Gerresheim
Kommunale Mitbestimmung auf den Kopf gestellt
Die Plutokratie erwartet in Gerresheim die Filetstücke der Glashütte
Das Gelände der Gerresheimer Glashütte gehört mit seinen 280.000 Quadratmetern – mit »Lager 61« sind es sogar 64.500 Quadratmeter mehr – zu den größten industriellen Umstrukturierungsgebieten in Düsseldorf. Das ehemalige »Lager 61« befindet sich nördlich der Glashütte, westlich vom »Bauhaus«.
Die frühere Nutzung ist zu erahnen durch die Architektur des benachbarten »Heimwerkermarktes«, der zu den größten in Europa zählt.
Der westliche Teil befindet sich mit 90.000 Quadratmetern ebenso wie das »Lager 61« bereits in städtischem Besitz. Der größere östliche Teil gehört mit 190.000 Quadratmetern dem US-Konzern Owens-Illinois. Die deutsche Verwaltung dieses US-Unternehmens liegt als »O-I Glasspack GmbH & Co. KG« in der Goethestraße 75 (Tel.: 0211-2927397), das Headquarter für Europa sitzt in Lausanne am Nordufer des Genfer Sees in der Schweiz. Wer über die Konzernziele in Europa mehr wissen will, kann anrufen bei Isabelle Peillon (0041- 217034144). Es geht auch per Mail: isabelle.peillon@u.o-i.com
O-I ist weltweit ein führender Konzern für Verpackungsmittel. In Europa wurde O-I durch den Ankauf von BSN Glasspack im Juni 2004 der größte Hersteller von Glas-Verpackungen. Ein Teil von BSN Glasspack war wiederum die Gerresheimer Glashütte, die O-I im Rahmen einer Marktbereinigung im August 2005 schloss. Die letzten 300 Arbeiter von ursprünglich 6.000 verloren ihren Arbeitsplatz. Der Umsatz betrug nach Firmenangaben 2005 in Europa 2.7 Billionen USD.
Seit nun mehr als fünf Jahren läuft der Abbruch der Glaswannen und der weiteren Gebäude. Auch dabei wird international gearbeitet. Geblieben sind die Elektrozentrale, das Kesselhaus und der Glasturm. Sie stehen wie der Gerresheimer Bahnhof unter Denkmalschutz.
Westlich der »nördlichen Düssel«, die das Gelände von Süden nach Norden durchfließt, also auf städtischem Grund, stehen noch mehrere Hallen. In einer davon produziert die Firma Gerroplast GmbH unter anderem Kunststoff-Etiketten für die Getränke- und Lebensmittelindustrie in aller Welt.
Der »Mehrwert«, der aus der Umstrukturierung des Geländes für die Düsseldorfer Stadtkasse und die Konzernkasse am Michael Owens Way in Perrysburg (Ohio) erwachsen soll, stößt allerdings auf Hindernisse. Das fing damit an, dass es zunächst mächtigen Protest überhaupt gegen den Abriss der Hütte gab, denn das Düsseldorfer Unternehmen schrieb schwarze Zahlen. Unter Bruch der Verfassung von Nordrhein-Westfalen setzte der Weltkonzern seine Unternehmensziele gegen de Belegschaft durch. In der NRW-Verfassung steht in Artikel 24: »Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat das Recht auf Arbeit.« Als die DKP im Gerresheimer Rathaus dieses Recht für die Arbeiter der Glashütte einforderte, belehrte sie die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, dass das so mit der Verfassung nicht gemeint sei. Auch Artikel 27 ließ sich nicht so recht durchsetzen: »Großbetriebe der Grundstoffindustrie und Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt werden.« Der Widerstand gegen den Weltkonzern und seine Helfer im Rathaus war trotz aller Tapferkeit zum Scheitern verurteilt.
