Politik

Rechter Mob zieht marodierend durch Chemnitz

 Randalierer mit Feuerwerk und Polizei.


Staatsversagen in Chemnitz

Ein rechter Mob zieht marodierend durch Chemnitz. Macht Jagd auf Menschen, zeigt den Hitlergruß – und die Polizei schaut zu.1 Die Bilder dieser Woche machen fassungslos. Der Krawall der Rechten, das Schweigen der Mehrheit, das Versagen von Politik und Polizei – sie markieren den bisherigen Tiefpunkt einer besorgniserregenden Entwicklung.


Rechtsextreme treiben mit ihrem Hass und Rassismus die Politik vor sich her. Politiker/innen gehen auf die Hetze ein, machen Zugeständnisse. So ist ein gesellschaftliches Klima entstanden, in dem ernsthaft diskutiert wird, Menschen zur Abschreckung im Mittelmeer ertrinken zu lassen.2 Es ist ein Klima, in dem Seenotretter/innen vor Gericht stehen. Länder bauen Zäune, anstatt Leben zu retten.

Doch aus einer neuen Bewegung kommt Widerspruch. Ehrenamtliche, Ärzt/innen, Kulturschaffende, Menschenrechtsaktivist/innen: Etliche Gruppen versammeln sich hinter dem Banner der «Seebrücke». Und stehen am kommenden Wochenende, am 1. und 2. September, gemeinsam auf – gegen den Hass. Für einen menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten. Die Straßen und Plätze gehören nicht dem Mob, wir wollen dort ein friedliches Zeichen setzen: Bitte schließen Sie sich unserem bunten Protest an!

Staatsversagen entsteht, wenn indisponierte Polizei, verharmlosende Politiker, fehlerhafte Politik und eine zu schwache Zivilgesellschaft über Jahre hinweg den Siegeszug einer Stimmungsbewegung begünstigen, die Selbstjustiz und Ausländerjagd als Akte von Gerechtigkeit promoten kann. Das alles trifft auf Sachsen und Chemnitz zu. Die Gefahr wird von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) heute Abend per «Sachsengespräch» mit Bürgern im örtlichen Fußballstadion kaum zu mindern sein. Zumal fast zeitgleich die rechten Aktivisten von «Pro Chemnitz» vor dem Stadion demonstrieren. Statt von «Staatsversagen» reden sie von «Systemschaden».

Recht muss nicht nur postuliert, sondern auch durchgesetzt werden. In Chemnitz aber kann Pegida einfach so den vertraulichen Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Mörder eines 35-jährigen Bürgers im Netz publizieren. «Knallhartes, rechtsstaatliches Vorgehen gegen rechte Kriminelle ist ebenso Pflichtprogramm wie Prävention in einer völlig neuen Dimension», sagt uns Sebastian Fiedler, Vizechef des Bunds Deutscher Kriminalbeamter. Die Gewerkschaft der Polizei wiederum fordert 20.000 neue Stellen, ihr Bundesvorsitzender Oliver Malchow sieht die Behörden am Limit: «Es gibt Räume, wo das Recht nicht durchgesetzt wird, weil es ein Vollzugsdefizit gibt.» Sicher ist da nur die Unsicherheit. Und über allem schwebt die Angst, die AfD könne 2019 bei der Landtagswahl stärkste Partei werden. Man ist in Deutschland allzu bereit, sich zum Bösen zu bekennen, solange es so aussieht, als wollte diesem die Geschichte recht geben, befand Thomas Mann.

Wolfgang Reinicke-Abel
Foto aus tagesschau