Gerresheim

Untergerresheim

Hohes Gebäude.

«Unter» erinnert an Proleten


Es gibt in Gerresheim eine politisch-ideologische Auseinandersetzung um die Bezeichnung «Untergerresheim». Insbesondere in SPD-Kreisen und konservativen Zirkeln wird statt Untergerresheim eher von «Gerresheim-Süd» oder gar, wenn es um den Bereich zwischen Bahn und Stadtbezirksgrenze Richtung Vennhausen geht, von Gerresheim-Süd-Süd gesprochen. Der Grund: Die Bezeichnung «Untergerresheim» sei pejorativ und für die Bewohner diskriminierend. Der offensichtliche Widerspruch zwischen Ober- und Untergerresheim dürfe durch den Gebrauch der Bezeichnung «Untergerresheim» nicht verschärft werden. «Untergerresheim» sei mit Schwaden von Arbeiterklasse umweht.


Wenigstens fünffach ist «Untergerresheim»
als eigenständige Sprachinsel legitimiert.

  • Topografisch. Das Gelände fällt von Norden nach Süden ab. Von Obergerresheim nach Untergerresheim. Der tiefste Punkt ist das Ufer der Düssel. Und die fließt nun mal wie das bei Fließgewässern so üblich ist, von oben nach unten durch Untergerresheim. Selbst der Pillebach macht da keine Ausnahme.
  • Sozial. Im Norden das Bürgertum (Bourgeoisie in Obergerresheim), das sich um St. Margareta schart. Im Süden die Arbeiterklasse der Glashütte. Das Proletariat in den Werkswohnungen zwischen Alter Insel, Neustadt und Glasbläserstraße.
  • Konfessionell: Obergerresheim katholisch. Untergerresheim protestantisch, atheistisch, italokatholisch.
  • Politisch am Ende der Weimarer Republik: Obergerresheim: Zentrum, NSDAP. Untergerresheim: KPD, SPD.
  • Sprachgebrauch: Obergerresheim: Hochdeutsch, Düsseldorfer Platt. Untergerresheim: Düsseldorfer Platt, Hötter Platt.


Ist «Unter» für Gerresheim ein Makel? Fallen die Grundstückspreise für «Unter»? Sind die beiden Gerresheimer Gymnasien, die beiden Krankenhäuser, die Stadtbezirksbücherei zufällig nicht in Untergerresheim? Die «Freie Schule» wurde in Untergerresheim abgeschafft. Ebenso die «Volkshochschule» der Glashütte.


Die Anerkennung von «Unter», die Identifizierung mit seiner Geschichte schafft und verlangt Klassenbewusstsein. Das ist nicht überall erwünscht. Es ist anzunehmen, dass durch den Erlass einer Milieuschutzsatzung zwar eine Gentrifizierung erreicht wird. So findet sich in der Neustadt (Portastraße, Teutoburgstraße, Owensstraße, Heyestraße zwischen Straßenbahnwendeschleife und Morper Straße) ein wohlhabenderes Klientel als vor dem Ausverkauf der Hüttenhäuser.


Auf robuste Weise wurde die Gentrifizierung in der Arbeitersiedlung Altstadt gelöst: Die Häuser von Loitz-, Hörstel- und Tongasse sowie Wittekindstraße wurden entmietet und abgerissen. Mit den Häusern verschwanden die Bewohner, mit den Bewohnern die Sprecherinnen und Sprecher von Hötter Platt.


Ein weiteres Untergerresheim-Spezifikum gibt es mit dem «Neubau», den Hüttenhäusern an Riga- und Baltenstraße. Die Straßennamen weisen auf die Herkunft vieler Glasbläser hin. Mit diesen Bewohnern wollten die Bürger von Obergerresheim partout nichts zu tun haben. Das ging so weit, dass selbst Eheschließungen ganz und gar unangebracht waren.

Straße mit «Hochbunker».


Am Rande von Untergerresheim gibt es übrigens noch ein Viertel, dessen Nennung ebenfalls nicht mehr opportun erscheint: das «Jammertal». Bis vor wenigen Jahren war damit die Bertastraße mit ihrem verzweigten Wegegewirr und aufgehübschten Siedlungshäuschen gemeint. Inzwischen wurde das «Jammertal» in Schweizer-Siedlung umbenannt. Diese Aufwertung verschlingt Sozialgeschichte. Standhafter sind dagegen zwei Orte im Oberharz. Sie heißen immer noch «Sorge» und «Elend».


Aber die Segregation könnte auch in Untergerresheim zuschlagen, auf dem Gelände der ehemaligen Glashütte, gleich neben dem Bahnhof. Gemunkelt wird von einer Gesamtinvestitionssumme vom einer Milliarde Euro. Diese Summe müsste sich amortisieren, was wohl nur über adäquate Miethöhen und Verkaufserlöse funktionieren kann.

 


Uwe Koopmann
Foto: Bettina Ohnesorge