Kultur

Die Lan­ge Ge­schich­te von Hei­ne und Marx

Vortrag gehalten bei der Jahres­ab­schluss­fei­er der Köl­ner In­nen­stadt­grup­pe der DKP

Heinrich Heine und Karl Marx

Auf dem Tisch liegen Bücher: »Heine und der Kommunismus« und »Marx und Heine«.

Wir fei­ern ein Ju­bi­lä­um. Vor 25 Jah­ren, am 20. De­zem­ber 1988, konn­te sich der Düs­sel­dor­fer Uni­ver­si­täts­se­nat dem jähr­lich wie­der­keh­ren­den An­trag zur Um­be­nen­nung nicht mehr ver­schlie­ßen. Er gab sei­ne Zu­stim­mung mit 15 ge­gen 5 Stim­men. Die Uni­ver­si­tät er­hielt den Na­men Hein­rich Hei­ne im Rah­men ei­nes of­fi­zi­el­len Fest­akts ein hal­bes Jahr spä­ter, und voll­zog da­mit end­lich nach, was ih­re Stu­den­ten­ver­tre­tun­gen seit 1972 vor­ge­macht hat­ten.

Bis da­hin hat­ten sich die Uni­ver­si­täts­an­ge­hö­ri­gen – ge­wollt, bil­li­gend, ver­se­hent­lich oder wi­der­wil­lig, vor al­lem aber tat­säch­lich – in die lan­ge Rei­he der Denk­mals­geg­ner, Va­ter­lands­ver­tei­di­ger, Na­tio­na­lis­ten und gar der An­ti­se­mi­ten ge­stellt, die sich ge­gen Na­men Hein­rich-Hei­ne-Uni­ver­si­tät wehr­ten. Im Hin­ter­grund stand wohl die Sor­ge, dass Zie­le und Zwe­cke wis­sen­schaft­li­cher Tä­tig­keit in der Öf­fent­lich­keit de­bat­tiert wür­den, wo­mög­lich gar der An­spruch Gel­tung be­kom­me, dass Zie­le und Zwe­cke von Wis­sen­schaft und For­schung im Lich­te sol­cher De­bat­ten auch ent­schie­den wür­den.

Schon da­mals war er­kenn­bar, dass sich Wis­sen­schaft nicht im El­fen­bein­turm ent­wi­ckelt, son­dern un­ter ka­pi­ta­lis­ti­schen Be­din­gun­gen zu­neh­mend von au­ßer­uni­ver­si­tä­ren und wis­sen­schafts­fer­nen Zie­len pri­va­ter Ver­wer­tung be­stimmt wird. Schon da­mals wa­ren die Dritt­mit­tel ein hoch­schul­po­li­tisch bri­san­tes The­ma. Das gilt erst recht, seit­dem mit dem Hoch­schul­frei­heits­ge­setz vom Ja­nu­ar 2007, das im­mer­hin ge­gen­wär­tig un­ter der neu­en Lan­des­re­gie­rung zur No­vel­lie­rung an­steht, Ban­ken und Kon­zern un­mit­tel­bar auf die Hoch­schu­len Ein­fluß neh­men. Um­ge­kehrt wa­ren sei­ner­zeit die Be­für­wor­ter des Na­mens Hein­rich Hei­ne auf der Sei­te der­je­ni­gen zu fin­den, die Zie­le von Wis­sen­schaft und For­schung öf­fent­lich dis­ku­tiert und de­mo­kra­tisch le­gi­ti­mie­ren woll­ten.

Porträt Heinrich Heine.

Der Früh­so­zia­list Hen­ri de Saint-Si­mon (ei­gent­lich Clau­de-Hen­ri de Rouvroy, Comte de Saint-Si­mon; 1760-1825) hat zur Zeit der Re­stau­ra­ti­on nach 1815 bis zu sei­nem Tod pu­bli­zis­tisch ge­wirkt. Sei­ne Bü­cher hei­ßen »Vom in­dus­tri­el­len Sys­tem«, 1822, »Ka­te­chis­mus der In­dus­tri­el­len«, 1824, und »Von der Ge­sell­schafts­or­ga­ni­sa­ti­on«, 1824. In­dus­tria ist das la­tei­ni­sche Wort für Fleiß, folg­lich wa­ren ihm nur die In­dus­tri­el­len, al­so die Dienst­leis­tun­gen und Gü­ter pro­du­zie­ren­den In­di­vi­du­en nütz­li­che Mit­glie­der der Ge­sell­schaft. Der An­teil des Ein­zel­nen am ge­mein­sam er­wirt­schaf­te­ten Wohl­stand sei nach sei­ner ein­ge­brach­ten Leis­tung zu be­mes­sen. Pa­ra­si­tä­re Klas­sen wie der Adel, die Ren­tiers, aber auch Zwi­schen­händ­ler soll­ten leer aus­ge­hen. Nur die Un­ter­neh­mer gleich wie die Ar­bei­ter ver­dien­ten ei­ne an­ge­mes­se­ne Ent­loh­nung. Die Saint-Si­mo­nis­ten hat­ten in den drei­ßi­ger Jah­ren, ins­be­son­de­re un­mit­tel­bar nach der Ju­li­re­vo­lu­ti­on 1830 er­heb­li­chen Ein­fluss. Goe­the be­zog bis zu sei­nem Tod ih­re Zeit­schrift, den »Glo­be«.

Von Saint-Si­mon stammt die Idee von der So­zi­al­pflich­tig­keit des Ei­gen­tums, er glaub­te an den wis­sen­schaft­lich-tech­ni­schen Fort­schritt, an den Kon­sum als Sti­mu­lanz er­wei­ter­ter Pro­duk­ti­on, an das Wirt­schafts­wachs­tum. Er ist in­des nach un­se­ren Be­grif­fen kein De­mo­krat. Nach Saint-Si­mon soll­ten Fach­leu­te re­gie­ren. Sei­ne Schü­ler wa­ren Saint-Amand Ba­zard (1791-1832) und Pros­per En­fan­tin (1796-1864). Von Ba­zard stammt die Dar­stel­lung der Leh­re Saint-Si­mons. Er for­mu­liert sie als ein­heit­li­ches Sys­tem. Da­nach lö­sen sich in der Mensch­heits­ge­schich­te or­ga­ni­sche und kri­ti­sche Pe­ri­oden ein­an­der ab. Die Haupt­ten­denz ist As­so­zia­ti­on, kri­ti­sche Pe­ri­oden sind vor­über­ge­hend. Phy­si­sche Ge­walt sei die Ur­sa­che für ge­sell­schaft­li­che Kon­flik­te und ih­re Fol­ge die Aus­beu­tung des Men­schen durch den Men­schen. Die Wir­kun­gen von Ge­walt schwäch­ten sich ab. Der Skla­ve war noch per­sön­li­ches Ei­gen­tum sei­nes Herrn, dem­ge­gen­über hat­te der Hö­ri­ge schon ei­ni­ge Frei­heit. Der mo­der­ne Ar­bei­ter da­ge­gen sei schon po­li­tisch schon frei. Nur feh­le es noch an der Be­frei­ung von wirt­schaft­li­cher Ab­hän­gig­keit. Hin­der­lich sei da­bei das star­re Fest­hal­ten am über­lie­fer­ten Ei­gen­tums­ge­setz, auf des­sen Grund­la­ge die Ei­gen­tü­mer oh­ne Ar­beit le­ben kön­nen und an­de­re Men­schen be­herr­schen. Den­noch hiel­ten die Saint-Si­mo­nis­ten an der Auf­fas­sung fest, dass das Ei­gen­tum die Ba­sis der je­der po­li­ti­schen Ord­nung sei. Nur sei auch die­se so­zia­le Tat­sa­che dem Ge­setz des Fort­schritts un­ter­wor­fen. Das Ei­gen­tum kön­ne zu ver­schie­de­nen Zei­ten auf ver­schie­de­ne Wei­se ver­stan­den, de­fi­niert und ge­re­gelt wer­den. Hein­rich Hei­ne, der das deut­sche Pu­bli­kum als Kor­re­spon­dent der »Augs­bur­ger All­ge­mei­ne Zei­tung« über die­se Be­we­gung in­for­mier­te, schrieb: »Die Saint-Si­mo­nis­ten wol­len das Ei­gen­tum nicht ab­schaf­fen, son­dern hin­weg­de­fi­nie­ren«.

