Köln
Reise in die Pyrenäen zur Friedenswoche von „Cultures de Paix“
Die DKP-Gruppe Köln-Innenstadt besucht die PCF von Céret
Banyuls-sur-Mer, Rötel, Reiseskizze von Walter Stehling 2024
Dirk ist es passiert. Er warnt davor, die Ausfahrt Le Boulou zu verpassen. Man lande unverzüglich in Spanien. Wir achten darauf.
Die Ortschaften am Fuße der Pyrenäen sind für autobahngeplagte Augen eine Wohltat. Platanen säumen die Straßen. Auf den sachte abfallenden Hängen gedeihen Wein und Obst. Landesweit geschätzt sind wegen ihrer frühen Reife und Ansehnlichkeit die Kirschen - Cerises aus Céret.
Das Städtchen ist klein, keine 8.000 Menschen leben hier. Sie erscheinen unter dem Gesichtspunkt der Gelassenheit handverlesen und sprechen katalanisch. Die Aussprache des Französischen in diesem Landstrich ähnelt der deutschen, solange die diversen Nasale nicht trainiert sind. Das schafft Vertrauen. Man könnte den ganzen Tag in den Cafés im Schatten der mächtigen Platanen verplaudern. Viele machen das.
Hier zieht man nicht weg, sondern hin.
Unter den Zugezogenen sind Bahngewerkschafter aus Paris, mit und ohne PCF-Parteibuch. Aber auch Christine und Wolfgang. Sie fanden eine Wohnung am Lindenplatz und schlossen sich der örtlichen Parteigruppe an. Die ist nach Pablo Picasso benannt. Georges Braque (1882-1963) und Picasso (1881–1973), aber auch andere Kubisten, hielten sich in Céret ab 1911 vor allem in den Sommermonaten auf. Pierre Brune (1887-1956) sammelte, was sie malten, und überließ es dem 1950 gegründeten städtischen Museum. Heute ist das eine der herausragenden Stätten moderner Kunst in Frankreich. Der Neubau von 1993 liegt prominent zwischen Rathaus und Grand Café.
Die Kölner Genossinnen und Genossen treffen sich im Foyer des Museums: Sonderausstellung Max Jacob, le cubiste fantasque - der launische, seltsame Kubist. Direktor Jean-Roch Dumont Saint Priest hat die Ausstellung kuratiert. Nach ihm begrüßt uns Hervé Bégué, Président von „Cultures de Paix“.
Foto: DKP Köln-Innenstadt
Mit dem Foto, vor dem die beiden stehen, hat es eine eigene Bewandtnis. Es stammt aus einer Serie, die Jean Cocteau am 12. August 1916 in Paris/Montparnasse aufgenommen hat. Erst in den siebziger Jahren konnte der US-Amerikaner Billy Klüver (1927 - 2004) die Fotos einander zuordnen und datieren. Vor allem markiert Cocteaus Kontakt die Hinwendung wohlhabender Kunstfreunde zur Montparnasse-Bohème.
Max Jacob lacht in die Kamera. Picasso hält den Spazierstock hoch. Er und seine seinerzeitige Gefährtin Paquerette haben soeben den Verlust des Elfenbeingriffs bemerkt. Jean Cocteau hatte, um die Hände für die Balgenkamera frei zu haben, Picasso das distinktive Flaniergerät anvertraut. Vermutlich war er über Verlust des Griffs nicht so amüsiert wie Picasso und Paquerette.
Unter den Exponaten der Ausstellung erheitert uns ein kurzer Stummfilm: „Rigadin peintre cubiste“ von 1912, der die überkommene Vorstellung eines homogenen Raums satirisch gegen seine kubistische Zerlegung verteidigt. Die Schauspieler treten in herrlich kantigen Pappkostümen auf. Regie Georges Monca (1867-1939) (Link zum Video, 10 Minuten).
