Antifaschismus

70. Jahrestag der Befreiung

Rede von Gisela Blomberg am 9. Mai 2015 in Düsseldorf

Gedenkende auf dem Friedhof.

Ort: Russischer Ehrenfriedhof
«Am Gallberg»

Wir feiern heute den 70. Jahrestag der Befreiung Deutschlands von dem faschistischen Hitler-Regime, das über 55 Millionen Menschen in den Tod trieb. Beendet werden konnten die faschistischen Verbrechen nur durch die Rote Armee, die seit 1941 mit großen Opfern gegen die Wehrmacht kämpfte, und durch die West-Alliierten, die ab 1944 die zweite Front eröffnet hatten.

Die deutschen Widerstandsaktivitäten, in den ersten Jahren nach 33 hauptsächlich von der Arbeiterbewegung getragen, reichten bei allem Mut und Opferbereitschaft nicht aus, dieses verbrecherische Regime zu Fall zu bringen.

Aber nur eine Minderheit der Deutschen empfand damals den 8. Mai als eine Befreiung. Für den größten Teil der deutschen Bevölkerung war er das Kriegsende, und damit verbunden waren der Kampf um das tägliche Überleben und die Angst vor den Repressionen durch die Siegermächte.

Für die Gegner des faschistischen Regimes war der 08. Mai auf jeden Fall eine Befreiung.

Für Millionen von Menschen kam diese Befreiung allerdings zu spät, wie auch für die hier liegenden sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter.

Als gefangen genommene Soldaten der Roten Armee wurden sie nach Deutschland verschleppt und zu gefährlichen Arbeiten und einem menschenunwürdigem Leben gezwungen. 15 Millionen Zwangsarbeiter wurden in Arbeitslager gesteckt, die meisten von ihnen waren plötzlich und gewaltsam aus ihrem bisherigen Leben und Familien herausgerissene junge Menschen.

Sowjetsoldat hisst rote Fahne auf dem Reichstag.

Zwangsarbeit im faschistischen Deutschland bedeutete: unerträgliche Arbeitsbedingungen zu Pfenniglöhnen – wenn überhaupt gezahlt wurde – Hunger, menschenunwürdige Unterbringung, ein Leben ohne Rechte, d.h. Zwangsarbeit war Ausbeutung bis zur Erschöpfung wenn nicht sogar bis zur Vernichtung, Hunderttausende haben diese Zwangsarbeit nicht überlebt.

Für die deutschen Firmen hat sich die verschärfte Ausbeutung der Zwangsarbeiter auf jeden Fall gelohnt, so konnten die Waffenproduktion und die hohen Profite der kriegswichtigen Betriebe abgesichert und die Basis für den westdeutschen Wirtschaftsboom nach 45 geschaffen werden.[1]

In Düsseldorf wurden über 35.000 Zwangsarbeiter beschäftigt, zunächst in der Landwirtschaft, danach in fast allen Wirtschaftszweigen, besonders aber in den Rüstungsbetrieben, wie. z.B. bei Rheinmetall, Mannesmann, den Vereinigten Stahlwerken, aber auch bei in anderen Großbetrieben wie z.B. bei Henkel. 1944 waren 27% aller Düsseldorfer Erwerbstätigen Zwangsarbeiter.[2]

Ab 1943 wurden zu den gefährlichen Aufräumarbeiten nach den Bombenangriffen, wozu auch das Entschärfen von nicht gezündeten Bomben gehörte fast ausschließlich Zwangsarbeiter herangezogen.[3] Mindestens 300 von ihnen sind dabei ums Leben gekommen. Während der Bombenangriffe war den Zwangsarbeitern der Zutritt zu den Bunkern verweigert.

Der überwiegende Teil der Zwangsarbeiter waren in Lagern untergebracht, in Düsseldorf gibt die damalige Gewerbeaufsicht ca. 400 «meldepflichtige» Lager an, dazu gehörten auch 6 Außenkommandos der KZs Buchenwald und Sachsenhausen.[4]

Die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter aus dem Osten mussten in den schlimmsten Verhältnissen leben. Ein großer Teil der auf diesem Friedhof Begrabenen starben im Lazarett des in der Nähe liegenden Kriegsgefangenenlagers an der Bergischen Landstraße. 1941 wurde es in den stillgelegten Baracken des Truppenübungsplatzes errichtet. Ein Überlebender, der amerikanische Soldat Frederico Gonzales aus den USA, dessen Flugzeug über Neuss abgeschossen war, berichtet, dass an eine Versorgung nicht zu denken gewesen sei. Sein eigenes Überleben verdanke er den Rationen, die unregelmäßig vom Roten Kreuz an westliche Kriegsgefangene verteilt wurden. Diese Rationen wurden aber den Kriegsgefangenen aus dem Osten vorenthalten, so dass sie in diesem «Lazarett» kaum Überlebenschancen hatten. Als immer mehr Lagerinsassen starben, wurden die Toten nicht mehr auf dem Gerresheimer Waldfriedhof, sondern in Massengräbern begraben. An einem davon stehen wir heute, an diesem Massengrab hatten sowjetische Lagerinsassen im Mai 1945 zur Mahnung einen Gedenkstein gesetzt.[5]

