Bergisch Gladbach

»Faschismus ist … ein Verbrechen«

Mahnwache Bergisch Gladbach am 10. November 2012

Jürgen Schuh am Mikrofon.

 

Wir dokumentieren die Redebeiträge

Ansprache des Landes­geschäfts­führers der VVN-BdA NRW, Jürgen Schuh zur Gedenkveranstaltung des 71. Jahrestages der Judendeportation im Rheinland 1941

Liebe Freundinnen und Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir gedenken hier an dieser Stelle derjeni­gen, die bereits 1932 warnten: »Wer Hinden­burg wählt, wählt Hitler! Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!« Die Kom­munis­ten zahlten den höchsten Blutzoll im Wider­stand. Im Standard­werk »Wider­stand als Hochve­rrat« vom Verlag K.G. Saur heißt es:

»Politisch motivierter Wider­stand war… zu 75 Prozent kom­mu­nis­tischer, zu 10 Pro­zent sozial­demo­kra­tischer und nur zu 3 Pro­zent christlich-bürger­licher Wider­stand.«

Alle jene, ob Christen, Sozial­demo­kraten, Bibel­forscher, Kom­munisten:
Alle, die sich der faschistischen Barbarei unter Einsatz ihres Lebens ent­ge­gen­stell­ten, verdienen unsere Hochachtung.

Die Zeilen von Kurt Tucholsky könnten ihnen allen gewidmet sein:

»Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegen­satz zu seiner Zeit zu befin­den und laut zu sagen: NEIN!«

Sie haben NEIN gesagt. Jetzt ist es uns, den Nachgeborenen, ihr Vermächtnis verantwortungsvoll zu übernehmen. …

Wir gedenken hier derjenigen 2011 Mit­bür­ge­rIn­nen jüdischen Glaubens aus dem Raum Köln, die 1941 in Vieh­wag­gons ins Ghetto und von da in die Gas­kam­mern oder in die Arbeits­lager zur Profit­maxi­mie­rung deutscher Konzerne verbracht wurden.

Wir gedenken aber auch der vielen namenlosen Opfer – darunter der Sinti und Roma – die bis heute weder Anerkennung noch Entschädigung erfahren haben.

Mir geht es nicht um eine »Geden­krede«. Die Wort­hülsen, die an solchen Tagen offiziell verbrei­tet werden, wie »Wir gedenken der Opfer…« sind Sprech­blasen. Gedenken an mehr als 50 Mil­lio­nen Opfer muss das »Wehren« einschließen. Bertolt Brechts Aphorismus »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!« gewinnt in diesen Tagen brennende Aktualität.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
Kolleginnen und Kollegen

Das 10 Jahre lange mörderi­sche Wirken des »National­sozia­listi­schen Unter­grunds« unter Beobach­tung des Verfas­sungs­schutzes, unter Mitwir­kung seiner »Vertrauens­leute« – so werden die V-Leute – also die vom Staat bezahlten Neo­nazis genannt, muss jeden alarmieren.

Der Verfassungsschutz hat über Jahre die kriminellen Machenschaften der Neo­faschis­ten finan­ziert und gedeckt und hat in der letzten Phase belas­tende Unter­lagen geschred­dert. Wenn heute in Köln-Chor­weiler vor der Bundes­zen­trale des Verfas­sungs­schut­zes tausende für dessen Auflö­sung demons­trieren, ist das eine längst über­fällige Entschei­dung. Dieser Geheim­dienst, der sich jeder parla­men­tari­schen Kontrolle entzieht, ist nicht zu refor­mieren. Dieser Geheim­dienst maßt sich derweilen auch Bildungs­aufträge in Schulen und Hochschulen an.

Die verheerende Rolle von Geheim­diensten haben wir zwischen 1933 und 1945 kennen gelernt. Die brauchen wir 2012 nicht noch einmal. Da sind die Parla­mente – wenn sie sich nicht noch einmal wie 1933 selbst ab­schaf­fen wollen – gefor­dert.

Ein kleiner Blick zurück in die Geschich­te ist vielleicht sinnvoll.

Erinnern möchte ich an den Mitver­fasser und Kom­men­tator der Nürn­berger Rasse­gesetz­gebung, Hans-Maria Globke. Dieses Gesetz war die juris­tische Grund­lage für mil­lio­nen­fachen Mord. Dieser Schreib­tisch­mörder wurde unter Adenauer 1. Staats­sek­re­tär. Eine bös­arti­gere Verhöh­nung von Mil­lio­nen Ermor­deter ist für mich nicht vorstellbar.

Der Verfassungs­schutz­präsi­dent ab 1956 war Hubert Schrüb­bers. Er war während des Faschis­mus General­staats­anwalt beim NS-Sonder­gericht in Hamm und ist verant­wort­lich für zahl­reiche Terror­urteile gegen Anti­faschis­ten und zeichnete sich wieder durch die gnaden­lose Verfol­gung von Anti­faschis­ten in der Ade­nauer-Ära aus. Das prägt diesen Geheim­dienst bis heute.

Dieser Verfassungsschutz, der jetzt ein »Aussteiger­pro­gramm für Linke« anbietet (ein Anwerbe­programm für Spitzel), hat mit seinem V-Mann-System einen NPD-Verbots­antrag der dama­ligen Bundes­regie­rung vereitelt und finan­ziert über die Bezahlung seiner »V-Männer« einen großen Teil des Appa­rates der NPD.

Walborg Schröder am Mikrofon.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freundinnen und Freunde,

die aktuelle Lage in Deutschland und in Europa ist Veranlas­sung, darüber nach­zu­den­ken, dass Faschisten und Ras­sisten in allen euro­pä­ischen Parla­menten, in zahl­reichen deutschen Land­tagen und in unge­zählten Kommunal­parla­menten Sitz und Stimme haben.

