DKP Kreis Wuppertal

Das Teewasser und die Revolution

Diskussion über den Leitantrag zum 21. Parteitag

Samowar

Die Mit­glie­der­ver­samm­lung der Wup­per­ta­ler Kreis­or­ga­ni­sa­ti­on der DKP dis­ku­tier­te am 20. April zu­sam­men mit Ge­nos­sin­nen und Ge­nos­sen aus Mett­mann und Ber­gisch-Glad­bach über den Leit­an­trag zum 21. Par­tei­tag. Die kri­ti­sche Dis­kus­si­on nahm die ei­ge­nen Kräf­te in den Blick so­wie die Chan­cen un­se­rer po­li­ti­schen Aus­strah­lung in den ge­gen­wär­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen ge­gen fa­schis­ti­sche Ten­den­zen, ge­gen den De­mo­kra­tie­ab­bau und die Kriegs­ge­fah­ren.

Zur Spra­che ka­men aber auch Ab­wei­chun­gen des Leit­an­trags vom Pro­gramm, die als Prä­zi­sie­run­gen be­zeich­net wer­den, so­wie die Fra­ge nach In­halt und Sinn ei­nes Be­kennt­nis­ses zum Mar­xis­mus-Le­ni­nis­mus. Der Text des Leit­an­trags ver­zich­te auf die Ver­knüp­fung der nächs­ten Auf­ga­ben mit dem stra­te­gi­schen Ziel ei­ner Wen­de zu de­mo­kra­ti­schem und so­zia­lem Fort­schritt. Über­haupt wer­de der Kampf um De­mo­kra­tie im Leit­an­trag ver­nach­läs­sigt. Es gibt Be­sorg­nis vor ei­ner mut­wil­li­gen Ein­engung un­se­rer Po­li­tik. Das ein­füh­ren­de Re­fe­rat »Das Tee­was­ser und die Re­vo­lu­ti­on« hielt Klaus Stein. Wir do­ku­men­tie­ren die Re­de:


Das Teewasser und die Revolution

Kritische Bemerkungen zum Leitantrag

Liebe Genossinnen und Genossen,

Der erste Entwurf zum Leitantrag für den 21. Parteitag sollte am 13. September vorliegen. Er genügte aber offenbar nicht. Nina Hager, Wera Richter, Hans-Peter Brenner und Patrik Köbele erarbeiteten einen neuen. Patrik hat ihn am 22. November in der 10. PV-Tagung vorgestellt und begründet. Die internationale Arbeit soll in einem separaten Antrag bearbeitet werden. Ebenso sei noch eine Handlungsorientierung zu erwarten. Mit seinen mehr als 10 Seiten sei der Entwurf länger als vorgesehen. Geplant waren 8 Seiten. Schwächen gäbe es im Kapitel Antifa, auch der Schlussteil über die Stärkung der DKP sei zu kurz.

Ich werde heute einige kritische Bemerkungen zum Leitantrag machen. Ich bin mir nicht mehr sicher, dass der Leitantrag verbesserungsfähig und ergänzungsbedürftig sei. Wir sollten uns verständigen, wie wir mit ihm umgehen. Es gibt nicht nur Einzelheiten, die zu kritisieren und zu verbessern sind. Zudem werden einige weiter reichende theoretische Fragen nicht oder unzulänglich beantwortet. Mittlerweile erscheint mir das Verhältnis des Leitantrags zu unserem Programm problematisch.

Eingangs bleibt offen, ob wir den Zusammenbruch des realen Sozialismus in den Jahren 1989/1990 als Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung nehmen oder die Entfaltung des Krisenzyklus seit Anfang der siebziger Jahre. Das Verhältnis dieser beiden Ereignisse ist durchaus von Belang, wenn wir die längerfristigen Wirkungen einschätzen wollen. Schon die Behauptung, dass sich die Produktivkräfte ungeachtet der widrigen Produktionsverhältnisse rasant weiterentwickelt hätten, muss auf Widerspruch stoßen. Sie führt zu falschen Schlussfolgerungen. Es wird auch nicht weiter über die Veränderungen der Klassenstrukturen gesprochen. Das wäre aber nötig, zumal von ihren enormen Auswirkungen auf das Bewusstsein die Rede ist.

In der Einleitung kommen Kriege metaphorisch als Flächenbrände vor. Ihre Opfer sind Flüchtlinge. Unvermittelt werden Rassismus und Faschismus erwähnt. Von Toten ist nicht die Rede, von der Vernichtung von Lebensgrundlagen, die diese Fluchten auslöst, auch nicht. Die Einleitung zählt die politischen Phänomene willkürlich auf, gewissermaßen impressionistisch. Der systematische Zusammenhang bleibt dunkel. Es wird eine präzisierte Strategie und ein gemeinsames Verständnis der Frage versprochen, was es heute bedeute, Mitglied der Kommunistischen Partei zu sein. Statt aber diese Frage zu beantworten, fordert der Leitantrag den Genossinnen und Genossen Bekenntnisse ab. Es ist zu befürchten, dass sich angesichts der Fülle von Unklarheiten auch die versprochene Handlungsanleitung die Partei nicht auf die veränderten Bedingungen einzustellen vermag.

Im Programm von 2006 haben wir unsere Strategie deutlich und klar beschrieben. Leider kann man das vom Leitantrag, der beansprucht, diese Strategie zu präzisieren, nicht sagen.

