Frieden

Defender 21 in Dülmen

Demonstrierende mit Luftballon, Fahnen, Hund und Transparent: «... Raus aus der NATO! Abrüsten statt aufrüsten! DKP».


NATO-Manöver
Defender Europe 21

Liebe Friedensfreundinnen und Freunde,

wir demonstrieren hier heute gegen das NATO-Manöver Defender Europe 21. Wir tun das, weil wir der festen Überzeugung sind, dass Manöver und Waffenschauen Vorbereitungen zum Krieg sind. Da solche Manöver zur Eskalation beitragen und die Gefahr in sich tragen, dass aus ihnen unter bestimmten Umständen heiße Konflikte erwachsen können.

Dieses Manöver richtet sich eindeutig gegen Russland, soll militärische Stärke demonstrieren und wird damit begründet, dass ja auch Russland an seiner Westgrenze und auf der Krim Manöver durchführt bzw. durchgeführt hat. Und somit ist dieses Manöver Teil der seit Jahren zunehmenden Konfrontation der NATO mit Russland. Dabei wird Russland als der potentieller Aggressor dargestellt und die NATO als Schutzmacht der angrenzenden Staaten.

Wechseln wir doch einmal die Perspektive und schauen aus russischer Sicht auf die Situation und auf die Geschichte. 2017 war ich mit unserer sommerlichen FriedensFahrradtour hier in Dülmen und wir besuchten einen Soldatenfriedhof in Hausdülmen. Dort liegen 500 russische Kriegsgefangene begaben, Kriegsgefangene des 1. Weltkriegs. Wie sind die hier hingekommen. Sind die Russen damals ins deutsche Reich einmarschiert? Nein, es war genau andersherum. Jetzt jährt sich in wenigen Wochen nun zum 80. Mal der 22. Juni 1941, der Tag, an dem dann im 2. Weltkrieg Nazi-Deutschland in die Sowjetunion einmarschierte, also der zweite Überfall innerhalb dreier Jahrzehnte.

Die Historiker streiten sich, ob dieser Überfall der Nazi-Wehrmacht 26 Mio. Männern, Frauen und Kindern in der UdSSR das Leben kostete oder ob es doch 40 Mio. waren. So oder so eine unvorstellbare Zahl. Im Gefolge der Wehrmacht kamen die SS, kamen die Sonderkommandos, die Jagd auf Juden und auf kommunistische Funktionäre machten. Und auch die Wehrmacht fühlte sich nicht an das Kriegsrecht gebunden sondern folgte dem Nazi-Ziel der Auslöschung der «slawischen Untermenschen», wo immer sich eine Gelegenheit bot.

Die Ukraine, Weißrussland, die baltischen Republiken waren die ersten Ziele, dann fielen die deutschen Soldaten in Russland ein, rückten vor bis Moskau, belagerten Leningrad. Dort starben während der zweieinhalbjährigen Blockade 1,1 Mio. Zivilisten an Hunger und Krankheit. Als die Wehrmacht sich geschlagen zurückziehen musste, ging sie nicht einfach. Nein, sie hinterließ verbrannte Erde, zündete Städte und Dörfer an, zerstörte Industrieanlagen, um das Land noch weiter zu schwächen. An all das erinnert uns der 22. Juni – und das darf sich nie wiederholen!

Nun war die Sowjetunion kein Hort der Demokratie und wir wissen über die Verbrechen, die unter Stalin und anderen begangen wurden. Aber ist es so schwer sich vorzustellen, dass auch die einfachen Leute in der Sowjetunion es gut fanden, sich nach Westen mit Verbündeten zu umgeben, einen Puffer zu diesem Deutschland, dass zweimal Leid und Elend in ihr Land gebracht hatte? Die sowjetische Regierung sicherte sich aus ihrer neu erwachsenen Machtposition heraus einen Schutzring aus mit ihnen verbundenen Staaten, die Warschauer Vertragsorganisation. Aber war das der Feind, der den freien Westen bedrohte, wie es bei uns im Kalten Krieg hieß. Oder war es eine machtpolitische Konsequenz aus historischer Erfahrung.