Im­mer­hin woll­ten sie das Erbrecht ab­schaf­fen. »Die Leh­re Saint-Si­mons will kei­nen Um­sturz, kei­ne Re­vo­lu­ti­on; sie will nur ei­ne Um­wand­lung, ei­ne Evo­lu­ti­on; – ei­ne neue Er­zie­hung, ei­ne end­gül­ti­ge Wie­der­ge­burt bringt sie der Welt«. Im saint-si­mo­nis­tisch as­so­zi­ier­ten Staat wer­de die höchs­te so­zia­le Stu­fe von der Re­li­gi­on (von den Pre­di­gern des Neu­en Chris­ten­tums) ein­ge­nom­men; die zwei­te Stu­fe von den Na­tur­wis­sen­schaft­lern; die drit­te von den In­dus­tri­el­len. Sitt­lich-re­li­giö­se Be­geis­te­rung, kla­re, dis­zi­pli­nier­te Ver­nunft, tüch­ti­ge in­dus­tri­el­le Tech­nik wür­den die Mensch­heit er­lö­sen, pos­tu­lier­te Ba­zard. Der Ein­fluss der Saint-Si­mo­nis­ten en­de­te bald, nach­dem sie sich spal­te­ten. En­fan­tin über­nahm die Fou­rier­schen Ide­en von der Be­frei­ung der Frau und er­gänz­te den Saint-Si­mo­nis­mus um das Prin­zip der frei­en Lie­be. Dem wi­der­setz­ten sich die meis­ten Mit­glie­der. En­fan­tin zog mit ei­ni­gen An­hän­gern nach Me­nil­mon­t­ant, wo er ei­ni­ge Zeit als »so­zia­ler Va­ter« mit sei­ner Ge­mein­de leb­te. Zeit­wei­se war der Zu­lauf mas­sen­haft, en­de­te aber, als das Ober­haupt der Saint-Si­mo­nis­ten 1832 ins Ge­fäng­nis kam.

Hei­nes li­te­ra­ri­sche und po­li­ti­sche Auf­fas­sun­gen wa­ren schon früh nicht mehr ver­ein­bar mit den herr­schen­den Zu­stän­den. Die Dich­ter der deut­schen Klas­sik noch hat­ten an­ge­sichts ei­ner un­voll­kom­me­nen, gar als un­er­träg­lich emp­fun­de­nen Ge­gen­wart En­de des 18. Jahr­hun­derts die Kunst der An­ti­ke idea­li­siert. Sie fan­den in ihr die he­roi­schen Idea­le und Il­lu­sio­nen, die das Bür­ger­tum zur an­ti­feu­da­len Selbst­ver­stän­di­gung be­nö­tig­te. Deut­sche Ro­man­ti­ker ver­leg­ten den geo­gra­phi­schen Ort ih­rer äs­the­ti­schen Idea­le nicht zu­letzt aus na­tio­na­lis­ti­schen, an­ti­fran­zö­si­schen und ge­gen das Ja­ko­bi­ner­tum ge­rich­te­ten Er­wä­gun­gen in den hei­mi­schen Nor­den und ins his­to­risch miss­ver­stan­de­ne Mit­tel­al­ter. Das mach­te ih­re Vor­stel­lun­gen mit rück­wärts ge­wand­ten po­li­ti­schen und re­li­giö­sen Auf­fas­sun­gen ver­ein­bar.

Für Hans Kauf­mann, dem Her­aus­ge­ber der 10-bän­di­gen Aus­ga­be des Auf­bau­ver­lags (Hein­rich Hei­ne, Wer­ke und Brie­fe, Ber­lin und Wei­mar), klärt sich die bei frü­hen Ro­man­ti­kern ih­res his­to­ri­schen In­halts noch kaum be­wuss­te, aber als »ro­man­ti­sche Iro­nie« viel­be­re­de­te Nei­gung zum Ab­bau he­roi­scher Il­lu­sio­nen im Werk Hei­nes zur Auf­fas­sung, dass je­der Zu­stand der Ge­sell­schaft zu be­kämp­fen ist, in dem die Men­schen der­ar­ti­ger Il­lu­sio­nen be­dür­fen. Hei­nes Werk wer­fe die Fra­ge nach dem Ver­hält­nis der geis­ti­gen und künst­le­ri­schen Wer­te, die die Mensch­heit bis­her ge­schaf­fen hat, zur Rea­li­tät der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft auf. Die bür­ger­li­che Ideo­lo­gie ha­be ihm nie ver­zie­hen, dass er dies Ver­hält­nis als Miss­ver­hält­nis ent­hüllt und in Ly­rik und Pro­sa, in Ge­dich­ten und Ar­ti­keln dar­auf hin­ar­bei­tet, die­sem Er­be jen­seits der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft ei­ne ir­di­sche Hei­mat zu grün­den; dass er, mit an­de­ren Wor­ten, auf den So­zia­lis­mus als die Wahr­heit der kühns­ten und grö­ß­ten Träu­me der Mensch­heit hin­zie­le.

