Politik
Wie rechts ist die »Alternative für Deutschland«?
»Die Alternative für Deutschland hat ihre zwei Millionen Stimmen der Bundestagswahl auch bei der Europawahl wieder mobilisieren können«
Klaus Stein referierte bei der VVN Gelsenkirchen über die »Alternative für Deutschland« (AfD), wir dokumentieren:
Pro NRW, NPD und REPs haben am 25. Mai 2014 im Verhältnis zur Kommunalwahl vor fünf Jahren (30. August 2009) in den Städten und Gemeinden von NRW 25 536 Stimmen verloren. 2009 waren es 84 030 Stimmen, 2014 zusammen mit den 2700 Stimmen für die Partei »Die Rechte« noch 58 494. Dieser Verlust ist mehr als ausgeglichen worden durch die Ergebnisse für die Alternative für Deutschland.
Die AfD konnte 174 668 Stimmen = 2,5% gewinnen. Wenn man Faschisten, Rechtspopulisten und die bürgerlichen Parteien aber zusammenzählt und ihnen SPD, Grüne und linke Parteien gegenüberstellt, ist festzustellen, dass das Aufkommen der AfD den Vertrauensverlust gegenüber rechten und bürgerlichen Parteien nicht hat kompensieren können, zusammen kommen sie auf einen Verlust von 372 043 Stimmen gegenüber der Kommunalwahl 2009. SPD, Grüne und linke Parteien konnten dagegen 92 065 Stimmen mehr erreichen. In relativen Zahlen: das bürgerliche Lager errang statt 49% nur noch 46%, dafür das eher »linke« die 49%, das rechte 46%. Die geringere Wahlbeteiligung beträgt in absoluten Zahlen 350 000, in relativen sank sie von 51,9% auf 50%.
Anders gerechnet, die AfD kompensiert mit ihren 175 000 Stimmen die Summe der Verluste von CDU (190 000), FDP (330 000), Faschisten und anderen Rechtspopulisten (25 000) keineswegs. Aber innerhalb dieses Lagers deutet sich eine Verschiebung nach rechts an, der auf der anderen Seite eine keineswegs klare Linksverschiebung entspricht (Gewinn der Piraten 112 000, Gewinn der Linken gerade mal 8 700).
Die Rechtstendenzen im bürgerlichen Lager sind dazu noch ambivalent. Zwar haben Pro NRW, REPs und NPD deutlich Stimmen verloren, aber es gibt einige Großstädte, in denen Faschisten erstmals in den Stadtrat einziehen. Die NPD sitzt jetzt in Essen und in Bochum im Stadtrat. In Duisburg ist mittels einer widerlichen Kampagne gegen Flüchtlinge erreicht worden, dass jetzt erstmals 4 Pro NRW-Mitglieder und ein NPD-Mitglied im Stadtrat sind, dazu kommen noch Sitze für die AfD. In Dortmund gesellt sich zum NPD-Stadtrat der Protagonist der »Rechten«. Ebenfalls sitzt jetzt im Stadtrat von Hamm ein Mitglied der Partei »Die Rechte«.
Auch entspricht der Verlust an Sitzen noch lange nicht dem Verlust an Stimmen. Pro NRW, NPD, REPs und »Rechte« haben zusammen immer noch 36 von vorher 37 Sitzen in den NRW-Stadträten und Kreistagen. Pro NRW: 23 (vorher 15), NPD: 8 (vorher 13), REPs: 3 (vorher 9) Rechte: 2. Die AfD kommt insgesamt schon auf 84 Sitze.
Kurz zu den anderen Resultaten: In NRW ist die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen von 51,9% auf 50% gesunken. Die FDP hat sich halbiert. Die CDU hat absolut und relativ Stimmen verloren (38,7% auf 37,7%), die SPD hat relativ gewonnen (von 29,4 auf 31,3%), allerdings in absoluten Zahlen etwas kümmerlich (von 2 122 466 auf 2 155 447, Differenz 32 981), Grüne haben absolut und relativ verloren (12,00 auf 11,7%), fast 60 000 Stimmen. Die Linke hat 8684 Stimmen gewonnen, kam von 311 155 (4,3%) auf 319 739 (4,6%).