Ich war Ende der 80er-Jahre in meiner Heimatstadt Witten friedenspolitisch aktiv und wir kamen auf die Idee, eine Städtepartnerschaft mit einer sowjetischen Stadt anzustreben. Die Wahl fiel auf Kursk, eine Industriestadt im Süden Russlands, Schauplatz einer entscheidenten Panzerschlacht im Zweiten Weltkrieg, der Schlacht am Kursker Bogen. Wir fuhren mit einer kleinen Gruppe in die Sowjetunion, trafen in Kursk Menschen, die uns freundlich begrüßten, sich für uns interessierten. Und dann sollte es ein Treffen mit sowjetischen Kriegsveteranen geben. Uns allen war mulmig zumute, wir als Kinder und Enkel der Männer, die so großes Leid über dieses Land und diese Stadt gebracht hatten. Die Veteranen kamen in ihren alten Uniformen, die Brust mit Orden geschmückt. Und sie sprachen nicht von Leid und von Rache, sie sprachen von Frieden und das man zusammen die Zukunft gestalten müsse. Und sie nahmen unsere Friedensbuttons und hefteten sie sich an die Brust, neben ihre Weltkriegsorden. Diese Menschen sollten wir vor Augen haben, und heute sagen, wir wollen keinen neuen Kalten Krieg und keine neue Aufrüstung in Ost und West.

Es ist eine zwar nicht schriftlich fixierte aber glaubwürdig bestätigte Tatsache, dass in den 2+4-Verhandlungen zur deutschen Vereinigung Anfang der 90er-Jahre der Sowjetunion versichert wurde, die NATO werde sich nicht weiter nach Osten ausdehnen. Doch daran hielt sich die NATO nach Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Vertrages nicht. Heute trennen nur noch die drei ehemaligen Sowjetrepubliken Georgien, Weißrussland und Ukraine das hochgerüstete Militärbündnis NATO von Russland.

Man muss nicht für richtig halten, wie Russland sich im Konflikt in der Ostukraine und auf der Krim verhält. Aber mit einem Blick in die Geschichte kann man ein Stück weit nachvollziehen, dass Russland einen Puffer aus neutralen oder verbündeten Staaten an seiner Westgrenze anstrebt. Dass deshalb zu befürchten ist, dass Russland bald in den baltischen Staaten oder in Polen einmarschiert, ist jedoch in hohem Maße unwahrscheinlich, das hier aufgebaute Feinbild entbehrt jeder Grundlage. Deutsche Politiker und auch einige Medienvertreter täten gut daran, nicht beim Aufbau dieses Feindbildes mitzuwirken, sondern unserer besonderen Verantwortung aus der Geschichte gerecht zu werden. Der 22. Juni diesen Jahres bietet Gelegenheit, sich daran zu erinnern. Wir wollen Frieden in Europa, weil wir aus der Geschichte lernen.

Es wird keinen Frieden und keine Sicherheit in Europa gegen Russland geben sondern nur mit der großen Atommacht. Auch demokratische Entwicklungen werden nicht in einem Klima der Konfrontation und Kriegsdrohungen vorankommen, weder in der Ukraine, noch in Weißrussland, noch in Russland selbst. Wir brauchen nicht noch mehr Aufrüstung und Kriegsgeschrei sondern neue Abrüstungsvereinbarungen und eine neue Entspannungspolitik. Wir brauchen ein europäisches Sicherheitssystem auf Gegenseitigkeit, in dem dann auch der Ukraine-Konflikt gelöst werden kann.

Hier müsste unsere Regierung Initiativen ergreifen, mit ein bisschen Demut und Verantwortungsgefühl, Verantwortung für das, was in deutschem Namen vor achtzig Jahren an Verbrechen verübt wurde. Ein erster Schritt wäre, die deutsche Teilnahme an den Defender-Manövern zu beenden und dieses Waffendepot hier in Dülmen zu schließen.

Rede Joachim Schramm, Geschäftsführer der DFG-VK NRW
Friedensdemo gegen Defender 21 am 7. Mai in Dülmen
Fotos: Irène Lang