»In der Brust der Schrift­­stel­­ler ei­­nes Vol­­kes liegt schon das Ab­­bild von de­s­­­sen Zu­­kunft, und ein Kri­­ti­­ker der mit hin­­län­g­­lich schar­­fem Mes­­ser ei­­nen neu­e­­ren Dich­­ter se­­zier­­te, kön­n­­te, wie aus den Ein­­ge­­wei­­den ei­­nes Op­­fer­­tiers, sehr leicht pro­­­phe­­zei­en, wie sich Deutsch­­land in der Fol­­ge ge­­s­tal­­ten wird.«

(Hein­rich Hei­ne, Die ro­man­ti­sche Schu­le. Hei­ne, Wer­ke und Brie­fe, Ber­lin und Wei­mar 1980, Bd. 5, S. 125)

Am 10. De­zem­ber 1835 wur­den Hei­nes bis­her er­schie­ne­nen Schrif­ten vom Deut­schen Bun­des­tag ver­bo­ten, we­nig spä­ter al­le künf­ti­gen vom Kö­nig­reich Preu­ßen.

­Graf von Ar­nim, preu­ßi­scher In­nen­mi­nis­ter, gab am 16. April 1844 ei­nen Haft­be­fehl ge­gen Hei­ne her­aus. Die­ser Grenz­haft­be­fehl ent­hielt au­ßer­dem die Na­men von Ar­nold Ru­ge, Karl Marx und Karl Lud­wig Ber­nays, dem Re­dak­teur des Pa­ri­ser Vor­wärts.

­Der saint-si­mo­nis­ti­sche »Glo­be« mel­de­te Hei­nes An­kunft in Pa­ris am 22. Mai 1831. Ein Jahr nach der Ju­li­re­vo­lu­ti­on war die­se Stadt nicht nur für Hei­ne, auch vie­le für an­de­re In­tel­lek­tu­el­le, Hand­wer­ker und Ar­bei­ter der Ort, an dem sie frei zu at­men hof­fen konn­ten. Der Be­griff von Kom­mu­nis­mus, den Hei­ne da­mals hat­te, war ge­prägt von den uto­pi­schen Vor­stel­lun­gen von den An­hän­gern von Saint-Si­mon, vor al­lem von Ba­beuf. Als He­gel­schü­ler hat­te er theo­re­ti­sche Vor­be­hal­te ge­gen sol­che Ide­en, die letzt­lich auf Rous­seau fu­ßen. Hei­ne in­des ver­stand sich eher in der auf­klä­re­ri­schen Tra­di­ti­on in der Fol­ge von Vol­taire.

Porträt des jungen Karl Marx.

Marx und Hei­ne ha­ben sich spä­tes­tens im De­zem­ber 1843 ken­nen­ge­lernt, gleich nach Hei­nes Rück­­kehr nach Pa­ris, und re­gen Um­gang mit­ein­an­der ge­pflegt. Der en­ge per­sön­li­che Aus­tausch dau­er­te bis zum Fe­bru­ar 1845, als Marx auf Ver­an­las­sung der preu­ßi­schen Re­gie­rung aus­ge­wie­sen wur­de.

­In dem Es­say »Hei­ne und Marx« von Walt­her Vic­tor (Ber­lin, 1970) wird ein Brief von Hei­ne an Marx do­ku­men­tiert, der die­se re­ge Be­kannt­schaft von fast fa­mi­liä­rem Cha­rak­ter be­legt. Er ist vom 21. Sep­tem­ber 1844 da­tiert.

­Zi­tat:

»Liebs­ter Marx!

Ich lei­de wie­der an mei­nem fa­ta­len Au­gen­übel, und nur mit Mü­he kritz­le ich Ih­nen die­se Zei­len. In­des­sen, was ich Ih­nen wich­ti­ges zu sa­gen, kann ich Ih­nen An­fangs nächs­ten Mo­nats münd­lich sa­gen, denn ich be­rei­te mich zur Ab­rei­se, be­ängs­tigt durch ei­nen Wink von Oben – ich ha­be nicht Lust auf mich fahn­den zu las­sen, mei­ne Bei­ne ha­ben kein Ta­lent ei­ser­ne Rin­ge zu tra­gen, wie Weit­ling sie trug. Er zeig­te mir die Spu­ren. Man ver­mu­tet bei mir grö­ße­re Teil­nah­me am Vor­wärts als ich mich de­ren rüh­men kann, und ehr­lich ge­stan­den das Blatt be­ur­kun­det die grö­ß­te Meis­ter­schaft im Auf­rei­zen und Com­pro­mit­tie­ren. Was soll das ge­ben, so­gar Mäu­rer ist de­bord­iert – münd­lich mehr hier­über. Wenn nur kei­ne Per­fi­di­en in Pa­ris aus­ge­spon­nen wer­den. Mein Buch ist ge­druckt, wird aber erst in 10 bis 14 Ta­gen hier aus­ge­ge­ben, da­mit nicht gleich Lärm ge­schla­gen wird. Die Aus­hän­ge­bo­gen des po­li­ti­schen Teils, na­ment­lich wo mein gro­ßes Ge­dicht, schi­cke ich Ih­nen heu­te un­ter Kreuz­ku­vert, in drei­fa­cher Ab­sicht. Näm­lich, ers­tens da­mit Sie sich da­mit amü­sie­ren, zwei­tens da­mit schon gleich An­stal­ten tref­fen kön­nen für das Buch in der deut­schen Pres­se zu wir­ken, und drit­tens da­mit Sie, wenn Sie es rat­sam er­ach­ten, im Vor­wärts das Bes­te aus dem neu­en Ge­dich­te ab­dru­cken las­sen kön­nen. […] Le­ben Sie wohl, teu­rer Freund, und ent­schul­di­gen Sie mein ver­wor­re­nes Ge­krit­zel. Ich kann nicht über­le­sen was ich ge­schrie­ben – aber wir brau­chen ja we­ni­ge Zei­chen um uns zu ver­ste­hen. Her­zin­nigst H. Hei­ne.«

(Vic­tor, S. 33 ff.)

­Die­ser Brief wur­de 1895 erst­mals in der »Neu­en Zeit« ab­ge­druckt, der theo­re­ti­schen Zeit­schrift der SPD, und er­schien zu­sam­men mit ei­nem Kom­men­tar von Franz Meh­ring, nach­dem die Ge­nos­sen ver­geb­lich auf ei­nen Kom­men­tar von En­gels ge­war­tet hat­ten. Der war im sel­ben Jahr ver­stor­ben.

­Das Win­ter­mär­chen hat Hei­ne im Ja­nu­ar 1844 ge­schrie­ben. Im Sep­tem­ber des­sel­ben Jah­res wur­de es mit »Neu­en Ge­dich­ten« bei Hoff­mann und Cam­pe ge­druckt.