Die Bundestagswahlen vom 22. September letzten Jahres hatten ein merkwürdiges Ergebnis. Vier Jahre vorher gab es die AfD noch nicht. Damals erhielten CDU, CSU, FDP zusammen 20,9 Millionen Stimmen. Wenn man die AfD diesem Lager zurechnet, summieren sich die bürgerlichen Stimmen auf 22,3 Millionen. Ohne AfD hatten CDU, CSU und FDP im September zusammen 20,2 Millionen = 700 000 Stimmen weniger als 2009. Offenbar haben sie an die AfD abgeben müssen. Deren 2 Millionen Stimmen indes sind verschütt, weil die AfD mit 4,7 Prozent nicht über die 5-Prozent-Hürde gekommen ist. Auch die 2 Millionen Stimmen der FDP sind verloren. Sie hat mit 4,8 % dieselbe Hürde gerissen. Prozentual fielen auf CDU/CSU und FDP im September 2009 zusammen 48,4 % aller Stimmen. Mit AfD wäre das bürgerliche Lage am 22. September sogar auf 51 % gekommen. Aber Merkel verhungerte ohne FDP und AfD auf mageren 41,5 Prozent. Die 9,5 Prozent von FDP und AfD fehlten ihr. Sie werden durch die 5-Prozentklausel unwirksam. Bundeskanzlerin konnte Merkel also nur mit Hilfe der SPD und der Großen Koalition bleiben.
Die Alternative für Deutschland hat ihre 2 Millionen Stimmen der Bundestagswahl auch bei der Europawahl wieder mobilisieren können und damit 7% erreicht.
Wie sieht es in anderen Ländern mit faschistischen und rechtspopulistischen Parteien aus?
England
Schon bei den Europawahlen im Juni 2004 erzielte die United Kingdom Independence Party (UKIP) 16,8 % der Wählerstimmen und 12 Sitze im Europäischen Parlament. Auch 2009 konnte sie 16,5% erringen. Im Mai diesen Jahres indes wurden es 28 %. UKIP konnte die Zahl ihrer Sitze mehr als verdoppeln und wurde stärkste britische Partei.
Niederlande
Am 6. Mai 2002 erschoss Volkert van der Graaf, ein militanter Veganer und Tierrechtler auf dem Parkplatz des staatlichen Rundfunks in Hilversum den homosexuellen Soziologieprofessor und Rechtspopulisten Pim Fortuyn. Der hatte schon eine merkwürdige Karriere hinter sich. Angeblich soll er sogar mal den Kommunisten nahe gestanden haben, war Mitglied der sozialdemokratischen PvdA gewesen. Dann schrieb er im liberal-konservativen Wochenblatt Elsevier kritische Kolumnen gegen die seinerzeitige sozialliberale Regierungskoalition. Außerdem veröffentlichte er Bücher mit dem Titel »Die herrenlose Gesellschaft« und 1997 »Gegen die Islamisierung unserer Kultur«. Am 20. August 2001 gab er bekannt, dass er in die Politik gehen wolle, gab ein Gastspiel bei der Partei »lebenswerte Niederlande« und kandidierte schließlich als Spitzenkandidat einer eigenen Liste für die Parlamentswahlen am 15. Mai 2002. Neun Tage vor diesem Termin wurde er erschossen. Die Liste Pim Fortuyn gewann auf Anhieb 17 % der Sitze. Sie wurde vom neuen Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende in die Regierung aufgenommen. Die LPF-Parlamentarierer waren indes so imkompetent, dass ihre Zerstrittenheit schon nach 87 Tagen zum Sturz des Kabinetts führte. Bei der Neuwahl 2003 brach die Zustimmung der Wähler drastisch ein, die LPF verschwand bei den Parlamentswahlen von 2006 gänzlich aus dem Parlament und löste sich wenig später auf. An ihre Stelle trat die rechtspopulistische Partij voor de Vrijheid (PVV) unter Geert Wilders. Sie warnt vor einer »Islamisierung« der Niederlande und ruft offen zu deren Bekämpfung auf. Ferner will sie sich für eine Begrenzung der Einwanderung, für ein härteres Vorgehen gegen Kriminalität und gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters einsetzen. Sie erhielt bei der Parlamentswahl 2006 aus dem Stand heraus 5,9 Prozent, 2010 steigerte sie sich auf 15,5 Prozent, bei den Wahlen zum nationalen Parlament fiel sie im vergangenen Jahr auf 10,1 Prozent zurück. Aber nach den Europawahlen ist sie mit 13,35 Prozent drittstärkste Kraft und kann vier Abgeordnete nach Straßburg schicken.