So wird der revolutionäre Bruch mit dem Kapitalismus in den Rang einer Strategie (Zeile 157) abgesenkt. Ist die Revolution eine Strategie, bleibt also wesentlich Mittel, oder ist sie das Ziel? In der Tat bezeichnen wir gemeinhin mit Revolution den Vorgang, der, wenn nicht schon zum Sozialismus, so doch zu wesentlichen Veränderungen der Eigentums- und Machtverhältnissen zugunsten der Arbeiterklasse und den mit ihr verbundenen Schichten führen soll. Aber die Erreichung derart weitreichender Ziele ist eine notwendige Bedingung, damit wir die Ereignisse als revolutionär verstehen. Kämpfe, die womöglich blutig sind, aber nicht zu gesellschaftlichen Fortschritten führen, sind Bürgerkriege, aber keine Revolution. Der Streit um die Frage, ob wir es in der DDR umgekehrt mit einer Konterrevolution zu tun hatten, berührt die Frage nach dem Inhalt der Veränderungen, die die Bewertung einzelner Ereignisse erst möglich machen. Man kann folglich nicht abstrakt beurteilen, ob ein Vorgang revolutionär ist, sondern allein danach, ob er uns den Sozialismus näher bringt. In der Dialektik von Form und Inhalt bleibt der Inhalt auch mit Blick auf eine Revolution das entscheidende Moment. Offenkundig unterscheidet der Leitantrag diese beiden Aspekte nicht.

Denn der revolutionäre Bruch mit dem Kapitalismus ist keine Strategie, sondern das Ziel, aus dessen sozialistischen Merkmalen unsere Strategie abzuleiten ist. Diese Überlegungen fehlen aber im Leitantrag. Folglich schweben die taktischen Forderungen in der Luft, bleiben von strategischen Zielen losgelöst. Einzeln und für sich betrachtet, sind sie sicher zweckmäßig. Beispielsweise »kostenlose und wohnortnahe Versorgung der Menschen mit Einrichtungen des Breitensports und der Breitenkultur«. Breitensport und Breitenkultur? Ist das alles? »Wir kämpfen um einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr.« Mehr können wir nicht zur Verkehrspolitik sagen? »Wir stellen uns gegen jede Gebührenerhöhung für öffentliche Dienstleistungen«. Das ist alles zu öffentlichen Dienstleistungen? Auch die »Flüchtlingsproblematik« wird im Leitantrag erwähnt – aber ist es der Hauptaspekt, dass sie rassistisch ausgenutzt wird? (Zeile 362)

Faschisten terrorisieren die Arbeitenden, ihre Interessenvertreter und politischen Parteien, rechtfertigen rassistische Gewalt und Kriege. Möglichst breite Bündnisse ohne Ausgrenzung (Zeile 368) helfen im Kampf gegen den Faschismus. Wie kann der mit dem Kampf gegen sozialen Kahlschlag (Zeile 366) verbunden werden?

In Zeile 195 ist vom organischen Zusammenhang von Kapitalismus, Krise und Krieg die Rede. Unter der Überschrift »die Kriegsgefahr wächst« findet sich eine in der Tat gründlichere Analyse der gegenwärtigen Situation. Das ist schon mehr als die knappen Sätze, zu der sich der letzte Parteitag in den »Antworten der DKP auf die Krise« bereit gefunden hat und die in der Forderung gipfelten: »keinerlei Unterstützung der imperialistischen und Welthegemonie beanspruchenden Politik der USA.«

Im Abschnitt, dem der antimilitaristische Kampf gewidmet ist, kämpfen wir statt für den Frieden zunächst mal gegen die NATO. Der häufige Gebrauch des Wortes Militarismus fällt auf. Das Verhältnis von Krieg und Militarismus ist eine Zweck-Mittel-Relation: wer den Krieg will, greift zu Maßnahmen und fördert Einstellungen, die mit Militarismus bezeichnet werden. Wer den Frieden erhalten will, kämpft gegen derartige Maßnahmen und Einstellungen. Und in der Tat macht sich zunehmend Militarismus in vielen gesellschaftlichen Bereichen breit, etwa bei der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) in den Städten und Gemeinden. Aber der Kampf gegen den Militarismus ist nur eine Facette des Kampfes für den Frieden. Es stellt sich die Frage nach weiteren Formen, die wir bislang ebenfalls gepflegt haben. Ich spreche von Völkerverständigung, Städtepartnerschaften, Schulpartnerschaften, Kulturaustausch, internationale Solidaritätsaktionen. Und umgekehrt gibt es Maßnahmen der Herrschenden, die den Krieg befördern, ohne im allgemeinen Sprachgebrauch schon unter die Rubrik Militarismus zu fallen, beispielsweise die Sanktionspolitik gegenüber Russland oder mehr oder weniger abfällige Sprachregelungen in den Medien.

Wir verzichten darauf, das Interesse der Menschen am Frieden zu nennen. Wie sollen wir denn mit der gegenwärtigen Kriegsgefahr umgehen? Es gibt keine Forderung, dass die Bundeswehr zuhause bleiben soll. Die Forderung nach Einschränkung von Rüstungsexporten wird an die Gewerkschaften delegiert. Und wir beschränken uns auf »die Propagierung« einer Politik, durch die die Arbeiterklasse befähigt werden soll, ihre Interessen selbst in die Hand zu nehmen. (Zeile 185)

Zwar ist die Imperialismus-Analyse des Leitantrags gründlicher als im Dokument »Antworten der DKP auf die Krise.« Dennoch fehlt an dieser Stelle der systematische Zusammenhang von Krieg, Krise und faschistischen Tendenzen. Den darzustellen, war meine Absicht in Hannover.1

Nur expandierend, durch die Unterwerfung und Ausbeutung von immer mehr fremder Arbeit, fremdem Eigentum, fremdem Kapital kompensiert die Masse von Profit dessen relativen Schwund im Verhältnis zum eingesetzten Kapital. Die Expansion kann Kolonisierung und territoriale Aufteilung der Welt heißen, Raubbau an ihren natürlichen Ressourcen, aber auch Privatisierung und Unterordnung weiterer gesellschaftlicher Bereiche unter die Mehrwertproduktion, ihre Verwandlung in Ware. Das Monopol treibt den Widerspruch von gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung weiter. Auch der Imperialismus überwindet die Krisen nur dadurch, dass er allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert. »Solange der gesellschaftliche Charakter der Arbeit als das Gelddasein der Ware und daher als ein Ding außer der wirklichen Produktion erscheint, sind Geldkrisen, unabhängig oder als Verschärfung wirklicher Krisen, unvermeidlich.« 2

Im Monopolkapitalismus wird der relative Kapitalüberschuss chronisch und verwandelt sich in Geldkapital, das auch in seiner fiktiven Eigenschaft aggressiv nach Verwertung sucht.

