Gerresheim
»Lasset die Flüchtlinge zu uns kommen«
Asylpolitik ist Klassenpolitik
im Rassenwahn
[update 27.02.2015] Ein Gebet geht durch Deutschland: Lasset die Flüchtlinge zu uns kommen – aber bitte nicht in meine unmittelbare Nachbarschaft. Der erste Teil des Gebets könnte donnernd von Marx kommen, dem Kardinal Reinhard Marx aus München, oder etwas dezenter von seinem Kollegen Rainer Maria Wölki aus Köln, der reichsten Diözese weltweit. Der zweite Teil des Gebets, gleichsam ein Stoßgebet, findet sich vielfach rassistisch geprägt nahezu in jeder Ecke der Republik.
Die Bürgermeister als Sachwalter des staatsmonopolistischen Kapitalismus auf der lokalen Ebene schreien zum Himmel: Um neben anderen Aufgaben die Flüchtlinge finanzpolitisch beherrschen zu können, forderten sie jüngst in Berlin fünf Milliarden Euro Soforthilfe und eine generell neue Regelung, wie die Steuern zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden verteilt werden sollen. Fünf Milliarden Euro hatte die GroKo den Kommunen zugesagt, allerdings wurde nur eine Milliarde Euro gestückelt überwiesen. In Deutschland gibt es 11.191 Gemeinden (Zensus 2011). Zudem sind zwei Gebiete bewohnt, aber gemeindefrei. Weitere 225 Gebiete sind ebenfalls gemeindefrei, aber unbewohnt. Sie werden für die folgende Berechnung vernachlässigt. Das bisher ausgezahlte Hilfspaket aus Berlin bringt den 11.191 Gemeinden in Durchschnitt weniger als 90.000 Euro. 90.000 Euro haben derzeit den Wert von »einem Tropfen auf den heißen Stein«. Angesichts der milliardenschweren Verschuldung der Kommunen – allein 172,8 Milliarden Euro in den 13 Flächenländern – bringen auch die fünf Milliarden Euro keine Entlastung. Die Haushaltssituation in Bremerhaven, Duisburg oder Bottrop erinnert an Athen, Thessaloniki und Patras…
Das jüngste »Eurobarometer« hat mit Blick auf die Asylbewerber, Flüchtlinge und Zuwanderer die ideologische Befindlichkeit der Bevölkerung untersucht. Auffallend ist eine breite rassistische Grundhaltung. Einwanderer aus Ländern außerhalb der EU lehnen 61 Prozent der Deutschen ab. Der EU sind es durchschnittlich 57 Prozent. Schweden: 25 Prozent, Großbritannien: 57 Prozent, Frankreich: 58 Prozent. Die deutsche Ablehnung wird in Lettland mit 79 Prozent übertroffen, in Italien mit 75 Prozent und in der Slowakei mit 74 Prozent.
Illegale Einwanderung aus diesen Ländern wollen 81 Prozent der Deutschen stärker bekämpft sehen. Jeder zweite Deutsche sieht die Einwanderung aus EU-Ländern positiv. Der EU-Durchschnitt liegt bei 52 Prozent. Noch vor dem Schuldenberg gilt die Einwanderung in den Köpfen als Gefahrenpotential. Für die Ablehnung der Flüchtlinge steht neben der Herkunft die kapitalistische Verwertbarkeit. Der Bielefelder Sozialpsychologe Andreas Zick in der Westdeutschen Zeitung: »In Deutschland wird eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft von Zuwanderer aufgemacht.« Unterschieden werde »zwischen ›passenden‹ und ›unpassenden‹ Zuwanderern – zwischen den ›guten‹ und den ›weniger guten‹.« Herkunft, Hautfarbe und Religion sind die Auswahlmerkmale. Ein weiteres Merkmal ist die ökonomische Verwertbarkeit: Krankenschwestern sind »gut«, ebenso »Gastarbeiter auf Zeit«, Inhaber von Green-Cards. Der ehemalige NRW-Ministerpräsident toppte schon vor 15 Jahren die Selektionskriterien: »Kinder statt Inder!«.
