Köln
Zur Lage der Arbeiterklasse in dieser Krise
Unter die
Räder
gekommen
Referat von Klaus Stein auf der Kreisvorstandssitzung, Dienstag, 9. Juni 2020.
Gegenwärtig wird ein gewaltiger Forschungsaufwand für Medikamente und Impfstoffe gegen SARS CoV 2 getrieben. Aber immer noch wissen wir zu wenig. Zu wenig über die Eigenschaften dieses Virus, zu wenig über seine Mutationshäufigkeit und die Symptome der Krankheit. Und zu wenig darüber, wie sich die Immunität entwickelt.
Die Tödlichkeit des Virus ist indes gut dokumentiert. Seit Beginn der Seuche sind weltweit mehr als 400.000 Menschen an ihr gestorben (Ärzteblatt 8. Juni 2020). Sie hat sich über den gesamten Globus ausgebreitet. Millionen Menschen werden sterben, bis ein Impfstoff gefunden ist. Das ist der gewissermaßen klinische Befund.
Der gesellschaftliche Befund ist ebenso dramatisch. Ignacio Ramonet (Die Pandemie und das Weltsystem, kommunisten.de, 9. Juni 2020, S.3) zitiert David Beasley, Leiter des Welternährungsprogramms (WFP): «Wir stehen am Rande einer ‹Unterernährungspandemie›. Die Zahl der Menschen, die unter schwerem Hunger leiden, könnte sich bis Ende des Jahres verdoppeln und die Zahl von 250 Millionen Personen übersteigen. … Niemand weiß, wer sich um das Land kümmern wird, ob die Ernten verloren gehen, ob es an Nahrungsmitteln fehlen wird, ob wir zur Rationierung zurückkehren werden.»
Die Seuche offenbart weltweit den Klassencharakter der Gesundheitssysteme, die Mängel der sozialen Sicherungen infolge der Privatisierung der Infrastruktur und anderer neoliberaler Raubzüge. Das ist schlimm genug.
Aber die Pandemie kollidiert zudem mit einer säkularen Überproduktionskrise. Deren Reinigungsfunktion ist seit der Finanzkrise von 2008 mittels gewaltiger Kredite verschleppt worden. Die Vernichtung gewaltiger Massen von Kapital ist seit langem fällig. Ein geringfügiger Anlass hätte ausgereicht. Selbst die Viruskatastrophe, so gewaltig sie ist, bleibt Anlass.
Sie ist nicht die Ursache der gegenwärtig anrollenden Wirtschaftskrise. Das ist immerhin gemeinsame Erkenntnis in unserer Partei.
Ich hatte auf unserer Kreismitgliederversammlung vom 16. Mai die Gelegenheit, aus den «Forderungen der DKP zur Coronakrise» zu zitieren: «Die Coronapandemie trifft auf eine bereits vorher begonnene zyklische Wirtschaftskrise und verschärft diese. Die Pandemie wird genutzt, um die Krisenlasten auf die Bevölkerung abzuwälzen und dauerhafte Maßnahmen ohne viel Widerstand gegen die Lohnabhängigen durchzusetzen. Während Banken und Konzerne mit Milliarden-Paketen gerettet werden, muss die Arbeiterklasse zahlen – durch Lohnverzicht und Jobverlust, durch Kurzarbeit auf der einen Seite und verlängerte Arbeitszeiten in den sogenannten systemrelevanten Bereichen. Über ihr Steueraufkommen bezahlen die Beschäftigten die Rettung der Banken und Konzerne.»
Tatsächlich müssen wir zunächst mal unterscheiden zwischen wirtschaftlichen Wirkungen der Pandemie und der gebotenen Eindämmungsmaßnahmen auf der einen Seite und solchen der beginnenden Wirtschafts- und Finanzkrise auf der anderen.
