Betrieb & Gewerkschaft
21. Ordentlicher Bundeskongress des DGB
Lobbyismus statt Klassenanalyse
Vom 13. bis 17. Mai 2018 tagt in Berlin der 21. Ordentliche Bundeskongress des DGB. Unter dem Motto »Solidarität_Vielfalt_Gerechtigkeit» werden 400 Delegierte aus acht Einzelgewerkschaften über die Politik des Gewerkschaftsbundes für die nächsten vier Jahre beraten. Behandelt werden 78 Anträge. Vor vier Jahren waren es fast dreimal so viel.
Unverkennbar in den vorliegenden Leitanträgen ist die Illusion, mit der Großen Koalition werde alles besser für die arbeitenden Menschen. Praktizierte der Deutsche Gewerkschaftsbund in früheren Jahren schon die «konzertierte Aktion», so setzt der Bundesvorstand heute auf einen «gesellschaftlichen Zukunftsdialog», wie immer der aussehen mag. Auf die verschärfte Gangart des Kapitals und die dadurch immer stärkeren gesellschaftlichen Klassengegensätze in Deutschland und Europa antwortet der DGB unverändert mit Sozialpartnerschaft und Lobbyismus. Richtschnur bei den Zukunftsaufgaben der nächsten vier Jahre bleibt daher «eine funktionierende Sozialpartnerschaft mit den Arbeitgebern». Aus Sicht des Dachverbandes und seiner Mitgliedsgewerkschaften «ist dies eine unverzichtbare Erfolgsbedingung für die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und für Demokratie in Deutschland und Europa» (Leitantrag A001).
Eine Kehrtwende, sich wieder auf die ursprünglichen Aufgaben als Organisation der Arbeiter und Angestellten und der Intelligenz zu orientieren, findet nicht statt. In allen Anträgen ist nicht einmal das Wort «Sozialabbau» zu finden. Dabei gäben die neuerlichen Angriffe des Kapitals und deren Große Koalition auf Sozialrechte und Arbeitsverhältnisse allen Anlass dazu. Trotz Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ist Deutschland einer der größten Niedriglohnsektoren in Europa. Bundesdeutsche Wirklichkeit in der Arbeitswelt ist auch im Jahre 2018, jeder vierte Beschäftigte bezieht Niedriglohn. Prekäre Beschäftigung und schlechte Arbeitsbedingungen sowie Billiglöhne nehmen nicht ab. Tausende Arbeitsplätze werden jährlich vernichtet, obwohl vorher Lohnverzicht und andere Zugeständnisse mit den Konzernen vereinbart wurden.
Als Gegenmittel gegen die «Digitalisierung 4.0» wird der Wunschvorstellung hinterhergejagt, man könne ohne Mobilisierung der Mitglieder an der Basis weitere Arbeitsverdichtungen oder Massenentlassungen verhindern. Etwa mit Tarifverhandlungen, mit der Bundesregierung oder den Unternehmerverbänden. Gleiches zeigt sich ebenso beim Verzicht auf eine wirkliche Arbeitszeitverkürzung (AZV) bei vollem Lohn- und Personalausgleich für alle Beschäftigten. Zwar wird im Antrag B012 «Gute Arbeit 4.0 geschlechtergerecht gestalten» davon gesprochen «eine gesellschaftliche Debatte zum Verhältnis von Produktivitätssteigerungen und Arbeitsverdichtung und deren gesellschaftlichen Folgen zu verbinden». Richtig erkannt wird vom Bundesfrauenausschuss, dass die AZV bei Lohn- und Personalausgleich als Option zur Vermeidung von Beschäftigungsabbau in die Digitalisierungsdebatte eingebracht werden muss. Doch weder spricht man von einem vollen Lohn- und Personalausgleich, noch soll die AZV für alle gelten. Einige Zeilen vorher wird diese nämlich auf Beschäftigte mit «Familienverantwortung» reduziert.