Auch die Auswahl der Unterkünfte der Flüchtlinge unterliegt Klassengesichtspunkten. Zuvor müssen sie allerdings vorbei an Frontex (European Agency for the Management of Operational Cooperation at the External Borders of the Member States of the European Union) und Eurosur (European Border Surveillance System) die Außergrenzen von Griechenland, Italien oder Spanien überwunden haben oder – zum Beispiel: Flüchtlinge aus dem Kosovo – die Binnengrenzen zwischen Bayern und den Nachbarländern. Dort greift die Bundespolizei zu.
Während von den Stadtverwaltungen dringend Wohnraum für Flüchtlinge gesucht wird, gibt es keine gesetzliche Grundlage, mit der die Kommunen flächendeckend leere Wohnungen erfassen können. Für Düsseldorf wurde 2012 eine Leerstandsquote von 4,09 Prozent ermittelt. Als Datengrundlage diente die Erfassung abgestellter Stromzähler durch den Energieversorger »Stadtwerke«. In absoluten Zahlen: Über Monate standen fast 15.000 Wohnungen leer. Diese Zahl hätte – selbst nach der offiziellen Verteilungsquote gemäß dem Königsteiner Schlüssel im Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) – ausgereicht, um alle Flüchtlinge angemessen unterzubringen.
Es gibt allerdings auch Wohnungen, die stehen leer und sind dennoch schwer zu verkaufen. Da ist zum Beispiel das Objekt »4Cube4you« in Düsseldorf. Es gehört zum Preissegment zwischen 5000 Euro und mehr pro Quadratmeter. Die Wohnungen lassen sich leer und ohne die Imagination von Möbeln schlecht an den Käufer bringen. Wie in Berlin Arbeiterfamilien in der Gründerzeit Wohnungen »trockenwohnen« durften, könnten hier Asylbewerber einquartiert werden: Home staging heißt dieses smarte Gewerbe, das mit Möbeln Scheinwelten in Luxuswohnungen einlagert. Allerdings: Asylanten passen nicht in diese Welt. Home Stagerin Mayte König Garcia-Cano Luna zieht in der Rheinischen Post den Vergleich zum Hotelzimmer: »Wenn man das bezieht, dann weiß man auch, dass hier kurz zuvor noch jemand anderes war. Aber es stört einen nicht, weil man keine direkten Spuren sieht. Und so muss es bei einer noch bewohnten Wohnung oder einem Haus sein.« Allein der Anblick einer Flüchtlingsfamilie in der Nobeletage dürfte ein integrationshemmendes Kaufhindernis sein…
Da gibt es andere Möglichkeiten für den richtigen Platz für die richtigen Leute. In Mönchengladbach kommen 50 Asylbewerber in einen leeren Aldi-Markt. Vor das Haus kommen die Einrichtungen, die es im Haus nicht gibt: mobile Toiletten und Nasszellen. Ähnlich persönlich geht es im Laden zu: Die »Lebensbereiche« werden durch Stellwände separiert. Sie bleiben zur Decke hin offen.
Und es gibt noch andere Möglichkeiten: Die DKP schrieb an die evangelische Kirchengemeinde Gerresheim, die sich sehr für die bisherigen Flüchtlinge engagiert hat. Auf den ehemaligen Gärten im »Hippeland« an der Torfbruchstraße hat die Kirchliche Zusatzversorgungskasse Rheinland-Westfalen (KZVK) damit begonnen, zwei Häuser mit je 22 Wohnungen und weitere 34 Reihenhäuser zu bauen. KZVK-Vorstand Wolfram Gerdes will »für ganz normale Leute und Familien« bauen. Die Häuser werden zwar erst im September 2016 fertig. Die DKP geht allerdings davon aus, dass die Wohnungsproblematik der Asylbewerber sich bis dahin nicht im Selbstlauf gelöst haben wird. Außerdem hätte die Stadt als Mieter einen hinreichenden Zeitvorlauf, um die passenden Verträge mit der KZVK abzuschließen.
Uwe Koopmann
Fotos: Bettina Ohnesorge (1), Uwe Koopmann (4)