An den deutsch-fran­zö­si­schen Jahr­bü­chern von Ar­nold Ru­ge steu­er­te im sel­ben Jahr Marx sei­nen Ar­ti­kel »Ein­lei­tung zu ei­ner Kri­tik der He­gel­schen Rechts­phi­lo­so­phie« bei und Hei­ne das fol­gen­de Ge­dicht über den bay­ri­schen Kö­nig Lud­wig:

Kö­nig Lud­wig I. von Bay­ern war Va­ter von Ot­to, der 1833 min­der­jäh­rig den Thron Grie­chen­lands be­stieg. Grie­chen­land hat­te, um sich der os­ma­ni­schen Herr­schaft zu ent­le­di­gen, sich auf die Hil­fe der Gro­ß­mäch­te Eng­land und Frank­reich stüt­zen kön­nen. Lud­wigs Schwes­ter Eli­sa­beth war die Frau von Fried­rich Wil­helm IV. von Preu­ßen.

Lobgesänge auf König Ludwig

I

Das ist Herr Ludwig von Bayerland,
Desgleichen gibt es wenig;
Das Volk der Bavaren verehrt in ihm
Den angestammelten König.

Er liebt die Kunst, und die schönsten Fraun,
Die läßt er porträtieren;
Er geht in diesem gemalten Serail
Als Kunsteunuch spazieren.

Bei Regensburg läßt er erbaun
Eine marmorne Schädelstätte,
Und er hat höchstselbst für jeden Kopf
Verfertigt die Etikette.

»Walhallagenossen«, ein Meisterwerk,
Worin er jedweden Mannes
Verdienste, Charakter und Taten gerühmt,
Von Teut bis Schinderhannes.

Nur Luther, der Dickkopf, fehlt in Walhall,
Und es feiert ihn nicht der Walhall-Wisch;
In Naturaliensammlungen fehlt
Oft unter den Fischen der Walfisch.

Herr Ludwig ist ein großer Poet,
Und singt er, so stürzt Apollo
Vor ihm auf die Knie und bittet und fleht:
»Halt ein! ich werde sonst toll, oh!«

Herr Ludwig ist ein mutiger Held,
Wie Otto, das Kind, sein Söhnchen;
Der kriegte den Durchfall zu Athen,
Und hat dort besudelt sein Thrönchen.

Stirbt einst Herr Ludwig, so kanonisiert
Zu Rom ihn der Heilige Vater – Die Glorie paßt für ein solches Gesicht,
Wie Manschetten für unseren Kater!

Sobald auch die Affen und Känguruhs
Zum Christentum sich bekehren,
Sie werden gewiß Sankt Ludewig
Als Schutzpatron verehren.



III

Zu München in der Schloßkapell'
Steht eine schöne Madonne;
Sie trägt in den Armen ihr Jesulein,
Der Welt und des Himmels Wonne.

Als Ludewig von Bayerland
Das Heiligenbild erblicket,
Da kniete er nieder andachtsvoll
Und stotterte selig verzücket:

»Maria, Himmelskönigin,
Du Fürstin sonder Mängel!
Aus Heil'gen besteht dein Hofgesind',
Und deine Diener sind Engel.

Geflügelte Pagen warten dir auf,
Sie flechten dir Blumen und Bänder
Ins goldene Haar, sie tragen dir nach
Die Schleppe deiner Gewänder.

Maria, reiner Morgenstern,
Du Lilie sonder Makel,
Du hast so manches Wunder getan,
So manches fromme Mirakel -

Oh, laß aus deiner Gnaden Born
Auch mir ein Tröpflein gleiten!
Gib mir ein Zeichen deiner Huld,
Der hochgebenedeiten!« -

Die Muttergottes bewegt sich alsbald,
Sichtbar bewegt sich ihr Mündchen,
Sie schüttelt ungeduldig das Haupt
Und spricht zu ihrem Kindchen:

»Es ist ein Glück, dass ich auf dem Arm
Dich trage und nicht mehr im Bauche,
Ein Glück, dass ich vor dem Versehn
Mich nicht mehr zu fürchten brauche.

Hätt ich in meiner Schwangerschaft
Erblickt den häßlichen Toren,
Ich hätte gewiß einen Wechselbalg
Statt eines Gottes geboren.«

(Victor, S. 119)

 

Der Vorwärts war eine Pariser Asylanten-Zeitung. Das folgende Gedicht wurde dort veröffentlicht und war Anlass für preußische Demarchen gegen Marx und seiner Ausweisung aus Frankreich.

Der Kaiser von China

Mein Vater war ein trockner Taps,
Ein nüchterner Duckmäuser,
Ich aber trinke meinen Schnaps
Und bin ein großer Kaiser.

Das ist ein Zaubertrank! Ich hab's
Entdeckt in meinem Gemüte:
Sobald ich getrunken meinen Schnaps,
Steht China ganz in Blüte.

Das Reich der Mitte verwandelt ich dann
In einen Blumenanger,
Ich selber werde fast ein Mann,
Und meine Frau wird schwanger.

Allüberall ist Überfluß,
Und es gesunden die Kranken;
Mein Hofweltweiser Confusius
Bekömmt die klarsten Gedanken.

Der Pumpernickel des Soldats
Wird Mandelkuchen – O Freude!
Und alle Lumpen meines Staats
Spazieren in Samt und Seide.

Die Mandarinenritterschaft,
Die invaliden Köpfe,
Gewinnen wieder Jugendkraft
Und schütteln ihre Zöpfe.

Die große Pagode, Symbol und Hort
Des Glaubens, ist fertiggeworden;
Die letzten Juden taufen sich dort
Und kriegen den Drachenorden.

Es schwindet der Geist der Revolution,
Und es rufen die edelsten Mandschu:
Wir wollen keine Konstitution,
Wir wollen den Stock, den Kantschu!

Wohl haben die Schüler Äskulaps
Das Trinken mir widerraten,
Ich aber trinke meinen Schnaps
Zum Besten meiner Staaten.

Und noch einen Schnaps, und noch einen Schnaps!
Das schmeckt wie lauter Manna!
Mein Volk ist glücklich, hat's auch den Raps,
Und jubelt: Hosianna!

(Victor S. 56)

Of­fen­kun­dig rich­tet sich die­ses Ge­dicht ge­gen Fried­rich Wil­helm IV. Der preu­ßi­sche In­nen­mi­nis­ter ap­pel­lier­te mit Er­folg an die mon­ar­chi­sche So­li­da­ri­tät Louis Phil­ip­pes. Der Vor­wärts wur­de ver­bo­ten, der Re­dak­teur Bar­neys ver­haf­tet und Karl Marx aus­ge­wie­sen. Über Marx’ Be­deu­tung war man sich in­zwi­schen wohl klar ge­wor­den.

