Gerresheim

Der unheilvolle Schutzschirm der Justiz in Gerresheim

»Ein langsamer und qualvoller Tod ist genau das, was Sie verdienen.«

 

Friedhof: Menschen im Halbkreis um Grabstätten.

Vor 15 Jahren ging ein Brief per Post bei der Adres­se Berta­straße 3/29 in Ger­res­heim ein. Ruhe ist dazu bis heute nicht einge­kehrt, zumal die aktu­el­len Bezie­hun­gen zwischen Nazis, Poli­zei, Ver­fas­sungs­schutz und Justiz vielfach die Frage auf­kom­men las­sen: »Wer schützt hier wen?«

 

Das Schrei­ben ist so kurz und per­fide, dass es voll­ständig zitiert werden kann: »Sehr geehrter Herr Kutz! Mit Freude erfuh­ren wir, dass Sie an Krebs erkrankt sind. Ein lang­sa­mer und qual­vol­ler Tod ist genau das, was Sie ver­die­nen. Auf Nim­mer­wie­der­sehen Die Republikaner«

 

 

Der Post­stempel weist Düs­sel­dorf als »Basis für Busi­ness« aus. Der Post­stem­pel datiert den Brief auf den 19.7.96, abge­stem­pelt im Post­amt »Düs­sel­dorf 1«. Der Um­schlag trägt keinen Ab­sen­der, der Brief­bo­gen aber hat den Schrift­zug »Die Re­pu­bli­ka­ner« und das Rau­ten­zei­chen REP. Der Brief hat nur sechs Zeilen. Statt einer beken­nen­den Unter­schrift steht dort nur »Die Republikaner«.

 

Willy Kutz war Verfolgter des Nazi-Regimes, im Straf­ba­taillon 999, Inhaf­tie­rung. In Ger­res­heim war er vor dem Hinter­grund der dama­li­gen Kom­mu­nal­wah­len aktiv in der Ini­tia­tive »Ger­res­hei­mer gegen rechts«. Der Einzug der Repu­bli­ka­ner ins Ger­res­hei­mer Rat­haus war zuvor erfolg­reich verhin­dert worden. Trotz­dem setz­ten die Repu­bli­ka­ner offen­sicht­lich auf den Schwer­punkt Ger­res­heim.

 

Sie hatten zeit­weilig in Ger­res­heim ihre Kreis­zen­tra­le für Düs­sel­dorf – aus­ge­rech­net in einem Haus (Video­thek Sta­gi­nus), das vor der Ari­sie­rung das Schuh­ge­schäft einer jüdi­schen Fami­lie beher­bergte. Eben­falls im Stadt­bezirk, Poß­berg­weg 61 – 63, waren die Landes­ge­schäfts­stelle NRW und der Sitz der Re­pu­bli­ka­ni­schen Jugend NRW. Die Staats­an­walt­schaft hätte also Gele­gen­heit gehabt, vor Ort auf die Anzeige vom 23. Juli 1996 wegen Volks­verhet­zung zu reagieren.

 

Der Brief mit den An­grif­fen gegen Willy Kutz hatte eine deut­liche poli­tische Dimen­sion. Er starb fünf Tage vor Erhalt des Schrei­bens. Die Staats­an­walt­schaft rea­gier­te aber zu­nächst nicht. Sie musste erst ange­mahnt werden. Staats­an­walt Harden schrieb dann an Else Kutz, die Witwe von Willy Kutz am 28. August 1996: »Unge­ach­tet des Umstan­des, daß es sich um ein höchst uner­freu­liches und wider­wär­ti­ges Schrift­stück han­delt, liegen zurei­chende tat­säch­liche Anhalts­punkte dafür, daß da­durch ein Straf­tat­be­stand verwirk­licht wor­den ist, nicht vor.«

 

Diese Antwort löste helle Em­pö­rung aus, mehr noch aber die dama­lige Begrün­dung: »Der Tat­be­stand der Belei­di­gung setzt voraus, daß der Adres­sat des Schrei­bens von diesem Kennt­nis nimmt. Dies ist vor­lie­gend nicht der Fall, da Ihr Ehe­mann vor Ein­gang des Schrei­bens bereits verstor­ben war.« Mehr noch: »Anhalts­punk­te dafür, daß der bis­lang nicht ermit­tel­te Urhe­ber des Schrei­bens den Vor­satz hatte, das An­den­ken eines Verstor­be­nen zu verun­glimp­fen, liegen nicht vor, denn der Absen­der ging ersicht­lich davon aus, daß Ihr Ehe­mann im Zeit­punkt des Eingangs noch lebt.« Da für den Staats­an­walt auch »keine zu­rei­chen­den tat­säch­li­chen An­halts­punk­te für ein Ver­ge­hen der Volks­verhet­zung erkenn­bar« waren, sah er sich »gehalten, von der Auf­nah­me von Ermitt­lun­gen abzusehen.«

 

Der vorliegende Fall war nicht der erste und auch nicht der letzte in Ger­res­heim, bei dem die Justiz eine eigene Rechts­auf­fas­sung zu erken­nen gab: Am 27. März 1934 wurden drei Todes­ur­tei­le gegen KPD-Ge­nos­sen mit dem Beil des Hen­kers voll­streckt. Betrie­ben hatte sie der Land­gerichts­di­rek­tor Walde­mar Mankwski, der das ganz beson­dere Vertrauen des NS-Staates hatte. Ver­suche, die drei Opfer juris­tisch zu reha­bi­li­tie­ren, scheiter­ten, da Staats­an­walt und Ober­staats­an­walt auch 65 Jahre nach dem Justiz­mord der Auf­fas­sung waren, dass die Todes­ur­tei­le nicht zu bean­stan­den seien. Sie wur­den erst nach jahre­lan­gem Druck durch Bun­des­ge­setz aufgehoben.

 

Uwe Koopmann
Foto: Bettina Ohnesorge