Kneipen, Läden, Konzertsäle und Theater wurden zwecks Seuchenprävention geschlossen. Die wirtschaftlichen Effekte dieser Maßnahmen gehen aufs Konto des Coronavirus.
Als die Autofabriken ihre Produktion auf Null fuhren, ging das aber auf Rechnung der Überproduktion, kenntlich an den Autohalden, die vergeblich und unverkäuflich auf Flughäfen und anderen Flächen parkten. Ebenso werden und künftig verstärkt angesichts der Masse uneinbringlicher Kredite mittels Anleihen Banken gerettet. Vorzugsweise durch die EZB.
Seuchenprävention erscheint demgegenüber recht preiswert. Sie begnügt sich mit zweistelligen Milliardenbeträgen. Die Finanzkrisenprävention indes erfordert schon vierstellige Milliardenbeträge, also Billionen Euro. Anders gesagt: Die Kosten von Seuchenprävention, Kurzarbeit und der Kompensation der Einkommenseinbrüche bei kleineren Unternehmen belaufen sich auf allenfalls einstellige Prozentbeträge der Summen, mit denen Banken und Großkonzerne gerettet werden sollen.
Dennoch muss immer wieder nachgelegt werden. Das geschieht auch in den USA im Wochenrhythmus durch die FED, die US-amerikanische Notenbank. Die Anleihenschwemme macht Aktien auch bei dürftigen Dividenden momentan wieder attraktiv.
Aber ganz unter die Räder kommen diejenigen, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind.
Am Mittwoch, den 4. Juni, gab die Bundesanstalt für Arbeit bekannt, dass im Mai 2,813 Mio Menschen arbeitslos waren, 577.000 mehr als ein Jahr zuvor. Im April waren es 300.000 mehr als im April 2019 gewesen. In anderen Jahren sinkt die Quote im Frühjahr, in diesem Jahr stieg sie um 0,3% auf 6,1%.
Wenn man diese Angaben mit den US-amerikanischen Zahlen vergleicht, scheint die Lage erträglich. Laut US-Arbeitsministerium sind allein im April 20,5 Millionen Stellen außerhalb der Landwirtschaft gestrichen worden, das ist eine Steigerung von 4,4% auf 14,7% – damit der höchste Stand der Nachkriegszeit. Schon das Ministerium räumte aber ein, dass es tatsächlich wohl 28 Mio Arbeitslose seien und die Quote 19,5% betrage. Das Managermagazin indes hält Schätzungen von 40 Mio Arbeitslosen für realistisch. Allgemein wird in unserer Presse von dieser Zahl ausgegangen.
Wenn man also die deutschen mit den US-amerikanischen Zahlen vergleicht, scheint die Lage nicht so schlimm. Das liegt aber allein an der Einrichtung der Kurzarbeit, die aus der Arbeitslosenversicherung, also den diesbezüglichen Lohnanteilen der Beschäftigten, bezahlt wird. Allein im März und April hatten die Unternehmen für 10,66 Millionen Menschen Kurzarbeit angemeldet. Tatsächlich wurden es im März allenfalls 2,2 Mio, aber Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit zufolge schon im April rund 6 Mio. Im Mai sind noch einmal 1,06 Mio dazu gekommen. Zusammen 9 Mio Kurzarbeiter.
Für Köln lauten die Zahlen: 56.830 Arbeitslose im Mai = 9,4%. Im April sind 5417 Menschen entlassen worden, im Mai 4160. Für 182.825 Arbeitnehmer ist Kurzarbeit beantragt – das sind 30% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Köln. Um die Anträge zu bearbeiten, wird das Personal hier verzehnfacht. Sabrina Nüchter, die Geschäftsführerin des Arbeitsamts, sagt, dass vor allem das Gastgewerbe, also der Tourismus-. Gastronomie- und Dienstleistungssektor stark betroffen sei.
Nüchter teilt auch mit, dass an Ausbildungsstellen im Zeitraum von Oktober bis Mai gerade mal 5123 gemeldet worden seien, 1186 weniger als im selben Zeitraum 2018/19.