Belgien
Vlaams Belang ist eine rechtspopulistische und separatistische Regionalpartei in Belgien mit besonders engen Beziehungen zu Pro Köln. Sie wurde 2004 als Nachfolgeorganisation des Vlaams Blok (Flämischer Block) gegründet. Sie erreichte bei den Flämischen Parlamentswahlen 2004: 24,2 %, bei den belgischen Parlamentswahlen 2007: 12,0 %, in Flandern 2009: 15,3 %, ganz Belgien 2010 7,7 %. Vlaams Belang tritt für die Unabhängigkeit Flanderns, eine Beschränkung der Zuwanderung und freie Marktwirtschaft ein. Weitere Programmpunkte sind: Höheres Kindergeld, um Eltern einen Erziehungsurlaub zu ermöglichen und die Geburtenrate zu erhöhen, Umstellung des Rentensystems auf ein Kapitaldeckungsverfahren, kein EU-Beitritt der Türkei, Einführung einer Einheitssteuer, Privatisierung von Staatsbetrieben. In Antwerpen haben sie 22 von 55 Sitzen im Stadtrat.
Bei den Europawahlen bekam die Neu-Flämische Allianz 16,35 % der Stimmen und war damit die stärkste der belgischen Parteien.
Frankreich
Der Front National ist 1972 gegründet worden. Er erreichte 17,9 % der Wählerstimmen bei den Präsidentschaftswahlen 2012. Anlässlich der Präsidentschaftswahlen 1995 forderte der damalige Parteivorsitzende Jean-Marie Le Pen die Rückführung von drei Millionen Nicht-Europäern aus Frankreich. Die Partei warnt vor einer »Islamisierung« des Landes. Der Bau weiterer Moscheen in Frankreich soll verboten werden. Sie fordert das Verbot »sichtbarer religiöser Symbole« wie etwa des Kopftuchs in der Öffentlichkeit. Seit 16. Januar 2011 ist Marine Le Pen Parteivorsitzende als gewählte Nachfolgerin ihres Vaters. Der FN kam als stärkste französische Partei auf 25% und 24 Sitze.
Schweiz
Die SVP war ursprünglich eine rechtsbürgerlich-konservative Bauernpartei. Seit den 80er Jahren strebt sie unter der Führung des Züricher Unternehmers Christoph Blocher nach rechts. Sie ist seit den Schweizer Parlamentswahlen 2003 die stärkste Partei mit 26,8 % der Wählerstimmen, noch vor den Sozialdemokraten mit 23,3%. 2007 bekam sie 29%, die Sozialdemokraten nur noch 19,6%. Sie erhielt 62 (vorher 55) von 200 Sitzen im Nationalrat. Kennzeichnend ist ihr Wahlplakat vom Oktober 2007 Es zeigt eine rote Fläche mit weißem Kreuz, darauf stehen drei weiße Schafe, wovon eines mit seinen Hinterbeinen ein weiteres, schwarzes Schaf aus der roten Fläche herausstößt. Unten rechts ist dem Motiv der Text »Sicherheit schaffen« sowie das Logo der SVP beigefügt. Das Plakat gefiel der hessischen NPD so gut, dass sie es im Landtagswahlkampf Januar 2008 verwandte.
