Kultur
Ein Ausstellungsbesuch
«Utopie und Untergang.
Kunst in der DDR»
So ist die Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast betitelt. Sie verspricht mehrere Hauptwerke von Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke, Willi Sitte. Diese Künstler werden seit der Documenta 6 im Jahr 1977 wie offizielle Maler der DDR wahrgenommen.
Die DKP Gruppe Köln-Innenstadt und Freunde sind neugierig. Wir fahren hin.
Es handelt sich bei dieser Ausstellung um ein politisch ambivalentes Unterfangen, denn die Ausstellungsmacher wollen offenbar nicht, dass ihnen fortschrittliche Absichten nachgesagt werden. So konfrontieren sie die als offiziell apostrophierten Maler der DDR mit solchen, die diese Eigenschaft nicht aufweisen, dafür schon mal im Westen ausstellten und sogar Karriere machten. A.R. Penck etwa wurde an der Düsseldorfer Kunstakademie Professor.
Dennoch bekommen wir eine ganz hervorragende Auswahl von Bildern, namentlich der genannten «Offiziellen», geboten.
Darunter sind alte Bekannte, wie Tübkes «Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten» von 1972. Das Bild war schon auf der Documenta 1977 zu sehen. Es besticht wie alle Bilder von Tübke durch technische Meisterschaft.
Als seinerzeit ruchbar wurde, dass auf der Documenta Werke von DDR-Künstlern gezeigt werden sollten, zog der Kölner Galerist Michael Werner aus Protest seine Künstler Georg Baselitz und Markus Lüpertz zurück. Gerhard Richter solidarisierte sich mit dieser Maßnahme. Exponate von A.R. Penck, Dresden, seit 1965 unter den Fittichen von Michael Werner, waren nicht vorgesehen.
Tübkes «Weihnachtsnacht 1524», ein Bild von 1976, das in die Vorbereitung des Bauernkriegspanoramas gehört, ist in Düsseldorf zu sehen. Hier wird der Papst in einer Gloriole aus heidnischen Mischwesen getragen, wie sie in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts als bizarre Ornamentformen regelrecht Mode waren. Die teuflischen Wesen setzen ihm die Tiara auf. Wenn es nicht Papst Leo X. ist, in dessen Pontifikat die Reformation fällt, dann dürfte Clemens VII. dargestellt sein, Vetter von Leo X., beide aus der Familie der Medici.
Auch eine Fassung der «Lebenserinnerungen des Dr. jur Schulze» von 1965 ist ausgestellt. Eine andere war schon im «Zeitvergleich» 1983 in der Düsseldorfer Kunsthalle zu sehen. Wir haben es mit einem Exemplar einer Serie zu tun. Sie geht auf einen Auftrag der Bezirksleitung des Deutschen Kulturbundes Leipzig vom Oktober 1964 zurück. Insbesondere unter dem Eindruck des ersten Frankfurter Auschwitzprozess, 1963-1965, wird hier das Weiterwirken von Nazis in den Führungsetagen der westdeutschen Politik und Rechtsprechung zum Thema gemacht.
Von Wolfgang Mattheuer finden wir die «Bratsker Landschaft» von 1967, Ergebnis einer mehrwöchigen Studienreise nach Sibirien. Im Hintergrund der Stausee, im Vordergrund fröhliche Produktivkräfte, die leichtfertig auf liegengebliebenen Produktionsmitteln herumbalancieren. Mattheuer bezieht sich gerne auf den Mythos von Sisyphos, auch den von Ikarus, um sozialismustypische Entwicklungshemmungen zum Thema zu machen. Der «seltsame Zwischenfall» von 1984/91 zeigt den Gestürzten vor einem Ikarus-Bus. Ein Witz. Ernst und eindrucksvoll dagegen «Die Ausgezeichnete» von 1973/74. Allesamt sehr schöne Bilder.
Willi Sitte ist mit opulenten Akten («mit Früchten») von 1967 und zwei frühen Werken aus den fünfziger Jahren vertreten («Raub der Sabinerinnen», 1953, und «Bergung I», 1954), die noch erkennen lassen, dass er seinerzeit Renato Guttuso stilistisch verpflichtet war. Das Arbeiterbild («nach der Schicht im Salzbergwerk», 1982) erinnert heute an die Kaligruben, die im Zuge des Anschlusses der DDR geschlossen worden sind.
Heisig hat Helmut Schmidt gemalt. Mit Zigarette. Ein anderes berühmtes Bild ist der Arbeiter mit dem erhobenen Daumen (Brigadier II) 1968/70/79. Antikriegsbilder sind «Christus verweigert den Gehorsam I» von 1984/1986 und «Fritz und Friedrich» von 1986/88.
Im Katalog plaudern die Macher dieser Ausstellung über die sozialistischen Herrschaftsmechanismen in der DDR. Tabu bleiben aber wie selbstverständlich die Marktmechanismen im Westen. Sie sind fraglos, natürlich und selbstverständlich. Immerhin kommt dem Kurator Krautzig der Gedanke: «Schon immer haben sich Funktionen von Kunstwerken historisch gewandelt.» (S. 15) Er kommt leider nicht dazu, aus dieser Einsicht Schlüsse zum Thema Funktion der Kunst im Sozialismus zu ziehen.
