Soziales

Renten und Altersarmut

Rentenklau

 

«Es geht nicht um den Prozentwert eines aus dem fernen Dunst des Jahres 2030 heraus scheinenden Renten-niveaus, es geht um einen tiefen Schnitt in das gewohnte Paradigma der Sozialpolitik...», höhnte die FAZ im Herbst 2000, als Riester sich gerade anschickte, die Gewerkschaften mit dem Versprechen eines Rentenniveaus von 67 Prozent zu ködern und diese – Schröder-treu, wie sie leider immer waren – dem fatalen Rentendeal am Ende tatsächlich zustimmten. Dabei verbargen sich hinter den 67 Prozent bei korrekter Berechnung 64 Prozent, und auch diese hätte nur der statistische „Eckrentner“ nach 45 vollbeschäftigten Beitragsjahren erhalten – also niemand.[1] Aber nicht allein das wird die FAZ beruhigt haben. Sie wusste vor allem, dass Riester den Scheinkompromiss mit den Gewerkschaften umso leichter schließen konnte, weil er Gewissheit hatte, dass ihn dafür in zehn, geschweige denn in 30 Jahren keine Menschenseele mehr haftbar machen würde. «Nach der Rentenreform wird mich Sicherheit vor der Rentenreform sein», bekundete damals auch Ludwig Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, seine Zuversicht. Dass Riesters Versprechen allerdings noch nicht einmal zwei Jahre halten würde, hätten vermutlich weder Braun noch die FAZ zu hoffen gewagt. Also wird das Rentenalter weiter angehoben, die gesetzliche Rente noch weiter abgesenkt – inzwischen hat sie ein Niveau von 47,5 Prozent erreicht – und die Vorruhestandsregelungen werden drastisch verschlechtert; wer im Alter noch halbwegs menschenwürdig leben will, muss tüchtig privat ansparen – so er es kann und sich außerdem nicht den falschen Fonds von seiner Bank aufschwatzen lässt.

 

Selbstverständlich hat sich diese wie jede Untat mit guten Gründen gewappnet: Nicht politischer Wille, ausschließlich die desaströse Einnahmesituation der Rentenkassen erzwinge solche Änderungen, heißt es. Schuld ist, wir wissen es seit Blüm, die demographische Entwicklung. Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident und Vorstandsvorsitzende der Jena-Optik Lothar Späth[2] hatte das Einmaleins des Rentenklaus im November 2002 im Handelsblatt durchbuchstabiert: Die Leute fingen halt immer später an zu arbeiten, gingen immer früher in den Ruhestand und lebten dann zu allem Überfluss auch noch immer länger. Unter solchen Bedingungen könne «die jetzige kollektive Rentensystematik für die nächste Generation nicht aufrechterhalten werden».

Leider funktioniert es immer wieder, dass ein absurder Fehlschluss nur oft genug wiederholt werden muss, bis er allgemein für logisch zwingend gilt. In Wahrheit besteht das Fundament der demographischen Renten-Lüge aus einer Ansammlung falscher Annahmen. Es gibt keinen Grund, weshalb in einem System, wo jeder privat vorsorgt, am Ende insgesamt mehr Geld zur Verfügung stehen sollte als in einem Umlagefinanzierten. Die Rentner jeder Generation leben von dem, was die zu dieser Zeit Erwerbstätigen erwirtschaften; wenn das nicht ausreicht, wird die schönste Rendite privater Dividendenpapiere in dem Augenblick inflationär entwertet, in dem ihre Eigner sie ausgeben möchten. Wer ohne Umlage am Ende mehr hat, sind nicht alle, sondern einige: diejenigen nämlich, die dank hoher Einkommen viel ansparen können. Je breiter die private Säule, desto niedriger die Umverteilungskomponente, d.h. desto weniger müssen sie an jene abgeben, die wegen Niedriglöhnen, Arbeitslosigkeit, Kindererziehung, Krankheit oder was auch immer keine ausreichende Vorsorge betreiben können und dann eben in die Röhre gucken. Kräftig profitieren natürlich auch die Unternehmen, denn zur privaten Vorsorge gibt es keinen «Arbeitgeberanteil».

