Köln

Auto-Verkaufsrausch oder Auto-Krise

 Gewerkschaftskollegen mit IG-Metall-Fahnen.

 

 

 

Referat über Ford und die Krise, gehalten von Klaus Stein am Dienstag, 18. September 2018 auf der Mitgliederversammlung der DKP Köln-Innenstadt.
Wir dokumentieren:

 



Auto-Verkaufsrausch oder Krise?

Am Mittwoch, den 19. September, veröffentlichte der europäische Verband der Autoindustrie (ACEA) eine Pressemeldung, nach der im August 2018 im Vergleich zum Vorjahresmonat die Zahl der Neuzulassungen um 31,2 Prozent gestiegen sei. Für die ersten acht Monate betrug das Wachstum 6,1% im Verhältnis zum Vorjahreszeitraum. Im Juli waren es 10,5% mehr als im Vorjahr. «Das ist umso erstaunlicher, als der August gewöhnlich ein Monat ist, in dem die Zahl von Neuzulassungen im Jahresverlauf am niedrigsten ausfällt.» (KR 20.9.2018) Der Verband liefert indes eine Erklärung: es spielten hier Vorzieheffekte eine Rolle. Denn durch das neue Abgasprüfverfahren WLTP dürfen seit dem 1. September nur Wagen zugelassen werden, die diesen Test bestehen. Die Kölnische Rundschau titelte «Der Auto-Verkaufsrausch».

Indes differiert der Rausch nach Ländern und Marken. Spitzenreiter ist Renault mit 58%. Opel dagegen nur 4,4%. In Rumänien, Polen und Litauen waren nach der Statistik von ACEA die Zuwächse im August besonders hoch. In Großbritannien steigerte sich der Absatz um 23,1 Prozent, in Italien um nur 9,5 Prozent. In Frankreich mit 40 Prozent überdurchschnittlich, in Deutschland mit 24,5 Prozent unterdurchschnittlich.

Das Kraftfahrzeugbundesamt bestätigt diese Quote. 316.405 Personenkraftwagen (Pkw) wurden im August neu zugelassen – Plus 24,7 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Die bisherige Jahresbilanz weist einen Zuwachs von Plus 6,4 Prozent aus.

Aber:

Der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) zählt ebenfalls. Unter der Rubrik «Menge der produzierten Autos» kommt er auf bemerkenswert andere Entwicklungen. Im August 2018 sind danach 310.400 Autos von deutschen Produzenten hergestellt haben, 31% weniger als im August des vergangenen Jahres. Insgesamt zeigt die Kurve seit Mai steil nach unten.

Diese Umkehrung der Vorzeichen lässt sich durch den Unterschied von Produktion und Neuzulassungen, von Export und Import, sicher nicht restlos erklären. Tatsächlich ist die Situation nämlich ernst. Wegen Nachfragerückgang beim Passat hat VW Emden schon im Juli 12 Tage Kurzarbeit für die zweite Jahreshälfte angemeldet. Auch in Wolfsburg ruhen von Ende Juli bis Ende September die Bänder im Stammwerk an insgesamt zwölf Tagen komplett. Opel leidet seit der Übernahme durch PSA. Anlass für Kurzarbeit bei Audi Ingolstadt (von Anfang August bis Ende des Jahres) ist, dass Audi nur für einen Teil seiner Modellvarianten über eine Zulassung nach dem ab 1. September geltenden Abgasprüfstandard WLTP verfügt.

Und in den Ford-Werken steht die gesamte europäische Produktion in Frage.


Ford Köln

Kürzlich wies der Ford-Konzern einen Bericht der «Sunday Times», nach dem in Europa bis zu 24.000 Jobs auf der Kippe stehen sollen, in einer Stellungnahme als «Spekulation» zurück.

Aber am 3. September kündigte der Konzern einen radikalen Umbau seines Europageschäfts an. Dabei seien die Auswirkungen auf die beiden deutschen Standorte in Köln und Saarlouis noch nicht absehbar. Derzeit sind 25.000 Mitarbeiter in Deutschland beschäftigt. 18.600 davon in Köln.