Die Menschenkette in Perpignan. Foto: DKP Köln-Innenstadt
Der vielfältig begabte Max Jacob (* 12. Juli 1876 in Quimper) betätigte sich als Maler und Schriftsteller, konvertierte 1915 vom Judentum zum Katholizismus, lebte zeitweise im Benediktinerkloster von Saint-Benoît-sur-Loire. Nachdem sein Bruder, seine Schwester und deren Ehemann nach Auschwitz deportiert und dort ermordet worden waren, holte ihn am 24. Februar 1944 nach dem Besuch der Morgenmesse die Gestapo und brachte ihn ins Gefängnis von Orléans. Er kam am 5. März 1944 im Sammellager Drancy um.
Uns trennen nur wenige Schritte vom Grand Café, wo die Gedenktafel „70 Jahre Sardane de la Paix“ durch Pierre Laurent, Senator und von 2010 bis 2018 Nationalsekretär der PCF, mit einem Blumenstrauß geschmückt wird. Genosse Jacques Majester schildert, wie die örtliche PCF mit dem Bild am 20. September 1953 beschenkt worden ist. Der Künstler kam von einem Stierkampf, der bei den Katalanen so populär war wie der Volkstanz Sardana, und übergab hier im Grand Café seine Pinselzeichnung.
Mittlerweile hat das Werk seinen Platz im Museum. Es schmückt zudem die Faltblätter von „Cultures de Paix“, sogar die Etiketten eines Rotweins, mit dem wir beschenkt werden. Und die Genossen aus Köln erhalten eine Mappe mit Faksimiles des Werks.
Das Gedenkschild am Grand Café. Foto: DKP Köln-Innenstadt
Gemeinsames Mittagessen in großer Runde. Es folgt am Nachmittag eine Aufführung in der Salle de l'Union. Der Film der Compagnie MORESPACE heißt „Le corps déporté“ und zeigt zunächst einen Tänzer in widriger Kunst-Landschaft, offenbar ein KZ. Dem Tanz folgen erschütternde Interviews mit Überlebenden.
Am Donnerstag verteilen wir Flyer zwischen den Marktständen von Amélie-les-Bains. Für Samstag, den Weltfriedenstag, ist nachmittags eine chaine humaine, eine Menschenkette, in Perpignan geplant. Der Bürgermeister der Stadt will das nicht. Er ist Mitglied des Ressemblement National und möchte die Aktion verhindern. Es wird ihm nicht gelingen.
Foto: DKP Köln-Innenstadt
In der nahegelegenen Halle L'Espace Méditerranée lädt Sekretär Jacques Majester zum Empfang, zum Treffen der Genossinnen und Genossen der PCF Vallespir mit der Kölner DKP-Gruppe Innenstadt. Die Veranstaltung ist offen für alle Bürger. Unsere Grußadresse haben wir schriftlich parat, tragen sie vor. Sie wird übersetzt, Jacques antwortet förmlich und zustimmend. Wir diskutieren. Thema ist Krieg und Frieden. Von Auseinandersetzungen in ihrer Gewerkschaft berichtet Christine C. In ihrem hohen Alter setzt sie noch Friedensbeschlüsse im Landesvorstand ihrer Fachgruppe durch.
Migration ist hier im Gebirgstal ebenfalls ein Thema.