Eine generelle Debatte über die Notwendigkeit einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit in großen Schritten bei vollem Lohn- und Personalausgleich würde nicht nur bestehende Arbeitsplätze sicherer machen. Sie zwingt die Unternehmer auch zu Neueinstellungen. Bei einer breiten Diskussion innerhalb der Einzelgewerkschaften und gemeinsam mit einer Kampagne des DGB käme man so wieder in die Offensive gegenüber dem Kapital. Der jetzige Versuch einer flexiblen Lösung, die irgendwann im Jahr abgefeiert wird, ist eine «Billiglösung» für die Besitzer der Betriebe. Ganz zu schweigen von der Umsetzung. Wie soll die aussehen in Betrieben ohne Betriebsräte?
So ganz scheint es mit dem Erfolg der Verschleierung der tiefen Klassengegensätze, der Ideologie der Sozialpartnerschaft, dann aber doch nicht zu sein. Der DGB beklagt in mehreren Anträgen immer wieder die mangelnde Einsicht der «Arbeitgeber» in Sachen Mitbestimmung und beim Betriebsverfassungsgesetz. Erwartungsgemäß bleibt es bei dieser Art von Klassenzusammenarbeit beim Appell an die Unternehmerverbände, endlich mit der Be- und Verhinderung der Arbeit von Betriebs- und Personalräten und mit der gezielten Bekämpfung von Gewerkschaften (Union Busting) aufzuhören.
Zu kurz kommt auch die Verschärfung und Überwachung von Bürgerinnen und Bürger durch Polizei und Politik. Dabei betrifft die Einschränkung des Demonstrationsrechts unmittelbar auch die Gewerkschaften. Gab es auf dem Kongress vor vier Jahren noch klare Aussagen zum zivilen Ungehorsam und Forderungen zum politischen Streikrecht, gegen den Abbau von Grund- und Freiheitsrechten, findet man diesmal nichts dazu. Stattdessen setzt ausgerechnet der DGB-Bundesjugendausschuss auf eine verstärkte Aufrüstung der Polizei. Im Antrag A014 liest man in trauter Einvernehmlichkeit mit den Herrschenden in diesem Land «...wir (fordern) eine permanente Modernisierung und Verbesserung der Ausstattung und Ausrüstung, die die Beschäftigten von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten und Katastrophenschutz sicher gegen Gewaltübergriffe schützen». Bayern und Innenminister Horst Seehofer (CSU) mit ihren erweiterten Polizeiaufgabengesetzen lassen grüßen. Angebracht wäre es auch hier, gegen die innenpolitische Verschärfung und Überwachung mehr Widerstand zu entwickeln. Statt eine weitere Aufrüstung der Polizei zu fordern, die bei sozialen Auseinandersetzungen im Innern auch die Gewerkschaften zu spüren bekommen, würden sie auch nur ansatzweise an der Herrschaft des Kapitals kratzen. Erinnert sei hier an den G20 Gipfel im vergangenen Jahr. Nicht nur die Gewerkschaftsjugend war von massiven Polizeieinsätzen und grundlosen Inhaftierungen in Hamburg betroffen. Gleiches gilt ebenfalls im Kampf gegen Rechts. Gewerkschaftsmitglieder, die sich nicht nur in Anträgen gegen Rassismus, gegen neue und alte Nazis und die AfD aussprechen, sondern dagegen auf der Straße demonstrieren. Sie spüren am eigenen Leibe welche Aufgaben Polizei und Staat haben, wenn man sich den Rechten in den Weg stellt oder setzt.
Die Große Koalition war und ist der gewünschte Geschäftspartner der wichtigsten Konzerne des Monopolkapitals. Das sich nunmehr ausgerechnet auch der DGB auf diese Richtung hinbewegt, darf erwarten lassen, dass es auf dem Bundeskongress in Berlin einiges an Diskussionen geben wird. An der Basis jedenfalls rumort es seit dem Vorpreschen von Reiner Hoffmann auf dem SPD Parteitag im Frühjahr. «So stellen wir uns eine Einheitsgewerkschaft nicht vor. Wir sind nicht der Wegbereiter für eine neue GroKo, die sich als Ziel gesetzt hat, den Reichtum oben zu vermehren und unten für die nächsten vier Jahre den Rotstift anzusetzen» ist von Delegierten zu hören.
Herbert Schedlbauer