Am Sonntag, 9. September, twitterte Trump zum Thema Ford Focus: «Das ist nur der Beginn. Dieses Auto kann jetzt in Amerika gebaut werden und Ford wird keine Zölle bezahlen». Noch Ende August hatte Ford angekündigt, das SUV-Modell Focus Active nicht mehr in China produzieren zu lassen. Denn Trump hatte auf Zölle verzichtet. Aber am selben Sonntag dementierte das Unternehmen. «Es wäre nicht profitabel, den Focus Active in den USA zu bauen, angesichts eines erwarteten jährlichen Verkaufsvolumens von weniger als 50.000 Einheiten und seines hart umkämpften Segments», schreibt Mike Lewine, ein Unternehmenssprecher von Ford, auf Twitter. Das Modell Focus Active soll in den USA gar nicht angeboten werden. Es handelt sich bei diesem Modell um einen Mischung aus SUV und klassischem Personenwagen. Offenbar bringen SUVs und Pick-Ups gegenwärtig noch Gewinne, der US-Markt für Personenwagen indessen schrumpft. Das sind die Gründe für Überlegungen des Ford-Konzerns, die PKW-Produktion auch in Europa einzustellen.

Dabei verkaufen sich Ford-PKW in Europa gut.

Allein für den Zeitraum Januar bis Juli 2017 wurden in Deutschland 24.366 Fiesta zugelassen, im gleichen Zeitraum 2018 lautet der Wert 29.108. Das sind fast 20% mehr. Auch die Verkaufszahlen für Europa sind laut Ford (KR 9. August) günstig: 157.400 in den ersten sechs Monaten des Jahres, 1900 mehr als im vergangenen Jahr. Krise kann man das nicht nennen. In den Überlegungen der Konzernleitung spielt es offenbar keine Rolle, dass der Marktanteil bei PKW in den ersten sieben Monaten auf 7,3% gestiegen ist und der Absatz um 5,4%. Denn es sind neben anderen Kostenfaktoren vor allem die Einbrüche im britischen Markt, verursacht durch das schwache Pfund, auszugleichen. Die Umsatzrendite von 1,3 Prozent ist den Herren zu kümmerlich. Sie erwarten 6 Prozent.

Konzernchef Jim Hackett zeigt sich extrem unzufrieden über die Erlöse in Europa. Für das zweite Quartal weise der Konzern hier einen Vorsteuerverlust von 73 Mio Dollar aus nach einem Gewinn von 122 Mio im Vorjahreszeitraum. Zudem seien für das gesamte Jahr rote Zahlen zu erwarten. Ein Grund dafür ist der drohende Brexit, der das Pfund billig gemacht habe. Das allein führe für Ford zu Belastungen von 600 Mio Dollar. Für den Finanzchef des Konzerns lohnen sich die in Europa gebauten Gelände- und Nutzfahrzeuge, die überwiegend in der Türkei hergestellt werden und der Geländewagen Kuga aus Valencia. Ungenannt lässt Hackett den EcoSport aus Rumänien oder den Ranger aus Südafrika, aber sie zählen offenbar noch zu den Modellen, die sich in die USA verkaufen lassen. Die große Masse des Ford-Angebots rangiere unterdurchschnittlich, ausdrücklich genannt wurde vom Konzernchef der in Saalouis gebaute Minivan C-Max. Der Name Fiesta fiel indes noch nicht. Für ihn wurden 300 Mio Euro im Kölner Werk investiert. 600 Mio Euro für den neuen Focus in Saarlouis. In den Überlegungen zur Zukunft von Ford in Europa spielt der gestiegene Marktanteil keine Rolle. Denn damit werden die Einbrüche im britischen Markt nicht kompensiert. Finanzchef Shanks will die Produktion auf leichte Nutzfahrzeuge konzentrieren. Die bringen die erwarteten Profite. Auch Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer hält den Verzicht des Konzerns auf die Limousinenproduktion für möglich, ähnlich wie es General Motors mit Opel schon vollzogen hat.

