Gerresheim
Die Gerresheimer Glashütte …
… und die Fallstricke
des Kapitalismus
Nach dem August 2005 wurden nicht nur die Reste der ehemals etwa 6.000 Arbeitsplätze der Gerresheimer Glashütte dem Moloch Kapitalismus zum Fraß vorgeworfen. Zerschmettert wurden auch die Glaswannen und Gemengetürme. Das 30 Hektar große Areal liegt platt und bleich wie ein Leichentuch an den verrohrten Ufern der nördlichen Düssel. Das Kapital hat in dieser Zeit bewiesen, dass es unfähig ist, sich zu reproduzieren, zu akkumulieren. Hoffnungsgeil tönt es aus den Rathäusern von Düsseldorf und etwas leiser auch aus Gerresheim: Jetzt wird alles anders. Die Ohnmacht der Administration gibt vor, auf dem Gelände des zukünftigen »Düsselparks« die Quadratur des Kreises inszenieren zu können. Für diese Installation gibt es allerdings einige Fallstricke, die noch nicht zerschlagen sind.
Die Aufteilung des Geländes
Die 300.000 Quadratmeter große Fläche ist zweigeteilt. Ein Drittel gehört bereits der Stadt Düsseldorf. Es liegt im Westen des Geländes, begrenzt durch die Eisenbahntrasse Düsseldorf-Wuppertal, durch die Düssel und durch die Straße nach den Mauresköthen (»Bauhaus«). Der restliche Teil erstreckt sich bis zur Heyestraße in UnterGerresheim. Diese »Ost-Zone« ging Anfang des Jahres von O-I an »Patrizia«. Als »Finanzierungsvolumen« werden 210 Millionen Euro genannt.
Durch die Beibehaltung der beiden Parzellen ist es zunächst einmal nicht gelungen, das gesamte Gelände der Glashütte »im Stück« zu verkaufen. Die Stückelung scheint es am »Markt« leichter zu machen, Investoren zu finden. Damit hat die Stadt Düsseldorf Erfahrung. Das ordnungspolitisch als Grabeland (baurechtlich nicht gesichertes Kleingartengelände) ausgewiesene »Hippeland« zwischen Torfbruchstraße und nördlicher Düssel ließ sich auch nicht ungeteilt veräußern. Inzwischen ist ein Teil bebaut, die Restfläche stellt sich dem Betrachter als Ruderalfläche mit eingebauter Rennbahn für Fahrräder oder Bobby-Cars dar.
Übrigens: Das Grabeland gehörte früher ebenfalls zur Gerresheimer Glashütte. »Höhepunkt« auf diesem Gelände war topografisch und toxikologisch der auch heute noch sichtbare »Brombeerberg«. Mit dem Verkauf überbrückte das Management der Glashütte einen zwischenzeitlichen Liquiditätsengpass. In dem Zusammenhang wurden auch 1.100 Werkswohnungen abgestoßen. Weitere abgestoßene Segmente sind Grundstück und Hallen vom »Bauhaus« und das westlich anschließende »Lager 61«,ebenfalls eine Ruderalfläche, die wegen der mangelhaften Bodenverdichtung nicht verkauft und nicht bebaut werden kann.
Zurück zunächst zur »West-Zone«. Hier stehen noch Hallen. In einer davon wird sogar produziert. Die Gerro Plast GmbH bezeichnet sich selbst als »ein führender Hersteller von coextrudierter Polystyrol-Schaumfolie und bedruckten Kunststoff-Etiketten«. Seit 20 Jahren wird die Getränke- und Lebensmittelindustrie beliefert. CocaCola, PepsiCola, Sprite tragen alle Etiketten aus Gerresheim.
Dieses Unternehmen stellt einen der Fallstricke dar. Da dort fabrikmäßig produziert wird und die Glashütte selber totenstill ist, war ein Geräuschpegel messbar, der den »Neubürgern« südlich der Bahntrasse auf die Ohren ging. Gerro Plast hielt danach die Klappen geschlossen, und es durfte weiter extrudiert werden. Nun lässt sich aber ein Grundstück »mit großem Potential« schlecht mit hoher Gewinnerwartung entwickeln, wenn in unmittelbarer Nähe Produktivkräfte und Produktionsmittel so am Werkeln sind, dass die klassenlose Wohn-Illusion gestört wird.
Nun kommt die Düsseldorfer Stadtverwaltung als Freund und Helfer von »Patrizia« ins Spiel: In nichtöffentlicher Sitzung im Gerresheimer Rathaus wird informiert und die Zielrichtung verdeutlicht: Gerro Plast muss weg! Das finden die Arbeiter nicht so witzig. Geschäftsführer Heymann vermutlich auch nicht. Fazit: Großes Recht steht über kleinem Recht, großes Kapital über kleinem.