"Sardane de la paix" von Pablo Picasso im Musée d'Art Moderne de Céret. Foto: DKP Köln-Innenstadt
Viel Zeit bleibt nicht mehr, um noch zur Vernissage der Austellung „Künstler für den Frieden“ zu gelangen. Ansprachen halten Anna Hemmat und Christine Reinicke. Anna sagt: „Ich wurde gebeten, eine Rede über den Frieden zu schreiben. Ich muss Ihnen gestehen, dass ich nicht wirklich wusste, wo ich anfangen sollte. Mit 18 Jahren habe ich ganz andere Fragen, wie zum Beispiel darüber nachzudenken, in welcher Bar ich meinen Abend verbringen werde. Also habe ich mich vor den Fernseher gesetzt und all diese Nachrichtensender eingeschaltet, die uns angeblich informieren sollen. Ich habe mir CNEWS oder BFMTV angesehen. Vielleicht war das keine so gute Idee. Krieg, Vergewaltigungen, Übergriffe, Selbstmord, Depression. Wow. Da wurde mir schnell klar, dass ich dort wohl keine Antworten auf meine Fragen finden würde. Denn der Frieden ist heute wohl nicht mehr 'in', oder? Die Menschen haben ihn so sehr als ein Ideal wahrgenommen, das unsicher und weit entfernt erscheint, dass sie ihn aufgegeben haben, aus Angst, ihn nie zu erreichen. Und schließlich haben wir die Gewalt fast schon banalisiert, als ob ihre Existenz unserer eigenen einen Sinn geben würde. Neulich, in der Vorlesung, wollte man mir weismachen, es läge in der Natur des Menschen, Krieg zu führen...Ironischerweise ist der Frieden ein Kampf. Ein Kampf, den jeder von uns für sich selbst und für andere führen muss. Meine Damen und Herren, der Kampf für den Frieden ist der einzige Kampf, der Ihr Leben verdient, denn wenn Sie ihm Ihre Tage widmen, werden Sie mehr als einen morgigen Tag retten – sei es der Ihres Nachbarn oder der eines Ukrainers, der in den Krieg gezogen ist.“
Freitags versäumen wir das Literaturcafé in Perpignan, bewegen uns stattdessen nach Banyuls-sur-Mer, dem Ort, von dem aus Lisa und Hanns Fittko deutschen Flüchtlingen über die Grenze halfen. Der Ort füllt eine Bucht, Bildhauer Aristide Maillol ist hier geboren. Maillol-Plastiken sind auf der Strand-Promenade plaziert. Wir finden den Weg, den die Flüchtlinge genommen haben, und die Gedenkstätte für Lisa und Hanns Fittko. Sie ist im Januar 2001 errichtet worden.
Foto: DKP Köln-Innenstadt
„Es war das Selbstverständliche“
Dem Andenken von Lisa und Hanns Fittko und der vielen anderen.
Von September 1940 bis April 1941 führten sie – selbst bedroht – Verfolgte des Nazi-Regimes über die Pyrenäen.
Ihre Tapferkeit rettete vielen Menschen das Leben.
Es waren Hunderte. Die Fittkos konnten sich dabei auf die stillschweigende Hilfe der Einwohner von Banyuls verlassen, namentlich des sozialistischen Bürgermeisters Vincent Azéma. Leonhard Frank ist zusammen mit dem Ehepaar Polgar am 4. September 1940 von Banyuls über die Pyrenäen nach Spanien gekommen. Die Gruppe Heinrich Mann, Golo Mann mit dem Ehepaar Werfel passierte am 12. September die Grenze, sie wurde von Varian Fry geführt.
Lisa Fittko begleitete Walter Benjamin den größten Teil des Weges am 25. und am 26. September 1940. Die spanischen Behörden ließen den Flüchtenden aber nicht einreisen, sondern kündigten an, ihn der Gestapo auszuliefern. Walter Benjamin nahm sich daraufhin in der Nacht vom 26. auf den 27. September 1940 das Leben.
An der Gedenkstätte beginnt ein Weg, auf dem man in fünf Stunden das spanische Portbou erreicht. Seit dem 24. Juni 2007 ist er als „Chemin Walter Benjamin“ markiert.
Wir folgen ihm eine kurze Strecke. Es geht über einige Weinberge hinauf. Walter St. nimmt sein Skizzenbuch und zeichnet.
Am nächsten Vormittag treffen wir die PCF-Genossen wieder vor dem Rathaus. Eine Installation zeigt einige Fotografien der Ausstellung „Die Athleten, die die Welt verändert haben“ (nach Gilles Smatja). Deutschlehrerin Michelle erzählt von ihrem Berufsverbot in Deutschland, während wir Flyer für die Menschenkette verteilen. Neben uns wirbt ein Infostand für Palästinas Freiheit.