Über die gegenwärtige Stimmung der Belegschaft in Niehl sagt der BR-Vorsitzende Hennig am 17. August im Interview mit der Kölnischen Rundschau: sie sei gedämpft. In Saarlouis seien die Mitarbeiter verunsichert. Offenbar haben sie Sorge, dass dort der neue Focus oder der C-Max wegen der unterdurchschnittlichen Gewinnmarge nicht mehr hergestellt wird. Hennig bestreitet, dass die Gewinnmarge nicht gut sei. Wünscht sich aber für den Fall, dass auch in Europa sportliche Geländewagen und leichte Nutzfahrzeuge mehr nachgefragt werden, dass diese auch in Europa gefertigt werden. Focus und Fiesta würden sich gut verkaufen, aber hier müssten die Kosten in den Blick genommen werden, das sei Aufgabe des Managements. Aber beim Personal dürfe nicht gespart werden, allenfalls bei den Entwicklungskosten. Kostensenkungsprogramme hätten bisher wenig Wirkung gehabt. Wenn die Mitarbeiter gute Produkte herstellen, die sich gut verkaufen lassen, wären Strukturveränderungen fällig. Tatsächlich hat es im vergangenen Sommer teure Versäumnisse beim neuen Fiesta gegeben. In der Statistik der Kraftfahrzeugbundesamtes erscheint kein Angabe über die Fiesta-Produktion im August 2017. Die Zahl von August 2018 wird mit 3367 angegeben, das sei 118,8% mehr gewesen als im vergangenen Jahr. Nach meiner Rechnung sind also 1540 im August 2017 vom Band gelaufen. Das kann man als Anlaufschwierigkeit bezeichnen, denn in den sechs Monaten vorher sind vom alten Modell im Schnitt 4060 Stück produziert worden.

Hennig spricht etwas verhalten über den Trend zur Elektromobilität. Der müsse sachte umgesetzt werden, denn für Elektroautos würden a) weniger Mitarbeiter und b) Mitarbeiter mit anderen Qualifikationen benötigt.

 
KR: «Kommt der nächste Fiesta auch aus Köln?»

Hennig: «Ja, behaupte ich einmal. Wenn es einen neuen Fiesta gibt, kommt der auch aus Köln. Es hängt natürlich davon ab, welche Fahrzeuge der Kunde verlangt. Vielleicht kommen auch neue Fahrzeuge an den Start, vielleicht verstärkt E-Autos. Der Fiesta kann möglicherweise auch ein E-Auto sein.»

KR: «Es gibt ja schon eine kleine Fertigung von E-Autos in Kooperation mit Streetscooter, die auch einen großen Lieferwagen für die Post auf Transit-Basis anbieten.»

Hennig: «Diese Chance müssen wir nutzen. Wir sammeln hier Erfahrung, auf die wir aufbauen können. Nutzen können wir die auch für elektrische Pkw.»

KR: «Steht Ford noch zum Europa-Geschäft?»

Hennig: «Ich habe im April noch Jim Farley getroffen, der für das weltweite Autogeschäft von Ford verantwortlich ist. Er hat mir damals gesagt, dass er zu Europa steht. Den Weg, den GM mit dem Verkauf von Opel gegangen ist, hält er für Ford für falsch. Ich bin sicher: Wenn wir die Kosten im Griff haben, dann kann das Europageschäft zum Ford-Gewinn beitragen. Einen Rückzug würde ich für einen Fehler halten.»


Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Interview die Ford-Kollegen beruhigen kann. Zumal die Gewerkschaft CGT bei der GFT Bordeaux (Abkürzung für: GETRAG FORD Transmissions GmbH, ein Gemeinschaftsunternehmen mit Ford, das in Bordeaux von 1090 Arbeitern manuelle Schaltgetriebe herstellen lässt) am 30. August als Nachricht aus Köln übermittelt, dass hier Leiharbeiter am Montageband von Fiesta entlassen wurden, um Platz zu machen für rund 200 Kollegen von der GFT. Die GFT-Hallen liegen auf dem Betriebsgelände in Niehl. Hier stellen 1239 Arbeiter Getriebe her. Es sind Kollegen mit Ford-Arbeitsverträgen. Grund für diese Rochade: Laut CGT befinde sich wegen Absatzeinbußen bei Dieselfahrzeugen die Getriebeproduktion der GFT Köln im freien Fall.

Bei GFT Bordeaux sei es umgekehrt. Hier dränge die Betriebsleitung darauf, möglichst viele Ford-Mitarbeiter zur Arbeit bei der GFT abzuordnen.