Da der Widerstand in dem kleinen gallischen Dorf im Osten Düsseldorfs aber nicht erlosch, drehten die Oberbürgermeister Joachim Erwin und Dirk Elbers den Spieß um: Sie stellten die kommunale Mitbestimmung von den Füßen auf den Kopf: Wir bestimmen – und ihr dürft mitmachen. In einem Architektenwettbewerb wurde die Bevölkerung eingeladen, ihre Meinung zu sagen, Anregungen zu geben, sich ganz wichtig zu fühlen. Die Verwaltungsspitze schickte ihren Baudezernten Gregor Bonin ins Rennen, der die Architekten allerdings gleich in die Schranken wies: Wenn sie den Bürgerprotest gegen die vierspurige L 404 zwischen Bahn und Glashütte berücksichtigen würden, seien sie gleich aus dem Rennen.
Auch an anderer Stelle klappte es mit der demokratischen Kommunikation nicht wirklich: Zum 23. Juni 2009 war Oberbürgermeister Dirk Elbers von der Bezirksvertretung 7 eingeladen worden, um »Sachstand und Entwicklung des Lagers 61, Plangebiet Nach den Mauresköthen«, zu erörtern und die offenen Fragen der Bezirksvertretung zu beantworten. Die Einladung hatte einen Haken: Elbers folgte ihr nicht. Statt dessen wurde der Tagesordnungspunkt »Aktuelle Nutzung von Lager 61« mit dem Bericht der Verwaltung und einem Antrag der DKP in den nichtöffentlichen Teil der Sitzung verschoben.
Und hinter den Kulissen ergeben sich bisweilen Erkenntnisse, die eine schnelle Realisierung der Profitziele doch behindern. Ein Baugebiet hat bekanntlich nicht nur eine Fläche, sondern auch eine Tiefe. Und auf der Erdoberfläche lässt sich erst etwas errichten, wenn der Untergrund geeignet ist – und nicht etwa kontaminiert. Der Boden von »Lager 61« neben dem »Bauhaus« war so leicht um viele Meter aufgeschüttet worden, dass dort nicht mehr gebaut werden kann. Daher gibt es dort seit Jahren eine der schönsten Ruderalflächen von Düsseldorf. »Lager 61« ist mit einem Zaun gesichert. Ein Loch im Zaun gibt es am Zamenhofweg, wo man zum Kleingartengelände abzweigt.
An diesem Gelände wird auch deutlich, dass nicht nur wichtig ist, was drauf steht, sondern auch das, was drin steckt. Im Februar 2010 ließ das Umweltamt der Landeshauptstadt die Katze aus dem Sack: Perfourierte Tenside (PFT), die nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung in Verdacht stehen, Krebs zu erregen und die Fortpflanzung zu gefährden, wurden auf »Lager 61« (neben den Kleingärten) ermittelt. Dabei bleibt’s wohl nicht: »Es ist aber zu erwarten, dass das Grundwasser über die Bertastraße hinaus erhöhte PFT-Werte aufweist.« In der Gesamtbewertung heißt es schließlich zum Ernten im Kleingarten: »Eine Gefährdung bei weiterhin uneingeschränkter Nutzung kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.« Und dick unterstrichen: »Die Verwendung von Grundwasser zu Bewässerungszwecken soll deshalb im Sinne eines präventiven Boden- und Gesundheitsschutzes untersagt werden.«
Eine weitere »Zeitbombe« aus dem Nachlass der Glashütte ist der »Brombeerberg« am Rande des weitgehend unbebauten Geländes an der Torfbruchstraße. Hier wurden über Jahrzehnte die toxischen Altlasten der Glashütte entsorgt. Die »Verunreinigung« ist so groß, dass der Hügel nicht als Abenteuerspielplatz geeignet ist. Wo direkt auf dem Gelände der Glashütte später vielleicht einmal ein Spielplatz gebaut werden kann, ist ebenfalls unsicher, denn für die Glasproduktion wurden nicht nur Quarzsand (Kieselsäure=Siliziumoxid), Soda und Kalk eingesetzt. Bei der Flachglasherstellung wurde das grünliche Glas in der Schmelze durch Zugabe von Braunstein oder Arsen entfärbt. Eisen, Kupfer Kobalt (Metalloxide) waren schon im Mittelalter als Glasfarben bekannt. Da die Glasproduktion in Gerresheim schon 1864 aufgenommen wurde und damit über mehr als 150 Jahre lief, ist so manche »Beigabe« auch neben den Glaswannen gelandet.
