Soziales
Vermögensverteilung in Europa
In Deutschland so ungleich wie nirgends
28.04.2013 | Der Zahlensalat, den die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer Studie Household Finance and Consumption Survey (HFCS) auf den Tisch packte, gibt den Sozialchauvinisten reichlich Munition: »Reiche Zyprer, arme Deutsche« (FAZ, 11.4.13), »Deutsche sind die Ärmsten im Euroraum« (FAZ, 10.4.13) und »Arme Deutsche, reiche Europäer« (FAZ, 14.4.13). Und diese armen Schweine zahlen auch noch die Schulden-Zeche für den Süden Europas, so die Botschaft. Die Datenbasis des HFCS beruht auf die Befragung von 62.000 Haushalten im Euroraum, in den meisten Ländern im Jahr 2010 durchgeführt, in Spanien im Jahr 2008. Die Auskunft war freiwillig, die Bewertung ihres Vermögens erfolgte durch die Haushalte selbst.
In Deutschland wurden im Rahmen der Panelstudie ›Private Haushalte und ihre Finanzen‹ (PHF) von der Bundesbank im Zeitraum September 2010 und Juli 2011 3.565 Haushalte befragt. Der PHF-Panel ist ein integraler Bestandteil des HFCS. Die EZB-Studie beweist zunächst nur eines: dass sich mit der Statistik alles beweisen lässt oder wie es mein Statistik-Professor in der ersten Vorlesung formulierte: »Die Steigerung von Lüge ist: Gemeine Lüge, Meineid, Statistik«.
Das frappierende Ergebnis der EZB-Studie, auf das sich alle Medien stürzten: Das reiche Deutschland mit der größten volkswirtschaftlichen Wertschöpfung (BIP), hat scheinbar die ärmsten Einwohner, im Vergleich zu den Zahlen für die Südländer sind sie fast notleidend. Sowohl das Durchschnitts-Nettovermögen in Deutschland – 195.000 Euro je Haushalt – als auch das Median-Vermögen – 51.000 Euro – liegen deutlich unter dem Durchschnitt des Euro-Raums: 231.000 bzw. 109.000 Euro. Durchschnittsvermögen/Median betragen für Zypern 671.000/267.000, Spanien 291.000/183.000, Italien 275.000/174.000, Frankreich 233.000/116.000; selbst in Griechenland 102.000 und Portugal 75.000 ist das Medianvermögen weit höher als in Deutschland. Der Median-Haushalt ist der mittlere Haushalt: Werden alle Haushalte nach der Höhe ihres Vermögens aufgereiht, dann ist der Median-Haushalt genau in der Mitte zwischen der ärmeren und der reicheren Hälfte.
Besonders groß sind die Ausreißer nach oben bei den Zahlen für Luxemburg, Zypern und Malta. Das hat damit zu tun, dass eine ganze Reihe reicher Ausländern in diesen Steueroasen nicht nur ihr »Geld wohlfühlen« (Hoeneß) lässt, sondern sich auch selbst dort ansiedeln oder zumindest ihren ersten Wohnsitz anmelden, als Voraussetzung für die entsprechenden Steuergestaltungen.
Äpfel mit Birnen verglichen
Etwas komplizierter und differenzierter ist es bei den anderen Euro-Ländern. Der markanteste Unterschied zwischen den Vermögen der deutschen Privathaushalte und der südeuropäischen Länder liegt im Immobilienbesitz. Der Anteil der Hausbesitzer an allen Haushalten beträgt in Spanien 83%, in Portugal und Griechenland je 72%, in Italien 69%. In Deutschland beträgt der Anteil der Haushalte mit einer selbstgenutzten Immobilie nur 44%, in Österreich 48%. Der Median-Haushalt ist deshalb in Deutschland ein Mieter-Haushalt, mit einem Durchschnittsvermögen von kanpp 48.000 Euro (im gesamten Durchschnitt: 195.000) (PHF, S. 15). Bei den Euro-Südländern ist der Median-Haushalt dagegen ein Hauseigentümer-Haushalt.
Der Unterschied hat zum Teil historische Gründe: Deutschland und Österreich haben einen breiten und differenzierten Markt für Mietwohnungen, mit ein Resultat der Wohnungsbaupolitik im Gefolge des Zweiten Weltkriegs. Die Notwendigkeit eines eigenen Häuschens war nicht unbedingt gegeben. Die Folge ist u.a., dass die Deutschen ein weit höheres Geldvermögen als andere Euroländer ihr eigen nennen. Zum anderen sicherte – bisher – in Deutschland und Österreich das Rentensystem den Lebensunterhalt im Alter. Das machte eine Altersvorsorge durch Immobilien weniger notwendig. Die Einzahlungen und daraus folgenden Ansprüche aus gesetzlichen Renten und anderen Sozialversicherungen sind aber im Vermögenskonzept des HFCS nicht enthalten (PHF, S. 19). Zudem gibt es in Ländern wie Deutschland und Österreich nach wie vor einen hohen Anteil an staatlichen, städtischen und genossenschaftlichen Wohnungen. Diese Art von Vermögen taucht in den Statistiken über die privaten Vermögen ebenfalls nicht auf.
Es ließen sich noch eine Reihe methodischer Probleme und Ungereimtheiten bei den Ländervergleichen anführen: z.B. größere Zahl der Haushaltsmitglieder im Süden. In Spanien z.B. sind 15% der Haushalte Single, in Deutschland sind es fast doppelt so viel. Oder das Problem der Bewertung der Immobilien. Die Erhebung in Spanien fand 2008 statt, also vor dem Platzen der Immobilienblase. Seither ist der Wert von Häusern und Wohnungen in Spanien zwischen 30 und 60 Prozent gefallen (FAS, 24.3.13). Ein Drittel der Einwohner musste im Gefolge der Krise Hypotheken aufnehmen. (In der EZB-Studie wurden die Nettovermögen der verschiedenen Länder auch mit dem Hauspreisstand von 2002 durchgerechnet. Beträgt das aktuelle Verhältnis Spanien zu Deutschland beim Median 183 zu 53, so ist es bei den Preisen 2002 nur 140 zu 70; HFCS, S. 82f).