Leo Kreut­zer, der das Ver­hält­nis Hei­nes zum Kom­mu­nis­mus 1969 un­ter­sucht hat, fasst die Be­deu­tung der Be­geg­nung mit Marx in fol­gen­de Wor­te:

»Um 1840 re­ser­vier­te Auf­merk­sam­keit für die ba­bou­vis­ti­schen Ten­den­zen im fran­zö­si­schen Pro­le­ta­ri­at, we­ni­ge Jah­re spä­ter, 1844/45, vor­be­halt­lo­se Zu­stim­mung zu ei­nem Bünd­nis der He­gel­schen Phi­lo­so­phie und der pro­le­ta­ri­schen Be­we­gung, – das ist die Ent­wick­lung von Hei­nes Ver­hält­nis zum Kom­mu­nis­mus wäh­rend der ers­ten Hälf­te der vier­zi­ger Jah­re,…«

Marx selbst setz­te sich eben­falls zu die­sem Zeit­punkt, im Jahr 1844, noch mit dem ro­hen Kom­mu­nis­mus von Ba­beuf aus­ein­an­der. In sei­nen öko­no­misch-phi­lo­so­phi­schen Ma­nu­skrip­ten aus die­sem Jahr heißt es:

»Die Auf­he­bung der Selbst­ent­frem­dung macht den­sel­ben Weg wie die Selbst­ent­frem­dung. Erst wird das Pri­vat­ei­gen­tum nur in sei­ner ob­jek­ti­ven Sei­te – aber doch die Ar­beit als sein We­sen – be­trach­tet. Sei­ne Da­seins­form ist da­her das Ka­pi­tal, das ›als sol­ches‹ auf­zu­he­ben ist (Proud­hon). Oder die be­sond­re Wei­se der Ar­beit – als ni­vel­lier­te, par­zel­lier­te und dar­um un­freie Ar­beit – wird als die Quel­le der Schäd­lich­keit des Pri­vat­ei­gen­tums und sei­nes men­schen­ent­frem­de­ten Da­seins ge­fa­ßt – Fou­rier, der den Phy­sio­kra­ten ent­spre­chend auch wie­der die Land­bau­ar­beit we­nigs­tens als die aus­ge­zeich­ne­te fasst, wäh­rend St. Si­mon im Ge­gen­satz die In­dus­trie­ar­beit als sol­che für das We­sen er­klärt und nun auch die al­lei­ni­ge Herr­schaft der In­dus­tri­el­len und die Ver­bes­se­rung der La­ge der Ar­bei­ter be­gehrt. Der Kom­mu­nis­mus end­lich ist der po­si­ti­ve Aus­druck des auf­ge­hob­nen Pri­vat­ei­gen­tums, zu­nächst das all­ge­mei­ne Pri­vat­ei­gen­tum. In­dem er dies Ver­hält­nis in sei­ner All­ge­mein­heit fa­ßt, ist er in sei­ner ers­ten Ge­stalt nur ei­ne Ver­all­ge­mei­ne­rung und Voll­endung des­sel­ben; als sol­che zeigt er sich in dop­pel­ter Ge­stalt: ein­mal ist die Herr­schaft des sach­li­chen Ei­gen­tums so groß ihm ge­gen­über, dass er al­les ver­nich­ten will, was nicht fä­hig ist, als Pri­vat­ei­gen­tum von al­len be­ses­sen [zu] wer­den; er will auf ge­walt­sa­me Wei­se von Ta­lent etc. ab­stra­hie­ren.«

(MEW, 1. Ergänzungsband. S. 533 f.)

 

 

Hier ha­be ich nur we­nig Ge­le­gen­heit, auf den ba­bou­vis­ti­schen »ro­hen« Kom­mu­nis­mus ein­zu­ge­hen. Wir es mit Po­si­tio­nen zu tun, die zum Put­schis­mus nei­gen. Ganz kurz: François Noël Ba­beuf (ge­nannt Grac­chus Ba­beuf; 1760 -1797) for­der­te nach dem Sturz Ro­bes­pierres und dem En­de des Ter­reurs im Jahr 1794 als Grün­der der Ver­schwö­rung der Glei­chen die Ein­set­zung des Ver­fas­sungs­ent­wurfs von 1793. An­ge­sichts der so­zia­len Nö­te, des Hun­gers, der durch die In­fla­ti­on der As­si­gna­te 1795 ver­ur­sacht wur­de, fand sei­ne Lo­sung »Die Na­tur hat je­dem Men­schen ein glei­ches Recht auf den Ge­nuss al­ler Gü­ter ge­ge­ben« und die For­de­rung nach der Gü­ter­ge­mein­schaft gro­ßen An­klang. Die Ver­schwö­rung der Glei­chen mit Ba­beuf und Buo­na­rot­ti plan­te ei­nen Putsch. Selbst­ver­ständ­lich gin­gen die Ver­schwö­rer kon­spi­ra­tiv vor, vie­le ih­rer Mit­strei­ter wur­den ih­re Plä­ne und Er­for­der­nis­se ih­res Han­delns im Dun­keln ge­las­sen. Ih­rer Vor­stel­lung nach hät­te das Pro­gramm ei­ner kom­mu­nis­ti­schen Ge­sell­schaft erst nach ei­ner ge­wis­sen Dau­er des Re­gimes der Kom­mu­nis­ten er­füllt wer­den kön­nen. Die Ver­schwö­rung wur­de ver­ra­ten, Ba­beuf hin­ge­rich­tet. Der Mit­ver­schwö­rer Buo­na­rot­ti kam 1807 frei, blieb in der Ver­ban­nung, ver­öf­fent­lich­te ein Buch über die Ver­schwö­rung und den Pro­zess ge­gen Ba­beuf und Ge­nos­sen. Nach der Ju­li­re­vo­lu­ti­on zog er nach Pa­ris und war hier auch noch po­li­tisch tä­tig. Die Auf­stän­de in Ly­on und Pa­ris 1834 ga­ben den Neo-Ba­bou­vis­ten Auf­trieb. Ih­re Vor­stel­lun­gen An­fang der vier­zi­ger Jah­re prä­gen zu die­ser Zeit den Be­griff von Kom­mu­nis­mus.

 

 

 

Die Wanderratten

Es gibt zwei Sorten Ratten:
Die hungrigen und satten.
Die satten bleiben vergnügt zu Haus,
Die hungrigen aber wandern aus.

Sie wandern viel tausend Meilen,
Ganz ohne Rasten und Weilen,
Gradaus in ihrem grimmigen Lauf,
Nicht Wind noch Wetter hält sie auf.

Sie klimmen wohl über die Höhen,
Sie schwimmen wohl durch die Seen;
Gar manche ersäuft oder bricht das Genick,
Die lebenden lassen die toten zurück.

Es haben diese Käuze
Gar fürchterliche Schnäuze;
Sie tragen die Köpfe geschoren egal,
Ganz radikal, ganz rattenkahl.

Die radikale Rotte
Weiß nichts von einem Gotte.
Sie lassen nicht taufen ihre Brut,
Die Weiber sind Gemeindegut.

Der sinnliche Rattenhaufen,
Er will nur fressen und saufen,
Er denkt nicht, während er säuft und frißt,
dass unsre Seele unsterblich ist.

So eine wilde Ratze,
Die fürchtet nicht Hölle, nicht Katze;
Sie hat kein Gut, sie hat kein Geld
Und wünscht aufs neue zu teilen die Welt.