Die »Kommunikation« zwischen Arbeiterklasse und den Besitzern der Glashütte ist über mehr als 100 Jahre gestört und äußerte sich bisweilen regelrecht in Klassenkämpfen. Die Arbeiterbewegung wurde nicht nur im Auftrag von »dem alten Heye« von der Polizei bespitzelt. Natürlich hatte Heye auch schwarze Listen, natürlich räumte Heye die Arbeitersiedlungen Altstadt und Neustadt mit Gewalt. Als es mit der grünen Polizei und den Schlapphüten nicht mehr funktionierte, wurden SA und SS eingesetzt, und Untergerresheim kam in einen »Kessel«, der von 5.000 SA-Leuten etc. gebildet wurde.. Aber die Arbeiterbewegung wurde trotz vieler Morde nicht zerbrochen.
Die Zerschlagung der Produktivkräfte begann erst viel später. Und dafür wurde die Glashütte zunächst zum Spielball international operierender Kapitalinteressen. Owens-Illinois hatte im Laufe der Glashütten-Geschichte gleich dreimal die Finger an den Schalthebeln, bis diese dann ein letztes Mal umgelegt wurden. Gegen diese absehbare Entscheidung wehrten sich viele: Belegschaft, Betriebsrat, Komitee »Rettet die Glashütte jetzt«, Kirchenvertreter, Vertreter von Parteien. Innerhalb der letzten Gruppe gab es allerdings deutliche Unterschiede: Manche kamen einmal, viele kamen nur selten, und ganz wenige waren immer dabei. Es gab Tränen, und es gab ganz dicke Krokodilstränen. Es gab öffentliche Schauveranstaltungen und ein ausgefeiltes Management der Beschwichtigung. Nach der Schließung der Hütte gingen zumindest die juristischen Auseinandersetzungen weiter. Zum Arbeitsgericht Düsseldorf (Ludwig-Erhard-Allee 21) begleitete Norbert Ziegert, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender, die Kollegen, die entdeckt hatten, dass die ausgehandelten Abfindungen nicht die waren, die sie erwartet hatten.
Die Hütte ist tot – es lebe das Hüttengelände. Für fast 350.000 m² Bauland muss ein Investor schon eine Menge Geld in die Hand nehmen. Und er muss leise sein, wenn er sein Geschäft nicht der demokratischen Kontrolle unterziehen lassen will. Die Stadt hilft dabei. Sie inszeniert das Bürgerspiel »Partizipation & Transparenz« und teilt im Hintergrund das Besteck aus, mit dem die Filetstücke zugeschnitten und verteilt werden.
Der »Immobilien-Kompass« von »Capital« schreibt unter der Überschrift »Geld spielt keine Rolle«: »Die Rhein-Metropole profitiert von einer Klientel, die auch beim Immobilienkauf großzügig ist. Nirgendwo in NRW werden höhere Preise gezahlt als in der Landeshauptstadt.« Und die Stadt Düsseldorf jubelt: «Umsatz so hoch wie nie/Bauland rund fünf Prozent teurer/ Düsseldorfer Gutachterausschuss legt neue Richtwertkarten vor.« Umsatz: 4,26 Milliarden Euro. Unterstellt man den bescheidenen Preis von 500 Euro/m2, so ergibt sich nach dem Ausschlachten der Hütte noch ein Sümmchen von 175.000.000 Euro. Nur für das Gelände.
