Köln
Egonstraße: Rettet unser Veedel!
11. November 2013. Köln-Stammheim
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Eine Siedlung mit sehr einfachen Häusern. Es sind ehemalige Munitionsbaracken. Nach dem Krieg waren das willkommene Wohngelegenheiten.
Ausgebombte Familien zogen hier ein und haben sich die Häuser ausgebaut.
60 Quadratmeter Wohnfläche, Gärten und Vorgärten. Sie leben jetzt häufig schon in der dritten Generation hier, alle kennen sich, alles helfen sich. Die Miete ist gering, dafür halten die Bewohner ihre Häuser instand. Ein intaktes Viertel. Aber gefährdet. Die Stadt Köln ist Eigentümerin der Siedlung. Sie tut wenig für die Instandhaltung der Häuser. Auch die Straßen sind vernachlässigt. Der Erhalt der Siedlung ist der Stadt zu »unwirtschaftlich«, die Mieten sind zu niedrig. Dabei liegt die Siedlung in der Nähe des Rheins und des Stammheimer Schlossparks. Das macht Investoren begehrlich und eine Überplanung wahrscheinlich. Freiwerdende Häuser werden nicht mehr an die Kinder und Verwandten der Siedler vermietet, sondern direkt abgerissen, sobald sie leer stehen. Von den 80 Häusern stehen mittlerweile nur noch 50. In der Siedlung geht die Angst um. Die gute Nachbarschaft wird zerstört. Die Mieter fühlen sich schikaniert.
Am Sonntag, 10. November, haben Aktivisten der Bürgerinitiative »Rettet Mülheim 2020 – Rettet unsere Veedel« das Haus Egonstraße 36 besetzt, sie sagen es schöner: In Obhut genommen. Ihre Forderung:
- Keine weiteren Abrisse in der Siedlung
- Vermietung der freiwerdenden Wohnungen vorrangig an Siedlungsbewohner und deren engere Verwandtschaft
Am Montagmorgen ist schon das Liegenschaftsamt da, zusammen mit Polizei. Die Herren sind fest entschlossen, das Haus abzureißen. Die Abrissfirma ist auch schon da. Zwei Mitarbeiter sehen sich die Lage mal an. Zwei Polizeibeamte gehen ins Haus und reden mit den »Obhütern«. Freiwillig gehen die aber nicht raus. Vor dem Haus sammeln sich allmählich Anwohnerinnen mit ihren Kinderwagen. Selbstverständlich sind sie über den unmittelbar drohenden Abriss empört. Sie wissen genau, wieviel Arbeit in ihren Häusern steckt. Sie wollen ihre Siedlung verteidigen. Für sie ist das Wohnen hier durchaus nicht »unwirtschaftlich«. Es kommt eben auf den Blickwinkel an.
Zug um Zug werden Autos vor das Haus gestellt. Es finden sich Gartenstühle. Kaffee wird gebracht. Kinder im Kinderwagen, eine alte Anwohnerin im Rollstuhl. Es entsteht eine menschliche Barrikade. Tatsächlich könnte der Abrissbagger sein Zerstörungswerk nicht ohne weiteres beginnen. Den Hausbesetzern wird eine Hühnersuppe angekündigt.
Rainer Kippe kommt. Er redet mit den städtischen Akteuren. Er kennt sie. Erst einmal geht es darum, daß das Haus nicht gleich abgerissen wird. Er verhandelt mit der Polizei, telefoniert in die Stadtverwaltung hinein. Es scheint sich eine Lösung anzubahnen, die Zeitgewinn verspricht.
Der Bezirksbürgermeister Fuchs wird erreicht.
Nachmittags vermehrt sich die Menge, die den Abriss verhindern will. Die Situation spitzt sich zu, als die Stadtverwaltung Polizei in Mannschaftsstärke anrücken lässt und den Abrissbagger in Stellung bringt. Peter Bock vom Liegenschaftsamt bekommt in letzter Minute einen Wink per Handy, so daß die Zerstörung noch einmal verhindert wird. Die Besetzer können es riskieren, das Haus zu verlassen. Beifall der Anwohner belohnt ihren Mut. Morgen wird in der Bezirksvertretung über eine Lösung gesprochen. Den Anwohnerinnen und Anwohnern der Egonstraße geht es um ihr Leben.
Klaus Stein