Die Wanderratten, o wehe!
Sie sind schon in der Nähe.
Sie rücken heran, ich höre schon
Ihr Pfeifen – die Zahl ist Legion.

O wehe! wir sind verloren,
Sie sind schon vor den Toren!
Der Bürgermeister und Senat,
Sie schütteln die Köpfe, und keiner weiß Rat.

 

Die Bürgerschaft greift zu den Waffen,
Die Glocken läuten die Pfaffen.
Gefährdet ist das Palladium
Des sittlichen Staats, das Eigentum.

Nicht Glockengeläute, nicht Pfaffengebete,
Nicht hochwohlweise Senatsdekrete,
Auch nicht Kanonen, viel Hundertpfünder,
Sie helfen euch heute, ihr lieben Kinder!

Heut helfen euch nicht die Wortgespinste
Der abgelebten Redekünste.
Man fängt nicht Ratten mit Syllogismen,
Sie springen über die feinsten Sophismen.

Im hungrigen Magen Eingang finden
Nur Suppenlogik mit Knödelgründen,
Nur Argumente von Rinderbraten,
Begleitet mit Göttinger Wurstzitaten.

Ein schweigender Stockfisch, in Butter gesotten,
Behaget den radikalen Rotten
Viel besser als ein Mirabeau
Und alle Redner seit Cicero

Heine-WuB Bd. 2, S. 392 f.

Vier Jah­re nach den öko­no­misch-phi­lo­so­phi­schen Ma­nu­skrip­ten for­mu­liert Marx im Kom­mu­nis­ti­schen Ma­ni­fest ei­nen an­de­ren Be­griff von Kom­mu­nis­mus und schreibt:

»Die ers­ten Ver­su­che des Pro­le­ta­ri­ats, in ei­ner Zeit all­ge­mei­ner Auf­re­gung, in der Pe­ri­ode des Um­stur­zes der feu­da­len Ge­sell­schaft di­rekt sein ei­ge­nes Klas­sen­in­ter­es­se durch­zu­set­zen, schei­ter­ten not­wen­dig an der un­ent­wi­ckel­ten Ge­stalt des Pro­le­ta­ri­ats selbst wie an dem Man­gel der ma­te­ri­el­len Be­din­gun­gen sei­ner Be­frei­ung, die eben erst das Pro­dukt der bür­ger­li­chen Epo­che sind. Die re­vo­lu­tio­nä­re Li­te­ra­tur, wel­che die­se ers­ten Be­we­gun­gen des Pro­le­ta­ri­ats be­glei­te­te, ist dem In­halt nach not­wen­dig re­ak­tio­när. Sie lehrt ei­nen all­ge­mei­nen As­ke­tis­mus und ei­ne ro­he Gleich­ma­che­rei.

Die ei­gent­lich so­zia­lis­ti­schen und kom­mu­nis­ti­schen Sys­te­me, die Sys­te­me St-Si­mons, Fou­riers, Owens usw., tau­chen auf in der ers­ten, un­ent­wi­ckel­ten Pe­ri­ode des Kampfs zwi­schen Pro­le­ta­ri­at und Bour­geoi­sie, die wir oben dar­ge­stellt ha­ben.

Die Er­fin­der die­ser Sys­te­me se­hen zwar den Ge­gen­satz der Klas­sen wie die Wirk­sam­keit der auf­lö­sen­den Ele­men­te in der herr­schen­den Ge­sell­schaft selbst. Aber sie er­bli­cken auf der Sei­te des Pro­le­ta­ri­ats kei­ne ge­schicht­li­che Selbst­tä­tig­keit, kei­ne ihm ei­gen­tüm­li­che po­li­ti­sche Be­we­gung.

Da die Ent­wick­lung des Klas­sen­ge­gen­sat­zes glei­chen Schritt hält mit der Ent­wick­lung der In­dus­trie, fin­den sie eben­so­we­nig die ma­te­ri­el­len Be­din­gun­gen zur Be­frei­ung des Pro­le­ta­ri­ats vor und su­chen nach ei­ner so­zia­len Wis­sen­schaft, nach so­zia­len Ge­set­zen, um die­se Be­din­gun­gen zu schaf­fen.

An die Stel­le der ge­sell­schaft­li­chen Tä­tig­keit muss ih­re per­sön­lich er­fin­de­ri­sche Tä­tig­keit tre­ten, an die Stel­le der ge­schicht­li­chen Be­din­gun­gen der Be­frei­ung phan­tas­ti­sche, an die Stel­le der all­mäh­lich vor sich ge­hen­den Or­ga­ni­sa­ti­on des Pro­le­ta­ri­ats zur Klas­se ei­ne ei­gens aus­ge­heck­te Or­ga­ni­sa­ti­on der Ge­sell­schaft. Die kom­men­de Welt­ge­schich­te löst sich für sie auf in die Pro­pa­gan­da und die prak­ti­sche Aus­füh­rung ih­rer Ge­sell­schafts­plä­ne.«

(MEW Bd. 4, S. 489 f.)

In­ter­es­sant ist in­des, dass er von die­sem Ver­dikt Ba­beuf selbst aus­drück­lich aus­nimmt:

»Wir re­den hier nicht von der Li­te­ra­tur, die in al­len gro­ßen mo­der­nen Re­vo­lu­tio­nen die For­de­run­gen des Pro­le­ta­ri­ats aus­sprach. (Schrif­ten Ba­beufs etc.)«

Noch in den heu­ti­gen Wi­der­sprü­chen der Lin­ken fin­den wir Se­di­men­te uto­pi­scher So­zia­lis­mus-Vor­stel­lun­gen wie­der. Hei­ne nimmt, wie Kreut­zer mit­teilt, den Kom­mu­nis­mus in der ro­hen Fas­sung von An­fang der vier­zi­ger Jah­re in Pa­ris wahr, als Theo­rie der Neob­a­bou­vis­ten. Erst die Ver­bin­dung mit Marx ver­mit­telt ihm ei­nen an­de­ren Be­griff.

»Die mehr oder min­der ge­hei­men Füh­rer der deut­schen Kom­mu­nis­ten sind gro­ße Lo­gi­ker, von de­nen die stärks­ten aus der He­gel­schen Schu­le her­vor­ge­gan­gen sind, und sie sind oh­ne Zwei­fel die fä­higs­ten Köp­fe und en­er­gie­volls­ten Cha­rak­te­re Deutsch­lands. Die­se Dok­to­ren der Re­vo­lu­ti­on und mit­leid­los ent­schlos­se­nen Jün­ger sind die ein­zi­gen Män­ner in Deutsch­land, de­nen Le­ben in­ne­wohnt und ih­nen ge­hört die Zu­kunft.«

Hei­ne, Wer­ke und Brie­fe, Bd. 7, 489/490 (nach der fran­zö­si­schen Aus­ga­be der »Ge­ständ­nis­se«, Sep­tem­ber 1854)

En­gels ver­merkt am 13. De­zem­ber 1844 in ei­nem Auf­satz in der »New Mo­ral World«:

»Hein­rich Hei­ne, der grö­ß­te von al­len le­ben­den deut­schen Dich­tern, hat sich un­se­ren Rei­hen an­ge­schlos­sen«.