Die SVP hat die Volksinitiative »Gegen Masseneinwanderung« vom Februar diesen Jahres initiiert. Und tatsächlich haben die Schweizerinnen und Schweizer bei dieser Volksabstimmung mit knapper Mehrheit für eine Begrenzung der Zuwanderung gestimmt. Die AfD plakatierte jetzt: »Die Schweiz ist für Volksentscheide. Wir auch.« Aber auch die NPD wollte sich am Schweizer Erfolg orientieren. Ihre Plakatlosung hieß: »Vorbild Schweiz. Masseneinwanderung stoppen.«
Österreich
Die deutschnationale FPÖ wurde unter Jörg Haider bei den Nationalratswahlen 1999 mit 26,9% zweitstärkste Partei in Österreich. Typische Plakatlosungen waren »Wien darf nicht Istanbul werden« oder »Deutsch statt nix versteh‹n«. Die Partei war zwischenzeitlich gespalten in BZÖ und FPÖ, ist aber seit 2006 wieder einig, bzw. ihre Abspaltungen spielen keine Rolle mehr. Bei den vorgezogenen Nationalratswahlen 2008 konnte die FPÖ ihren Stimmenanteil auf 17,5% erhöhen. Bei der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl 2010 erhielt die FPÖ 25,77 % der abgegebenen Stimmen und wurde somit zur zweitstärksten Partei. Spitzenkandidat war Heinz-Christian Strache, auch ein Freund von Pro Köln. Bei den Nationalratswahlen am 29. September 2013 erhielt die FPÖ 20,51%, 3% mehr als vorher, 40 Sitze von 183. In der Steiermark gewannen sie übrigens 24% der Stimmen. Bei den Europawahlen blieb sie knapp unter 20% und kann vier Sitze im Europaparlament besetzen.
Ungarn
Seit den Parlamentswahlen im April 2010 verfügt das rechte Wahlbündnis aus Fidesz (53%) und KDNP mit 263 der 386 Mandaten mehr als die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit. Die Sozialisten von der MSZP landeten weit abgeschlagen auf Platz zwei vor den Faschisten von Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn). Die erhielten mit 16,7 % der Stimmen 47 der insgesamt 386 Parlamentssitze. Jobbik bekam bei den Wahlen zum Europaparlament 14,8 % bei einer Gesamtwahlbeteiligung von 36 % der Stimmen und damit 3 Sitze im Europaparlament. Die Liste wurde von der offen antisemitisch orientierten Krisztina Morvai angeführt. Jobbik knüpft in Rhetorik, Symbolik und Selbstdarstellung an die nationalsozialistischen Pfeilkreuzler an, die in Ungarn während der Besatzung durch Nazi-Deutschland zwischen 1944 und 1945 wüteten. So bekämpft Jobbik Sinti und Roma, Homosexuelle und propagiert den Kampf gegen »jüdisches Kapital«. Seit dem 29. Mai 2010 heißt der Ministerpräsident Viktor Orbán. Am 18. April 2011 wurde mit den Stimmen der FIDESZ die zum 1. Januar 2012 in Kraft getretene neue Verfassung verabschiedet, das Grundgesetz Ungarns. Als Grundlagen der Nation bekennt sich das Grundgesetz in seiner Präambel unter anderem zu Gott, Krone (Stephanskrone) und Vaterland, Christentum, Familie und Nationalstolz. Fidesz bekam bei den Europawahlen 51,5%, Jobbik 14,7% (3 Sitze von 21), Wahlbeteiligung in Ungarn 29%.
Italien
Die Alleanza Nazionale (AN) ging 1995 aus dem neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) hervor. 2009 schloss sie sich dem Parteibündnis Popolo della Libertà an. Die Umgründung war ein Fassadenwechsel. Der Parteiname, die Symbole und die Rhetorik wurden ausgetauscht. Das alte Parteisymbol, die Flamme mit den Farben der italienischen Flagge und der Unterschrift MSI wurden indes in das neue Parteilogo eingearbeitet. 95 Prozent der AN-Abgeordneten waren schon vorher Teil der MSI-Fraktion. Bei allen Wahlen auf nationaler Ebene erhielt die Partei über 10% der Stimmen. Bei den italienischen Parlamentswahlen am 9. und 10. April 2006 waren es 12,3%. Ihr bestes Wahlergebnis erzielte sie 1996, als die Partei auf 15,7% der Stimmen kam.