Das Monopol ist Kern des imperialistischen Machtverhältnisses. Gleichzeitig konkurrieren die Monopolgruppen. Die Rivalität um Einflusssphären, Rohstoffe, Marktanteile und die Kontrolle von Versorgungswegen wird ökonomisch, politisch und militärisch ausgetragen. Die Aufteilung der Interessen- und Einflusssphären hat allein die zeitweilige Stärke der Beteiligten zur Grundlage. Ständig ändern sich die Kräftekonstellationen. Alte Koalitionen werden gesprengt, neue entstehen. Internationale ökonomische Verflechtungen und die transnationale Organisiertheit der Produktion vermindern allenfalls zeitweilig die Aggressivität, während unterschiedliche Verwertungserfolge neue Spannungen, Rivalität und Kriege hecken.

Anfang Februar berichtete das Handelsblatt von einer Untersuchung durch McKinsey, nach der einer Wirtschaftsleistung von 61 Billionen Euro in den 22 größten und in 25 aufstrebenden Volkswirtschaften Schulden von 174 Billionen Euro gegenüberstehen. Auf diese Summe addieren sich die Schulden der Staaten, der privaten Haushalte, der Unternehmen und der Finanzinstitute. Das ist ein historischer Rekord, seit dem Jahr 2000 mehr als eine Verdoppelung. Ein eindrucksvoller Beleg für den relativen Kapitalüberschuss. Die Schulden wachsen schneller als die Wirtschaftsleistung. Aber auf riesige Summen uneinbringlicher Kredite wartet die Entwertung in Gestalt entweder eines spontanen Crashs, des Krieges oder von Schuldenschnitten in organisierter Form. Letztere werden sich angesichts der Heiligkeit des Eigentums und der imperialistischen Konkurrenz nicht von selbst einstellen. Sie müssen erkämpft werden.

Der US-amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Robert Shiller wurde im vergangenen September vom Handelsblatt zur Lage der Weltwirtschaft befragt. Er sagte: »Wir stecken fest. Die Frage ist: Wie kommen wir da raus?« Frage Handelsblatt: »Und Ihre Antwort?« Shiller: »Die bereitet mir vielleicht die größten Sorgen: Ein Krieg.«

Die Gegenseite kennt durchaus den Zusammenhang von Krieg und kapitalistischer Krise. Er sollte in der letztjährigen Debatte zum Thema »100 Jahre Erster Weltkrieg« vergessen gemacht werden. Christopher Clark und Herfried Münkler haben zur Vernebelung der Kriegsursachen ihren Beitrag geleistet. Aber die KPD der Weimarer Republik wusste über Verursacher und Nutznießer Bescheid. Liebknecht und Luxemburg hatten es sie gelehrt. Ihr erinnert Euch an solche Losungen wir »Krieg und Leichen – immer noch Hoffnung der Reichen« auf einer Fotomontage von John Heartfield aus der AIZ vom 27. April 1932, eine andere hieß: »Wollt Ihr wieder fallen, damit die Aktien steigen?« (28. August 1932). Aber der deutsche Faschismus erfüllte seine Aufgabe, die Kriegsbereitschaft und Kriegsfähigkeit des Deutschen Reiches wieder herzustellen. Heute hat diese Funktion die schnell wachsende Islamfeindlichkeit. Gegenwärtig beschleunigen sich die Rechtstendenzen – denken wir an Hogesa und Pegida. Der AfD stehen sämtliche Medien offen. Die Terroranschläge gegen die Karikaturenzeitschrift Charlie Hebdo und einen koscheren Supermarkt in Paris am 7. Januar und die öffentlichen Reaktionen darauf waren so angelegt, dass sie diese Tendenzen nach dem Muster von Huntingtons »Kampf der Kulturen« verstärken. Der rechte Terror und die antiislamischen Demonstrationen sollen den Abbau von Demokratie rechtfertigen, die Akzeptanz von militärischen Maßnahmen erhöhen und uns an große Kriege heranführen.

Es droht eine neue Qualität. Unsere antifaschistische Arbeit steht vor neuen Herausforderungen bezüglich ihrer Analyse, der Mittel und politischen Breite der fälligen Gegenwehr.

Da hilft eine breite Antifa- und Friedensbewegung. Die gibt es. Wir können froh sein, dass mindestens 200 000 Menschen im Winter gegen die verschiedenen Pegida-Ableger auf die Straße gegangen sind. Das Konzept Pegida als rechte Massenbewegung ist gescheitert. Auch wenn die Friedensbewegung heute noch nicht wieder die notwendige Kraft entwickeln kann, trägt sie doch erheblich zur Stärkung der globalen Friedenskräfte bei. Ohne sie gäbe es keine Minsker Vereinbarungen. Nur vor dem Hintergrund der massenhaften Friedensbewegung zu Beginn der achtziger Jahre war Weizsäckers Rede von der Befreiung am 8. Mai 1945 möglich, an die wir heute erinnern.