Bewusst ausgeblendet in der «Uns-gehen-die-Jungen-aus»-Debatte wird außerdem, dass wir schon sehr viel weiter wären, wenn wenigstens jeder, der erwerbsfähig ist, auch erwerbstätig sein könnte und dies nicht als Billigjobber, sondern in sozialversicherter Beschäftigung mit ordentlichem Einkommen. Weit über 6 Millionen Menschen in diesem Land wären vermutlich heilfroh, wenn sie Gelegenheit erhielten, auf diese Weise die Renten der Rentner mitzuerarbeiten. Der Verband deutscher Rentenversicherer weist mit Recht jährlich auf die zusätzlichen Bedrohungen hin, die der Rentenversicherung durch die Umsetzung des Hartz-Konzeptes entstanden sind. Denn Niedriglohn und Leiharbeit bedeuten eben auch weiter sinkende Beitragszahlungen. Ignoriert wird schließlich, dass die von den Erwerbstätigen geleistete Arbeit von Jahr zu Jahr produktiver wird. In den letzten 10 Jahren ist Produktivität in der Bundesrepublik[3] um durchschnittlich 2 bis 2,5 Prozent pro Jahr angestiegen. Die Zahl der Rentner wird zwischen 2015 und 2030 um etwa 0,75 Prozent jährlich zunehmen. Selbst wenn das Produktivitätswachstum sich halbieren würde, wäre somit die demographische Veränderung durch die Produktivitätsentwicklung mehr als ausgeglichen.

Wie bei im Grunde allem, was sich heutzutage Reform schimpft, geht es nicht um die Lösung realer Probleme, sondern um Interessenpolitik. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes kann sich über ein Drittel der Bevölkerung wegen zu geringer Einkommen ohnehin keine private Altersvorsorge leisten. Ohne Skrupel werden also Verarmung und soziale Not in Kauf genommen, mit Folgen, die man längst nicht nur auf den Straßen von Los Angeles oder London, sondern auch bei uns besichtigen kann.

Altersarmut

Die Anzeichen wachsender Altersarmut sind nicht zu übersehen. Alte Menschen, die in Mülleimern nach Leergut suchen, gehören mittlerweile zum alltäglichen Erscheinungsbild in Deutschland. Suppenküchen sprießen wie Pilze aus dem Boden.

Der aktuelle Armutsbericht des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes stellt fest: Die Armut ist im Alter größer als im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.[4] Nach EU-Definition gilt als arm oder armutsgefährdet, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. 

In Deutschland liegt die Schwelle für Alleinstehende bei 917 Euro im Monat, für Alleinerziehende mit einem Kind unter sechs Jahren bei 1.192 Euro und für ein Paar mit einem kleinen Kind bei 1.651 Euro. Die Schwelle variiert nach dem Alter der Kinder und beträgt etwa für Paare mit zwei älteren Kindern rund 2.100 Euro.

Bei Rentnern werden alle Einkünfte gezählt, nicht nur die Renten selbst. Besitz geht aber in den Armutsbericht nicht ein. Nach dieser Berechnung waren im Jahr 2015 in Köln 14.150 und in NRW 147.424 Menschen «altersarm». Dies entspricht einer Steigerung von 3,9 Prozent zum Vorjahr.[5]

Die Ursache für die zunehmende Armut und bei Fortsetzung der gegenwärtigen Politik für die in Zukunft zu erwartende Welle an Altersarmut liegt in dem seit über 20 Jahren betriebenen Abbau des Sozialstaats. Sie ist Folge einer neoliberalen Arbeitsmarktpolitik, die im Sozialstaat nur einen Kostenfaktor sieht. Alle Lebensbereiche werden dem Markt unterworfen, die konsequent betriebene Umverteilung von unten nach oben wird fortgesetzt. Forciert wird  der Sozialabbau seit Anfang der 1990er Jahre betrieben, nicht zufällig mit dem Wegfall der Systemalternative. Die Existenz eines sozialistischen Staatenbundes, Wirtschaftswachstum, die allgemeine Wohlstandsentwicklung und starke Gewerkschaften hatten nach dem Krieg den Aufbau des westdeutschen Wohlfahrtsstaates in seiner Funktion als «Schaufenster des Westens» ermöglicht.

Die Rentenreform von 1957 brachte die Einführung des Umlageverfahrens und die Dynamisierung der Altersrente, d.h. die Anpassung an die Lohn- und Gehaltsentwicklung. Fortschrittlich war auch die Reform von 1972 der SPD/FDP Koalition unter Willy Brandt mit der Absenkung des Renteneintrittsalters auf 63 Jahre und der Rente nach Mindest-einkommen (75 % des Durchschnitts).