Dieses anonyme Massengrab – die Namen der Toten werden wir nicht mehr erfahren – soll uns an die Verbrechen des faschistischen Deutschlands erinnern, das die Sowjet Union überfiel, weil es der Wirtschaft nach ihren eigenen Worten «um die ukrainischen Weizenfelder, um das kaukasische Erdöl, um den Reichtum der Welt ging».

Nach 1945 hat der Nürnberger Gerichtshof festgestellt, dass die Zwangsarbeit ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit war, Entschädigungen wurden den Zwangsarbeitern – wenn überhaupt – nur zu einem äußerst geringen Bruchteil gezahlt.

Für die Täter gab es im Westen kaum weitreichende Konsequenzen, eine durchgreifende Entnazifizierung und demokratische Umgestaltung der alten Macht- und Besitzverhältnisse blieben aus. Die imperialistischen Kriegstreiber, die Hitler zur Macht verhalfen und Milliardengewinne durch die Zwangsarbeit und Ausplünderung der besetzten Gebieten machten, dabei den Tod von Millionen von Menschen in Kauf nahmen, waren spätestens mit der Gründung der Bundesrepublik wieder im Geschäft. Faschisten konnten in Westdeutschland im «Kampf gegen den Kommunismus» wieder Karriere machen als Richter, in der Politik, in den Universitäten und beim Aufbau der Polizei und Bundeswehr.

Täglich erleben wir, dass das kapitalistische System keine Lösung für die Mehrheit der Bevölkerung ist; im Gegenteil - einher mit einer großen Arbeitslosigkeit geht der reaktionäre Sozialabbau und unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung werden demokratische Rechte eingeschränkt. Die Neo-Nazis können unter Polizeischutz marschieren, über Jahre hinweg unbehelligt - konnte der NSU Morde an unbescholtenen Immigranten verüben.

70 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus ist Krieg wieder eine Option in der deutschen Außenpolitik. Die Bevölkerung ist überwiegend gegen Kriegeinsätze der Bundeswehr eingestellt, dies hindert die Regierung nicht daran, für die Interessen des Monopolkapitals an Rohstoffen, Absatzmärkten und billigen Arbeitskräften, aufzurüsten, deutsche Soldaten in Krisen- und Kriegsregionen zu senden und eine entscheidende Rolle beim Aufbau einer Nato-Eingreiftruppe für Osteuropa, die sich eindeutig gegen Russland richtet, zu übernehmen. Hetze gegen Russland steht wieder auf der Tagesordnung, Russland wird wieder zum Feind Nr. 1 gemacht, Präsident Putin wird als Verursacher der Ukraine-Krise an den Pranger gestellt.

Zusammen mit allen demokratischen und antifaschistischen Kräften müssen wir uns gegen diese gefährlichen Entwicklungen wehren! Nach wie vor fühlen wir uns dem Schwur der Häftlinge von Buchenwald verpflichtet:

«Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit unser Ziel».

Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!

Fotos: B. Ohnesorg (1),
Sowj. Streitkräfte in Deutschland (2)


Gedenken an Sowjetischen Gräbern, Bericht von Herbert Schedlbauer

[1] Zwangsarbeiter schufen den Aufschwung in der BRD. Der Osten war schon damals der Verlierer. – Ein Gespräch mit Herbert Schui. Junge Welt vom 21.09.2004

[2] Gut Genug für den Arbeitseinsatz: Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. In: Augenblick. Berichte, Informationen und Dokumente der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, Nr. 3, 1992 S. 4

[3] Zwangsarbeiter in der Stadt Düsseldorf. Langsam kommt Licht in ein dunkles Kapitel. Hrsg. Stadtarchiv Düsseldorf, XI/00 –10. o.J. S. 15-16

[4] Lager und Haftstätten in Düsseldorf in der Zeit des Dritten Reiches, in Augenblick, Nr. 1992 S. 5

[5] Ein Stein kommt ins Rollen. Spuren sowjetischer Kriegsfangener auf dem Gallberg in Düsseldorf-Gerresheim, in Augenblick, Nr. 1992 S. 16-19