Am vergangenen Samstag wurde in 230 Städten der Republik gegen das Freihandelsabkommen TTIP protestiert. Die größte Demonstration fand in München mit 15000 Menschen statt. In Köln konnte die Initiative NO-TTIP stolz auf den Stadtratsbeschluss gegen das Freihandelsabkommen verweisen. Attac zählt 200 Städte in der Republik auf, die ähnliche Beschlüsse gefasst haben. Auch andere Aktionen gegen EU-Maßnahmen wie gegen die Konzessionsrichtlinie Wasser oder gegen ACTA waren bisher erfolgreich.

An der Vorratsdatenspeicherung, der Ausforschung durch die US-amerikanischen und bundesdeutschen Geheimdienste, an der elektronischen Überwachung entzünden sich immer wieder demokratische Bewegungen. Das weite Gebiet der Ökologie wird von vielfältigsten demokratischen Initiativen bearbeitet. Die Blockupy-Bewegung hat mit 20 000 Menschen in Frankfurt gegen die Diktatur der EZB demonstriert.

Abgesehen von den eigenen Tarifkämpfen beteiligen sich an solchen Bewegungen häufig Gewerkschaften und Gewerkschafter. Verdi hat als Konsequenz auf die Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst im Frühjahr 2012, als der Gewerkschaft entgegengehalten wurde, die öffentlichen Haushalte hätten kein Geld, die Steuergesetzgebung mit einer Bündnisaktion im Herbst 2012 zum Thema gemacht. Das war die Aktion Umfairteilen.

Die IG Metall mobilisierte im vergangenen September 20 000 Jugendliche mit der Losung »Revolution Bildung«. Sie knüpfte damit an die Bildungsstreiks der Schüler und Studenten in den vergangenen Jahren an. Ihre Erfahrungen fanden Eingang in die gerade zurückliegende Tarifrunde.

Überhaupt sind in den demokratischen wie in den neuen sozialen Bewegungen in der Regel die Gewerkschaften vertreten, nicht selten führend. Ganz allgemein gesprochen, haben wir es mit demokratischen Bewegungen zu tun, in die in unterschiedlichem Maß soziale Motive einfließen.

Unser Parteiprogramm fügt derartige Aktivitäten in einen strategischen Plan.3 Es heißt dort unter der Überschrift »Für eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt«:

»Unter den gegebenen Bedingungen werden Abwehrkämpfe im Zentrum einer ganzen Kampfetappe stehen. Schon in diesen Auseinandersetzungen wird es nur dann wirkliche Erfolge geben, wenn ein qualitativ neues Niveau bei der Mobilisierung der Arbeiter und Angestellten in den Betrieben und Verwaltungen, der Erwerbslosen, der Rentner, aller von der Demontage sozialer und demokratischer Errungenschaften Betroffenen, wenn ein neuer Aufschwung der Friedensbewegung und anderer demokratischer Bewegungen erreicht werden kann. Zugleich können und müssen in den Kämpfen um die Verteidigung des Erreichten die Kräfte gesammelt werden für fortschrittliche Reformen, für eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt. Der Vernetzung der Kämpfe und Bewegungen über Ländergrenzen hinweg kommt unter den Bedingungen der Globalisierung eine immer größere Bedeutung zu« (Abschnitt IV)

Von diesem Plan weicht der Leitantrag ab. Anne Frohnweiler hat auf dem Seminar des Kölner KV in Solingen-Theegarten die Unterschiede der strategischen Orientierung in Leitantrag und Programm folgendermaßen zusammengefasst:

Der Leitantrag sagt: wir tragen Klassenbewusstsein und auch antimonopolistisches Bewusstsein in die Arbeiterklasse, indem wir reformistische Illusionen zurückdrängen und jedes fortschrittliche Interesse aufgreifen und mit den Menschen zu gemeinsamen Aktionen kommen (siehe Zeilen 190 bis 194). Im Unterschied dazu schlägt das Parteiprogramm nach Anne folgende Übergänge vor:4

  1. Sammeln fortschrittlicher und demokratischer Kräfte für eine Wende zum demokratischen und sozialen Fortschritt mit dem Ziel das Kräfteverhältnis zu verschieben.
  2. Bildung von Allianzen und Stabilisierung der Bündnisbeziehungen.
  3. Bildung eines festen gesellschaftlichen Blocks mit dem Ziel die Kräfteverhältnisse so zu verschieben, dass gesellschaftliche Alternativen eine reale Perspektive bekommen.
  4. Antimonopolistischer Block mit tiefer außerparlamentarischer und parlamentarischer Verankerung und der Möglichkeit der Regierungsbildung
  5. Revolutionärer Bruch

Die strategische Ignoranz erklärt auch die Unterschätzung des demokratischen Kampfes im Leitantrag. Dabei ist dieser Kampf um Demokratie seit der Neugründung der DKP das Kernstück unserer Strategie. Der Essener Gründungsparteitag der DKP vom April 1969 formulierte in seiner Grundsatzerklärung: »Der Weg zur Lösung der Lebensfragen unseres Volkes in Gegenwart und Zukunft führt nur über die Entfaltung der politischen Aktivität und Selbsttätigkeit der arbeitenden Massen, über eine demokratische Erneuerung von Staat und Gesellschaft.«

Die Thesen des Düsseldorfer Parteitags 1971 sagten: »Die Verteidigung und Erweiterung der demokratischen Rechte und Freiheiten ist ein Grunderfordernis des erfolgreichen Kampfes der Arbeiterklasse und aller demokratischen Kräfte« (These 4)

1978 hieß es im Programm des Mannheimer Parteitages: »Das dringendste Gebot der Zeit – das ist die entschlossene Verteidigung der vom arbeitenden Volk durchgesetzten sozialen und demokratischen Errungenschaften, das ist der aktive Kampf um die Erhaltung des Friedens. Es geht darum, im Ringen um den Schutz des Erreichten die Kräfte zu sammeln und zu entfalten für die Erweiterung der sozialen und demokratischen Rechte der Werktätigen, für die Zurückdrängung der Macht der Monopole. Es geht darum, das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeiterklasse und der anderen demokratischen Kräfte zu verändern und eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt herbeizuführen.«