Auf Kommunalebene war die Allianz ebenfalls erfolgreich, vor allem im Zentrum und Süden des Landes. Der Bürgermeister von Rom, Gianni Alemanno, war Mitglied der faschistischen AN. Gianfranco Fini ihr Vorsitzender. Nach dem April 2008 war die AN mit 90 Abgeordneten Teil der PDL-Fraktion und stellte mit ihr die Regierung. Fini bekleidete das Amt des Präsidenten der Abgeordnetenkammer, das dritthöchste im Staate. Am 22. März 2009 wurde die Partei aufgelöst und ging eine Woche später angeblich im Popolo della Libertà (PDL) auf. Sämtliche Mitglieder der Alleanza Nazionale sind dem PDL beigetreten. Nach einem Streit mit Berlusconi gründete Fini 2010 die Partei Futuro e Libertà und unterstützte bei den Parlamentswahlen im Februar 2013 die Kandidatur von Mario Monti. Knapp verfehlte er mit seiner Partei den Einzug in die Abgeordnetenkammer. Seitdem ist er nicht mehr im Parlament vertreten. Bei den Europawahlen bekam Berlusconis Forza Italia 16,1%, die Lega Nord 6,2% (fünf Sitze). Zusammen 18.
Dänemark
Die rechtspopulistische Dansk Folkeparti ist bei den Europawahlen mit 23% der Stimmen stärkste Kraft des Landes geworden.
Im Europäischen Parlament organisieren sich die meisten der genannten Rechtsparteien in der Fraktion »Europa der Freiheit und Demokratie«. Der Alternative für Deutschland indes ist vor einigen Tagen die Aufnahme ihrer sieben Abgeordneten in die »Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten« gelungen, in der sich unter anderem die britischen Konservativen organisieren und 25 von den bisher 55 Abgeordneten stellen.
Norwegen
Die Fremskrittspartiet (Fortschrittspartei), ehemalige Partei Breiviks, erreichte bei den Wahlen zum Storting 2009 22,9% der Stimmen, damit 41 Sitze. Sie war nach den Sozialdemokraten die zweitstärkste Partei. 2013 erreichte sie nur 16,3% der Stimmen. Aber zusammen mit der Partei Høyre (»Rechte«) kann sie seit dem 16. Oktober 2013 die Regierung bilden.
Faschisten machen die Drecksarbeit
Das Thema Ukraine wäre einer besonderen Behandlung wert. Es ist gewissermaßen typisch, dass Faschisten die Drecksarbeit machen bei der Niederhaltung der Opposition. Die Regierung setzt auf diese Weise die neoliberalen Vorgaben des EU-Assoziationsabkommens durch.
Die Liste der genannten Staaten in Europa ist nicht vollständig. Die vielleicht etwas impressionistische Beschreibung der Situation in Europa enthält einige aber typische Merkmale. Allemal kontrastiert sie mit der Lage in unserem Land, wo Faschisten oder sogenannte Rechtspopulisten bisher nur wenig parlamentarische Repräsentanz haben erreichen können. Das ist auffällig.
Aus dem Blickwinkel der Herrschenden erfordert die Entwicklung der Krise indes politische Voraussetzungen für autoritäre Lösungen. Erst recht, wenn plötzliche Zuspitzungen nicht auszuschließen sind.
Die Geheimdienste haben die Überwachungsmaßnahmen ausgebaut. BND, polizeilicher Staatsschutz und Verfassungsschutz arbeiten nicht nur den englischen, französischen und insbesondere den amerikanischen Geheimdiensten zu, sondern richten selbstverständlich zu nationalen Zwecken eigene Datenbanken ein, um die Bevölkerung zu kontrollieren.
Der NSU-Skandal enthüllt immer mehr von der strukturellen Zusammenarbeit von Neofaschisten mit den Geheimdiensten.
Die herrschende Klasse bereitet sich militärisch auf Revolten vor. Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren wird ermöglicht. Entsprechende Übungen von Polizei und Bundeswehr finden statt. Es gibt das gemeinsame Terror-Abwehr-Zentrum (GTAZ) in Berlin-Treptow. Wir haben die Vorgaben für eine Zivil-Militärische Zusammenarbeit in den Städten und Gemeinden (ZMZ). Und es gelten die Notstandsgesetze. Insoweit stehen Bedingungen von Seiten der Behörden und des Staatsapparates schon länger parat.
Aber für den Fall, dass unser Herrschaftssystem in ein autoritäres Regime transformiert werden soll, sind weitere politische Voraussetzungen fällig. Das war die klassische Aufgabe des Faschismus. Es geht um das Niederhalten von demokratischen Bewegungen, Friedensaktionen, von sozialen Unruhen. Der Kern dieses Kurses ist die Entwertung der Arbeit und die Desorganisierung und Marginalisierung der Arbeiterbewegung.