Die Künstler bekommen die historische Kehrtwende umso deutlicher zu spüren. Cornelia Schleime, deren künstlerisch bearbeitete Stasi-Akten gezeigt werden, äußerte sich im WDR am 5. November: «Der Westen ist ja sowieso ignorant gewesen. Ich frage mich, warum nicht Westgalerien, als die Mauer aufging, mal einfach geguckt haben, was da für ein Potential ist. Die waren vollkommen ignorant.»
April A. Eisman, die im Katalog über Angela Hampel schreibt und ihr bescheinigt, dass sie sich für die Gleichstellung der Frauen in der DDR eingesetzt hat, muss feststellen: «Die Gleichstellung der Geschlechter erlitt jedoch mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 einen erheblichen Rückschlag, der noch immer nicht überwunden ist. Im Zuge dieses politischen Ereignisses verloren Frauen in Ostdeutschland in weitaus größerer Zahl ihren Arbeitsplatz als ihre männlichen Kollegen; der Zugang zu Geburtenkonrolle und Abtreibung wurde eingeschränkt; die kostenlose Kinderbetreuung wurde abgeschafft. Auch die vielen Künstlerinnen der DDR, die bis Ende der 1980er Jahre rund 33 Prozent des VBK (= Verband Bildender Künstler) ausmachten, wurden bei großen Ausstellungen im Westen außer Acht gelassen.» (S. 155)
Felix Krämer ist der Generaldirektor des Kunstpalastes. Das ist die Stiftung, mit der im Wege einer öffentlichen-privatwirtschaftlichen Partnerschaft das Kunstmuseum samt Kunstpalast privatisiert wurde. Der Energiekonzern Eon hat das Sagen. Krämer schreibt im Vorwort zum Katalog: «Fanden vor dem Mauerfall in der Bundesrepublik regelmäßig Ausstellungen zur Malerei in der DDR statt, ist unsere Schau die erste Überblicksausstellung hierzu in einem westdeutschen Museum seit Herbst 1989.» Über die Künstler sagt er: Wie alle Kreativen in der DDR gerieten sie häufig in den Fokus von kulturpolitischen Debatten und wurden von der Stasi bespitzelt.
Steffen Krautzig ist Kurator der Ausstellung. Er beginnt seinen Katalogbeitrag mit der Beobachtung, dass sich die meisten Interpreten im Fall von in der DDR entstandener Kunst auf deren politische Funktion konzentrieren würden. Der Kalte Krieg habe zu einem ästhetischen Frontenverlauf geführt. Demgegenüber stelle die Ausstellung aber einen Versuch dar, die Kunst aus der DDR unter kunsthistorischen Aspekten zu untersuchen. Urteile wir «DDR-Kunst», «Staatskunst», «Auftragskunst» und Kategorien wie «offizell» und «unoffiziell» würden seit kurzer Zeit hinterfragt.
In der Tat wurde in den vergangenen Jahren versucht, mit dem umfänglichen gesellschaftlichen und staatlichen Auftragswesen der DDR den minderen Wert ihrer Kunst zu begründen.
Wir sollten uns aber über die gerne propagierte Autonomie der Kunst keine Illusionen machen. Auch im Westen wird der Kunstbetrieb organisiert, selbstverständlich im Interesse der Sammler und Mäzene. Eine der diesbezüglich einflussreichsten Organisationen ist der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e. V.
Historisch haben wir es ohnehin nur mit einer kurzen Frist der Durchsetzung von Marktgesetzen zu tun. Aber auch der bürgerliche Künstler zu Beginn des 19. Jahrhunderts ahnte, wessen ästhetische Bedürfnisse und auf welche Weise sie zu erfüllen waren. Die Kunst war immer gesellschaftliches Verständigungsmittel, erfüllte öffentliche Zwecke und war in der Regel von Auftraggebern abhängig. L'art pour l'art ist Selbsttäuschung.
Nachdem das antikommunistische Pflichtprogramm in den Einleitungen abgearbeitet ist, zeichnen sich die Katalogtexte zu den 13 ausgestellten Künstlern in der Regel durch Sachlichkeit und genaue Analyse aus.
Offenbar ist die ästhetische Delegitimierung der DDR-Kunst als Auftragskunst gescheitert. In der Tat nahm das DDR-Publikum größeren Anteil am Kunstgeschehen. Kunst war nicht exklusiv, sondern erfüllte öffentliche Funktionen. Ausstellungen waren besser besucht als im Westen. Und selbstverständlich ist es erforderlich, DDR-Kunst politisch zu kritisieren. Aber das muss man können. Denn sie hatte in der Tat politische Aufgaben und die wandelten sich im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungen. Indessen ist die politische Maßgabe, die von Anfang an verbindlich war, der Antifaschismus, der Friedensgedanke, die gesellschaftliche und historische Wirklichkeit aus dem Blickwinkel der arbeitenden Menschen.
Wir sind durch, wollen noch was essen. Draußen regnet es heftig. So begnügen wir uns mit einem Besuch des Cafés in der ersten Etage des Kunstpalastes. Am meisten haben uns die teilweise unsäglichen Begleittexte zu den Künstlern und Bildern gestört. Schön, dass wir mal vergleichen konnten.
Text und Fotos: Klaus Stein
Weitere Fotos:
Utopie und Untergang. Kunst in der DDR