Der Leitantrag unterscheidet zudem nicht nach politischen, ökonomischen und ideologischen Kampffeldern. Das ist das Gegenteil von Präzisierung, obwohl in der Einleitung versprochen wird: »Wir brauchen eine entsprechend präzisierte Strategie und ein gemeinsames Verständnis der Frage, was es heute bedeutet, Mitglied der Kommunistischen Partei zu sein«. (Zeilen 29 und 30)

Und bei diesem vorgeblich gemeinsamen Verständnis klaffen Differenzen. Denn das Selbstverständnis von Kommunisten wird offenkundig berührt, wenn vom Begriff Marxismus-Leninismus die Rede ist. Patrik Köbele möchte, dass wir uns zum Marxismus-Leninismus bekennen. Wörtlich sagte er auf der 10. PV-Tagung: »…dazu gehört, dass wir uns klar, eindeutig und unmissverständlich als Partei der Ideen von Marx, Engels und Lenin definieren und uns damit zur wissenschaftlichen Weltanschauung, dem Marxismus-Leninismus bekennen.« Und unter der Überschrift »Rolle und Aufgabe der DKP« wird im Leitantrag von uns als einer marxistisch-leninistischen Partei gesprochen. Auf der Parteiveranstaltung im Rahmen der Rosa-Luxemburg-Konferenz beanspruchte Patrik sogar, wir seien als Partei hundertprozentig marxistisch-leninistisch. Sein Referat auf der Theoriekonferenz beschäftigte sich vorwiegend mit der Notwendigkeit eines solchen Bekenntnisses. Das indes ist im Programm nicht vorgesehen.

Die entsprechende Passage lautet: »Die DKP gründet ihre Weltanschauung, Politik und ihr Organisationsverständnis auf den wissenschaftlichen Sozialismus, der von Marx, Engels und Lenin begründet wurde und ständig weiterentwickelt werden muss, damit er nicht hinter den Realitäten zurückbleibt. Sie kämpft für die freie Verbreitung des Marxismus-Leninismus.« Es macht einen Unterschied, ob wir für die freie Verbreitung des Marxismus-Leninismus eintreten oder uns zu ihm bekennen. Wie der eine oder andere erinnern wird, habe ich auf unserer außerordentlichen BDK im Oktober 2013 darauf hingewiesen, dass wir in Köln schon mal die Notwendigkeit sehen, für die freie Verbreitung auch des Islam einzutreten. Daraus folgt nicht, dass wir uns zu ihm bekennen.

Die Genossinnen und Genossen der SED sowie anderer Bruderparteien bis 1989 haben mit dem Begriff Marxismus-Leninismus die philosophischen, ökonomischen und politischen Lehren von Marx, Engels und Lenin verstanden, die den kommunistischen Parteien als Grundlage ihrer Politik dienen: »Die selbst von Marx’ Gegnern anerkannte bewundernswerte Folgerichtigkeit und Geschlossenheit seiner Anschauungen, die in ihrer Gesamtheit den modernen Materialismus und den modernen wissenschaftlichen Sozialismus als Theorie und Programm der Arbeiterbewegung in allen zivilisierten Ländern der Welt ergeben…«5 Was Lenin 1918 über die Lehre von Marx schrieb, dürfte als Kern dessen gelten, was man unter dem Begriff Marxismus-Leninismus gutwillig verstehen mochte.

Auch die KPD war dem Marxismus-Leninismus verpflichtet. In ihrem Statut, beschlossen auf dem Münchner Parteitag im März 1951, hieß es: »Die Stärke der Partei liegt in der Geschlossenheit ihrer Reihen, in der Einheit des Willens und des Handelns. Unvereinbar damit sind Abweichungen von den Prinzipien des Marxismus-Leninismus und dem Statut der Partei, ebenso wie die Verletzung der Parteidisziplin, die Beteiligung an fraktionellen Gruppierungen und Doppelzünglerei.«

Die DKP indes hat seit ihrer Gründung darauf verzichtet, den Marxismus-Leninismus als ihre Grundlage zu bezeichnen. Möglicherweise hat sie damit dem KPD-Verbotsurteil Rechnung getragen. Sicher aber erfasst dieser Begriff nur unzulänglich den Reichtum unserer Politik und Weltanschauung. Grundlage des Denken und des Handelns der DKP – und nicht zuletzt ihrer Kultur – ist der wissenschaftliche Sozialismus.

Falls der Begriff Marxismus-Leninismus als Synonym für die Lehre von Marx, Engels und Lenin gelten soll, wäre ein Wechsel der Bezeichnung überflüssig. Im anderen Fall hätten wir gründlich zur Kenntnis zu nehmen, was das denn nun sei, zu dem wir ein Bekenntnis ablegen sollen.

Mit Blick auf seine Entstehungsgeschichte scheint der Marxismus-Leninismus als ideologische Grundlage unserer Partei wenig geeignet. Er diente zunächst als Instrument der innerparteilichen Auseinandersetzung. An die Öffentlichkeit trat Stalin damit erstmalig auf dem XVII. Parteitag der KPdSU. Er sagte in seinem Schlusswort vom 26. Januar 1934:

»Unsere Aufgaben auf dem Gebiet der ideologisch-politischen Arbeit bestehen darin: […] die Abweichungen mancher Genossen vom Marxismus-Leninismus nicht zu vertuschen, sondern mutig zu kritisieren.«6

Das Wort Marxismus-Leninismus war von Beginn an eng verklammert mit der Polemik gegen seine Abweichungen. Das hatte Folgen. Nur eine Minderheit der Teilnehmer des XVII. Parteitags hat Stalins Repressalien gegen die Abweichler überlebt. Sie richteten sich zunächst gegen die Partei und ihre Funktionäre. Chruschtschow berichtete auf dem XX. Parteitag 1956, dass von den 139 Mitgliedern und Kandidaten des Zentralkomitees, die auf dem XVII. Parteitag gewählt worden waren, 98 Personen verhaftet und erschossen worden sind. Aber auch die Mehrheit der übrigen Delegierten hat die nächsten vier Jahre nicht überlebt.