Da muss es bestimmte Fraktionen unserer herrschenden Klasse jucken, wenn überall in Europa Rechtspopulisten ungehindert ihr rassistisches, fremdenfeindliches Unwesen treiben können, aber hier im Kernland des imperialistischen Europa die Faschisten immer wieder zurückgedrängt werden. Und in der Tat, hier gibt es eine starke antifaschistische Bewegung, die weit über die Kommunisten, auch über die Linke selbst hinausreicht. Ihr ist in der Hauptsache zu verdanken, dass die extreme Rechte bisher in Deutschland noch nicht wieder ungehindert walten kann.
Aber an dieser Stelle möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Unterschiede lenken. Alexander Häusler bewertet sie folgendermaßen:
»[…] bei der NPD handelt es sich um eine neonazistische Partei mit einer völkisch-rassistisch und nationalrevolutionär ausgeprägten Orientierung, die sich selbst in Opposition zu neoliberalen Politikansätzen verortet. Viele rechtspopulistische Parteien in Europa hingegen entstanden im Kontext marktradikaler Opposition zu keynesianistisch-wohlfahrtsstaatlich ausgeprägten Politikansätzen. Eine solche marktradikale Orientierung, einhergehend mit nationalkonservativen Politikvorstellungen, prägt in deutlicher Ausprägung die Weltanschauungen des politischen AfD-Milieus. Diese politische Melange wird unterfüttert mit Vorstellungen von ›direkter Demokratie‹ – so der Wortlaut im Parteiprogramm – die deutliche Schnittmengen mit rechtspopulistischen Politikansätzen aufweisen. So wird im erwähnten Abschnitt im AfD-Parteiprogramm zugleich die Forderung nach ›Volksabstimmungen und -initiativen nach Schweizer Vorbild‹ erhoben und in populistischem Duktus gefordert: ›Das Volk soll den Willen der Parteien bestimmen, nicht umgekehrt.‹ Eine derartige pauschale Gegenübersetzung eine politisch angeblich homogenen ›Volkswillens‹ und einer angeblich ›abgehobenen Politikkaste‹, als deren ›Alternative‹ man sich selbst stilisiert, prägt das politische Grundmuster rechtspopulistischer Rhetorik.«
Ausdrücklich greift der Rechtspopulismus demagogisch demokratische Errungenschaften auf, argumentiert mit Freiheits- und Menschenrechten, allerdings exklusiv, also Zugewanderte, Flüchtlinge und Fremde ausschließend.
Wie den Faschisten geht es den Rechtspopulisten zwar um nationale Identität, die aber mehr mittelstandsorientiert kulturalistisch und kleinbürgerlich verstanden wird, weniger offen rassistisch. Die allzu deutlichen, antihumanen Nazimerkmale werden unterlaufen.
Insofern war die Gründung der Partei »Alternative für Deutschland« fällig. Sie ist von starken gesellschaftlichen Kräften in unserem Lande betrieben worden.
Die AfD wurde am 6. Februar 2013 aus der Taufe gehoben. Sie konnte an eine ganze Reihe von ähnlichen Versuchen anknüpfen, verfehlte aber am 22. September mit 4,7% (mehr als 2 Millionen Stimmen) nur knapp den Einzug in den Bundestag. Sie knüpfte an die starke politische Beunruhigung infolge der Finanz- und Bankenkrise an und fordert eine Auflösung des Euro-Währungsgebietes. Sie will die Wiedereinführung nationaler Währungen oder die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde. Die Wiedereinführung der DM dürfe kein Tabu sein. Die AfD will das deutsche Veto gegen weitere Hilfskredite des ESM. Banken, Hedge-Fonds und private Großanleger seien die Nutznießer dieser Politik. Überschuldete Staaten sollen durch einen Schuldenschnitt entschuldet werden.
Die EZB soll keine Schrottpapiere mehr ankaufen. Inflation dürfe nicht die Ersparnisse der Bürger aufzehren (wahrscheinlich aktuell: und Deflation nicht die Zinsen der kleinen Sparer).
Ihr seht, im Wahlprogramm der AfD steckt jede Menge Täuschungspotential.