Die Ver­bin­dung zu Marx blieb herz­lich. Sie wur­de in den fol­gen­den Jah­ren auf­recht er­hal­ten. Das hat­te min­des­tens ei­ne prak­ti­sche Kon­se­quenz. Hei­ne konn­te sich in der Zeit sei­ner Ma­trat­zen­gruft, die von 1848 bis zu sei­nem To­de am 17. Fe­bru­ar 1856 dau­er­te, ab 1850 ei­nes Se­kre­tärs be­die­nen, der Mit­glied des »Bun­des der Kom­mu­nis­ten« war. Er ist ihm wohl durch Marx ver­mit­telt wor­den: Ri­chard Rein­hardt. Da­von be­rich­tet Ernst Pa­wel in »Der Dich­ter stirbt. Hein­rich Hei­nes letz­te Jah­re in Pa­ris«, Ber­lin 1997. Ri­chard Rein­hardt war es vor al­lem, der die ver­streu­ten Ar­ti­kel in der Augs­bur­ger All­ge­mei­nen, aus de­nen das Buch »Lu­te­tia« be­steht, zu­sam­men­ge­sucht und ge­ord­net hat. Er war ihm auch bei den an­de­ren Ar­bei­ten be­hilf­lich. Den Um­stand, dass er als Über­set­zer der fran­zö­si­schen Aus­ga­be der »Lu­te­tia« nicht er­wähnt wor­den ist, hat er zum An­lass ge­nom­men, Hei­ne zu bit­ten, ihn als Ver­wal­ter sei­nes li­te­ra­ri­schen Nach­las­ses ein­zu­set­zen. Dar­über ge­rie­ten die bei­den in ei­nen kur­zen und hef­ti­gen Streit, in des­sen Fol­ge Rein­hardt von heu­te auf mor­gen ent­las­sen wur­de. Als Hin­ter­grund die­ses Streits ver­mu­tet Ernst Pa­wel den Um­stand, dass Mat­hil­de, wie Hei­ne sei­ne Frau nann­te, Ri­chard Rein­hardt nicht lei­den konn­te, vor al­lem aber wohl da­mals schon dar­an in­ter­es­siert war, ei­nen Teil des li­te­ra­ri­schen Nach­las­ses an Hei­nes Ver­wandt­schaft zu ver­kau­fen. Die hat­te näm­lich Angst vor sei­nen Me­moi­ren, mit de­nen Hei­ne im­mer ge­droht hat­te, und war be­reit, da­für ei­ne be­trächt­li­che Sum­me zu zah­len.

Da sie ver­schwun­den sind, ist die­ser Ver­dacht we­der zu er­här­ten noch zu wi­der­le­gen.

Wir dür­fen ge­trost die »Lu­te­tia« als po­li­ti­sches Tes­ta­ment ver­ste­hen. Und nicht nur ihr Vor­wort. Ge­schrie­ben am 30. März 1855. Un­ter­ti­tel: Be­rich­te über Po­li­tik, Kunst und Volks­le­ben.

»Wa­ren die Re­pu­bli­ka­ner ein be­denk­li­ches The­ma für den Kor­re­spon­den­ten der All­ge­mei­nen Zei­tung, so wa­ren es noch in höherm Gra­de die So­zia­lis­ten oder, um das Schreck­nis bei sei­nem rech­ten Na­men zu nen­nen, die Kom­mu­nis­ten. Und den­noch ge­lang es mir, die­ses The­ma in der All­ge­mei­nen Zei­tung zu be­spre­chen. Gar man­chen Brief un­ter­drück­te die Re­dak­ti­on, in der wohl­mei­nen­den Furcht, dass man den Teu­fel nicht an die Wand ma­len dür­fe. Aber nicht al­les durf­te sie ver­tu­schen, und, wie ge­sagt, es ge­lang, das fürch­ter­li­che The­ma zur Spra­che zu brin­gen, zu ei­ner Zeit, wo noch nie­mand ei­ne Ah­nung von sei­ner wah­ren Be­deu­tung hat­te. Ich mal­te den Teu­fel an die Wand, oder, wie ein geist­rei­cher Freund sich aus­drück­te, ich mach­te ihm ei­ne höl­li­sche Re­kla­me. Die Kom­mu­nis­ten, die ver­ein­zelt in al­len Lan­den ver­brei­tet, oh­ne be­stimm­tes Be­wusst­sein ih­res Wol­lens, er­fuh­ren durch die All­ge­mei­ne Zei­tung, dass sie wirk­lich exis­tier­ten, er­fuh­ren auch bei sol­cher Ge­le­gen­heit ih­ren wirk­li­chen Na­men, der man­chem die­ser ar­men Fin­del­kin­der der al­ten Ge­sell­schaft ganz un­be­kannt war. Durch die All­ge­mei­ne Zei­tung er­hiel­ten die zer­streu­ten Kom­mu­nis­ten­ge­mein­den au­then­ti­sche Nach­rich­ten über die täg­li­chen Fort­schrit­te ih­rer Sa­che, sie ver­nah­men zu ih­rer Ver­wun­de­rung, dass sie kei­nes­wegs ein schwa­ches Häuf­lein, son­dern die stärks­te al­ler Par­tei­en, dass ihr Tag noch nicht ge­kom­men, dass aber ru­hi­ges War­ten kein Zeit­ver­lust sei für Leu­te, de­nen die Zu­kunft ge­hört. Die­ses Ge­ständ­nis, dass den Kom­mu­nis­ten die Zu­kunft ge­hört, mach­te ich im To­ne der grö­ß­ten Angst und Be­sorg­nis, und ach! die­se Ton­art war kei­nes­wegs ei­ne Mas­ke! In der Tat, nur mit Grau­en und Schre­cken den­ke ich an die Zeit, wo je­ne dunk­len Iko­nok­las­ten zur Herr­schaft ge­lan­gen wer­den: mit ih­ren ro­hen Fäus­ten zer­schla­gen sie als­dann al­le Mar­mor­bil­der mei­ner ge­lieb­ten Kunst­welt, sie zer­trüm­mern al­le je­ne phan­tas­ti­schen Schnurr­pfei­fe­rei­en, die dem Poe­ten so lieb wa­ren; sie ha­cken mir mei­ne Lor­beer­wäl­der um, und pflan­zen dar­auf Kar­tof­feln; die Li­li­en, wel­che nicht span­nen und ar­bei­te­ten, und doch so schön ge­klei­det wa­ren wie Kö­nig Sa­lo­mon, wer­den aus­ger­auft aus dem Bo­den der Ge­sell­schaft, wenn sie nicht et­wa zur Spin­del grei­fen wol­len; den Ro­sen, den mü­ßi­gen Nach­ti­gall­bräu­ten, geht es nicht bes­ser; die Nach­ti­gal­len, die un­nüt­zen Sän­ger, wer­den fort­ge­jagt, und ach! Mein ›Buch der Lie­der‹ wird der Kraut­krä­mer zu Tü­ten ver­wen­den, um Kaf­fee oder Schnupf­ta­bak dar­in zu schüt­ten für die al­ten Wei­ber der Zu­kunft – Ach! das se­he ich al­les vor­aus, und ei­ne un­säg­li­che Be­trüb­nis er­greift mich, wenn ich an den Un­ter­gang den­ke, wo­mit mei­ne Ge­dich­te und die gan­ze al­te Welt­ord­nung von dem Kom­mu­nis­mus be­droht ist – Und den­noch, ich ge­ste­he es frei­mü­tig, übt der­sel­be [- so feind­lich er al­len mei­nen In­ter­es­sen und Nei­gun­gen ist -] auf mein Ge­müt ei­nen Zau­ber, des­sen ich mich nicht er­weh­ren kann, in mei­ner Brust spre­chen zwei Stim­men zu sei­nen Guns­ten, die sich nicht zum Schwei­gen brin­gen las­sen, die viel­leicht nur dia­bo­li­sche Ein­flüs­te­run­gen sind – aber ich bin nun ein­mal da­von be­ses­sen, und kei­ne ex­or­zie­ren­de Ge­walt kann sie be­zwin­gen – Denn die ers­te die­ser Stim­men ist die Lo­gik – der Teu­fel ist ein Lo­gi­ker, sagt Dan­te – ein schreck­li­cher Syl­lo­gis­mus be­hext mich, und kann ich der Prä­mis­se nicht wi­der­spre­chen: ›dass al­le Men­schen das Recht ha­ben zu es­sen‹, so muss ich mich auch al­len Fol­ge­run­gen fü­gen – ich könn­te dar­über un­klug wer­den, al­le Dä­mo­nen der Wahr­heit tan­zen tri­um­phie­rend um mich her, und am En­de er­greift mich ei­ne ver­zweif­lungs­vol­le Gro­ß­mut, wo ich aus­ru­fe: [Sie ist längst ge­rich­tet, ver­ur­teilt, die­se al­te Ge­sell­schaft. Mag ihr Ge­rech­tig­keit wi­der­fah­ren! Mag sie zer­schla­gen wer­den, die­se al­te Welt, wo die Un­schuld zu­grun­de ging, wo der Ego­is­mus ge­dieh, wo der Mensch aus­ge­beu­tet wur­de durch den Men­schen! Mö­gen sie von Grund aus zer­stört wer­den, die­se über­tünch­ten Grä­ber, wo die Lü­ge und die schrei­en­de Un­ge­rech­tig­keit haus­ten! und] ge­seg­net sei der Kraut­krä­mer, der einst aus mei­nen Ge­dich­ten Tü­ten ver­fer­tigt, wor­in er Kaf­fee und Schnupf­ta­bak schüt­tet für die ar­men al­ten Müt­ter­chen, die in uns­rer heu­ti­gen Welt der Un­ge­rech­tig­keit viel­leicht ei­ne sol­che La­bung ent­beh­ren muss­ten – fi­at jus­ti­tia, pe­re­at mun­dus!