Schließlich sei noch das das Problem der weit höheren Staatsverschuldung der Euro-Peripherieländer erwähnt: Schulden, die ja auch von den Privathaushalten bedient und letztlich zurückgezahlt werden müssen. Insgesamt aber zeigt sich, dass der Ländervergleich der EZB einem Vergleich von Äpfel und Birnen gleichkommt, dessen Aussagekraft gleich Null ist.
Ungleichverteilung: Deutschland einsame Spitze in Europa
Ein weitaus wichtigeres Ergebnis der HFCS-Studie aber verschwiegen die bürgerlichen Medien oder erwähnten es nur am Rand. Die ungleiche Verteilung der Vermögen. Sie ist in ganz Euroland enorm: Die reichsten zehn Prozent Haushalte in der Eurozone besitzen die Hälfte des Vermögens. Noch stärker aber ist die Konzentration am Top-Segment in Deutschland: Hier verfügen die reichsten zehn Prozent der Haushalte über fast 60 Prozent (59,2%) des Nettovermögens (Bundesbank, Pressenotiz, 21.3.13). Am unteren Ende haben dagegen 7,4% der Haushalte per Saldo nicht nur kein Vermögen, sondern nur Schulden: »negatives Nettovermögen« (PHF, S. 27). Der Gini-Index, ein gebräuchliches Maß für Ungleichheit einer Verteilung, liegt beim Nettovermögen in Deutschland auf dem extrem hohen Niveau von 75,8%. (PHF-Survey, S. 12) (der Gini-Koeffizient beträgt 0% bei vollkommen gleicher Verteilung und 100% bei maximal ungleicher Verteilung).
Das Handelsblatt (10.4.13) schreibt: »Peinlich für die Bundesregierung, die gerade erst mit Beschönigungen am Armuts- und Reichtumsbericht für Aufsehen gesorgt hatte, ist ein weiterer Punkt: Das Vermögen in Deutschland ist so ungleich verteilt wie nirgends sonst in Europa«. Das zeigt auch der hohe Abstand von Durchschnitts- zu Medianvermögen in Deutschland. In Deutschland ist das Durchschnittsvermögen 3,8mal so hoch wie das Median-Vermögen, in Frankreich nur das 2-fache, dito Portugal, Spanien 1,7-fache, Italien 1,6-fache, Niederlande 1,6-fache und Griechenland 1,5-fache.
Auch die Excel-Tabelle A4 der EZB-Studie zeigt die enorm ungleiche Verteilung des Vermögens in Deutschland auf. Danach sind die untersten 80 Prozent Deutschen – mit Ausnahme der Slowaken – die Ärmsten im Euroland. Beim obersten Zehntel liegen sie dagegen auf Eurozonen-Schnitt. Eine dermaßen große Kluft gibt es in keinem anderen Euro-Land.
1% besitzen mehr als ein Drittel des Vermögens in Deutschland
Was die Konzentration des Vermögens an der Spitze der Reichtumspyramide anbelangt, so sind die Erhebungen des DIW auf der Basis des Sozioökonomischen Panels (SOEP) noch aussagekräftiger als die Datenbasis der Bundesbank (PHF) oder des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung, der auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) erstellt wird. Das SOEP ist eine Wiederholungsbefragung von über 12.000 Haushalten, also der dreieinhalbfachen Anzahl des PHF-Survey, was insbesondere für eine repräsentative Aussage zu den relativ wenigen Reichen-Haushalten von Bedeutung ist.
Das DIW stellt eine noch schärfere Konzentration des Vermögens an der Spitze fest. Nach einer SOEP-Sonderbefragung zur Vermögensverteilung (durchgeführt 2011, aber bezogen auf das Jahr 2007), verfügt das reichste Dezil in Deutschland über 66.6% des gesamten Nettovermögens. Das Top-Prozent allein nennt mehr als ein Drittel, 35,8%, sein Eigen (siehe Grafik). Das allerreichste Promille, 80.000 Personen, gewissermaßen die ›Oberen Zehntausend‹, verfügt über fast ein Viertel des gesamten Privatvermögens: 22,8%. Das Occupy-Prozent ist der große Gewinner beim Reichtums-Monopoly.
Dieses Occupy-Prozent, die Millionäre und Multi-Millionäre müssen zur Kasse gebeten werden, soll die Schuldenproblematik in der EU auch nur im Ansatz gelöst werden. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger fordert eine Vermögensabgabe zur Sanierung der Staatsfinanzen: »Die Reichen müssen dann zum Beispiel binnen zehn Jahren einen Teil ihres Vermögens abgeben.« (zit. nach Spiegel, 15.4.13). Vorbild für die Vermögensabgabe wäre der sogenannte Lastenausgleich, mit dem nach dem Zweiten Weltkrieg die Wohlhabenden belastet wurden. Ein solcher Vermögensschnitt wäre das Pendant zu einem Schuldenschnitt in der Euro-Zone.
Text: Fred Schmid
Grafik: isw-wirtschaftsinfo 47
Siehe auch:
- Fred Schmid, Die Herren des Geldes – Reichtum und Macht des 1%; isw-spezial 26 und:
- Bilanz 2012 Ausblick 2013; Bilanz der Schwarz-Gelben Bundesregierung; isw-wirtschaftsinfo 47