Rassismus und Neofaschismus im Nadel­streifen haben längst in der Mitte unserer Gesell­schaft Platz genom­men. In den so genann­ten »Volks­par­teien« können sich Rassis­ten wie Sarrazin und zahllose andere sicher fühlen. Das ist der Boden, auf dem Neofaschis­mus gedeiht.

Der neofaschistische Terror, der in unseren Städten seit 1990 ca. 200 Mord­opfer gefor­dert hat, wurde von der Bundes­regie­rung auf 49 Tote heruntergerechnet.

Seit 2001 wurden mit Bundes­geldern Projekte geför­dert, die dem immer stärke­ren Anstieg rechter Gewalt und dem weite­ren Vordrin­gen der Neo­nazis ent­ge­gen­wir­ken sollten.

Familienministerin Christina Schröder entschied, Mittel aus diesem Programm in den Kampf gegen »Links­extre­mis­mus« umzu­leiten. Sie führte aber auch gleich noch einen »Gesin­nungs-TÜV« ein. Alle Projekte gegen Rechts, die staatli­che Gelder erhalten, müssen sich nun zur »freiheit­lich-demo­kra­tischen Grund­ordnung« bekennen und sich verpflichten, alle Koope­ra­tions­partner auf ihre Verfas­sungs­treue zu überprüfen.

In politischen Kreisen wird ständig verbreitet, man könne da nichts machen. Es ist nicht eine Frage des »Kön­nens« sondern des »Wollens«.

Nach Artikel 139 Grund­gesetz, der die Fortgel­tung des Verbots der NSDAP betrifft, sind alle Nach­folge- und Tarn­orga­ni­sa­tionen verboten und aufzu­lösen. Dieser Artikel 139 ist nie vom Parla­ment gelöscht worden.

Der ehemalige Präsident des Bundes­verfas­sungs­gerichts und spätere Bundes­präsi­dent Roman Herzog hatte aber erklärt:

»Mit dem Abschluss der so genann­ten Ent­na­zi­fi­zie­rung ist Artikel 139 obsolet geworden«.

Die »Entnazifizierung« war für Roman Herzog abgeschlos­sen und damit war die juristi­sche Grund­lage beseitigt, faschis­tische Struk­turen aufzu­lösen. Mit einem Feder­strich ent­sorgte Roman Herzog den anti­faschis­tischen Auftrag des Grund­gesetzes. Dass sich die »Deutsche National­zeitung« an der Spitze des höchsten deutschen Gerichtes keinen geeig­nete­ren Fach­mann als Prof. Herzog« vor­stel­len konnte, versteht sich.

Kundgebungsteilnehmer:innen mit Transparenten: «Rassismus mordet!» und «Niemals vergessen! Nie Wieder Faschismus!».Aber auch die rot-grüne NRW-Landesregie­rung verhält sich in Sachen Neo­fa­schis­mus sehr wider­sprüch­lich. Innen­minister Jäger hat sich nun dazu durch­gerun­gen, krimi­nelle Vereini­gungen wie Neo­nazi-Kame­rad­schaf­ten zu verbieten. Aber gleich­zeitig setzt er seine Polizei ständig gegen Anti­faschis­ten in Marsch, die die ständi­gen Neo­nazi-Zusam­men­rot­tun­gen in unseren Städten nicht mehr hin­neh­men wollen.

Da wird von Innen­minister Jäger in einer Neu­auf­lage der Broschü­re »ANDI 3« die Losung der VVN-BdA »Faschis­mus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen« als Auf­for­de­rung zum Geset­zes­bruch dif­fa­miert. In dieser Broschü­re, die an den Schulen verteilt wird, heißt es, mit dieser Losung würden die »Links­extre­misten« ihrem politi­schen Gegner alle demo­kra­tischen Rechte absprechen.

Genau das tun wir!

Die Politik muss eine klare Antwort geben:

Ist neofaschistische Propaganda, ist Volks­verhet­zung, ist Aus­län­der­feind­lich­keit und Anti­semi­tis­mus von der Landes­verfas­sung bzw. dem Grund­gesetz als »schüt­zens­wer­tes Gut« gedeckt und müssen dafür Tag für Tag Polizei­einsatz­hundert­schaf­ten gegen Antifaschist_innen in Marsch gesetzt werden?…

Der erste Ministerpräsi­dent des Landes NRW Dr. Rudolf Ame­lunxen (damals Zentrum), erklärte auf dem Gründungs­kongress der Vereini­gung der Verfolgten des Nazi­regimes am 26. Oktober 1946 in Düsseldorf vor 500 Delegierten:

»In der Ausübung der Toleranz darf und muss nur eine Aus­nahme gemacht werden, nämlich die, dass es keine Frei­heit gibt für die Mörder der Frei­heit. Wir ken­nen diese und werden alles tun, um sie nicht noch einmal zum Zuge kom­men zu lassen!«

1933 haben die Faschisten ihr Recht auf die Straße geltend gemacht. Die ent­setz­lichen Ergeb­nisse sind bekannt. Nach den gemachten histo­rischen Erfah­rungen sprechen wir hier und heute ausdrück­lich Neo­faschis­ten aller Schat­tie­rungen das Recht zu demons­trieren und das Recht auf Meinungs­äußerung ab! Selbst wenn wir uns damit nach Meinung von Polizei, Justiz und Politik strafbar machen. Das sind wir den Millionen Opfern schuldig.

  • Freie Meinungsäußerung für Faschisten hat Millio­nen Men­schen das Leben gekostet.
  • Das darf sich nicht wiederholen! Es bleibt dabei:

Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen!

 

Fotos: Klaus Müller

 


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