Die Plakatlosung dazu hieß »Sichere Währung statt Zeitbomben.« Bei der NPD hieß es: »Rettet uns vor der EU-Pleite«
Hans-Olaf Henkel versprach, dass das Tabu der Diskussion über Alternativen zum Euro keinen Bestand haben werde. Henkel war von 1995 bis 2000 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Von ihm stammt die Idee des doppelten Euro: Die »Club-Med-Länder« wie Griechenland, Italien und Frankreich sollen den »Süd-Euro« haben, die Nordländer wie Deutschland, die Beneluxstaaten und Skandinavien den »Nord-Euro«. Die Länder im Süden Europas könnten sich mittels Inflation wieder ins ökonomische Spiel bringen.
Interessant und sicherlich diskussionsbedürftig ist die Tatsache, dass Henkel auch zu denjenigen gehörte, die sich im Sommer 2012 gegen den ESM gewandt hatten. Ihm nahestehende Kräfte, nicht nur Gysi, klagten gegen den ESM beim Bundesverfassungsgericht. Die Frage ist, ob wir es hier mit tatsächlichen Interessenwidersprüchen zwischen Industrie und Finanzkapital zu tun haben, die abgearbeitet sein wollen, oder ob derartige Differenzen als demagogisches Potential genutzt werden.
Andreas Kemper weist darauf hin, dass sich in der AfD ein Zusammenschluss verschiedener Netzwerke bündele. Da wären zum einen reiche Familienunternehmerinnen und Unternehmer, die sich durch CDU und FDP nicht ausreichend vertreten sehen, marktradikale Volkswirtschaftsprofessoren, der Bürgerzusammenschluss Zivile Koalition und die Lobbyorganisation BürgerKonvent. Dazu gesellt sich eine breite Masse an Bürgerinnen und Bürgern, die sich in ihrer gesellschaftlichen Ausrichtung am rechten Rand bewegen und ohne weiteres als Sarrazin-Fans bezeichnet werden können. Dies zusammengenommen bilde die Basis der AfD. Diese Basis wünscht Umstrukturierungen des bestehenden Systems, bei der sozial schwächere Schichten möglichst wenig Einfluss haben sollen. Die sogenannte »Unterschicht« wird als Kostenfaktor wahrgenommen.
Zitat Bernd Lucke über Menschen, die ohne Deutschkenntnisse und Bildung nach Deutschland kämen und nun Hartz IV beziehen müssten: »Dann bilden sie eine Art sozialen Bodensatz – einen Bodensatz, der lebenslang in unseren Sozialsystemen verharrt.« Und auf Nachfrage: »Was stört Sie daran? Technisch gesehen ist Bodensatz das, was sich nach unten absetzt und nicht wieder hochkommt.« Plakate im Bundestagswahlkampf lauteten: »Einwanderung braucht strikte Regeln« »Einwanderung ja. Aber nicht in unsere Sozialsysteme«, »Wer einwandert, darf uns nicht hassen«.
Vor dem Hintergrund von deutlichen rassistischen Ressentiments und der Abwertung sozial Benachteiligter erstrebt die AfD Kürzungen von staatlichen Sozialleistungen, gleichzeitig will sie mehr steuerliche Förderung von Besserverdienenden.
Kemper spricht von einem »Hartgeld-Essentialismus« der Euro-Kritiker, die Geld begrifflich aus seinen historischen und gesellschaftlichen Bezügen lösen. Ganz typisch ist der Gold-Fetischismus für sie.
Prof. Dr. Bernd Lucke ist Sprecher der AfD. Zusammen mit Michael Funke und Thomas Straubhaar hatte er den »Hamburger Appell« initiiert und ihn am 30. Juni 2005, pünktlich zur seinerzeitigen Bundestagswahl, in der Tageszeitung Die WELT veröffentlichen lassen. Die Kosten trug die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Es handelte sich seinerzeit um eine Reaktion auf Äußerungen aus der Bundesregierung. Es ging um einen Vorschlag von Lohnerhöhungen zur Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Im »Hamburger Appell« postulierten 253 neoliberale Ökonomie-Professoren dagegen: »dass eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage nur durch niedrigere Entlohnung der ohnehin schon Geringverdienenden, also durch eine verstärkte Lohnspreizung, möglich sein wird. Eine Abfederung dieser Entwicklung ist durch verlängerte Arbeitszeiten, verminderten Urlaubsanspruch oder höhere Leistungsbereitschaft möglich.«
Zu den damaligen Unterzeichnern gehören die prominenten AfDler Alexander Dilger (später zeitweilig Landessprecher NRW), Jörn Kruse (Landessprecher Hamburg), Joachim Starbatty, Roland Vaubel, Dirk Meyer. Sie bilden zusammen mit Helga Luckenbach den wissenschaftlichen Beirat der Partei.