Der »Kurze Lehrgang der Geschichte der KPdSU (B)« bezeichnet den XVII. Parteitag als Parteitag der Sieger. Über die tödlichen Folgen für die angeblichen Sieger schweigt er sich aus.

Anlässlich des 65. Jahrestages des Erscheinens des »Kurzen Lehrgangs« zitierte Günter Judick am 14. November 2003 in der UZ aus dem Beschluss des ZK der KPdSU (B) vom 14. November 1938:

»Das Erscheinen des Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU (Bolschewiki) ist eines der bedeutsamsten Ereignisse im ideologischen Leben der bolschewistischen Partei. Mit dem Erscheinen des Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU (B) erhielt die Partei eine neue wirksame ideologische Waffe des Bolschewismus, eine Enzyklopädie der grundlegenden Kenntnisse auf dem Gebiete des Marxismus-Leninismus. Der Lehrgang der Geschichte der Partei ist eine wissenschaftliche Geschichte des Bolschewismus. In ihr ist die riesige Erfahrung der kommunistischen Partei dargestellt und verallgemeinert, eine Erfahrung, wie sie keine einzige Partei der Welt je aufzuweisen hatte und hat.«

Es handelt sich hierbei um die ersten Sätze des genannten Beschlusses.

Günter Judick kommentierte: »Wahrlich kein geringer Anspruch an ein Buch von gerade einmal 440 Seiten, dessen Autorschaft später Stalin für sich in Anspruch nahm. Mit dem Beschluss wurden alle Parteiorganisationen verpflichtet, die gesamte Bildungsarbeit umzustellen und zur ›Propagierung des Marxismus-Leninismus‹ ein straff organisiertes Studium des genannten Werkes zu sichern. Auch auf besonders eingerichteten Parteischulen und an allen Hochschulen sollte der ›Kurze Lehrgang‹ andere Studienmaterialien ersetzen. […] Der ›Kurze Lehrgang‹ war in der Praxis das genaue Gegenteil der hier verkündeten Absicht. Er war die brutalste, willkürlichste Auslegung und Verfälschung der Geschichte, die jede schöpferische Entwicklung von Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften in der kommunistischen Weltbewegung blockierte und durch Dogmen, durch die verbindliche Festschreibung des durch Stalins Augen gesehenen und mit seinen Methoden praktizierten Partei- und Sozialismusmodells ersetzte.«

Der Kurze Lehrgang stellt die im Jahre 1938 gewissermaßen amtlich definierte Essenz des Marxismus-Leninismus dar. Viele sowjetische Genossen konnten sich aber mit den »grundlegenden Kenntnissen auf dem Gebiete des Marxismus-Leninismus« in Gestalt des Kurzen Lehrgangs nicht mehr vertraut machen, weil sie noch vor seinem Erscheinen der Abweichung für schuldig befunden und als »Spione«, »Schädlinge«, »Landesverräter«, »Scheusale« , »Volksfeinde« und »Abschaum der Menschheit«7 erschossen wurden.

Der Kurze Lehrgangs ist voll von Schilderungen der Fraktionskämpfe in der Geschichte der Partei. Aber er enthält auch ein 35 Seiten langes Kapitel über den dialektischen und historischen Materialismus. Zitat:

»Der dialektische Materialismus ist die Weltanschauung der marxistisch-leninistischen Partei. Diese Weltanschauung heißt darum dialektischer Materialismus, weil ihr Herangehen an die Naturerscheinungen, ihre Methode der Erforschung der Naturerscheinungen, ihre Methode der Erkenntnis dieser Erscheinungen die dialektische ist, und weil ihre Deutung der Naturerscheinungen, ihre Auffassung der Naturerscheinungen, ihre Theorie materialistisch ist. Der historische Materialismus ist die Ausdehnung der Leitsätze des dialektischen Materialismus auf die Erforschung des gesellschaftlichen Lebens, die Anwendung der Leitsätze des dialektischen Materialismus auf die Erscheinungen des Lebens der Gesellschaft, auf die Erforschung der Gesellschaft, auf die Erforschung der Geschichte der Gesellschaft.«8 Dialektik deutet ausschließlich Naturerscheinungen? Der historische Materialismus soll nur für die Gesellschaft gelten? Solche Schubladen sind selbstverständlich Unsinn. Bei der Dialektik handelt es sich um eine allgemeine Darstellung der Prozesse in Natur, Geschichte und geistiger Tätigkeit in ihren widersprüchlichen Verläufen. Und selbstverständlich hat auch die Natur ihre Geschichte, die dialektisch zu erfassen ist. Das wissen wir nicht erst seit Darwin, es trifft zum Beispiel auch für die chemischen Elemente des Periodensystems zu.

Ich unterstelle, dass der unsägliche »Kurze Lehrgang« für uns nicht mehr verbindlich und der wandelbare Begriff Marxismus-Leninismus in der parteiamtlichen Fassung des Jahres 1938 von uns nicht mehr gemeint ist. Die Befürworter hätten sich aber in jedem Fall um eine Abgrenzung zu bemühen, vor allem aber um eine Darstellung, was das denn heute sein soll: der Marxismus-Leninismus. Das ist umso notwendiger, als sich auch offen revisionistische Parteien, zuletzt sogar Gorbatschow auf ihn berufen haben. Es hilft auch nicht, wenn Hans-Peter Brenner den Marxismus-Leninismus einfach mit Leninismus gleich setzt. Bisher sind wir ganz gut mit der Formulierung: »Lehre (oder Theorie/Ideen) von Marx, Engels und Lenin« ausgekommen.

