwei Groschen. Es gab noch keine Flatrate und die Abrechnung war nicht immer nachvollziehbar. Für den Fall von Einsprüchen gab es die Liste der Anrufe. Das hat sich geändert. Der Journalist Horst Bieber hatte schon im November 1980 Veranlassung, in der ZEIT folgendes zu schreiben:
«Wer mit wem wann telephoniert hat, geht niemanden etwas an, auch wenn im Einzelfall zum Beispiel die Justiz anderer Meinung sein mag. Nichtwissen der Obrigkeit ist ein konstitutiver Bestandteil individueller Freiheit – auch Minister Gscheidle sollte das endlich einsehen. Die Aktivitäten seines Hauses werden, so wünschen es mehrere Abgeordnete, bald im Bundestag behandelt. Das ist längst überfällig.»
Anlass war ein neues elektronisches Wählsystem, durch das in einem halben Dutzend Großstädten rund 60 000 Telephonbesitzer unfreiwillig sensible Informationen lieferten. Ein postalischer Zentralcomputer in Neuss zeichne die angerufene Nummer bei Auslandsgesprächen und bei Inlandsgesprächen auf, wenn 15 Zeiteinheiten überschritten werden, ferner jeweils Datum und Uhrzeit. Die Begründung: Bei Rechnungsreklamationen (die weniger als 0,5 Prozent erreichen) wolle die Post per Computerausdruck die korrekte Abrechnung nachweisen. Diese Daten würden nach 106 Tagen gelöscht, weil dann alle möglichen Einspruchsfristen verstrichen seien. Die Post versichere, dass nicht beabsichtigt sei, die Ausdrucke über längere Zeit zu sammeln, anders gesagt, einen Vorrat an Daten anzulegen. Solche Vorratsdatensammlung empfand Horst Bieber als Skandal.
Heute bezieht sich die rechtspolitische Debatte unter dem Stichwort Vorratsdatenspeicherung auf die Speicherung personenbezogener Daten, in der Regel Telekommunikations-Verbindungsdaten, durch oder für öffentliche Stellen, ohne dass die Daten aktuell benötigt werden. Anbieter von Telekommunikationsdiensten werden zur Registrierung der Verbindungsdaten elektronischer Kommunikationsvorgänge verpflichtet, ohne dass ein Anfangsverdacht oder eine konkrete Gefahr besteht. Die Telekommunikationsüberwachung soll schwere Straftaten verhüten bzw. ihre Verfolgung erleichtern.
Nun hat diese Form der Überwachung schon eine Geschichte. Eine EU-Richtlinie verpflichtete im Jahr 2006 alle EU-Mitgliedsstaaten, Telekommunikationsdaten zu speichern. Das deutsche Gesetz trat 2008 in Kraft, wurde aber vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 2. März 2010 wegen Verfassungswidrigkeit für nichtig erklärt. Die Regelung zur Vorratsdatenspeicherung verstoße gegen Art. 10 Abs. 1 Grundgesetz. 35.000 Menschen hatten – auf Initiative unter anderem von Rolf Gössner – dagegen geklagt.
Am 8. April 2014 erklärte der Europäische Gerichtshof die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig. Sie sei mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar. In Deutschland ist die Vorratsdatenspeicherung für sieben Tage erlaubt. Die Anbieter von Internetdiensten dürfen die IP-Adressen ihrer Kunden für interne Zwecke bis zu sieben Tage lang speichern, da die Speicherung nicht zur Strafverfolgung diene. So hat der Bundesgerichtshof am 3. Juli 2014 entschieden.
Es folgte der nächste Versuch mit Verweis auf die Anschläge von Paris im November 2015. Ein neues Gesetz wurde verabschiedet, schon am 18. Dezember 2015 trat es in Kraft. Hiernach sind die wieder eingeführten Speicherpflichten ab 1. Juli 2017 zu erfüllen. Von vielerlei Seiten wurden Verfassungsbeschwerden gegen dieses Gesetz erhoben. Unterdessen bekräftigte am 21. Dezember 2016 der Europäische Gerichtshof, dass anlasslose Vorratsdatenspeicherung illegal ist. Und das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen beschloss am 22. Juni 2017, dass dieses Gesetz gegen EU-Recht verstößt. Damit sei die Vorratsdatenspeicherung «faktisch ausgesetzt» und seit dem 1. Juli könne zwar gespeichert werden, aber bis zu einer abschließenden gerichtlichen Klärung müsse es nicht. Auf dieses Urteil bezog sich eine Protestaktion «Stoppt die Vorratsdatenspeicherung!» am 29. Juli in Berlin. Sie appellierte an alle Telefon-, Mobilfunk- und Internetanbieter, Klage einzureichen und das Überwachungsmonster Vorratsdatenspeicherung nicht umzusetzen.
