Köln
Rechtsterrorismus und Behördenhandeln
Abschlussbericht veröffentlicht
Der Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags hat am 21. August seinen gleichnamigen Abschlussbericht veröffentlicht. Er ist 1.898 Seiten stark. Landtagspräsidentin Birgit Diezel: »Mit dem Abschlussbericht ist eine öffentliche Entschuldigung gegenüber den Opferangehörigen und den 23 teils lebensgefährlich Verletzten der Sprengstoffanschläge in Köln verbunden. Wir bitten sie für die Verdächtigungen und für die lange Zeit fehlender Empathie um Verzeihung.« Um die Verbrechen des NSU und die Tatbeiträge ihrer Unterstützer aufzuklären, müssten alle Anstrengungen unternommen werden. Dafür würden sich die Abgeordneten des Thüringer Landtags einsetzen.
Der Bericht des Untersuchungsausschusses konstatiert:
Bei politisch Verantwortlichen sowie bei kommunalen und Landesbehörden sei eine verhängnisvolle Tendenz zur Verharmlosung und Entpolitisierung rechter Aktivitäten festzustellen. Rechts und Links würden im Wege der ideologischen Extremismusdoktrin pauschal gleichgesetzt und Widerstand gegen rechte Umtriebe vielfach als »Kehrseite derselben Medaille« und »Nestbeschmutzung« diskreditiert. Tino Brandt entging trotz zahlreicher gegen ihn geführter Strafverfahren einer Verurteilung. Ihm wurden als V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes neben Sachmitteln übermäßig hohe Prämien ausgereicht. Er wurde »so in die Lage versetzt, Geld- und Sachmittel in den Aufbau und das Funktionieren des Thüringer Heimatschutzes (THS) zu stecken sowie Reisen, Propagandamaterialien und Aktionen zu finanzieren. Aber auch andere Organisationen mit extrem rechtem Hintergrund dürften von der V-Mann-Tätigkeit ihrer Führungspersonen profitiert haben.«
[Aus dem THS ist der NSU hervorgegangen.]
»Es gab eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren gegen Tino Brandt, die ergebnislos verliefen. Mindestens eine versuchte Einflussnahme auf ein solches Ermittlungsverfahren durch das TLfV [Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz] ist zur Überzeugung des Ausschusses nachgewiesen. Der Untersuchungsausschuss ist zudem zu dem Schluss gelangt, dass Tino Brandt von gegen ihn gerichteten Ermittlungsmaßnahmen – von wem auch immer – gewarnt worden ist und insoweit eine Strafvereitelung zu seinen Gunsten erfolgt ist.
Tino Brandt hat eine regelwidrig hohe Alimentierung erhalten, die ihm eine erhebliche materielle Unterstützung des THS ermöglichte. Als ebenfalls klar regelwidrig hat der Untersuchungsausschuss den Einsatz von Marcel Degner als V-Mann bewertet, der Thüringer Sektionschef der später verbotenen Organisation »Blood&Honour« gewesen ist. Der Fall der versuchten Anwerbung und Führung von Juliane Walther als Gewährsperson war regelwidrig, da versucht wurde, sie zu einem stärkeren Engagement in der rechtsextremen Szene zu drängen, das bis dato gar nicht vorlag.«
»Seitens der Polizei erfolgte schon früh in den 1990er-Jahren eine Bündelung der Strafermittlungen bei der sog. SoKo REX im TLKA [Thüringer Landeskriminalamt]. Diese führte eine Vielzahl von Ermittlungen u. a. auch ein Strukturermittlungsverfahren gegen den THS wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen wurde diese SoKo jedoch 1997 aufgelöst und durch die EG TEX ersetzt, welche mit deutlich weniger Personal ein größeres Themenfeld bearbeiten musste und entsprechend nicht in der Lage war, in gleicher Weise Straftaten der rechten Szene zentral zu bearbeiten.«
Die Fahndung nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sei »in einem so erschreckenden Ausmaß von Desinformation, fehlerhafter Organisation, Abweichungen von üblichem Vorgehen und Versäumnissen bei der Verfolgung erfolgversprechender Hinweise und Spuren durchsetzt« gewesen, dass es dem Ausschuss »nicht mehr vertretbar erscheint, hier nur von ›unglücklichen Umständen‹, ›Pannen‹ oder ›Fehlern‹, wie sie natürlicherweise auch bei besten Vorsätzen nie ausgeschlossen werden können, zu sprechen. Die Häufung falscher oder nicht getroffener Entscheidungen und die Nichtbeachtung einfacher Standards ließen den »Verdacht gezielter Sabotage und des bewussten Hintertreibens eines Auffindens der Flüchtigen zu«.
Rechtsanwalt Stefan Kuhn machte am 15. September in einem Diskussionsbeitrag auf diese Aussagen des Thüringer Abschlussberichtes aufmerksam. Als Gast der Veranstaltung der Initative »Keupstraße ist überall« lobte er deren Arbeit. Sie sei angesichts der medialen Übermacht nötig, um die Frage nach der staatlichen Beteiligung an den NSU-Morden öffentlich zu halten. Das habe im Münchner Prozess schon zu unterschiedlichen behördlichen Aussagen bezüglich des Kasseler Mordes geführt. Gegen die Darstellung des hessischen Verfassungsschutzes halten zwei Polizisten an ihrer Aussage fest, Temme, Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, der während der Tat am Tatort war, habe von einem Ceska-Mord schon gesprochen, als er das nach der eigenen Darstellung des Vorgangs noch gar nicht wissen konnte.
An der Veranstaltung der Initiative im Depot 2 des Schauspielhauses nahmen mehr als 150 Personen teil. Die Initiative »Keupstraße ist überall« mobilisiert für den Tag X nach München. Zwar steht noch nicht fest, wann der Anschlag auf der Keupstraße behandelt wird. Aber es werden drei Kölner Busse bereitstehen. Die Initiative will die Nebenkläger begleiten. Und es wird für diesen Tag eine Demonstration in München vorbereitet. Anmeldung für die Busfahrt über die Website der Initiative.
Klaus Stein
- Homepage der Inititiative
- Abschlussbericht (pdf-Datei: 1896 Seiten, 10 MB)