Die Kontamination des Geländes
Das Gelände ist nicht besenrein und kann auch nicht »wie besehen« verkauft werden, denn durch Augenschein lässt sich nicht ermitteln, was in der Erde steckt. Arsen ist nicht unbedingt sichtbar. Als Halbmetall wurde es bei der Glasproduktion eingesetzt, entfernt die Blasen im Glas, entfärbt die Glasschmelze. Es hat eine krebserregende Wirkung an der Haut und den Bronchien.
Die Wahrheitsfindung ist kompliziert und kann entgegen der Annahme von Fritz Teufel nicht im Sitzen vorgenommen werden. Die DKP hatte im Gerresheimer Rathaus mehrfach nachgefragt, wie es denn mit der Vergiftung des Bodens bestellt sei. Dazu die aufschlussreiche Informationsvorlage der Stadtverwaltung: »Derzeit werden umfangreiche Bodenuntersuchungen auf dem Gelände durchgeführt. Diese gestalten sich aufwändiger als ursprünglich angenommen. Eine konkrete Angabe, wann Ergebnisse und entsprechende Kostenschätzungen für Entsorgung und Verfüllung vorliegen, kann aufgrund der Komplexität der Angelegenheit derzeit nicht gemacht werden.« Diese Vorlage 177 5/2009 bezieht sich nicht einmal auf das gesamte Areal, sondern nur auf die Teilfläche »Lager 61«.
Etwas mehr Licht: »Lager 61« (13,6 Hektar) wurde von der Gutachterfirma LZ-Umwelttechnik Ingenieur Beratungs GmbH aus Viersen untersucht. In einer Stellungnahme heißt es kursorisch, »dass eine uneingeschränkte Nutzung auf dem Gelände ohne vorhergehende Sanierungs- bzw. Sicherungsmaßnahmen nicht möglich ist.« Vor fast zehn Jahren stellte ein Gutachter fest: Für eine gesicherte gewerbliche Nutzung müssten hier 200 t belasteter Bauschutt entfernt werden, dazu mehr als 30.000 t Auffüllungsmaterial. Die Auffüllungshöhe aus dem Rückbau des Lagers 61 beträgt bis zu 5 m. Vor fünf Jahren wurden die Erschließungskosten durch die Stadt mit 9,3 Millionen Euro angegeben. Zum Schluss bleiben die üblichen Fragen: Wer ist der Verursacher? Wer wird die Kosten bezahlen?
Der Verfasser hat bei der Leitung der Bezirksverwaltungsstelle 7 (Gerresheimer Rathaus) nachgefragt, ob das altlastenorientierte Gutachten des Büros Keuck & Partner zur Verfügung gestellt werden könne. Auf dieses Gutachten war öffentlich in der städtischen Broschüre »Perspektiven für Gerresheim-Süd - Information zum Werkstattverfahren« auf Seite 28 aufmerksam gemacht worden. So war das aber wohl nicht wirklich gemeint, denn nach Auskunft des Umweltamtes musste mitgeteilt werden, »dass es sich hierbei um ein nicht-öffentliches Gutachten handelt.«
Der Linie der Geheimniskrämerei im Interesse einer störungsfreien Vermarktung blieben O-I, Stadtverwaltung und nun auch »Patrizia« bis in die Gegenwart treu. Im Werkstattverfahren »Perspektiven für Gerresheim Süd« mit drei Foren im Jahr 2008 wurde die Bodenvergiftung nicht aufgelistet. Auch die Arbeit der Gewinner von Team 4 (Städtebau: rha Reicher Haase Aachen / Freiraum: Hannelore Kossel, Berlin / Junior: Jochen Füge, Haan) enthielt keine dezidierten Angaben.
Statt dessen lieferten sie florale Lösungskonzepte:
»Für die ersten Stufen der neuen ›Inbesitznahme‹ des Geländes sollen Teilflächen entsiegelt und mit blau blühenden Pflanzen zur Bodenverbesserung eingesät werden, die in unterschiedlichen Blautönen und Strukturen auch sehr schmückende und belebende Aspekte haben.« Es kommt noch genauer: »Blau blühende Leitpflanzen nehmen das blaue ›G‹ von Gerresheim symbolisch auf, sie geben dem Düssel-Park einen eigenen, unverwechselbaren Charakter und tragen zur Identitätsstiftung bei.
Das Rückgrat in Ost-West-Richtung bildet die südlich des Parks verlaufende Straße »Am Düsselpark«, die mit Blauglockenbäumen (Paulownien) als Erkennungsbaum bepflanzt wird, im Parkbereich als zweireihige Allee. Auch in den kleineren Quartiersplätzen, auf dem Bahnhofsplatz und als Baumdach neben dem Heyebad ist diese Baumart vorgesehen.