Wer aus Corona-Gründen seine Miete nicht mehr zahlen kann, hat bis Ende Juni durch eine Bundesregelung Aufschub. Dann muss sie bezahlt werden. Das kann angesichts der Arbeitsmarktlage nicht jeder. Die Idee, diese Frist bis Ende September zu verlängern, hält Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung im Lande, für keine gute Idee. Wörtlich heute in der KR: «Nein. Es ist doch wesentlich wichtiger, dass Mieter ihre Miete pünktlich zahlen können. Ich habe sehr früh die Wohngeldstellen in NRW darauf hingewiesen, dass es zu einem massiven Andrang im Zuge von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit kommen wird. Das ist inzwischen eingetreten. …Was der Bund mit Mietstundungen macht, ist eine Störung des Kreislaufs in der Wohnungswirtschaft. Das ist ein Misstrauensgesetz gegen Vermieter.»
In der Tat steigt infolge der wachsenden Kurzarbeiterzahlen die Zahl der Wohngeldanträge. In der Wohngeldstelle an der Aachener Straße liegen mittlerweile 5500 Anträge derzeit unbearbeitet auf Halde, wie der Kölner Stadtanzeiger am 19. Mai mitteilte. Jeden Monat kommen rund 1900 dazu.
Wem diese Zahlen zu wenig Anschauung prallen Lebens bieten, den erinnere ich an die zunächst am Protest gescheiterte Zwangsräumung des Lüftungsbauers Daniel. Der sucht aber immer noch eine Wohnung für seine junge Familie. Anfang April konnte vor allem durch Öffentlichkeitsarbeit verhindert werden, dass er aus der kleinen Wohnung unterm Dach der Montanusstraße 49 raus musste. Daniel war seit drei Monaten arbeitslos und hatte sich entscheiden müssen, ob er Miete zahlt oder seine Familie ernährt. Die Zwangsräumung ist nur aufgeschoben.
Frau Scharrenbach hat sich auch in der Frage des Milieuschutzes mit Bedacht auf die Seite der Vermieter geschlagen. Am 1. Mai auf dem Heumarkt hatten wir Gelegenheit, das Problem der Umwandlungsverordnung anzusprechen.
Am vergangenen Mittwoch, 3. Juni, hat die Kölnische Rundschau (KR) unter der Überschrift «Verschärft Land die Gentrifizierung in Köln?» eine geplante Verordnung, die zur Mietertäuschung Mieterschutzverordnung genannt wird, zum Thema gemacht. In Wahrheit wird das Wegfallen von Mieterschutz angeordnet. Vier bisher geltende Verordnungen werden mit Wirkung vom 1. Juli ersetzt. Sie betreffen die Mietpreisbremse, die «Kappungsgrenze» von 15% und den Kündigungsschutz bei der Umwandlung in eine Eigentumswohnung. Tatsächlich soll die Mietpreisbremse statt wie bisher in 22 Städten mit insgesamt 4,1 Mio Einwohnern nur noch in 18 Gemeinden mit insgesamt 2,9 Mio Einwohnern in NRW gelten. Auch die Kappungsgrenze wird in einer Reihe von Gemeinden (vorher 59, jetzt 37) gekappt und in weiteren Gemeinden die Kündigungssperrfrist von acht auf fünf Jahre reduziert. Die Umwandlungsverordnung ist schon am 27. März ausgelaufen und hätte verlängert werden müssen. Sie ist vollständig gestrichen.