Das am 1. Januar 1992 in Kraft getretene «Gesetz zur Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung» stellt einen bedeutenden Schritt in der Demontage derselben dar. Das Leistungsniveau für Millionen Menschen wurde gesenkt, die Anpassung der Renten an den Netto- statt den Bruttolohn gebunden und Abschläge bei vorzeitigem Rentenbezug eingeführt. Außerdem wurde das Renteneintrittsalter für Frauen auf 65 Jahre angehoben und die Höchstdauer der Anrechnung der Ausbildungszeiten verkürzt.  

Die einschneidendsten neoliberalen Strukturreformen wurden von der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder unternommen. Die rot-grüne Rentenreform von 2001 beinhaltete neben einer weiteren Schwächung der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) auch mit der Einführung der sog. «Riester Rente» die Teilprivatisierung der Rente, die Abkehr vom solidarischen Modell der umlagefinanzierten GRV hin zu einer privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge. Seitdem werden alle Kürzungen in der GRV mit der Einhaltung der Beitragsstabilität begründet. Es wurden sog. «Dämpfungsfaktoren» (Nachhaltigkeitsfaktor, Riesterfaktor) in die Rentenformel eingeführt und das kontinuierliche Absenken des Rentenniveaus beschlossen.

Aufgrund dieser als Dämpfungsfaktoren bezeichneten Kürzungsfaktoren und der jährlichen Aussetzung der Rentenanpassung (sog. Nullrunden) ist die Kaufkraft der gesetzlichen Rente bis 2015 bereits um 8% gesunken. Das Rentenniveau betrug 2001 53% und soll bis 2030 auf 43% gesenkt werden. Folgendes Rechenexempel zeigt, wie weit die Demontage der GRV fortgeschritten ist: Ein Beschäftigter mit einem Durchschnittseinkommen von € 2.500, der 35 Jahre ohne Unterbrechung in die Rentenkasse eingezahlt hat, bekommt lediglich eine Rente auf Grundsicherungsniveau von derzeit € 688! An diesem Beispiel lässt sich erahnen, mit welchen Ausmaßen an Altersarmut in Zukunft zu rechnen ist. Auch die von der großen Koalition 2006 unter dem damaligen Arbeits- und Sozialminister Franz Müntefering beschlossene stufenweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre läuft auf eine Rentenkürzung hinaus. Nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Beschäftigten gelingt es, bis zu diesem Alter in Arbeit zu bleiben. Die Vollzeitbeschäftigung bei den 64-Jährigen beträgt nur knapp 10 Prozent. Wer früher in Rente geht, wird mit empfindlichen Abschlägen bestraft, maximal 14,4 Prozent von den monatlichen Rentenbezügen.

Die Menschen sollen in die private Vorsorge getrieben werden. Zu diesem Zweck wird von den Propagandisten der kapitalgedeckten Altersvorsorge ein demografisches Horrorszenario der immer älter werdenden Gesellschaft entworfen. Immer weniger Erwerbstätige stünden immer mehr Rentnern gegenüber und die GRV sei nicht mehr zu finanzieren. Dieses Argument wurde übrigens auch in der Vergangenheit immer benutzt, wenn es darum ging, die Rente zu kürzen und ist heute so falsch wie damals. Auf steigende Arbeitsproduktivität und Bruttoinlandsprodukt wird von dieser Seite natürlich nicht hingewiesen. Die kapitalgedeckte private Altersvorsoge ist im übrigen sehr unsicher, da sie den Wechselfällen des Finanzmarktes unterworfen ist. Das wurde nach der Finanzkrise 2007 deutlich, die auch zu einer Akzeptanz- und Legitimationskrise des Kapitaldeckungsprinzips geführt hat.

Nutznießer der Riester-Reform sind die Arbeitgeber, die zusätzlich entlastet wurden sowie die Versicherungsbranche und die Finanzdienstleister. Milliarden sind durch die zunehmende Privatisierung der Altersvorsorge bereits als zusätzliche Spekulationsmasse in die Finanzmärkte geflossen. Die Riester-Rente wurde von 2002 bis 2010 vom Staat mit 12 Milliarden Euro subventioniert. Davon gingen 11 Milliarden an die Versicherer und lediglich 1 Milliarde über Steuern an die Versicherten. Zusammen mit den über 25,5 Milliarden an Beiträgen der Versicherten macht das ein sattes Geschäft von 36 Mrd. Euro. Der damalige Arbeitsminister und Namensgeber der Reform Walter Riester wurde dafür mit einem hochdotierten Posten in der Versicherungsbranche belohnt. 2009 wurde er Aufsichtsrat des Finanzdienstleisters Union Asset Management Holding.

Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist die Riester-Rente für die Altersvorsorge und im Hinblick auf die Schließung der mit der Zerstörung der GRV verbundenen Versorgungslücke vollkommen unbrauchbar. Viele geringfügig Beschäftige und Niedriglöhner können schlichtweg nichts zur Seite legen. Dass die Riester-Rente ein großer Betrug ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Ca. 16 Mio. Riesterverträge sind bislang geschlossen worden. Das sind knapp 40 Prozent der potentiellen Sparer. Davon kommen lediglich 5,4 Mio. in den Genuss einer vollständigen Zulagenförderung. Wenn man Glück hat, wird man alt genug, um das wieder rauszubekommen, was man eingezahlt hat. Eine Frau beispielsweise, die vor 10 Jahren im Alter von 35 angefangen hat zu «riestern», muss dazu 80 Jahre alt werden. Soll noch eine kleine Rendite von 2,5 Prozent dabei herauskommen, muss sie das jugendliche Alter von 90 Jahren erreichen, bei 5 Prozent 128 Jahre. Die sog. Riester-Rente ist Altersarmut per Gesetz und «ein politischer Meilenstein auf dem Weg zum Fürsorge-Almosen- bzw. Suppenküchenstaat».[6]

Dennoch hält auch die jetzige Große Koalition an diesem Kurs und der Riester-Rente mit dem am 7.August 2012 unter der Regierung von CDU/CSU und FDP beschlossenen „Gesetz zur Stärkung der Alterssicherung“ fest. Natürlich läuft dieses Gesetz genau auf das Gegenteil hinaus. Beschlossen wurde darin das Konzept einer Zuschuss-Rente von der damaligen Sozialministerin Ursula von der Leyen. Voraussetzung für den Bezug dieser Rente ist das jahrzehntelange «riestern». Ausgerechnet die Bevölkerungsgruppe der «fleißigen Geringverdiener» (von der Leyen), der Mehrfach- und Langzeitarbeitslosen erfüllt diese Voraussetzungen nicht, weil sie vorher schon nicht finanziell in der Lage waren, Riester-Verträge abzuschließen. Nebenbei wurde die von der FDP verlangte Senkung des Rentenbeitragssatzes von 19,6 auf 19 Prozent beschlossen, zur Freude der Unternehmer. (Die Pflichtbeiträge für Hartz4-Betroffene wurden übrigens 2011 gleich ganz gestrichen.)

Die sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung - das sogenannte Normalarbeits-verhältnis -  sinkt trotz konstanter Zahl der Erwerbstätigen. Mittlerweile ist ein Drittel der Erwerbstätigen «atypisch» beschäftigt. All diese Menschen werden nicht von der GRV aufgefangen und haben nicht die Mittel, um privat für ihr Alter vorzusorgen. Die Altersarmut für Millionen Menschen ist somit vorprogrammiert. Da die Mehrheit der Mini-Jobber und prekär Beschäftigten weiblich ist, sind vor allem Frauen vom Armutsrisiko betroffen.

Bereits heute ist die Altersarmut akut. Noch 2009 bestritt die Bundesregierung trotz eindeutiger Befunde, dass Altersarmut ein gesellschaftliches Problem darstellt und verwies auf die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, die es seit dem 1.Januar 2003 gibt.

Die Zahl der Rentner, die im Alter auf einen Zuverdienst angewiesen sind, steigt beständig. So ist die Zahl der geringfügig Beschäftigten im Rentenalter von 2000 bis 2011 um ca. 60 Prozent von 281.507 auf 761.736 gestiegen, darunter 118.084 Minijobber/innen, die 75 Jahre und älter sind.

Mit Ausnahme der Linkspartei tragen alle im Bundestag vertretenen Parteien die seit der Agenda 2010 forciert betriebene Politik der Deregulierung des Arbeitsmarkts, des Sozialabbaus und der Privatisierung der Altersvorsorge. Einzig Die Linke. tritt im Bundestag für die Stärkung der solidarischen gesetzlichen Rentenversicherung mit einer Mindestrente von 1.050 Euro ein. Sie benennt auch Maßnahmen, die zur Bekämpfung der wachsenden Armut in Deutschland notwendig sind, wie die Bekämpfung des Niedriglohnsektors und der prekären Beschäftigungsverhältnisse, Verbot von Leiharbeit und eine stärkere Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen, also eine Umverteilung von oben nach unten.