Auto-Krise

Man könnte auf die Idee kommen, dass die Sorgen der Ford-Kollegen aus den Managementfehlern ihres Konzerns resultieren, gewissermaßen betriebsbedingt sind. Aber es deutet sich eine Auto-Krise an, wenn die Kurve der Menge produzierte Autos nach unten zeigt, im August 31% weniger Autos produziert werden als im Vorjahr.


Seit dem 1. März ist Bernhard Mattes der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Er hat Matthias Wissmann abgelöst. Mattes war Vorsitzender des Vorstands sowie ab November 2004 als Vorsitzender der Geschäftsführung der Ford-Werke GmbH gewesen, aber in dieser Funktion auch schon von 2002 bis 2016 Mitglied des VDA-Vorstandes.

In seiner Abschiedsrede teilt Wissmann mit, dass in den 11 Jahren seiner Amtszeit die VDA-Mitgliedsunternehmen ihre Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen um mehr als die Hälfte gesteigert hätten. Der Pkw-Weltmarkt sei um 52 Prozent gewachsen. Die deutschen Hersteller verfügten über einen Marktanteil von einem Fünftel. Die Pkw-Auslandsproduktion wurde verdoppelt, gleichzeitig konnte die Inlandsproduktion stabil gehalten werden. Die Zahl der Beschäftigten im Inland sei heute mit 827.000 um 100.000 höher als 2007.


Technische Lösungen?

Offenkundig setzen die Autohersteller auf technische Lösungen gegenwärtiger Verkehrsprobleme, ohne das Prinzip des Individualverkehrs aufzugeben. Sie wollen in den kommenden Jahren mit Millionenbeträgen das vollständig vernetzte und autonom fahrende Auto Realität werden lassen. Die Autos sollen in Zukunft auch ohne ständige Kontrolle durch die Fahrer unterwegs sein. Im Jahr 2025 könnten die ersten vollautomatisierten Fahrzeuge deutscher Hersteller auf die Straßen kommen.

Vor zwei Jahren wurde die Gründung der 5G Automotive Association (5GAA) bekannt gegeben. Eine Gruppe von Firmen, darunter Audi, BMW und Daimler sowie IT-Firmen wollen «neue Kommunikationslösungen entwickeln, testen und fördern, ihre Standardisierung unterstützen sowie ihre Markt-Verfügbarkeit und globale Verbreitung beschleunigen. Ziel ist es, Funktionen wie das vernetzte automatisierte Fahren, ortsunabhängigen Zugang zu Diensten und intelligente Verkehrslösungen für die Smart City zu unterstützen.» Sie glauben, auf diese Weise den gesellschaftlichen Anforderungen bei vernetzter Mobilität und Verkehrssicherheit begegnen zu können – nicht etwa, ihnen gerecht zu werden.

Am 2. März erklärte Sabine Leidig, MdB für Linkspartei, in der aktuellen Stunde des Bundestags zur Frage von Fahrverboten: «Angesichts der 6000 vorzeitigen Todesfälle durch das Einatmen von Stickoxid, angesichts der über 3000 Verkehrstoten und über 300.000 Verunglückten, die alleine in Deutschland jedes Jahr zu beklagen sind; angesichts der rund 85 Milliarden Euro, die als ›externe Kosten‹ des Straßenverkehrs der Gesellschaft aufgebürdet werden (der größte Batzen fällt im Gesundheitswesen an) und angesichts der ansteigenden klimaschädlichen CO2-Emissionen aus dem Verkehrssektor, der dramatischen Folgen des Klimawandels für diejenigen, die ihre Lebensgrundlagen durch Dürren oder Überschwemmungen verlieren» seien Aussagen wie solche in der Werbung von BMW borniert und zynisch. BMW hatte mit dem Spruch geworben: «Dieses Auto macht die Landstraße zur Lustmeile, mit jeder Minute kommen sich Mensch und Maschine näher und irgendwann sind beide eins.»


Wir formulieren die Ford-Werker in dieser Lage ihre Interessen? Wie können sie die Verkehrswende mitgestalten? Wie können einerseits die gesellschaftlichen Kosten gering gehalten, die Umwelt geschont und andrerseits effektive Mobilität geboten werden?

 


Text und Foto: Klaus Stein