Dann geht es 35 km nach Perpignan. Im Gebäude der Bahngewerkschaft tauschen wir uns kurz mit organisierten Eisenbahnerinnen über die Lage der Renterinnen und Rentner aus. Das Treffen ist vorbereitet, das Thema nicht. Um 17.00 Uhr formiert sich vor dem alten Bahnhof die Menschenkette. Pour un cessez-le-feu sur tous les lieux de conflits! Pour l'interdiction des armes nucléaires! Für Waffenstillstand überall, wo gekämpft wird! Verbot der Atomwaffen!
Für die gesamte Strecke zur Plaça Catalunya, einen Kilometer ist sie lang, reicht die Menge der Teilnehmenden nicht. Wir müssen laufen, das geht Hand in Hand, musikalisch begleitet von ZYKATOC. Die Band verfügt über ein ausgetüfteltes stabiles Dreirad. Auf schmalen Trittflächen sind Schlagzeug, Bass, Gitarre und Saxophon samt Bedienung plaziert – das ist akrobatisch, geht aber ab wie in einer Zirkusarena. Wir stimmen überein: die sind pressefesttauglich!
Foto: DKP Köln-Innenstadt
Das Lager Rivesaltes nördlich von Perpignan existiert seit 1938. Zunächst waren dort wie in vielen anderen Lagern spanische Bürgerkriegsflüchtlinge untergebracht. Ab Januar 1941 nutzte das Vichy-Regime unter der Bezeichnung „Beherbungszentrum Rivesaltes“ das Gelände zur Internierung von Sinti und Roma, politischen Gegnern sowie Juden, darunter Deportierte aus Baden und der Pfalz, die im Oktober 1940 zunächst in das Lager Gurs gebracht worden waren. 1942 kamen 2.500 jüdische Häftlinge von hier aus in das Durchgangslager Drancy oder direkt nach Auschwitz.
Walter und M. besuchen die Gedenkstätte am Sonntagmorgen. Auf dem Programm steht eine Lesung mit szenischer und musikalischer Begleitung. Titel: „Luludji, Mateï, Mursha: Trios tsiganes dans l'enfer nazi“ (= Luludji, Mateï, Mursha: Zigeuner-Trios in der Nazi-Hölle). Nicole Rey verarbeitet eine Erzählung von Mateo Maximoff, der den Weg von drei Roma nachzeichnet. Sie wurden verfolgt, verhaftet und über „diese windige Heide von Rivesaltes“ in die Nazilager geschickt. Am Ende appelliert sie: Ma bister Rôma! „Erinnere dich an die Roma!“
Später nutzte die Nazi-Wehrmacht das Gelände, dann wurden Kriegsgefangene untergebracht. Ab 1962 waren hier Algerier interniert, Harkis, die im algerischen Bürgerkrieg auf der Seite Frankreichs gekämpft hatten. Zwischen 1986 und 2007 dienten zwei Baracken als Abschiebelager. Seit 2015 gibt es die Gedenkstätte.
Foto: DKP Köln-Innenstadt
Sonntagabend bei Winzer Alexandre Arnaudies. Die Weinverkostung hat in seiner Eigenschaft als Sommelier Wolfgang organisiert. Es ist die Gelegenheit zum herzlichen Abschied von den Genossinnen und Genossen aus Céret. Wir danken ihnen, besonders Christine und Wolfgang, die bei der Vorbereitung vieles zu regeln, aber auch während unserer sechs Tage in Céret noch Unvorhergesehenes zu erledigen hatten. Nicht zuletzt: einen Rollstuhl zu beschaffen.
Der Montag vor der Rückfahrt ist frei von Programm. Wir verbringen ihn an der Küste, am Strand von Argelès-sur-Mer. Hier ist es ruhig. Einige baden. Oder genießen den Blick auf den Hafen von Collioure, wo Henri Matisse (1969-1954) und André Derain (1880-1954) bunte fauvistische Bilder malten.
Klaus
Gruppe Köln-Innenstadt
Reisebild Unwetter auf der Autobahn, Bleistifte, Reiseskizze von Walter Stehling 2024
Bericht als PDF auf Französisch (Le récit en français)
Flyer der Friedenswoche "Cultures de Paix"