Offenbar steht aber die Neufassung des Selbstverständnisses im Zusammenhang mit der vorgeblichen Präzisierung der Strategie.

Deswegen ist schon der gegenwärtige Umgang mit dem Begriff Marxismus-Leninismus von Interesse. Hans Peter Brenner hat auf der 12. PV-Tagung mein Referat auf der Theoriekonferenz in Hannover wie folgt bewertet: »Der fehlende oder nur sehr schwache Bezug [zur] marxistisch-leninistischen Imperialismustheorie im Referat von Klaus war offenbar kein Zufall. Dies drückte sich auch in den kurzen Schlussaussagen seines Co-Referates aus, in denen er sich dagegen aussprach, dass der Leitantrag von der DKP als einer ›marxistisch-leninistischen Partei‹ spricht.«

Da scheint es weniger von Belang, ob meine Aussagen richtig oder falsch sind, als dass sie seiner Vorstellung von Marxismus-Leninismus genügen. Es sind dabei sogar Abstufungen vorgesehen (wenn es einen »schwachen Bezug« gibt, müsste auch ein »starker« möglich sein). Vor allem wird aus der Ablehnung der Bezeichnung schon auf eine Abweichung der Politik geschlossen. Das ist willkürlich und umso bemerkenswerter, als wir auf die jüngste Definition des Marxismus-Leninismus noch warten. Unsere Weltanschauung kann aber nicht auf ein Credo, auf ein Bekenntnis, im schlimmen Fall auf die ewigen Wahrheiten des »Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU (B)« von 1938, reduziert werden. Solchen Missverständnissen leistet der Bezug auf den Marxismus-Leninismus aber Vorschub.

Allerdings fand ich im Kurzen Lehrgang auch das folgende Engels-Zitat: »Die Deutschen […] verstehn die Theorie großenteils selbst nicht und behandeln sie doktrinär und dogmatisch als etwas, das auswendig gelernt werden muss, dann aber auch allen Bedürfnissen ohne weiteres genügt. Es ist ihnen ein Credo, keine Anleitung zum Handeln«9

Wir benötigen weder einen Katechismus noch Katecheten, sondern eine zielklare Agenda und eine handlungsfähige Partei, die die gewaltig wachsenden Widersprüche der Gegenwart in politische Aktion und Überzeugungskraft übersetzt.

Zitat Leitantrag (Zeile 377 ff.): »Das alles können wir nur tun, wenn wir gleichzeitig an der Stärkung unserer Partei arbeiten. Wir sind derzeit nicht flächendeckend aktions- und kampagnenfähig, wir sind zu wenige und oft überaltert.«

Zeile 387 ff.: »Zentral für die Entwicklung der DKP ist die Entwicklung der Grund- und Bezirksorganisationen. In den Grundorganisationen kommen Menschen mit unseren GenossInnen organisiert als Partei in Berührung, hier entwickeln sich Menschen zu KommunistInnen – in Theorie und Praxis. Die Grundorganisationen sind in ihrem Organisationsgrad sehr unterschiedlich und zum Teil unterentwickelt. Sie können sich nur entwickeln, wenn örtliche und zentrale Schwerpunkte miteinander in Einklang gebracht werden und eine Unterstützung und Anleitung durch die übergeordneten Leitungen erfolgt. Wir beschließen bundesweit eine gemeinsame politische Orientierung und setzen sie angepasst an die örtlichen Bedingungen um. Das ist die beste Möglichkeit, unsere Partei zu stärken und schrittweise zu entwickeln.«

Wera Richter hatte auf der 9. PV-Tagung am 13./14. September 2014 den organisatorischen Zustand der Partei bewertet. Er sei alarmierend. Das Durchschnittalter der Mitgliedschaft sei hoch, die betriebliche Verankerung niedrig. Wörtlich: »Die Partei ist in der Fläche nicht handlungsfähig.« »Probleme sehen wir vor allem in den Flächenländern.«

Auch der Bezirksvorstand hatte eine Woche nach dieser 9. PV-Sitzung die Lage der Bezirksorganisation eingeschätzt. Mit unseren Zahlen liegen wir etwa im Mittelfeld der Bezirke.

Es handelt sich nicht um eine Schwäche der Flächenländer. Nicht die Geographie ist unser Problem. Die DKP hat den Anspruch, überall in der Republik vertreten zu sein. Stadtstaaten sind die Ausnahme. Aber die mangelnde Handlungsfähigkeit ist die Regel. Sollte diese Feststellung übertrieben erscheinen, führt sie dennoch zu den richtigen Fragestellungen.

»Mitglieder gewinnen und halten wir in unseren Grundeinheiten.« (Wera Richter auf der 9. PV-Tagung). Hier findet sich der Kern unserer Versäumnisse.

Warum verlieren wir Mitglieder, warum gewinnen wir zu wenige? Mitgliederzuwächse sind die Folge eines attraktiven Gruppenlebens. Attraktiv ist der politische Erfolg. Gibt es sowas? Ja, es gibt einige erfolgreiche Gruppen. Eine solche Gruppe versammelt sich öffentlich und wirkt öffentlich. Sie plant ihre Aktivitäten, setzt sie kollektiv um und folgert aus den Ergebnissen, wie sie ihre Arbeit verbessern kann. Was hingegen macht ein Gruppenleben uninteressant? Persönlicher Streit, geistige Unterforderung und Trägheit, moralische Appelle statt Überzeugung, Langeweile.