Die Mechanismen der Steuerung und Zielsetzung für die Vermarktung wurden bei einer Veranstaltung in der Kantine der Glashütte am 17. März deutlich – und stießen auf Widerstand. Der Architektenwettbewerb wurde nachträglich als bilderreiche Showveranstaltung erkannt. Zur Lachnummer geriet die städtische Vorgabe zum nun »Düssel-Park«: »Das städtebauliche Konzept für den ehemaligen Standort der Glashütte im Gerresheimer Süden basiert auf folgenden Leitgedanken und Zielen:
- Eine neue Marke über den Düssel-Park zu definieren!
- Die Verbindung zum Kontext funktional und räumlich zu stärken!
- Urbane Qualität und Freiraumqualität miteinander zu verbinden!«
Durch Großinvestoren, die man nicht kenne, fühle man sich verschaukelt, weil man nicht sehen könne, dass sich etwas bewegt. Bewegung in Richtung auf Verfall gibt es zur Zeit allerdings bei der Elektrozentrale, dem Kesselhaus und dem Glasturm, die unter Denkmalschutz gestellt wurden. Auf die Frage, wie die Gebäude vor der weiteren Zerstörung gesichert werden könnten, gab es eine Antwort, die belegte, dass das herrschende Recht das Recht der Herrschenden ist: O-I kann nicht gezwungen werden, den Denkmalschutz abzusichern, wenn das für den Konzern mit Kosten verbunden ist. Denkmalschutz verkommt zum Schutz der Gedanken der Spekulanten. Da nutzte auch nicht der informative Vortrag von Prof. Buschmann, der den Wert der Baudenkmäler untersuchte.
Da, wo das Gesetz nicht bemüht werden muss, springt die Stadt hilfreich ein: Das Verfahren für die Verkaufbarkeit des Geländes wurde »gemeinsam mit dem Eigentümer« durchgezogen. Es gab den gemeinsamen Auftritt von Stadt und O-I. Zur zeitlichen Dimension der gemeinsam Bemühungen hieß es: »Das dauert seine Zeit« und gleichwohl sei man »mit Feuereifer dabei«. O-I wolle ja verkaufen: »Wir hören vom Eigentümer, dass es Interessenten gibt.« Oder: »Die Stadt informiert sich beim Eigentümer über den Stand des Verkaufs, verhandelt aber nicht.«. Dabei hoffe die Stadt, »dass in Amerika (bei O-I) keine falschen Zahlen in den Büchern stehen.«
Auf die Frage, ob denn mit einer Planung wenigstens auf dem westlichen Drittel, das der Stadt gehöre, begonnen werden könne, hieß es, »die Stadt muss« warten. Die lange Zeitdauer sei bei diesen Angelegenheiten durchaus normal. Die Krönung: »Gerresheim ist nicht vergessen!«
Da wunderte es fast nicht, dass es Tendenzen gab, O-I in seinem Profitstreben etwas einzuengen. Die Stadt solle die Denkmäler anmieten, forderte Prof. Kurt Hesse. Die Stadt solle kaufen, erweiterte Gaby Schulenburg. Aber CDU-Fraktionsvorsitzender Rainer Klöpper hielt dagegen: Die Öffentliche Hand kann man nicht zwingen. Schließlich wurde sogar verlangt, dass im Düssel-Park keine Luxuswohnungen gebaut werden sollen. Am besten sei es übrigens, wenn die Stadt sich (wie bei einer feindlichen Übernahme) von O-I auch die anderen beiden Drittel des Grundstückes nehme. Die Forderung war nicht schlecht, ließ aber doch erkennen, dass die gegenwärtige Rolle des Staates noch nicht in seiner ganzen Tiefe erfasst worden war. Das kann ja noch kommen.
Uwe Koopmann
Vorabveröffentlichung der alternativen
Düsseldorfer »Stattzeitung Terz«.