Überhaupt gab es zwar eine Reihe von erfolgreichen Bewegungen gegen den Demokratieabbau in den vergangenen Jahren. Der Große Lauschangriff wurde vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt, die präventive Telekommunikationsüberwachung, der Fluggast-Datentransfer an US Sicherheitsbehörden, die Befugnis im Luftsicherheitsgesetz zum präventiven Abschuss eines entführten Passagierflugzeugs, exzessive Rasterfahndungen nach «islamistischen Schläfern», präventive Terrorabwehrbefugnisse des BKA und sogar die heimliche Online-Durchsuchung von PCs mit Staatstrojanern.
Staatstrojaner
Aber unsere Staatsschützer geben keine Ruhe. Zum Staatstrojaner haben sich SPD und CDU/CSU was einfallen lassen. Sie versteckten ihn am 19. Juni in einem Änderungsantrag zum Gesetz über das Fahrverbot als Nebenstrafe. So konnten sie auch den Bundesrat umgehen. Im Änderungsantrag, Titel «Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens» (Drucksache 18/11277) heißt es:
§ 100a wird wie folgt geändert:
a) Dem Absatz 1 Satz 1 werden folgende Sätze angefügt: «Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation darf auch in der Weise erfolgen, dass mit technischen Mitteln in von dem Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn dies notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung insbesondere in unverschlüsselter Form zu ermöglichen.
Auf dem informationstechnischen System des Betroffenen gespeicherte Inhalte und Umstände der Kommunikation dürfen überwacht und aufgezeichnet werden, wenn sie auch während des laufenden Übertragungsvorgangs im öffentlichen Telekommunikationsnetz in verschlüsselter Form hätten überwacht und aufgezeichnet werden können.»
Die Initiative Netzpolitik sagt dazu:
«Das BKA darf schon seit 2009 Staatstrojaner zur Prävention von internationalem Terrorismus einsetzen. Jetzt soll das staatliche Hacken zum Standardinstrument werden und alltäglich passieren. Das Bundesverfassungsgericht hat Staatstrojaner nur erlaubt, ‹wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen›. Die Ausweitung auf Alltagskriminalität verfehlt das deutlich. Das oberste Gericht hat extra ein neues Grundrecht erschaffen. Demnach muss der Staat Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen gewährleisten. Das Gesetz tut das Gegenteil. Moderne Geräte wie Smartphones erlauben einen umfassenden Einblick in persönliche Lebensumstände, noch intimer als Abhören im Schlafzimmer. Die Grundrechtseingriffe sind also intensiver als der Große Lauschangriff. Um Geräte hacken zu können, müssen staatliche Stellen Schwachstellen ausnutzen. Dafür müssen sie Sicherheitslücken kennen, die Hersteller der Produkte noch nicht geschlossen haben. Der Staat lässt also sämtliche IT-Geräte unsicher, damit ein paar Kriminelle ausgeforscht werden können.» Soweit die Initiative Netzpolitik.
Die Seite des Bundestags erläuterte das neue Gesetz wie folgt: «Mit der Einsatzerlaubnis für Spionagesoftware soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Verbrecher zunehmend über verschlüsselte Messenger-Dienste miteinander kommunizieren. Bei der Quellen-TKÜ werden Nachrichten schon im Rechner des Absenders abgefangen, bevor sie verschlüsselt werden. Die Online-Durchsuchung erlaubt es, unbemerkt aus der Ferne den Computer eines Verdächtigen nach Hinweisen auf Straftaten zu untersuchen. Für die Zulassung gelten nach dem neuen Gesetz vergleichbar strenge Voraussetzungen wie für die schon jetzt unter Richtervorbehalt erlaubte akustische Wohnraumüberwachung.»
Am 19. Juli gab das bayrische Innenministerium bekannt, daß der Bayerische Landtag an diesem Tag den Gesetzentwurf von Bayerns Innminister Joachim Herrmann beschlossen habe, mit dem der Polizei im Bayerischen Polizeiaufgabengesetz mehr Befugnisse zur Abwehr von Sicherheitsgefahren gegeben werden. Damit sei Bayern wieder einmal bundesweit Vorreiter, die Bürgerinnen und Bürger noch wirksamer vor Sicherheitsgefahren zu schützen. Die Bayerische Polizei sei damit nicht nur personell und bei der Ausstattung spitzenmäßig, sondern auch beim rechtlichen Handwerkszeug. Besonders wichtig ist dem bayerischen Innenminister, die Bürger noch besser vor hochgefährlichen Menschen zu schützen, seien es Islamisten, Linksextreme oder Rechtsextreme. Die Notwendigkeit habe auch der G20-Gipfel in Hamburg gezeigt. Dabei setzt Herrmann im Kern auf vier Änderungen im Polizeiaufgabengesetz, um die Sicherheit und Ordnung in Bayern weiter zu stärken und das Sicherheitsgefühl der Menschen zu erhöhen. Als erste wichtige Änderung griff Herrmann heraus, dass Gefährder bei konkreten Gefahren künftig im Einzelfall länger als bislang maximal zwei Wochen in polizeilichen Gewahrsam genommen werden können. «Wie lange eine Gefahr konkret gegeben ist, hängt immer vom jeweiligen Einzelfall ab», so Herrmann. «Damit können wir den Betreffenden solange präventiv festhalten, bis keine konkrete erhebliche Gefahr mehr von ihm ausgeht.»