Damit wird Milieuschutzsatzungen der Zahn gezogen. Ohnehin gibt es in Köln zu wenige davon. Just, nachdem aber eine solche für das Severinsviertel von der Stadt beschlossen worden ist, wird sie von der Landesregierung unwirksam gemacht. Auf der Grundlage der Umwandlungsverordnung konnten Gemeinden vorher einen Genehmigungsvorbehalt bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen geltend machen. Denn derartige Umwandlung in Eigentumswohnungen wird von Wohnungsunternehmen gerne dazu benutzt, Mieter mit geringem Einkommen zu verdrängen. Kölns Baudezernent Markus Greitemann am 3. Juni in der KR: «Für die Gebiete, in denen wir die Soziale Erhaltungssatzung geschaffen haben, ist das schade.»
Diese Parteinahme für die Vermieter und Wohnungskonzerne – wie hier durch die Landesregierung – wird gerne mit der Notwendigkeit begründet, Investoren zum Wohnungsbau zu reizen.
Für Köln muss man daran erinnern, dass wir just zum Zeitpunkt der Kommunalwahlen 2014, nicht zuletzt angefacht durch die Empörung über die Zwangsräumung von Kalle Gerigk, eine hohe Aufmerksamkeit für Wohnungs- und Mietprobleme hatten, so dass alle Parteien für bezahlbare Mieten warben. Wir können heute feststellen, dass sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht verbessert, sondern verschärft hat. Es sind alle Parteien im Stadtrat für diesen Zustand verantwortlich zu machen. Fast alle haben in den vergangenen Jahren nicht die Interessen der Mieter, sondern die der Investoren bedient. Die wiederum haben ein Interesse an der Knappheit von Wohnraum und setzen sie bislang ungehindert zugunsten ihrer Riesengewinne durch. Selbst die städtische GAG mit ihren 45.000 Wohnungen in Köln ist stolz darauf, im Jahr 2019 53,02 Mio Euro Gewinn gemacht zu haben, 17,4% mehr als 2018.
Hinter dem Schirm der Coronamaßnahmen bleibt häufig verborgen, dass uns in diesen Wochen zahlreiche soziale Rechte genommen wurden und werden.
Dazu gehört auch die «Verordnung zu Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz infolge der COVID-19-Epidemie» vom 7. April 2020, wonach «die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf bis zu zwölf Stunden verlängert werden» kann. Am 31. Juli soll sie auslaufen. Mal sehen, was passiert.
Am Schluss möchte ich noch eine kurze Einschätzung des sogenannten Konjunkturprogramms abgeben. Sein Umfang beträgt angeblich 130 Mrd Euro. Es teilt sich in ein Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket im Umfang von rund 77 Mrd Euro und ein Zukunftspaket von rund 50 Mrd Euro. Es fällt schon auf, dass die Überbrückungshilfen für kleine und mittelständische Unternehmen mit 25 Mrd schon höher ausfallen als die befristete Senkung der Mehrwertsteuer, von der zu hoffen wäre, dass sie 1:1 in den Konsum geht. Das zu entscheiden hat aber nicht der Käufer, sondern der Verkäufer. Der Kinderbonus mit 300 Euro je Kind schlägt mit 4,3 Mrd zu Buche, für die höheren KdU (Kosten der Unterkunft) werden 4 Mrd locker gemacht.
Für die entsprechende Industrie gibt es 7 Mrd Euro Subventionen für eine «nationale Wasserstoffstrategie», 5 Mrd für den Ausbau des 5G-Netzes, für E-Mobilität 2,5 Mrd und Kaufanreize für E-Fahrzeuge noch mal 2,2 Mrd Euro. Künstliche Intelligenz: 2 Mrd, Quantentechnik 2 Mrd.
So stand es am vergangenen Freitag, 5. Juni, in den Zeitungen. Am selben Tag indes gab die EZB bekannt, dass sie ihr Krisenprogramm von ursprünglich 750 Mrd Euro um weitere 600 Mrd Euro aufstocken werde. Die FAZ: «Das ist unerwartet viel. Den Dax lässt das nur vorübergehend steigen.»
Klaus, 9. Juni 2020
Fotos: Recht auf Stadt, Kalle Gerigk, Klaus Stein