Die weitere Bepflanzung folgt dem Leitthema:
- Blauregen für den Pergolagang vor den Kleinspielfeldern
- Fliederhecken zur Raumbildung
- Hasenglöckchen (Blue Bells) und Scilla an Gehölzrändern
- Blaues Immergrün als Unterpflanzung
- Vergissmeinnicht (Myosotis) und blaue Iris an der Düssel
- Wiesensalbei und Wiesenstorchschnabel für extensive Wiesenpartien«
- Hinter dieser Blauäugigkeit verschwindet die Kontamination – scheinbar.
Der Denkmalschutz ohne Schutzfunktion
Das Denkmalschutzgesetz von NRW schützt nicht unbedingt die Denkmäler, wohl aber ihre Besitzer vor der Forderung, die Denkmäler zu schützen. Paragraph 7 schränkt ein: Die Eigentümer von Denkmälern haben diese »instand zu halten, instand zu setzen, sachgemäß zu behandeln und vor Gefährdung zu schützen, soweit ihnen das zumutbar ist.« Die Zumutbarkeit des Denkmalschutzes für die Gebäude auf der Hüttenbrache ist für O-I eher eine Unmutung.
Unter Denkmalschutz stehen der Gerresheimer Bahnhof neben dem Gelände der Glashütte, die Elektrozentrale, das Kesselhaus und der Wasserturm auf dem Areal. Anlieger und Initiativen forderten die Stadt Düsseldorf auf, den Bahnhof zu kaufen, baulich zu sichern und als Stadtteilzentrum den Bürgern anzubieten. Genau diese Summe »fehlte« allerdings, weil die Stadt sie nicht in die Ostzone von Düsseldorf investieren wollte. Käufer wurde mit stiller Duldung der Stadt ein Architekt: Piet Neiser. Er arbeitet nicht gemeinnützig. Deshalb seine klare Aussage: »Es muss wirtschaftlich funktionieren.« Das »Theater der Klänge«, das in den Bahnhof einziehen sollte, hat bereits aufgegeben. Es ist dort zu laut – hinreichende Lärmdämmung ist zu teuer.
Zu den restlichen Gebäuden auf der Brache: »Soweit die Eigentümer und sonstigen Nutzungsberechtigten den Verpflichtungen nach Absatz 1 nicht nachkommen, kann die Untere Denkmalbehörde nach Anhörung die notwendigen Anordnungen treffen.« Dafür gibt es allerdings nicht den geringsten Ansatz. Alles gammelt vor sich hin.
Die Empfehlungskommission legte dem Siegerteam aus dem Wettbewerb ans Herz: »In Bezug auf den Erhalt des Wasserturms sollte gemeinsam mit dem Eigentümer überprüft werden, inwiefern diese oder andere gleichwertig identitätsstiftende Maßnahmen hinsichtlich einer signifikanten Lösung zur Symbolik der vier ‚Gs’ anzustreben sind.« Die Träume, wenn es denn welche waren, sind zerplatzt. Noch ein Versprechen: »Wir werden das Grundstück in Abstimmung mit dem städtischen Umweltamt jetzt zügig sanieren.« Das ist die Aussage von Joachim Herzig (Area Controller North-West Europe. Managing Director Germany von O-I). Die Frage bleibt: Warum fiel ihm das nicht schon 2005 ein, als abgewrackt wurde? Schweigen auch aus dem Umweltamt.
Sicher ist aber: »Patrizia« ist nicht angetreten, um in Düsseldorf endlich die Defizite an bezahlbarem Wohnraum zu mindern, um die Segregation und die Vertreibung des Prekariats nach Duisburg zu stoppen. Stattdessen sprudeln die Vokabeln aus der Sprache der Immobilienverwerter: großes Potential, lebendiges Stadtquartier, Initialzündung… Umgesetzt werden die Vokabeln in dem neuen Bebauungsplan, der 2014 verabschiedet werden soll. Der Bebauungsplan legt nicht fest, wie hoch die Mieten sein werden. Er legt auch nicht fest, wie der »Wert« der benachbarten Wohnungen durch die aufgehübschte Industriebrache steigen wird. Von Segregation und Vertreibung wird nicht offen gesprochen. Das erledigen die Mietsteigerungen dann ganz legal. Wie aus dem Gerresheimer Rathaus verlautet, ist eine Gruppe für den erwünschten Aus- und Umzug bereits freigegeben: die Motorrad-Rocker im benachbarten Hochbunker.
Text und Foto: Uwe Koopmann