Die Anordnung des länger andauernden Gewahrsams und die Entscheidung über seine Fortdauer, die nach spätestens drei Monaten erneut zu treffen ist, erfolge stets durch einen Richter. Wie der Innenminister weiter erläuterte, wird zweitens auch die elektronische Aufenthaltsüberwachung, die sog. ‹elektronische Fußfessel›, für gefährliche Personen eingeführt. «Mit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung gewinnen wir neben der personalaufwändigen Observation und dem eingriffsintensiven Gewahrsam eine weitere effektive Polizeimaßnahme», Drittens setzt Herrmann auf eine klare Rechtsgrundlage im Polizeiaufgabengesetz, um in bestimmten Fällen zur Gefahrenabwehr an die verschlüsselte Kommunikation im Internet wie über ‹WhatsApp› oder ‹Skype› heranzukommen, Stichwort ‹Quellen-Telekommunikationsüberwachung›. «Viertens geht es uns darum, dass die Bayerische Polizei bereits bei drohenden Gefahren für bedeutende Rechtsgüter eingreifen kann», erläuterte der Minister.
Mit dieser neuen Gefahrenkategorie werde für die Polizei der rechtliche Rahmen geschaffen, um in bestimmten Fällen bereits im Vorfeld wirksam reagieren und schon Vorbereitungshandlungen effektiver abwenden zu können. Herrmann: «Wenn sich beispielsweise bestätigt, dass gewaltbereite Extremisten bereits lange im Vorfeld einer Großveranstaltung Vorbereitungen für ihre Straftaten getroffen haben, dürfen wir nicht tatenlos zuschauen, bis tatsächlich etwas passiert. Dann müssen der Polizei auch Maßnahmen zur Gefahrenerforschung und erforderlichenfalls auch zur Gefahrenabwehr gestattet sein.»
Gerade bei Gefährdern, die zum Beispiel in ihren Wohnungen Straftaten vorbereiten, war bislang der für ein polizeiliches Handeln erforderliche Nachweis einer konkreten Gefahr schwierig, schätzt das Innenministerium. Ihm geht es um sogenannte Gefährder. Das sind Personen, die gar keine Straftat begangen haben, bei denen die staatlichen Organe aber ahnen, mutmaßen oder den Verdacht hegen, dass sie das möglicherweise noch tun werden. In Bayern können sie in Zukunft unverzüglich drei Monate lang präventiv in Gewahrsam genommen werden. Bisher galt eine Höchstdauer von zwei Wochen. Alle drei Monate muss die Haft von einem Richter überprüft werden. Denkbar und keineswegs ausgeschlossen ist folglich eine jahrelange Haft ohne Urteil. Auch elektronische Fußfesseln für Gefährder sind Teil des Gesetzes.
Unterdessen ruft ein Bündnis unter dem Motto
«Freiheit 4.0 – Rettet die Grundrechte»
für Samstag, 9. September 2017, 12 Uhr, Berlin Gendarmenmarkt
und gleichzeitig in Karlsruhe zu Demonstrationen auf.
In der Langfassung des Aufrufs heißt es: «Wir können es einfach nicht fassen: Was sich die Regierung allein in diesem Jahr an Überwachungsgesetzen geleistet hat, schlägt dem Fass den Boden aus. Binnen weniger Monate wurde beschlossen, fast alle Kommunikationsdaten zu speichern, massenhaft die Standorte von Handys abzufragen. Haben Sie nichts davon mitbekommen? Das war auch so kalkuliert. Die Lesungen dieser Gesetze fanden teilweise nachts um halb drei statt, wurden mit unverschämt wenigen Abgeordneten im Saal beschlossen und teilweise kurzfristig geändert, wodurch die brisantentesten Inhalte von der Presse nahezu unbemerkt im Gesetzestext landen konnten.
Beinahe im Wochentakt verabschiedete der Bundestag ein verfassungsrechtlich fragwürdiges Gesetz nach dem anderen.
Die Forderungen sind:
- Staatliche Überwachung abbauen!
- Keine Vorratsdatenspeicherungen!
- Privatheit schützen: On- und Offline-Verfolgung eindämmen!
- Pressefreiheit – Keine Zensur!
- Grundrechte und Rechtsstaat sichern!»
Text: Klaus Stein, 15. August 2017
Fotos: Klaus Stein (Berlin 11. Okt. 2008)