Und die zwei­te der bei­den zwin­gen­den Stim­men, von wel­chen ich re­de, ist noch ge­wal­ti­ger, als die ers­te, denn sie ist die des Has­ses, des Has­ses, den ich je­nem ge­mein­sa­men Fein­de wid­me, der den be­stimm­tes­ten Ge­gen­satz zu dem Kom­mu­nis­mus bil­det, und der sich dem zür­nen­den Rie­sen schon bei sei­nem ers­ten Auf­tre­ten ent­ge­gen­stel­len wird – ich re­de von der Par­tei der so­ge­nann­ten Ver­tre­ter der Na­tio­na­li­tät in Deutsch­land, von je­nen fal­schen Pa­trio­ten, de­ren Va­ter­lands­lie­be nur in ei­nem blöd­sin­ni­gen Wi­der­wil­len ge­gen das Aus­land und die Nach­bar­völ­ker be­steht, und die na­ment­lich ge­gen Frank­reich täg­lich ih­re Gal­le aus­gie­ßen – Ja, die Über­res­te oder Nach­kömm­lin­ge der Teu­to­ma­nen von 1815, die bloß das alt­deut­sche Nar­ren-Kos­tüm ge­wech­selt und sich die Oh­ren et­was ver­kür­zen lie­ßen – ich ha­ß­te und be­kämpf­te sie Zeit mei­nes Le­bens, und jetzt, wo das Schwert der Hand des Ster­ben­den ent­sinkt, er­quickt ihn die Über­zeu­gung, dass ih­nen ganz si­cher der Kom­mu­nis­mus den Gar­aus macht, nicht mit ei­nem Keu­len­schlag, nein, mit ei­nem blo­ßen Fu­ß­tritt; wie man ei­ne Krö­te zer­tritt, wird der Rie­se sie zer­tre­ten. [Da­mit wird er be­gin­nen.] Aus Haß ge­gen die Na­tio­na­lis­ten könn­te ich schier die Kom­mu­nis­ten lie­ben. We­nigs­tens sind sie kei­ne Heuch­ler, die im­mer die Re­li­gi­on und das Chris­ten­tum im Mun­de füh­ren; die Kom­mu­nis­ten, es ist wahr, be­sit­zen kei­ne Re­li­gi­on (ei­nen Feh­ler muss doch der Mensch ha­ben), sie sind so­gar Athe­is­ten (was ge­wiß ei­ne gro­ße Sün­de ist), aber in ih­ren obers­ten Prin­zi­pi­en hul­di­gen sie ei­nem Kos­mo­po­li­tis­mus, ei­ner all­ge­mei­nen Völ­ker­lie­be, ei­nem Welt­bür­ger­tum al­ler Men­schen, wel­ches ganz über­ein­stim­mend ist mit dem Grund­dog­ma des Chris­ten­tums, so dass sie in We­sen und Wahr­heit viel christ­li­cher sind als un­se­re deut­schen Maul­chris­ten, die das Ge­gen­teil pre­di­gen und üben.«

Hei­ne: Lu­te­tia. Sämt­li­che Schrif­ten, Her­aus­ge­ge­ben von Klaus Brieg­leb Bd. 5, S. 231 ff.)

Of­fen­kun­dig ha­ben die Dok­to­ren der Re­vo­lu­ti­on und ihr wis­sen­schaft­li­cher So­zia­lis­mus Hei­nes Furcht vor kom­mu­nis­ti­scher Bil­der­stür­me­rei nicht voll­stän­dig be­sei­ti­gen kön­nen.

Text und Fotos: Klaus Stein
17. Dezember 2013


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