Zahlreiche Fäden verknüpft das Personal dieser Partei aber auch mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Diese »Initiative« ist eine Lobby-Organisation der Metall- und Elektroindustrie. Alleingesellschafter der INSM GmbH, zuständig für das operative Geschäft, ist das Institut der deutschen Wirtschaft. Der Finanzrahmen, den Gesamtmetall zur Verfügung stellt, beläuft sich bis zu 10 Mio Euro im Jahr. Auch Hans-Olaf Henkel hat Geld locker gemacht.
Beatrix von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg, gründete als Studentin 1996 den Göttinger Kreis, der sich für die Wiedergutmachung von Vermögenseinbußen einsetzt, die der Adel durch die Bodenreform in Deutschland erleiden musste. Sie war auf der Berliner Landesliste als Nr. 2 platziert und betreibt (in der zurückhaltenden Ausdrucksweise des Handelsblatts vom 28. Juni 2013) »die Rückführung des Staates auf Kernkompetenzen und den Abbau von Sozialleistungen zugunsten privater Vorsorge«.
Konrad Adam, weiterer Sprecher der AfD, problematisierte am 16. Oktober 2006 in der WELT das Wahlrecht von Arbeitslosen und Rentnern: »Vor diesem Hintergrund klingt die Anregung, den Inaktiven und Versorgungsempfängern das Wahlrecht abzuerkennen, provokativer, als sie tatsächlich ist. Die Fähigkeit, sich selbst und den Seinen den Lebensunterhalt zu verdienen, galt in der Theorie der europäischen Verfassungsbewegung als eine selbstverständliche Voraussetzung für die Gewährung des Wahlrechts. Nicht ›Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‹ hieß die Parole in den Verfassungstexten, die während der französischen Revolution in kurzem Abstand aufeinander folgten, sondern ›Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Sicherheit‹. Der Grund ist klar: Nur der Besitz schien eine Garantie dafür zu bieten, dass man vom Wahlrecht verantwortlich Gebrauch machte.«
Roland Vaubel fiel schon durch antidemokratische Allmachtsphantasien auf, als er folgende Verfassungsänderung vorschlug: »[man kann] die Leistungseliten aber auch dadurch schützen, dass man ein Zwei-Kammer-System einführt und diejenigen, die die Hauptlast der (direkten) Besteuerung tragen, eine der beiden Kammern wählen lässt. Bei allen Finanzierungs- und Ausgabenentscheidungen müssen dann beide Kammern zustimmen, wird ein Konsens von Arm und Reich erforderlich.« (Wirtschaftliche Freiheit, 1. Februar 2007)
Alexander Gauland war ab 1977 Büroleiter des Frankfurter Oberbürgermeisters Walter Wallmann. Als sein Chef 1987 hessischer Ministerpräsident wurde, stieg er zum Staatssekretär in der hessischen Staatskanzlei auf. Seit dem Gründungsparteitag am 14. April 2013 ist Gauland ist einer der drei stellvertretenden Sprecher der AfD.
»Diffuser Pazifismus. Warum sich die Deutschen mit Gewalt so schwer tun« war ein Artikel des Berliner Tagesspiegel vom 23. Juli 2012 übergetitelt. Gauland schrieb: »Die Deutschen haben ein gestörtes Verhältnis zur militärischen Gewalt. Sie betrachten sie nicht als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln im Sinne von Clausewitz, sondern als das schlechthin Böse und Falsche, als ein Mittel, aus dem nie und unter keinen Umständen Brauchbares entstehen könne.«
Und etwas weiter: »…das syrische Dilemma des Westens führt wieder eindrücklich vor Augen, wie gering das Verständnis für Gewaltanwendung in diesem Lande ist.«
Klaus Stein, 16. Juni 2014
Wirtschaftliche Freiheit, 1. Februar 2007