Gruppenabende müssen gut vorbereitet werden. Das leistet ein regelmäßig tagender Gruppenvorstand. Er hält die MV von langweiligen Diskussionen frei, zieht aus gewonnenen Erkenntnissen praktische Schlussfolgerungen und setzt die Kräfte der Gruppe richtig ein, so dass aus der realistischen Bewertung ihrer Aktivität Wertschätzung, Ermutigung, womöglich sogar Spaß erwächst. Erst aus den Abfolgen von Planung, Aktivität und Einschätzung gewinnt die Gruppe an Erfahrung, erfährt Gemeinsamkeit. Wenn solche Erfahrungen ausbleiben, sind die übergeordneten Leitungen zu einer realistischen Auswertung nicht mehr in der Lage.

Thomas Hagenhofer sagte auf der Theoriekonferenz in Hannover über den Zustand der Partei: »Wir sind gefordert, Antworten für die DKP in ihrer momentanen Verfasstheit zu finden und nicht für eine nicht vorhandene breit verankerte flächendeckend organisierte kommunistische Partei. Wir müssen mit einer Situation klar kommen, in der viele Genossinnen und Genossen kaum noch kollektiv verankert sind, die von schwächer werdenden Grundorganisationen und Leitungen geprägt ist. Überlagert wird diese organisatorische Schwäche von einer politisch-inhaltlichen. Wir laufen Gefahr als theoretisierende Bedenkenträger und Besserwisser wahrgenommen zu werden. Dies hat fatale Auswirkungen auf diejenigen, die schon jetzt starke Zweifel an einer Zukunftsfähigkeit der DKP haben und wirkt gelinde gesagt nicht einladend auf unser Umfeld.« Als Beispiel für diese politische Haltung nennt er unsere aktuelle Politik zu Griechenland.

Thomas: »Deshalb müssen die Grundorganisationen der DKP, die Genossinnen und Genossen in ihrem jeweiligen politischen Tätigkeitsfeld, sich wieder stärker dazu befähigen, eigenständig Politik zu entwickeln und einzugreifen. Voraussetzung dazu ist eine stärkere Vermittlung der Kernbestandteile unseres Parteiprogramms. Die DKP kämpft nicht nur um das Teewasser und die Revolution, sie hat eine Strategie, die aktuell den Kampf für einen Politikwechsel und die Bildung von strategischen Allianzen gegen neoliberale Politik in den Mittelpunkt rückt. Genossinnen und Genossen erarbeiten sich in Grundorganisationen gemeinsame Positionen zu den Fragen, die den Menschen vor Ort auf den Nägeln brennen. Diese sollen dann sowohl in den Aktionen der Gruppen als auch im eigenständigen Auftreten in Betrieb, Gewerkschaft, Bündnis, in der Schule oder der Stadtteilarbeit vertreten werden. Die politische Stärkung der Gruppenarbeit ist nicht durch Kampagnen von oben oder im Sinne eines Durchorganisierens der Partei zu erreichen. Selbständige Politikerarbeitung auf der Grundlage des Parteiprogramms erfordert die politische Qualifizierung der Mitglieder. Parteiweite Kampagnen benötigen eine breite Diskussion in der gesamten Partei und die Überzeugung der aktiven Genossinnen und Genossen vor Ort, um Wirkung zu erzielen. Die konkrete Politik muss demokratisch vor Ort entwickelt werden.«

Ich möchte ergänzen: Selbständige Politikerarbeitung erfordert die politische Qualifizierung, schafft sie aber auch. Erst durch eine Schritt für Schritt realistischer werdende Planung der Gruppe, die den rationellen Einsatz der Kräfte ermöglicht – auch wenn sie gering sind – , die Auswertung der Aktivitäten auf dieser Grundlage, die Korrekturen, der kluge Einsatz der Kräfte, der Stolz auf Erfolge und die politische Ausstrahlung schaffen »eine einheitliche, festgefügte, stabile Organisation, die die Einheit des politischen Willens mit der Einheit des praktischen Handelns der Parteimitglieder verbindet.«10 Wenigstens schon mal in Gestalt dieser Gruppe.

Der Schlüssel zur Stärkung der Partei ist die Entwicklung der Parteigruppen. Indes sollten wir sie nicht daran messen, wie gut und vollständig sie Vorgaben der Leitungen erfüllen, sondern die Leitungen daran, wie es ihnen gelingt, die Gruppen zu stärken, damit sie selbständig Politik, ein attraktives Gruppenleben und Öffentlichkeitsarbeit entwickeln. Das ist nicht das Problem von Zentralismus oder Demokratie. Die Gruppen müssen in der Lage sein, neue Mitglieder aufzunehmen und zu halten.

Klaus Stein, Wuppertal, 20. April 2015
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1 http://www.dkp-rheinland-westfalen.de/index.php/partei/2366-imperialismus-heute-neue-momente-in-der-entwicklung-der-systemkrise
2 MEW 25, 533
3 Siehe Referat auf der Bezirksvorstandsitzung vom 22. März 2015: http://www.dkp-rheinland-westfalen.de/index.php/partei/2402-die-rasante-entwicklung-der-produktivkraefte-und-ihre-revolutionaere-rolle-in-geschichte-und-gegenwart
4 http://dkp-koeln.de/index.php/koeln/41-strategische-gesichtspunkte-und-unebenheiten-im-leitantrag (Beitrag auf dkp-koeln.de)
5 Lenin 21, S. 38
6 Stalin, Werke Band 13, S. 204
7 Kurzer Lehrgang, S. 431
8 ebenda, S. 131
9 Engels an Sorge, Marx-Engels, Ausgewählte Briefe, Moskau 1934, S. 357 – zitiert nach dem Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU (B), Moskau 1938, S. 445
10 Leitfaden für die Gruppenarbeit, hrsg. vom PV der DKP, Abteilung Organisations- und Personalpolitik, 1984