Zwischen 2003 und 2029 werden die Renten um fast 12 Prozentpunkte von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Dabei hat die Talfahrt noch nicht einmal richtig begonnen. Allein zwischen 2016 und 2029 wird die Rentenanpassung fast 8 Prozentpunkte hinter den Löhnen zurückbleiben. Das ist für BeitragszahlerInnen und RentnerInnen gleichermaßen fatal. Während langjährige Beitragszahlungen schon jetzt kaum noch für auskömmliche Renten sorgen, leiden die heutigen Rentnerinnen und Rentner schon jetzt an dem stetigen Wertverlust ihrer Renten. Daher fordern wir:

  • Einführung einer solidarischen Mindestrente
  • Anhebung des Rentenniveaus von aktuell 47,5 Prozent auf das ursprüngliche Niveau von 53 Prozent.
  • Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen
  • Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro und damit verbunden die sofortige   Abschaffung des Niedriglohnsektors
  • Rückabwicklung der Riester-Rente und Wiedereinführung der paritätischen     gesetzlichen Rentenversicherung. Gegenwärtig wird von den abhängig       Beschäftigten erwartet, dass sie den Rentenbeitragssatz in Höhe von 9,45 Prozent zahlen und dazu noch 4 Prozent ihres Bruttoeinkommens in eine Riester-Rente und weitere 2 Prozent in andere zusätzliche Altersvorsorge, z.B. eine Betriebsrente, stecken – insgesamt also 15,45 Prozent ihres Einkommens, bis 2030 sogar 17 Prozent. Wären die Unternehmen mit einem paritätischen Arbeitgeberanteil beteiligt, wären es aktuell nur 12,45 Prozent und 2030 nicht mehr als 14 Prozent.
  • Einführung einer „Bürgerversicherung“ für alle. Bisher müssen Gutverdienende nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze in die GRV einzahlen. Viele Berufsgruppen sind außerdem in Sondersystemen abgesichert. In Zukunft sollen alle Erwerbstätigen (Selbständige, Beamte, Freiberufliche, Abgeordnete) in die GRV einzahlen.
  • Die Rente folgt 1:1 den Löhnen. Langfristig profitieren hiervon nicht nur die RentnerInnen sondern vor allem die BeitragszahlerInnen. Da durch eine     Lebensstandard sichernde Rente private Altersvorsorge überflüssig wird, werden sie finanziell sogar entlastet. Zugleich müsste sich die Arbeitgeberseite wieder an der paritätischen Finanzierung der Rentenversicherung beteiligen(s.o.).       

Würden die Rentenkürzungen bis zum Jahr 2017 rückgängig gemacht, hätte eine Rentnerin, die 45 Jahre zum Durchschnittsverdienst gearbeitet hätte, bei einer monatlichen Rente von € 1.314,45 immerhin € 60,21 mehr im Monat. Im Jahr 2029 wären es sogar € 244,95 im Monat, d.h. im Jahr € 2.939,34. Für die Rentnerin wäre das eine 13. Monatsrente.

Text: Wolfgang Reinicke-Abel / Dirk Stehling, Mai 2016
Grafik von Walter Stehling


 

[1]     Der sogenannte „Eckrentner“ (Idealtypus) müsste 45 Jahre im Durchschnitt € 11,50/Stunde verdient haben. Das liegt um mehr als 23 Prozent über dem gesetzlichen Bruttomindestlohn von € 8,50.

[2]     Im Bundestagswahlkampf 2002 war Späth als Schatten-Wirtschaftsminister Mitglied im Schattenkabinett des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber.

[3]     Zur Produktivitätsentwicklung Deutschlands im internationalen Vergleich: Expertisen und Dokumentationen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, April 2012. Diese Expertise wird von der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn veröffentlicht.

[4]     3,4 Millionen Rentner gelten als arm - bei keiner anderen Bevölkerungsgruppe ist die Armutsquote in den letzten   Jahren so stark gestiegen. Auch sind immer mehr ältere Menschen auf Grundsicherung angewiesen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnt vor einer "Lawine der Altersarmut".

[5]     Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter (Altersgrenze* und älter) am 31. Dezember 2015. 
*Personen, die vor dem Jahr 1947 geboren sind, erreichten die Altersgrenze mit 65 Jahren. Für Personen, die im Jahr 1947 oder später geboren sind, wird die Altersgrenze seit dem Jahr 2012 schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Im Dezember 2015 lag die Altersgrenze 2015 bei 65 Jahren und 4 Monaten.

[6]      Christoph Butterwegge: Krise und Zukunft des Sozialstaates, Wiesbaden 2011. 4., erweiterte Auflage.